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»Hier sollen wir nur am Leben gehalten werden, aber Schutz ist das nicht«
Mehr als 50.000 Schutzsuchende sitzen seit der Schließung des Balkankorridors in Griechenland fest. Vor allem besonders Schutzbedürftige wie unbegleitete Minderjährige leiden unter den katastrophalen Bedingungen. RSPA-Mitarbeiterinnen Salinia Stroux und Chrissi Wilkens berichten über die aktuelle Lage.
Lailuma sitzt erschöpft mit ihren Kindern und Enkelkindern auf einer grauen Decke in einer großen, dunklen Lagerhalle im Hafen von Piräus. Die mittellose neunköpfige Familie aus Afghanistan ist vor einer Woche von der Insel Chios nach Athen gelangt. Ihre Papiere laufen in wenigen Tagen aus. „Wir haben kein Zelt, wir müssen auf dem Boden schlafen. In der Nacht ist es laut und kalt und es gibt Mäuse“, sagt die Frau, die nur mit Mühe ihre Tränen zurückhalten kann. Ihr Mann war als Veterinärarzt für die internationalen Einsatzkräfte in Afghanistan tätig und wurde deswegen von Taliban-Milizen erschossen. Lailuma und ihre Tochter zeigen den Personalausweis des Toten und andere Dokumente, an manchen klebt Blut.
Polizisten hatten die Familie mit Bussen bereits vom Athener in ein neues Zeltlager im Ort Malakasa gefahren, wenige Kilometer von Athen entfernt. “Sie versprachen uns, dort sei es besser. Aber das Lager lag mitten im Wald, der Schlamm stand uns bis zu den Knien. Es gab keine Duschen und nichts”. Die Familie schlich sich davon und lief drei Stunden bis sie auf Menschen trafen, die sie zum Bahnhof fuhren. “Wir sind vor dem Tod geflohen, aber wir hatten ein Leben vorher. Hier sollen wir nur am Leben gehalten werden, aber Schutz ist das nicht. Wir wissen nicht, wo wir jetzt hin sollen.” Hoffnung darauf, dass sie in Griechenland effektiven Schutz bekommen können, hat Lailuma nicht.
Alles nur nicht Dschungelcamp
Malakasa ist eines der vielen Zeltlager, die die griechische Regierung innerhalb kürzester Zeit mit Hilfe des Militärs in wenigen Tagen hochgezogen hat. Auch Lagerhallen und Sportstadien dienen als Transitlager und werden vom Militär und der Polizei verwaltet und bewacht. Diese Massenlager wurden als Umsiedlungszentren oder „Hot Spots“ angelegt, in denen die Menschen nicht mehr als wenige Tage verbringen sollten. Nun sollen sie in permanente offene Unterkünfte umgewandelt, die Zelte durch Container ersetzt werden. Laut Presseberichten soll das Lager in Larisa gar in ein geschlossenes Lager umgewandelt werden.
Die Flüchtlinge harren nur deswegen weiter in diesen Lagern aus, weil sie noch immer auf die Wiedereröffnung der Grenzen hoffen. Die meisten Lager befinden sich an abgelegen Orten, weit entfernt von den urbanen Zentren. Am Sonntag klagten Flüchtlinge, die in ein Lager in einem ehemaligen Militärflughafen in Ioannina gebracht wurden, dass es dort weder ausreichend Stromversorgung noch eine Heizung gäbe. Aufgrund der untragbaren Lebensbedingungen entscheiden sich einige Flüchtlinge, in den Hafen von Piräus zurück zu kehren oder im Athener Zentrum oder in Thessaloniki nach einer alternativen Bleibe zu suchen.
