Image
Überlebende an Bord eines Rettungsschiffes vor Malta im November 2016. Im vergangenen Jahr kamen mehr als 5.000 Menschen bei ihrer Flucht über das Mittelmeer ums Leben, 2017 waren es bereits mehr als 2.300. Foto: UNHCR / Giuseppe Carotenuto

Statt zu handeln, behaupten politisch Verantwortliche seit Monaten in alarmistischen Debatten, in Europa gebe es eine vermeintliche Flüchtlingskrise. Doch es ist der Flüchtlingsschutz, der in einer Krise steckt – mit tödlichen Folgen für Menschen auf der Flucht.

2.365

Men­schen sind die­ses Jahr bereits auf der Flucht ertrunken

Fakt ist: Heu­te kom­men deut­lich weni­ger Flücht­lin­ge nach Euro­pa als im Jahr 2015. Damals wie heu­te heißt das Dau­er­pro­blem: man­geln­de euro­päi­sche Soli­da­ri­tät bei der Flücht­lings­auf­nah­me. Es gibt kei­ne Flücht­lings­kri­se in Euro­pa, son­dern eine noch nie dage­we­se­ne Kri­se des Flüchtlingsschutzes.

Die Bereit­schaft der EU-Staa­ten, Schutz­su­chen­de auf­zu­neh­men, ist nach wie vor erbärm­lich gering. Es exis­tiert nicht ein­mal in Ansät­zen eine »Koali­ti­on der Wil­li­gen« inner­halb der EU, Flücht­lin­ge aufzunehmen.

Weniger Ankünfte, mehr Todesopfer

Aktu­ell (Stand 23. Juli 2017) sind 110.950 Boots­flücht­lin­ge im Grie­chen­land, Ita­li­en, Zypern und Spa­ni­en ange­kom­men. Die Mehr­heit von ihnen – 93.314 – lan­de­te meist nach dra­ma­ti­schen Seen­not­ret­tungs­ak­tio­nen an den ita­lie­ni­schen Küs­ten. Min­des­tens 2.365 Men­schen (Stand 21. Juli 2017) sind seit Jah­res­be­ginn auf dem Weg nach Euro­pa bereits gestorben.

EU sieht Sterben im Mittelmeer zu

Es wären noch viel mehr, wenn nicht huma­ni­tä­re Ret­tungs­or­ga­ni­sa­tio­nen maß­geb­lich den Auf­trag der EU und ihrer Mit­glied­staa­ten über­neh­men wür­den: Sie ret­ten, sie ver­su­chen, das Recht auf Leben auch für die Boots­flücht­lin­ge ein­zu­lö­sen. Aktu­ell leis­ten sie knapp 40 Pro­zent aller Seenotrettungsmaßnahmen.

Retter*innen unter Druck

Anstatt ihnen zu hel­fen und end­lich einen robus­ten, flä­chen­de­cken­den EU- See­not­ret­tungs­ein­satz zu orga­ni­sie­ren, wer­den die huma­ni­tä­ren See­not­ret­tungs­or­ga­ni­sa­tio­nen seit Mona­ten von Rechts­ra­di­ka­len, dem öster­rei­chi­schen Außen­mi­nis­ter, den deut­schen und öster­rei­chi­schen Innen­mi­nis­tern und dem Fron­tex- Chef und ande­ren attackiert.

Die EU entzieht sich der Verantwortung

Die Angrif­fe und Kri­mi­na­li­sie­rungs­ver­su­che gegen die Lebens­ret­ter sol­len nicht nur von der huma­ni­tä­ren Kata­stro­phe, dem Mas­sen­ster­ben im Mit­tel­meer und der EU-Poli­tik des orga­ni­sier­ten Ster­ben­las­sens ablen­ken. Die Hilfs­or­ga­ni­sa­tio­nen sind auch die ein­zi­gen, die auf hoher See das Han­deln der EU und ihrer dubio­sen liby­schen »Part­ner« zumin­dest teil­wei­se kri­tisch beob­ach­ten können.

Keine Solidarität innerhalb der EU

Ver­ant­wor­tung für den Flücht­lings­schutz mög­lichst abwäl­zen heißt die Devi­se. Bezeich­nend ist, dass selbst der Kanz­ler­kan­di­dat der SPD die Soli­da­ri­tät bei der Flücht­lings­auf­nah­me aus­schließ­lich den ande­ren abver­lan­gen will. Schulz schlägt aktu­ell vor, dass ande­re EU-Staa­ten Ita­li­en gegen finan­zi­el­le Unter­stüt­zung Flücht­lin­ge abneh­men. Deutsch­land will er davon aber ausnehmen.

Es gibt kei­ne Flücht­lings­kri­se in Euro­pa, son­dern eine noch nie dage­we­se­ne Kri­se des Flüchtlingsschutzes.

Nur ein Bruchteil der Flüchtlinge umverteilt

Ohne­hin wer­den die Ein­rei­se­staa­ten mit der Ver­ant­wor­tung allein gelas­sen. Die Bun­des­re­gie­rung bei­spiels­wei­se hat­te sich im Sep­tem­ber 2015 ver­pflich­tet, rund 27.500 Schutz­su­chen­de aus Ita­li­en und Grie­chen­land bis Sep­tem­ber 2017 auf­zu­neh­men. Deutsch­land hat bis zum 19. Juli 2017 ledig­lich 3.026 Flücht­lin­ge aus Ita­li­en über das Relo­ca­ti­on-Pro­gramm auf­ge­nom­men, 3.712 aus Grie­chen­land. Euro­pa­weit wur­den bis­her ledig­lich 7.615 Schutz­su­chen­de aus Ita­li­en und 16.573 aus Grie­chen­land umverteilt.

Neuausrichtung der EU-Flüchtlingspolitik

Ange­sichts der sich zuspit­zen­den Lage der Flücht­lin­ge in Ita­li­en und in Grie­chen­land müs­sen die deut­sche Regie­rung wie auch die ande­ren EU-Staa­ten end­lich Ver­ant­wor­tung über­neh­men und die schnel­le und unbü­ro­kra­ti­sche Über­nah­me von Flücht­lin­gen organisieren.

Eine europäische Seenotrettung muss her

Eine ver­ant­wort­li­che und den Men­schen­rech­ten ver­pflich­te­te Poli­tik muss Flücht­lin­ge in See­not ret­ten. Huma­ni­tä­re See­not­ret­tungs­or­ga­ni­sa­tio­nen dür­fen nicht dif­fa­miert, son­dern müs­sen unter­stützt wer­den. Der Auf­bau einer robus­ten euro­päi­schen See­not­ret­tung ist drin­gend geboten.

Sichere und legale Fluchtwege nach Europa eröffnen!

Dar­über hin­aus müs­sen die poli­tisch Ver­ant­wort­li­chen in der EU Alter­na­ti­ven zur lebens­ge­fähr­den­den Flucht über das Mit­tel­meer schaf­fen. Ohne lega­le und gefah­ren­freie Wege zu eröff­nen, z.B. durch umfang­rei­che Pro­gram­me zur Neu­an­sied­lung von Flücht­lin­gen (Resett­le­ment), Gewäh­rung huma­ni­tä­rer Visa, unge­hin­der­ten Fami­li­en­nach­zug etc., wird das Mas­sen­ster­ben an Euro­pas Gren­zen wei­ter gehen.