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Papier von CDU/CSU: Rechtswidrig, repressiv, integrationsverhindernd
Die Bundesregierung ist sich in der Flüchtlingspolitik in vielen Punkten uneins. Am Wochenende endete ein Koalitionsgipfel ergebnislos. CDU und CSU haben sich dennoch auf ein gemeinsames Papier geeinigt. Doch statt dringend benötigter Konzepte zur Aufnahme und Integration von Flüchtlingen liegt der Fokus des Papiers bei erneuten Asylrechtsverschärfungen und der Abschottung Europas.
Das Papier von CDU und CSU (hier zum Nachlesen als PDF) mit dem Titel „Menschen in Not helfen, Zuwanderung ordnen und steuern, Integration sichern“ ist vor allem ein Namensschwindel: Von Integration ist darin nicht die Rede. Auch Maßnahmen zur Beseitigung der menschenrechtswidrigen Zustände auf der Balkan-Route und auf den griechischen Inseln werden nicht genannt. Dafür nennt das Papier neue Asylrechtsverschärfungen und Maßnahmen, die die Integration von Schutzsuchenden verhindern. Das Papier teilt sich dabei in zwei Abschnitte: Nationale Regelungen (I.) und Europäische Maßnahmen (II.).
Transitzonen: Haftlager an der deutschen Landgrenze
Die CSU hat sich mit ihrer harten Linie wieder einmal in Berlin durchgesetzt. Auch die CDU fordert nun Transitzonen an den deutschen Landgrenzen (Punkt I.1), an denen über die Zulässigkeit von Asylanträgen entschieden wird. Doch was hätte dies für Konsequenzen? Will man die Grenze im Sinne von CDU/CSU effektiv schützen, bedarf es einer rigorosen Abschottung der deutschen Landgrenze. Haftanstalten zur Festsetzung Schutzsuchender und der Bau von Grenzanlagen und Zäunen wären die Folge. Welche menschenrechtswidrigen und katastrophalen Folgen für Flüchtlinge solche Grenzen in der Praxis haben, lässt sich in Ungarn und in den spanischen Enklaven Ceuta und Melilla beobachten.
CDU/CSU möchten an den Landgrenzen ein Verfahren, das sich am Flughafenverfahren orientiert. Das Bundesverfassungsgericht hat 1996 jedoch klar festgestellt, dass Schutzsuchende selbst im Flughafenverfahren Zugang zu einem effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. IV GG haben müssen. Hierzu gehört auch eine kostenlose asylrechtliche Beratung, wie dem Urteil zu entnehmen ist (Rn. 140). Wie in der Transitzone eine kostenlose asylrechtliche Beratung, Zugang zu AnwältInnen und Strukturen, die den Bedürfnissen besonders schutzbedürftiger Schutzsuchender entsprechen, aufgebaut werden sollen, haben CDU/CSU bisher nicht beantwortet. Und dass selbst im Flughafenverfahren Rechte von Schutzsuchenden strukturell verletzt werden, ist anscheinend nicht mehr der Rede wert.
Einschränkung des Familiennachzugs: CDU/CSU wollen Familien auf lebensgefährliche Fluchtwege zwingen
Der Punkt I.4 des CDU/CSU-Papiers hat es in sich: „Zur besseren Bewältigung der aktuellen Situation soll der Familiennachzug für Antragsteller mit subsidiärem Schutz für einen Zeitraum von 2 Jahren ausgesetzt werden.“ Schutzsuchende, die als Flüchtlinge anerkannt sind, haben Anspruch auf Familiennachzug. Seit dem 1. August 2015 haben sogenannte subsidiär Schutzberechtige unter den gleichen Voraussetzungen Anspruch auf Familiennachzug (§ 25 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 AufenthG). Subsidiär Schutzberechtigte erfüllen zwar nicht die Voraussetzungen der Genfer Flüchtlingskonvention, erhalten aber einen Aufenthaltstitel, da ihnen im Falle einer Abschiebung in ihr Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht, beispielsweise durch Todesstrafe, Folter oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung ihres Lebens.