Mittlerweile nächtigen im Hafen von Piräus mehr als 5.000 Flüchtlinge mit oder ohne Zelte, trotz Regen. Viele schlafen auf den Böden der Wartehallen dicht aneinander gedrängt. Decken, die von Hilfsorganisationen verteilt wurden, spenden etwas Wärme. Es mangelt an Sanitäranlagen. Die meisten konnten seit Wochen nicht mehr duschen. Sie wissen nicht, was mit ihnen passieren wird. An den Wänden kleben Blätter mit Kontakten zur griechischen Asylbehörde und einigen Hilfsorganisationen. Die erschöpften Flüchtlinge klagen über fehlende Informationen. Helfer weisen darauf hin, dass es besonders gefährdete Gruppen gibt, wie Mütter mit neugeborenen Kindern, Behinderte oder psychisch Kranke, die dort verweilen müssen.
Zitternd im Hafen von Piräus
„Wir sind erschöpft, zittern vor Kälte und sind verzweifelt“, sagt Ragda, eine 23-jährige Frau aus Irak. Sie ist vor ein paar Tagen aus dem Grenzort Idomeni zurückgekehrt und will sich jetzt für die Teilnahme am Umsiedlungsprogramm anmelden. Bis zu ihrer Registrierung, schläft sie draußen im Zelt, das sie von Idomeni mitgebracht hat. Doch auch wenn sie sich für das Relocation-Programm registriert, ist es nicht sicher, dass sie eine menschenwürdige Unterkunft bekommt. Denn alle Plätze, die von UNHCR dafür vorgesehen waren, sind belegt.
»Ich habe meinen Bruder in Deutschland. Er ist 15. Wie kann ich zu ihm kommen?«
Auch die Einrichtungen für unbegleitete Minderjährige sind voll. Deswegen warten auf Lesbos 90 Jugendliche schon seit 24 Tagen in Haft, wo sie Behördenangaben zufolge „zu ihrem eigenen Schutz“ festgehalten werden, bis ein Unterbringungsplatz frei wird. Nach Angaben von UnterstützerInnen vor Ort sind in Idomeni und in Polykastro rund fünfzehn unbegleitete Minderjährige seit zwei Wochen auf Polizeiwachen inhaftiert. Hunderte Minderjährige bleiben in den Massenlagern unerkannt und schutzlos.
Mit 13 allein im Massenlager
Im ehemaligen Flughafengebäude Ellinikon sind über 1.700 Menschen untergebracht, obwohl die Aufnahmekapazität bei 1.300 Plätzen liegt. Täglich kommen neue Menschen an. Unter den Duty-Free‑, Ankunft- und Abflugtafeln stehen Zelte. Überall liegen graue UNHCR-Decken. Dazwischen sieht man hier und da Kinderwagen und kleine Kinder, die auf dem Boden spielen. Es gibt Streit, als ein verzweifelter Mann versucht, die anderen davon zu überzeugen, ihr Zelt um ein paar Zentimeter zu verschieben.
Maysam ist erst 13 Jahre alt und allein aus Afghanistan geflohen. „Ich habe meinen Bruder in Deutschland. Er ist 15. Wie kann ich zu ihm kommen?“, fragt er. Eine Hochschwangere schiebt sich durch die schmalen Wege an den Zelten vorbei. Anrecht auf einen Platz in einer besseren Unterkunft habe sie nur, wenn sie Asyl beantrage, wurde ihr gesagt. „Es gibt nicht einmal Trinkwasser oder Papiertücher, um sich zu waschen. Ich habe hier noch mehr Hochschwangere gesehen. Eine Frau hatte eine schwere Entzündung wegen der untragbaren Lebensbedingungen hier.“
»Wie tote Sardinen in einer Büchse«
Ein paar Kilometer weit in einem Industriegebiet liegt das Lager Schisto. Fatima versucht sich ihre Tränen gar nicht erst aus den Augen zu wischen, als sie beschreibt, wie es ihr geht. „Wir hatten in unserer Heimat alles außer Sicherheit. Jetzt leben wir in Zelten, unsere Kinder frieren, das Regenwasser dringt ins Zelt ein. Bald wird es wärmer und mehr Krankheiten werden grassieren. Aber das eigentliche Problem ist, wir haben hier keinen Schutz, kein Leben und keine Perspektive. Wir werden hier bloß aufbewahrt, wie tote Sardinen in einer Büchse.“
Die riesige Zeltstadt in Schisto wurde innerhalb von elf Tagen im Februar vom Militär auf dem Gelände einer ehemaligen Kaserne aufgebaut. 2.000 Personen können hier untergebracht werden. Die Flüchtlinge beschweren sich, dass sie keinen Zugang zu medizinischer Versorgung haben und kein Geld, um in die Stadt zu fahren. Anfangs war Schisto als Relocation-Lager geplant. Nun sind fast nur afghanische Schutzsuchende hier untergebracht, die vom Umsiedlungsprogramm ausgeschlossen sind. Bei der Ankunft in Griechenland werden ihnen Dokumente mit einer Ausreisefrist von 30 Tagen ausgehändigt. Bald läuft die Frist für viele ab. Alle fragen, ob ihnen jetzt die Abschiebung droht und was mit ihren Dokumenten passiert.
