Image
»Das Wichtigste ist für mich ein selbstbestimmtes Leben«, sagt Sarah Yussuf Mohammed, die über acht Jahre auf der Flucht war. Foto: Tim Wegner

Sarah Yussuf Mohammed (33) flüchtete 2008 vor Zwangsverheiratung, Gewalt und Repressionen durch die Al-Shabaab-Miliz aus Somalia. Nach jahrelanger Flucht kam sie im August 2016 in Deutschland an. Uns erzählt sie von ihren Erlebnissen.

Sarah, in wel­cher Situa­ti­on warst Du in Soma­lia, ehe Du das Land ver­las­sen hast? Was war der Aus­lö­ser für Dei­ne Flucht?

Sarah Yus­suf Moham­med: Ich wur­de zur Hei­rat mit einem viel älte­ren Mann gezwun­gen, er war sehr gewalt­tä­tig. Und dann wur­de mir mein Café von den Al-Shaba­ab-Mili­zen weg­ge­nom­men – das war mei­ne Exis­tenz. Danach bin ich geflohen.

Wie wür­dest du gene­rell die poli­ti­sche Situa­ti­on in Soma­lia und die Rol­le der Al-Shaba­ab charakterisieren?

Es gibt in Soma­lia nichts, auf das du dich ver­las­sen kannst. Zwar gibt es ein Gesetz – aber wenn du dich an die Poli­zei wen­dest, sagen sie dir, dass sie nichts unter­neh­men kön­nen. Die Al-Shaba­ab-Mit­glie­der tun und las­sen, was sie wol­len. Ansons­ten haben die­je­ni­gen die Macht, die das Geld haben.

Image
Klick aufs Bild und betei­li­ge dich an unse­rer Aktion!

Wie wür­dest Du die Situa­ti­on von Frau­en in Soma­lia beschreiben?

Für Frau­en gibt es zwei gro­ße Pro­ble­me. Zum einen ist das die Zwangs­ver­hei­ra­tung durch die eige­nen Eltern oder Al-Shaba­ab – da hat man als Mäd­chen kei­ne Wahl. Das ande­re Pro­blem ist die Geni­tal­ver­stüm­me­lung, die pha­rao­ni­sche Beschnei­dung. Als ich in Soma­lia leb­te, war das noch sehr prä­sent. Jetzt geschieht das wohl nicht mehr ganz so häu­fig, ist aber immer noch ein Problem.

»Vie­le Frau­en, die aus Soma­lia geflo­hen sind, sit­zen bis heu­te vie­le noch immer in Äthio­pi­en und im Sudan fest. Eini­ge haben mitt­ler­wei­le Kin­der von ihren Vergewaltigern.«

Gibt es in Soma­lia Men­schen, die sich für Frau­en­rech­te einsetzen?

Eine orga­ni­sier­te Bewe­gung gibt es nicht. Ein­zel­ne Frau­en enga­gie­ren sich gegen die Geni­tal­ver­stüm­me­lung und für Frau­en­rech­te, Ver­ge­wal­ti­gung ist ein all­ge­gen­wär­ti­ges The­ma. Aber Pro­test fin­det nicht öffent­lich statt, das ist sehr ris­kant. Vie­le enga­gier­te Frau­en haben Soma­lia mitt­ler­wei­le verlassen.

Wie schätzt Du die Situa­ti­on von soma­li­schen Flücht­lin­gen in den Nach­bar­staa­ten ein?

Dort ist die Lage schwie­rig. Ich war zunächst in Äthio­pi­en. Dort kommst du als Flücht­ling oft ins Gefäng­nis bis dei­ne Fami­lie Geld schickt. Liby­en war noch­mals ein ganz ande­res Level – vie­le Frau­en wur­den ver­ge­wal­tigt. Von den Frau­en, die so wie ich in den Jah­ren 2008 und 2009 aus Soma­lia geflo­hen sind, sit­zen bis heu­te vie­le noch immer in Äthio­pi­en und im Sudan fest. Eini­ge haben mitt­ler­wei­le Kin­der von ihren Ver­ge­wal­ti­gern. Sie müs­sen dort für alles zur Ver­fü­gung ste­hen. Wenn ihre Fami­li­en kein Geld mehr schi­cken, wer­den sie ein­fach weiterverkauft.

