06.09.2013
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Gerjet und Luise Harms kämpften gemeinsam mit vielen anderen Engagierten für die Rückkehr von Gazale Salame und ihren Kindern Schams und Gazi. Foto: privat

Die STIFTUNG PRO ASYL verleiht einmal im Jahr ihren Menschenrechtspreis, die PRO ASYL-Hand, an Einzelpersonen für herausragendes Engagement für Flüchtlingsschutz und die Einhaltung der Menschenrechte. Dieses Jahr werden Luise und Gerjet Harms ausgezeichnet - stellvertretend für alle, die für die Rückkehr von Gazale Salame gekämpft haben.

Das Theo­lo­genehe­paar Harms ist kein unbe­schrie­be­nes Blatt in Sachen Flücht­lings­schutz. Ihr öffent­li­ches Enga­ge­ment für Schutz­su­chen­de geht bis in die 1980er-Jah­re zurück. Vor dem Hin­ter­grund anstei­gen­der Flücht­lings­zah­len waren neue soge­nann­te „Flücht­lings­wohn­hei­me“ errich­tet wor­den, gegen die sich in Tei­len der Bevöl­ke­rung Pro­test reg­te. So auch in der unmit­tel­ba­ren Nach­bar­schaft der Hil­des­hei­mer Mat­thä­us Gemein­de, dem Wohn- und Arbeits­ort des Gemein­de- und Stu­den­ten­pfar­rers Ger­jet und sei­ne Frau Lui­se Harms, einer Reli­gi­ons­leh­re­rin. Gemein­sam mit ande­ren Akti­vis­tin­nen und Akti­vis­ten aus der Gemein­de grün­de­te das Ehe­paar Harms einen Unter­stüt­zer­kreis für die Flücht­lin­ge, um die Men­schen will­kom­men zu hei­ßen und prak­ti­sche Hil­fe in viel­fäl­ti­gen For­men anzubieten.

Der „Wie­der­ho­lungs­tä­ter“

Die Türen der Mat­thä­us Gemein­de ste­hen Schutz­su­chen­den stets offen. Und so wur­de auf selbst­ver­ständ­li­che und unspek­ta­ku­lä­re  Wei­se auch immer wie­der Kir­chen­asyl gewährt, wenn es not­wen­dig war: Erst­mals 1990, als sie­ben Flücht­lin­ge aus Ban­gla­desch, sich vor ihrer dro­hen­den Abschie­bung von Würz­burg nach Hil­des­heim ret­te­ten. Meh­re­re Male wur­den auch Men­schen aus dem benach­bar­ten Flücht­lings­wohn­heim vor dem Zugriff der Poli­zei bewahrt – zum Bei­spiel um eine ange­mes­se­ne Kran­ken­ver­sor­gung sichern oder Zeit für eine anste­hen­de Hoch­zeit gewin­nen zu kön­nen. Im Jahr 2001, als die Hil­des­hei­mer Pas­to­ren  einer sie­ben­köp­fi­gen kur­di­schen Fami­lie Schutz vor einer dro­hen­den Abschie­bung in die Tür­kei gewäh­ren, muss sich Ger­jet Harms der Staats­an­walt­schaft Hil­des­heim und der Ankla­ge zur „Bei­hil­fe zum ille­ga­len Auf­ent­halt“ stel­len. Die juris­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung gegen ihn, der als „Wie­der­ho­lungs­tä­ter“ galt, konn­te nach einem öffent­lich­keits­er­re­gen­den Pro­zess schließ­lich gegen die Beglei­chung einer sym­bo­li­schen Geld­auf­la­ge ein­ge­stellt werden.

Eine skan­da­lö­se Abschiebung

Als am Mor­gen des 10. Febru­ars die schwan­ge­re Gaza­le Sala­me mit ihrer jüngs­ten Toch­ter aus Hil­des­heim in die Tür­kei abge­scho­ben wird, bil­det sich um das Ehe­paar Harms schnell ein Unter­stüt­zer­kreis. Das skan­da­lö­se bei der Abschie­bung der Kur­din und ihrer Toch­ter war nicht allein die Abschie­bung selbst, son­dern die damit ein­her­ge­hen­de Fami­li­en­tren­nung: Die bei­den älte­ren Töch­ter waren in der Schu­le, als die Poli­zei anrück­te – Ehe­mann Ahmed Sia­la war außer Haus, weil er den Mäd­chen einen ver­ges­se­nen Turn­beu­tel hinterherbrachte.

