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»Jetzt sitze ich nicht mehr allein auf dem Sofa, wir sitzen dort zusammen«
Acht Jahre lang lebte Habtemariam Tewelde getrennt von seiner Familie – auch weil das Auswärtige Amt den ihm zustehenden Familiennachzug behinderte. Nun konnte er Sohn und Ehefrau endlich umarmen. Die Freude ist groß – doch er, die Initiative Familiennachzug Eritrea, PRO ASYL und viele andere kämpfen weiter mit denen, die noch warten müssen.
Seit sieben Wochen sind Ihre Frau und Ihr Sohn endlich hier bei Ihnen in Deutschland, acht Jahre lang waren Sie getrennt. Wie waren die ersten gemeinsamen Wochen für Sie?
Wir freuen uns sehr und sind erleichtert! Wir umarmen uns immer wieder, ohne Ende! Und wir machen, was Familien zusammen tun: Wir sitzen zusammen, essen, trinken, sprechen, lachen. Das ist Familie. Schon vor einigen Monaten habe ich eine größere Wohnung gemietet, jetzt sitze ich nicht mehr allein auf dem Sofa, wir können zusammen dort sitzen.
Und was machen Sie zu Weihnachten?
Am 24. Dezember sind wir bei deutschen Freunden eingeladen, da war ich auch schon in den vergangenen Jahren. Das wird neu sein für meine Familie. Und Anfang Januar kommen die Freunde zu uns zum Feiern. Denn in der eritreischen Kirche ist Weihnachten Anfang Januar.
Wie gewöhnen sich Ihre Frau und Ihr Sohn ein?
Es wird langsam. Gegen die Kälte, die sie nicht gewohnt sind, hatte ich schon vorher Pullover und warme Jacken gekauft. Und mein Sohn, er ist acht Jahre alt, geht schon zur Schule. Er versteht zwar bisher nichts, aber er wird sicherlich schnell lernen. Ein anderes Kind aus Eritrea gibt es nicht in seiner Klasse, er sagt: Es gibt nur ein Kind, das ist wie ich, es hat braune Augen. Ich denke, es ist aus Somalia – aber die sprechen eine andere Sprache als wir. Meine Frau will natürlich auch deutsch lernen, sie wartet auf den Bescheid für den Integrationskurs. Ein bisschen lernt sie schon, zum Beispiel das deutsche Alphabet.
Das Eingewöhnen war auch etwas schwierig bisher: Zuerst mussten sie wegen Corona zehn Tage in Quarantäne hier in der Wohnung. Und danach musste ich plötzlich für zehn Tage ins Krankenhaus, ich hatte eine kleine Operation. Da war meine Frau ganz allein hier – aber Freunde kamen und haben ihr geholfen, haben ihr zum Beispiel den Supermarkt gezeigt.
Das war ja ein besonders schwieriger Start.
Ja. Da waren wir endlich zusammen und ich musste mir nicht mehr so Sorgen machen, weil meine Familie im Kriegsgebiet in Gefahr war. Und nun machte sich meine Frau Sorgen um mich, und mein Sohn fragte: Warum ist Papa wieder weg?
»Sogar als sie schon in Frankfurt gelandet war, konnte meine Frau noch nicht glauben, dass sie wirklich in Deutschland war. Sie hat sich einfach nicht getraut, es zu glauben.«
Die erzwungene Trennung von Ihrem Sohn war ja sowieso besonders tragisch, weil Sie nicht wussten, dass Ihre Frau schwanger war, als Sie vor dem lebenslangen Militärdienst in Eritrea fliehen mussten. Seit 2014 sind Sie in Deutschland, den Antrag auf Familiennachzug haben sie direkt gestellt, nachdem Sie Flüchtlingsschutz erhalten hatten. Aber erst vor einem Jahr konnten Sie ihre Familie sehen, in deren Exil in Äthiopien, nicht in Deutschland. Sie und Ihr Sohn trafen sich da das allererste Mal. Das war sehr schwierig, hatten Sie damals erzählt, er wollte nicht glauben, dass Sie sein Vater sind.
Ja, ich hatte ihn noch nie gesehen und er mich ja auch nicht, so lange war die Trennung. Diesmal am Flughafen hat er mich aber erkannt, es war etwas besser. Jetzt gewöhnen wir uns aneinander, aber das geht langsam. Nach acht Jahren Trennung kennen wir uns ja nicht, mein Sohn und ich.