Wie siehst Du die Zukunft in Soma­lia – hast Du Hoff­nung, dass sich dort etwas posi­tiv entwickelt?

Es wird noch lan­ge dau­ern, bis sich etwas bes­sert und Frau­en in Soma­lia die glei­chen Rech­te haben wie Män­ner. Ich weiß aber nicht, wie es gehen soll. Ich hof­fe und bete.

Du hast Soma­lia im Novem­ber 2008 ver­las­sen. In Deutsch­land bist Du erst seit August 2016. Du warst also ins­ge­samt acht Jah­re auf der Flucht.

Zuerst war ich in Äthio­pi­en, dann im Sudan. Danach saß ich lan­ge in Liby­en fest. Nach zwei­ein­halb Jah­ren dort bin ich in einem Boot nach Mal­ta, wo ich etwa acht Mona­te blieb. Dann kamen drei­ein­halb Jah­re Nor­we­gen. Dort hat man mir aber die Abschie­bung nach Mal­ta ange­droht – und auch nach Soma­lia. Des­we­gen bin ich nach Deutsch­land geflohen.

»In Mal­ta kam ich sofort in Haft – obwohl ich nichts ver­bro­chen hat­te. Es war eng, es gab nur wenig zu essen, die hygie­ni­schen Ver­hält­nis­se waren schlimm. «

Der ers­te euro­päi­sche Staat, den Du auf Dei­ner Flucht betre­ten hast und der wegen der Dub­lin-Ver­ord­nung eigent­lich auch für Dein Asyl­ver­fah­ren zustän­dig wäre, war also Mal­ta. Wie war die Situa­ti­on dort?

In Mal­ta kam ich sofort in Haft – obwohl ich nichts ver­bro­chen hat­te. In der Zel­le waren alle zusam­men ein­ge­sperrt, Män­ner, Frau­en, Kin­der. Es war eng, es gab nur wenig zu essen, die hygie­ni­schen Ver­hält­nis­se waren schlimm.

Nach drei Mona­ten wur­de ich in ein offe­nes Camp ver­legt, wo ich mit ande­ren Frau­en in einem Zelt leb­te, in das es hin­ein­reg­ne­te. Ich hat­te dort stän­dig Angst. Die Toi­let­ten und Duschen waren weit weg, vor allem nachts war der Weg sehr gefähr­lich. Ich wur­de von Män­nern über­fal­len – sie woll­ten mich ver­ge­wal­ti­gen, aber ande­re Bewoh­ner kamen mir recht­zei­tig zur Hilfe.

Ich habe dann der Camp­lei­tung berich­tet, dass ich über­fal­len wur­de – aber sie haben nichts unter­nom­men. Da wuss­te ich, dass ich nicht sicher bin und wei­ter­flie­hen muss.

Wie ist es für dich in Deutsch­land? Fühlst du dich hier sicher?

Seit­dem ich in Deutsch­land bin, geht es mir auf jeden Fall bes­ser. Auch die medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung ist für mich wich­tig, weil ich Dia­be­ti­ke­rin bin. Ich füh­le mich hier geschätzt – als Mensch und als Frau. Mei­ne Zukunft hier ist aber noch unsicher.

Ja, Dein Asyl­ver­fah­ren ist wegen Dei­nes Flucht­wegs über Mal­ta nicht gera­de ein­fach. In Nor­we­gen droh­te man Dir mit der Über­stel­lung nach Mal­ta oder sogar der Abschie­bung nach Soma­lia, auch Deutsch­land hat sich erst­mal für unzu­stän­dig erklärt und ver­weist auf Mal­ta. Wie erlebst Du die­se Situation?

Ich habe schlaf­lo­se Näch­te. Nur Gott weiß, wel­chen Schre­cken es für mich bedeu­tet, auch hier wie­der ein Dub­lin-Ver­fah­ren zu haben. Nach so vie­len Jah­ren auf der Flucht geht es immer noch nicht um die Grün­de, war­um ich geflo­hen bin, son­dern nur um mei­nen Fluchtweg.

Image
Foto: Tim Wegner

Das Mot­to der PRO ASYL-Kam­pa­gne »Flücht­lings­rech­te sind Men­schen­rech­te« sagt ja aus, dass für alle unteil­bar die Men­schen­rech­te gül­tig sind und vor allem auch sein soll­ten. Hast Du Erfah­run­gen mit der Ein­schrän­kung Dei­ner Rech­te gemacht?