Eine Aussetzung des Familiennachzugs kann nicht per Verordnung oder Erlass in Kraft treten, sondern bedürfte einer erneuten Änderung des Aufenthaltsgesetzes: Für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz gelten die Neuregelungen der Gesetzesänderung vom 1. August. Zudem folgt ihr Anspruch auf Familiennachzug aus Art. 6 GG und Art. 8 Europäische Menschenrechtskonvention, in dem die Wahrung und der Schutz der Familie unter besonderem Schutz stehen.
Was wäre im Übrigen die Konsequenz, wenn man subsidiär Schutzberechtigten, beispielsweise aus Afghanistan oder dem Irak, den Anspruch auf Familiennachzug verwehren würde? Die derzeitige Lage in diesen Ländern ist lebensbedrohlich, die Familien der AntragsstellerInnen würden sich auf den lebensgefährlichen Weg nach Europa machen, darunter Frauen, Kranke, Alte und Kleinkinder, die bisher nicht den Weg über die Ägäis, das Mittelmeer oder die Balkan-Route gegangen sind. CDU/CSU schicken damit Familien und Kinder auf lebensgefährliche Wege – vor den griechischen Inseln sind alleine am Wochenende wieder mehrere Flüchtlinge, darunter viele Kinder, gestorben. Und für die Flüchtlinge in Deutschland wäre die Situation psychisch kaum aushaltbar, denn ihre Familien hätten keine Möglichkeit nachzukommen und wären der lebensbedrohlichen Situation in ihren Herkunftsländern weiter ausgesetzt.
Einschränkung des soziokulturellen Existenzminimums: Integrationskurs oder Telefonkarte?
Gerade erst hat die Große Koalition mit dem „Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz“ neue Regelungen verabschiedet, unter denen Flüchtlinge vom soziokulturellen Existenzminimum gemäß § 1a AsylblG ausgeschlossen werden können. Der nächste Angriff folgt in Punkt I.5 des CDU/CSU-Papiers: „Bei der Gewährung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz soll die Erbringung von Sprach– und Integrationskursen künftig auf das sogenannte soziokulturelle Existenzminimum angerechnet werden.“
Mit der Gesetzesänderung vom Oktober wurde beschlossen, für bestimmte Flüchtlingsgruppen mit „guter Bleibeperspektive“ im laufenden Asylverfahren die Integrations- und Sprachkurse zu öffnen. Insbesondere SPD und Grüne hatten mit dieser Änderung ihre Zustimmung begründet. Selbst diese Verbesserung gerät nun durch CDU/CSU unter Beschuss. Integrations- und Sprachkurse werden verpflichtend auf den Bargeldbedarf von AsylbewerberInnen angerechnet. Bislang hat das BAMF zumindest einen Teil der Kosten übernommen. Das soziokulturelle Existenzminimum ist jedoch keine Sozialleistung, auf die nach politischem Gutdünken Kosten angerechnet werden können. Nach dem Bundesverfassungsgericht umfasst das aus Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 20 Abs. 1 GG abgeleitete soziokulturelle Existenzminimum die Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben. Konkret fallen unter diese Leistungen beispielsweise Telefonkarten, um mit den Verwandten zu telefonieren, Fahrkarten, Kinokarten etc. Durch die Anrechnung der Kosten für Integrationskurse werden Flüchtlinge damit vor die Entscheidung gestellt: Gebe ich das Geld für den Erwerb der deutschen Sprache aus oder will ich mit meinem Ehepartner und mit meinen Kindern telefonieren?
Im Übrigen zeigen sich in der konkreten Anwendung der Sprachkursöffnung erhebliche Schieflagen. Denn unter Flüchtlinge mit „guter Bleibeperspektive“ fallen nach Angabe der Bundesagentur für Arbeit nur jene aus Syrien, Eritrea, Iran und Irak. Ausgeschlossen sind damit beispielsweise SomalierInnen, die ebenfalls hohe Anerkennungsquoten haben, aber auch AfghanInnen und staatenlose SyrerInnen.