Hin­zu kam, dass Gaza­le die Tür­kei weder kann­te noch eine Ver­bin­dung zu dem Land hat­te. Im Jahr 1988 war sie als Sechs­jäh­ri­ge mit ihren Eltern aus dem Liba­non über die Tür­kei nach Deutsch­land geflo­hen. In der Schu­le lern­te sie ihren spä­te­ren Ehe­mann Ahmed Sia­la ken­nen, der eine ähn­li­che Bio­gra­fie hat­te. Nach vie­len Jah­ren in Deutsch­land mein­ten die Behör­den mit einem Mal, tür­ki­sche Ver­wand­te  ermit­telt zu haben und war­fen Sala­me und Sia­la vor, bei ihrer Ein­rei­se jeweils fal­sche Anga­ben zu ihrer Iden­ti­tät gemacht zu haben und angeb­lich aus der Tür­kei zu stammen.

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Ger­jet und Lui­se Harms mit Gaza­le Önder. Foto: PRO ASYL

Hart­nä­ckig­keit zahlt sich schließ­lich aus

Über acht Jah­re ver­wei­ger­ten die Behör­den Gaza­le Sala­me und ihren Kin­dern Schams und Gazi die Rück­kehr zu ihrer Fami­lie. Es ist der Hart­nä­ckig­keit und dem Durch­hal­te­ver­mö­gen von Lui­se Harms, Ger­jet Harms und wei­te­ren Unter­stüt­ze­rin­nen und Unter­stüt­zern zu ver­dan­ken, dass sie schließ­lich am 3. März 2013 nach Deutsch­land heim­keh­ren durf­ten. Der gesam­te Unter­stüt­zer­kreis hat­te durch Pro­test­ver­an­stal­tun­gen, Mahn­wa­chen, Got­tes­diens­te und Lob­by­ar­beit gemein­sam mit dem Nie­der­säch­si­schen Flücht­lings­rat dafür gesorgt, dass das rigi­de Vor­ge­hen der Behör­den bun­des­weit Schlag­zei­len mach­te. Zusam­men mit ande­ren Enga­gier­ten stand das Theo­lo­genehe­paar der Fami­lie Salame/Siala per­sön­lich bei, sam­mel­te Spen­den für die juris­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung und kon­fron­tier­te die poli­tisch Ver­ant­wort­li­chen mit den Kon­se­quen­zen ihrer Ent­schei­dung. Auf die­se Wei­se führ­ten sie der Öffent­lich­keit die unmensch­li­chen Kon­se­quen­zen  von Abschie­bun­gen vor Augen, die Lebens­per­spek­ti­ven von lang­jäh­rig in Deutsch­land leben­den Men­schen zer­stö­ren und immer wie­der auch Fami­li­en auseinanderreißen.

Die Unter­stüt­zung geht weiter

Der 3. März steht für einen gro­ßen Erfolg des Unter­stüt­zer­krei­ses. Jedoch ver­lau­fen auch das Ankom­men und der Beginn eines neu­en Lebens in der alten Hei­mat Hil­des­heim für Gaza­le Sala­me nicht ohne Schwie­rig­kei­ten. Aktu­ell ist sie auf der Suche nach Arbeit – doch Arbeit­ge­ber ver­lan­gen den Nach­weis einer gesetz­li­chen Kran­ken­ver­si­che­rung, in die sie wie­der­um nur ein­tre­ten kann, wenn sie einen fes­ten Arbeits­ver­trag unter­schrie­ben hat – ein Teufelskreis.

Kei­ne leich­te Zeit für jeman­den, des­sen Leben durch behörd­li­che Will­kür kom­plett aus den Fugen gera­ten ist. Dem Bei­stand von Lui­se und Ger­jet Harms und vie­len wei­te­ren Enga­gier­ten kann sie sich jedoch auch in Zukunft sicher sein.

Für ihr hart­nä­cki­ges und selbst­ver­ständ­li­ches Enga­ge­ment ver­leiht die STIFTUNG PRO ASYL Ger­jet und Lui­se Harms am 14. Sep­tem­ber ihren Men­schen­rechts­preis, die PRO ASYL-Hand. Das Ehe­paar Harms nimmt die­sen Preis stell­ver­tre­tend für alle Enga­gier­ten ent­ge­gen, die sich für die Rück­kehr Gaza­le Sal­a­mes und der Kin­der Schams und Gazi ein­ge­setzt haben.

 

Ger­jet und Lui­se Harms erhal­ten Men­schen­rechts­preis der STIFTUNG PRO ASYL (05.09.13)

Mit rechts­staat­li­chem Ver­fah­ren nichts mehr zu tun (06.06.13)

Gaza­le ist zu Hau­se (04.03.13)

Demons­tra­ti­on zum sieb­ten Jah­res­tag der Abschie­bung von Gaza­le Sala­me (10.02.12)

Appell an Minis­ter­prä­si­dent McAl­lis­ter: Gaza­le Sala­me muss zurück­keh­ren dür­fen! (09.12.11)

Laudatio von Michael Berger

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Rede von Preisträger Gerjet Harms

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Rede von Preisträgerin Luise Harms

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Rede von Gazale Önder

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