Gera­de als Frau habe ich nie wirk­lich Rech­te gehabt, nie konn­te ich selbst­be­stimmt leben. Ich wur­de zwangs­ver­hei­ra­tet, ich konn­te mein Café nicht wei­ter betrei­ben, ich habe viel Gewalt erlebt. Ich hof­fe, dass ich hier in Deutsch­land Asyl fin­de und end­lich mein eige­nes Leben füh­ren kann.

Bei der Kam­pa­gne stehst Du für die Aus­sa­ge »Ich ver­tei­di­ge Dei­ne Frei­heit«. Was bedeu­tet Dir Freiheit?

Ich wür­de ger­ne glück­lich und frei sein. Ich wün­sche auch allen ande­ren Men­schen, dass sie so leben kön­nen, wie sie es für rich­tig hal­ten. Ich habe vie­le Län­der bereist, viel erlebt und kann sagen: Das Wich­tigs­te ist für mich ein selbst­be­stimm­tes Leben.

»Man muss den Men­schen doch wenigs­tens eine Chan­ce geben und ihnen erst­mal zuhören.«

Was soll­te Deutsch­land, was soll­te Euro­pa Dei­ner Mei­nung nach für schutz­su­chen­de Men­schen unter­neh­men? Muss sich etwas ändern, damit die Rech­te von Flücht­lin­gen und ins­be­son­de­re auch von geflüch­te­ten Frau­en gewähr­leis­tet werden?

Für Frau­en auf der Flucht  ist das Über­le­ben noch schwie­ri­ger – aber im Grun­de brau­chen Frau­en und Män­ner glei­cher­ma­ßen Schutz. Für mich ist in Euro­pa die Dub­lin-Rege­lung ein gro­ßes Pro­blem – dass man ein­fach so zurück­ge­schickt wer­den kann.

Man muss den Men­schen doch wenigs­tens eine Chan­ce geben und ihnen erst­mal zuhö­ren. Jeder Mensch soll­te die Frei­heit haben, in ein ande­res Land zu flie­hen und dort dann sei­ne Flucht­grün­de darzulegen.

Wie lebst du momen­tan in Deutschland?

Seit­dem ich hier lebe, bin ich ruhi­ger gewor­den. Lei­der darf ich bis jetzt immer noch kei­nen Inte­gra­ti­ons­kurs besu­chen, weil ich im Dub­lin-Ver­fah­ren bin. Ich gehe zwei­mal die Woche für zwei Stun­den zu einem Deutsch­kurs, aber ich wür­de viel lie­ber rich­tig Deutsch lernen.

Ich woh­ne in einer Unter­kunft für Frau­en und Kin­der. Dort füh­le ich mich sicher. Wir woh­nen zu zweit in einem Zim­mer, daher habe ich kei­ne wirk­li­che Privatsphäre.

Gibt es etwas, das Du Frau­en sagen möch­test, die in Deutsch­land auf­ge­wach­sen sind?

Frau­en haben hier vie­le Mög­lich­kei­ten und Frei­hei­ten. Ich hof­fe, dass sich das wei­ter so ent­wi­ckelt. Es wäre wich­tig, dass Frau­en, die nicht mit die­sen Frei­hei­ten auf­ge­wach­sen sind, hier noch mehr dar­in bestärkt wer­den, dass auch sie selbst­be­stimmt leben können.

Was wünschst Du Dir für die Zukunft? Was sind Dei­ne Pläne?

Ich wün­sche mir, dass ich arbei­ten kann, was ich möch­te. Ich wün­sche mir, dass ich den Mann hei­ra­ten kann, den ich möch­te. Viel­leicht bekom­me ich auch Kin­der. Ich will end­lich rich­tig Deutsch ler­nen. Und dann will ich ein­fach nur genau so leben, wie ich es mir wünsche.

Inter­view: Ines Wel­ge, Flücht­lings­be­ra­te­rin beim Flücht­lings­rat Wies­ba­den. Das Gespräch wur­de in soma­li­scher und deut­scher Spra­che geführt. Herz­li­chen Dank an Maha­da Wayah für das Dol­met­schen wäh­rend des Interviews.