Kooperation mit der Türkei: Kein sicherer Drittstaat
Unter den europäischen Maßnahmen sticht insbesondere hervor, dass CDU/CSU die Rückführung von Flüchtlingen in die Türkei in Kraft treten lassen wollen. Damit ist gemeint: Die Türkei soll gemäß der EU-Asylverfahrensrichtlinie als „sicherer Drittstaat“ i.S.v. Art. 38, 39 der Richtlinie eingestuft werden. Dann könnten Personen, die über die Türkei nach Europa eingereist sind oder sich dort längere Zeit aufgehalten haben, wieder in die Türkei zurückgeschoben werden.
Doch unter europarechtlichen Gesichtspunkten wäre diese Einstufung rechtswidrig. Zwar hat die Türkei 2013 ein neues Asylgesetz beschlossen. Jedoch hat das Land bis heute den sogenannten geographischen Vorbehalt zur Genfer Flüchtlingskonvention nicht zurückgenommen. Nur Flüchtlinge aus Europa erhalten in der Türkei den Status nach der GFK. Damit kann die Türkei kein „sicherer Drittstaat“ nach Art. 39 der Asylverfahrensrichtlinie sein, denn diese Einstufung kann nur bei Staaten vorgenommen werden, in denen die GFK uneingeschränkt gilt. Flüchtlinge, die über die Türkei nach Europa reisen, dürfen nicht dorthin zurückgeschickt werden.
Auch Flüchtlinge, die sich länger in der Türkei aufgehalten haben, dürfen nicht dorthin gebracht werden. Nach Art. 38 der Asylverfahrensrichtlinie müssen Flüchtlinge in dem „sicheren Drittstaat“ die Möglichkeit haben, einen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu stellen und Schutz nach der GFK zu erhalten. Zwar führt UNHCR in der Türkei Verfahren nach der GFK durch. Jedoch erhalten Flüchtlinge durch das Verfahren keinen Schutzstatus durch den türkischen Staat. Sie erhalten lediglich die Möglichkeit am Resettlement-Programm des UNHCR teilzunehmen und in einen anderen Staat umverteilt zu werden (Art. 62 des türkischen Asylgesetzes).
Unabhängig von der juristischen Einschätzung haben die vergangenen Wochen zudem gezeigt, dass sich die innenpolitischen Konflikte in der Türkei verschärfen und das Land immer stärker das Ziel von terroristischen Angriffen wird. Die türkische Regierung wirkt dieser Situation nicht entgegen, sondern befeuert die Konflikte. Der Journalist Deniz Yücel wertet den jüngsten Wahlsieg der AKP deshalb als „schwarzen Tag“: „Denn nichts spricht dafür, dass die türkische Demokratie künftig besser funktionieren wird und das Land zu Frieden und Freiheit findet.“
Was es braucht: Aufnahme und Integration statt Abschottung
PRO ASYL schon vor Wochen ein umfangreiches Konzept für eine menschenwürdige Aufnahme und schnelle Integration von Flüchtlingen präsentiert. Demgegenüber zeigt das Papier von CDU/CSU: Über eine humane Aufnahme der Schutzsuchenden, menschenwürdige Unterbringung und schnelle Integration macht sich die Union keine großen Gedanken. Vielmehr werden erneut Maßnahmen präsentiert, die einzig dazu dienen sollen, den Zugang von Flüchtlingen zu begrenzen. Die Konsequenzen von Zäunen und Gefängnissen an der Grenze und verschlepptem Familiennachzug verschweigen die Parteien: Der Weg nach Europa wird für Flüchtlinge noch gefährlicher, es werden noch mehr Menschen auf diesem Weg ums Leben kommen.
GroKo-Beschluss: Flüchtlinge entrechten, Familien auseinanderreißen, EU abschotten (06.11.15)
Ceuta, Melilla, Ungarn: Transitzonen an den Grenzen in der Praxis (14.10.15)
Geplante Transitzonen: Masseninhaftierungsprogramm für Flüchtlinge? (13.10.15)
Was jetzt getan werden muss (23.09.15)