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Seit vielen Monaten der traurige Alltag der Menschen in Moria auf Lesbos - einem offiziellen Camp der EU. Foto: Salinia Stroux

»Der nächste Winter steht an und die griechischen Behörden sind einmal mehr unvorbereitet. Sie arbeiten an dem Transfer von ein paar tausend Schutzsuchenden auf das Festland und lassen alle anderen in der Misere zurück. Die Stimmen von Schutzsuchenden, Aktivist*innen und NGOs vor Ort müssen gehört werden.«, Natassa Strachini, RSA-Anwältin.

Heu­te ver­öf­fent­li­chen RSA/PRO ASYL Updates zu den Hot­spots auf den ägäi­schen Inseln. Hier geht es zu den eng­li­schen Ori­gi­nal­ver­sio­nen. Dies ist die deut­sche Fas­sung des Berichts zum Hot­spot »Moria« auf Lesbos.

3.100

ist die eigent­li­che Kapa­zi­tät des Hot­spots Moria

7.600

Men­schen leben dort aktu­ell (Stand: Anfang Okto­ber 2018)

Ankünfte auf der Insel und Belegung des Hotspots

Bis 15.09.2018 kamen 4.000 Schutz­su­chen­de mehr auf Les­bos an als im glei­chen Zeit­raum des Vor­jah­res. Mit­te Sep­tem­ber gab es Tage, an denen mehr als 250 Schutz­su­chen­de die Insel erreich­ten. 8.500 Men­schen leb­ten am 15.09.2018 in dem Hot­spot, der zur­zeit für 3.100 Men­schen aus­ge­legt ist. Auf­grund der mas­si­ven Über­be­le­gung wur­de beschlos­sen, im Sep­tem­ber 2.000 Schutz­su­chen­de auf das grie­chi­sche Fest­land zu brin­gen. Anfang Okto­ber leb­ten wei­ter­hin über 7.600 Men­schen in Moria.

Personalmangel und fehlende Infrastruktur

In Moria man­gelt es an Per­so­nal in allen Berei­chen. Die ärzt­li­che Ver­sor­gung ist so schlecht, dass die Orga­ni­sa­ti­on Ärz­te ohne Gren­zen Mit­te Sep­tem­ber einen Aus­nah­me­zu­stand in der medi­zi­ni­schen und psy­cho­so­zia­len Ver­sor­gung fest­stell­te. Im Sep­tem­ber, als die Über­be­le­gung am Schlimms­ten war, gab es nur einen ein­zi­gen Arzt für das gan­ze Lager. Durch die Über­be­le­gung bre­chen Haut­krank­hei­ten wie Krät­ze aus.

Die mise­ra­blen Hygie­ne­be­din­gun­gen haben Gesund­heits­in­spek­to­ren der Regio­nal­ver­wal­tung ver­an­lasst, dem Migra­ti­ons­mi­nis­te­ri­um eine Frist zu set­zen, die Miss­stän­de zu besei­ti­gen. Ansons­ten dro­hen sie, den Betrieb des Hot­spots zu untersagen.

Das Leben in Moria wird zuneh­mend uner­träg­lich. Duschen, Toi­let­ten, Essens­aus­ga­be – über­all gibt es lan­ge War­te­schlan­gen. Anous­heh*, afgha­ni­sche Geflüch­te­te, berichtet:

 »Ich hat­te zwei Magen­ope­ra­tio­nen. Ich lei­de an Rheu­ma. Manch­mal kann ich gar nicht lau­fen, manch­mal lau­fe ich mit Krü­cken. Ich kann nicht in der Essens­schlan­ge war­ten. Wenn ich den Ange­stell­ten sage, dass ich star­ke Schmer­zen habe, fra­gen sie mich nach einem ärzt­li­chen Nach­weis. Die ande­ren Frau­en schrei­en mich an, ich wür­de nur so tun, als ob ich krank wäre, um mein Essen schnel­ler zu bekom­men. Ges­tern kam ich ohne Essen zurück aus der Essens­schlan­ge. Ich muss­te weinen.«

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Eines der not­dürf­tig auf­ge­stell­ten Zel­te außer­halb des offi­zi­el­len Hot­spot-Lagers. Foto: privat

»Olive Grove« – Zeltlager vor den Zäunen Morias

Moria besteht inzwi­schen aus zwei Camps. Da im Inne­ren des Hot­spots kein Platz mehr ist, ent­stand vor sei­nen Zäu­nen ein Zelt­la­ger. Benannt nach dem Berg, auf dem es steht, heißt das Zelt­la­ger »Oli­ve Gro­ve«. Die Bedin­gun­gen hier sind noch ein­mal pre­kä­rer als inner­halb Morias.

»Ges­tern hat ein Sturm das Zelt mei­nes Bru­ders zer­stört. Jetzt müs­sen wir im Frei­en schlafen.«

Asa­di aus Afghanistan

Tau­sen­de Schutz­su­chen­de, dar­un­ter vie­le beson­ders schutz­be­dürf­ti­ge Per­so­nen, schla­fen in leich­ten Som­mer­zel­ten oder im Frei­en. Sie sind der Wit­te­rung schutz­los aus­ge­lie­fert. Stür­me zer­stö­ren die Zel­te und pro­vi­so­ri­schen Unterkünfte.