Proteste häufen sich
Die Proteste der in Griechenland festsitzenden Flüchtlinge nehmen zu. In Schisto, Moria, Kozani, Idomeni, Thermoupolis und auf dem Viktoria Platz in Athen sammelten sich hunderte und forderten die Öffnung der Grenzen. Am 17. März kam es auch im Lager Diavata bei Thessaloniki, in dem etwa 2.000 Menschen untergebracht sind, zu Protesten.
Saliha Ismail aus Syrien berichtet auf einer Pressekonferenz, dass sie mit ihren drei Kindern allein geflohen sei. Sie ist schon 20 Tage in dem Lager, während ihr Mann in Deutschland ist und mit schweren gesundheitlichen Problemen kämpft. „Ich bin geflohen, weil ich musste. Ich wende mich an alle Mütter dieser Welt. Ich bin eine Mutter von drei Kindern im Alter von neun, acht und fünf Jahren. Ich bin mit ihnen in ein Schlauchboot gestiegen und sie riefen „Mama wir wollen da nicht rein, wir haben Angst.“ Stellt euch vor, das zu erleben. Ich sagte ihnen, dass wir einsteigen müssen, um zu überleben.“
Asylbehörde überfordert – Hotspots werden zu Haftlagern
Die Asylbehörde in Athen ist vollkommen überlastet. Täglich mehren sich die Asylanträge, die Anträge auf Familienzusammenführung und Relocation. Die Regionalbüros auf den Inseln sind unterbesetzt. Einen Antrag stellen kann in der Regel nur, wer über Skype einen Termin zugewiesen bekommen hat. Für Afghanen ist dies drei Mal die Woche für jeweils eine Stunde möglich. Die meisten kennen das Verfahren nicht oder haben keinen Internetzugang.
Griechenland soll nun von der EU Verstärkung bekommen. 2.300 Asylexperten sollen hauptsächlich bei den Schnellverfahren auf den Inseln zum Einsatz kommen, wie es das umstrittene Abkommen der EU mit der Türkei vorsieht. Die Identifikations- und Registrierungslager auf den Inseln der Ägäis – die sogenannten Hot Spots – sollen in geschlossene Rückführungs- und Asylzentren umgewandelt werden, während zugleich die Kapazitäten in offenen Unterkünften auf den Inseln erhöht werden sollen. In diesem Kontext räumten die Behörden am Wochenende sämtliche Hot Spots und verbrachten alle dort noch befindlichen Flüchtlinge aufs Festland und von dort in verschiedene Lager.
Die Situation in Griechenland wird immer unerträglicher für die festsitzenden Schutzsuchenden und ein Ende ist nicht in Sicht. Die Orientierungslosigkeit und fehlenden Informationen sind zermürbend – die Angst vor dem, was kommt, groß.