Ihre Familie kam am Frankfurter Flughafen an. Wie haben Sie diesen Tag erlebt?
Das kann ich gar nicht beschreiben. Mein Freund hat mich begleitet und sagte: »Hey, was ist los? Da sind sie, dein Sohn und deine Frau. Wach auf!« Es war ein besonderer Tag für mich. Aber die Situation war nicht so gut, wir konnten uns nicht sofort sehen, da waren viele andere Passagiere. Ich glaube, ich habe gedacht: Das Warten ist endlich zu Ende, bald bin ich endlich mit meiner Familie zusammen.
Meine Frau hat mir hinterher erzählt, dass sie es nicht glauben konnte. Sogar als sie schon in Frankfurt gelandet war, konnte sie noch nicht glauben, dass sie wirklich in Deutschland war. Sie hat sich einfach nicht getraut, es zu glauben.
Und inzwischen trauen Sie sich?
Ja, wir trauen uns, zu glauben, dass wir endlich zusammen sind, nachdem wir so viele Jahre warten mussten. Und inzwischen sind auch Freunde gekommen, haben angerufen und haben uns gratuliert.
»Es war wichtig, dass ihr hier richtig Druck gemacht habt für mich, für alle anderen aus Eritrea und natürlich auch für alle Geflüchteten aus anderen Herkunftsländern, die seit vielen Jahren auf ihre Familien warten.«
Ich möchte mich bei allen ganz, ganz herzlich bedanken, die uns so viel geholfen haben! Beim Flüchtlingsrat Berlin zum Beispiel, der unsere Initiative Familiennachzug Eritrea unterstützt, bei der Seebrücke – und bei Euch von PRO ASYL. Ihr habt immer wieder interveniert, die Kosten für die Rechtsanwältin bezahlt und mir enormen Mut gegeben. Es war wichtig, dass ihr hier richtig Druck gemacht habt für mich, für alle anderen aus Eritrea und natürlich auch für alle Geflüchteten aus anderen Herkunftsländern, die seit vielen Jahren auf ihre Familien warten. Ohne diese Unterstützung hätte ich mich nicht so gefühlt, dass ich diesen langen Kampf durchstehen könnte.
Und es gab und gibt viele Menschen, die mir und anderen zu jeder Zeit geholfen haben und noch helfen. Zum Beispiel meine deutschen Freundinnen und Freunde, auch sehr nette ältere Menschen, die sich wünschen, dass alle Freude und ein gutes Familienleben haben. Es gibt viele, die uns ohne Ende Hoffnung und Mut gegeben haben und immer noch geben.
Sie haben es endlich geschafft, nachdem die deutschen Behörden Ihnen jahrelang Steine in den Weg gelegt haben. In der Initiative Familiennachzug Eritrea, in der Sie sich seit vielen Jahren engagieren, gibt es aber noch immer viele Väter, Mütter und Kinder, die nicht wissen, wann sie ihre Familie wiedersehen werden. Engagieren Sie sich dort ehrenamtlich weiter?
Ja klar, wir haben zusammen angefangen und wir werden zusammen weiter kämpfen für alle. Was in den letzten Jahren besonders bei der Familienzusammenführung in Deutschland verhindert wurde, ist sehr schlimm für alle.
Was sagen Sie zum Koalitionsvertrag der neuen Regierung? Dort ist die Rede davon, dass die Verfahren zum Familiennachzug beschleunigt werden sollen.
Wir haben große Hoffnung, dass die Anträge nun endlich schneller bearbeitet werden in den Botschaften und hier in Deutschland. Das ist das allerwichtigste. Denn sonst verlieren sie Menschen nicht nur ihre Hoffnung und ihre Geduld, sondern manchmal sogar ihr Leben. Und die Anforderungen an die Dokumente müssen geändert werden.
Zum Beispiel gibt es in Eritrea kaum staatliche Heiratsurkunden, wir haben kirchliche Ehepapiere. Und auch kaum richtige Ausweise, weil es in Eritrea keine richtigen Gesetze gibt. Wir haben auch nur kirchliche Geburtsurkunden. Aber die deutschen Botschaften akzeptieren die kirchlichen Urkunden nicht.
Wir wünschen uns von der Ampel-Koalition: Lassen Sie es nicht bei den Worten! Tun Sie das, was Sie geschrieben haben! Und wir wissen auch, mit Euch von PRO ASYL müssen und werden wir weiter Druck machen. Damit das Recht als Familie für alle gilt. Weil das unser Recht ist.
(wr)