 »Ges­tern hat ein Sturm das Zelt mei­nes Bru­ders zer­stört. Jetzt müs­sen wir im Frei­en schla­fen.« Asa­di*, Geflüch­te­ter aus Afgha­ni­stan, hat eine kör­per­li­che Behin­de­rung und lebt auf dem Oli­ve Gro­ve.  »Zwi­schen Oli­ven­bäu­men, Fel­sen und Zel­ten kom­me ich kaum den Berg hoch und runter.«

Minderjährige und vulnerable Personen

Min­der­jäh­ri­ge und Men­schen mit star­ken phy­si­schen Ein­schrän­kun­gen oder psy­chi­schen Erkran­kun­gen gel­ten als beson­ders schutz­be­dürf­tig, als vulnerabel.

Ob eine Per­son als vul­nerabel ein­ge­stuft wird muss am Anfang des Asyl­ver­fah­rens fest­ge­stellt wer­den. Wird eine Vul­nerabi­li­tät iden­ti­fi­ziert, ändert sich der gan­ze Ablauf. Das Ver­bot, die Insel zu ver­las­sen, wird auf­ge­ho­ben. Die Betrof­fe­nen wer­den auf das Fest­land trans­fe­riert und durch­lau­fen dort das regu­lä­re Asylverfahren.

Aber auch für die Ein­stu­fung gibt es zu wenig Per­so­nal. Unse­re grie­chi­schen Part­ner von Refu­gee Sup­port Aege­an (RSA) haben mit Betrof­fe­nen gespro­chen, die bis zu vier Mona­te war­ten muss­ten, bis sie als vul­nerabel ein­ge­stuft wur­den. Ähn­li­ches gilt für die Alters­be­stim­mung. Die Betrof­fe­nen sind in die­ser Zeit von Schutz­sys­te­men aus­ge­nom­men, auf die sie ein Recht haben.

Trau­ma­ti­sier­te Men­schen oder Opfer von sexua­li­sier­ter Gewalt,  vie­le Vul­nerabi­li­tä­ten sind nicht auf den ers­ten Blick zu erken­nen. In Moria blei­ben die­se oft unentdeckt.

Moria: Ein Ort der Angst

Die stän­di­ge Unsi­cher­heit, wie es mit dem Asyl­ver­fah­ren wei­ter geht, die Angst vor Abschie­bun­gen, die Per­spek­tiv­lo­sig­keit schaf­fen ein feind­li­ches Kli­ma. Die Atmo­sphä­re im Lager ist per­ma­nent angespannt.

»Das unmensch­li­che Expe­ri­ment in der Ägä­is muss auf­hö­ren. Es ist inak­zep­ta­bel, dass Grie­chen­land und Euro­pa die­se men­schen­recht­li­chen Grau­zo­nen schaffen.«

Karl Kopp, PRO ASYL

Bewohner*innen Mori­as erzähl­ten gegen­über RSA, sie fühl­ten sich so unsi­cher, dass sie nicht schla­fen kön­nen. Auch von Gewalt gegen LGT­BI-Per­so­nen und von sexua­li­sier­ter Gewalt gegen Frau­en wur­de RSA berichtet.

Am 25.05.2018 muss­ten ca. 900 Kurd*innen und Yezid*innen aus Moria flie­hen, nach­dem sie von ande­ren Grup­pen ange­grif­fen wur­den. Sie such­ten Unter­schlupf in den Parks von Myti­li­ni und in dem selbst­or­ga­ni­sier­ten Camp »PIKPA«. Am 09.07.2018 kam es zu Aus­ein­an­der­set­zun­gen, bei denen 55 Per­so­nen ver­letzt wurden.

Rechtliche Grauzonen

»Das unmensch­li­che Expe­ri­ment in der Ägä­is muss auf­hö­ren. Es ist inak­zep­ta­bel, dass Grie­chen­land und Euro­pa die­se men­schen­recht­li­chen Grau­zo­nen schaf­fen. Die sys­te­ma­ti­schen Ver­let­zun­gen von Flücht­lings­rech­ten und die mise­ra­blen Lebens­be­din­gun­gen in den EU-Hot­spots geben einen Vor­ge­schmack, was Flücht­lin­ge in den von der EU geplan­ten »Kon­trol­lier­ten Zen­tren« erwar­tet«, pro­gnos­ti­ziert Karl Kopp, Lei­ter der PRO ASYL – Euro­pa­ab­tei­lung, in der Pres­se­er­klä­rung von RSA/PRO ASYL.

Mit der neu­en Kam­pa­gne »Nicht mei­ne Lager« stellt sich PRO ASYL gegen die Ent­rech­tung von Schutz­su­chen­den. Die Poli­tik der Fest­set­zung als Maß­nah­me zur Abschre­ckung von Schutz­su­chen­den muss been­det werden.

(rsa / dm)

*Name geändert