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Am 18. März 2016 filmt ein Team von Channel 4 News, wie die türkische Küstenwache ein Flüchtlingsboot umzudrehen versucht - und dabei das Leben der Flüchtlinge riskiert. Foto: twitter / @alextomo

Ein bitterer Tag für Flüchtlinge: Der schmutzige EU-Türkei-Deal ist in trockenen Tüchern. Alle Schutzsuchenden, die aus der Türkei in die Europäische Union gelangen, sollen wieder dorthin zurück geschickt werden. Europa verabschiedet sich von seinen Werten.

Wer aus der Tür­kei nach Grie­chen­land gelangt, soll – nach einem schnel­len pro for­ma-Ver­fah­ren – zurück in die Tür­kei abge­scho­ben wer­den. Im Gegen­zug möch­ten die EU-Staa­ten für jeden syri­schen Abge­scho­be­nen einen syri­schen Flücht­ling aus der Tür­kei auf lega­len Wegen auf­neh­men. Um den bizar­ren Plan zu ver­deut­li­chen: Nur wenn ein syri­scher Schutz­su­chen­der sein Leben bei der Über­fahrt über die Ägä­is ris­kiert und dann per Schnell­ver­fah­ren zurück­ver­frach­tet wird, ent­steht ein Platz für einen ande­ren Schutz­su­chen­den aus Syri­en, der dann legal und gefah­ren­frei in die Euro­päi­sche Uni­on kom­men darf.

Ins­ge­samt gilt auch das vor­erst aber nur für ins­ge­samt 72.000 Men­schen – und das nicht etwa zusätz­lich, son­dern Medi­en­be­rich­ten zufol­ge als Teil von bereits beschlos­se­nen Auf­nah­me­kon­tin­gen­ten. Und: Wer bereits ein­mal ille­gal nach Euro­pa ein­ge­reist ist, soll dabei ohne­hin schlech­te Kar­ten haben.

Doch damit nicht genug: Nicht nur, dass der Deal syri­sche Schutz­su­chen­de gegen Men­schen aus ande­ren Län­dern aus­spielt und Flücht­lin­gen aus Kriegs- und Kri­sen­ge­bie­ten wie dem Irak, Afgha­ni­stan oder Eri­trea Schutz in der Euro­päi­schen Uni­on gene­rell ver­wehrt bleibt, er lässt auch völ­lig außer Acht, dass die Tür­kei kein „siche­rer Dritt­staat“ für Flücht­lin­ge sein kann.

Die Prinzipien der Genfer Flüchtlingskonvention werden ausgehebelt

Die Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on, die die Staa­ten der Euro­päi­schen Uni­on unter­zeich­net haben, sieht ein Aus­wei­sungs- und Zurückswei­sungs­ver­bot („Non-Refou­le­ment-Prin­zip“) in  Staa­ten, in denen das Leben und die Frei­heit der Flücht­lin­ge bedroht wären, vor. Die Tür­kei sichert den Schutz der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on aber nur Flücht­lin­gen aus euro­päi­schen Län­dern zu, das Land hat die Kon­ven­ti­on nur mit einem so genann­ten „geo­gra­phi­schen Vor­be­halt“ unter­zeich­net: Für Men­schen, die aus ande­ren Län­dern – wie Syri­en, Irak oder Afgha­ni­stan – flie­hen, gilt sie dort nicht. In sei­nem Gut­ach­ten kommt der Rechts­an­walt Rein­hard Marx zum Ergeb­nis, dass die Tür­kei dem­nach gemäß Uni­ons­recht nicht als „siche­rer Dritt­staat“ betrach­tet wer­den kann.

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Und auch die Pra­xis zeigt: Flücht­lin­ge auch aus Syri­en oder dem Irak wer­den in der Tür­keiwill­kür­lich inhaf­tiert, es kommt sogar zu Abschie­bun­gen. Sei­ne Gren­zen gegen­über Syri­en hält die Tür­kei mitt­ler­wei­le weit­ge­hend ver­schlos­sen, vie­le Kriegs­flücht­lin­ge har­ren in Camps in der Nähe der Grenz­über­gän­ge aus. Da die Men­schen in der Tür­kei kei­nen Flücht­lings­sta­tus erhal­ten, erhal­ten sie auch kaum Unter­stüt­zung, der Zugang zum Arbeits­markt und zur Gesund­heits­ver­sor­gung ist ihnen größ­ten­teils verwehrt.

»Die­se Plä­ne sind schlicht illegal.«

Nils Muiž­nieks, Men­schen­rechts­kom­mis­sar des Europarates

Durch den nun ver­ab­re­de­ten Deal ver­sto­ßen die euro­päi­schen Staa­ten gegen die von ihnen unter­zeich­ne­te Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on: Auch wenn die Abschie­bung nicht direkt in die Ver­fol­ger­staa­ten erfolgt, liegt den­noch ein Ver­stoß gegen die Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on vor, da die Wei­ter­schie­bung ins Her­kunfts­land durch die Tür­kei droht. Im Gegen­zug für die Rück­nah­me der Flücht­lin­ge erhält die Tür­kei zusätz­li­che Gel­der (die Rede ist von ins­ge­samt sechs Mil­li­ar­den) und Zuge­ständ­nis­se bei Visa­er­leich­te­run­gen und den EU-Bei­tritts­ver­hand­lun­gen.

Auch in Europa drohen MenschenrechtsverletzungeN

Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen wird es aber auch in Euro­pa geben: Um Flücht­lin­ge schnell wie­der in die Tür­kei abschie­ben zu kön­nen, sol­len sie in Grie­chen­land fest­ge­hal­ten wer­den. Aus­ge­rech­net das Land, in das schon im Jahr 2011 – auch von Deutsch­land – Dub­lin-Über­stel­lun­gen gestoppt wur­den, das mit der Unter­brin­gung der Men­schen heil­los über­for­dert ist und kein funk­tio­nie­ren­des Asyl­sys­tem vor­weist, soll nun zum Flücht­lings­la­ger der Euro­päi­schen Uni­on werden.

Dadurch dro­hen mas­si­ve Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen: Zu befürch­ten sind Inhaf­tie­run­gen der Schutz­su­chen­den und Mas­sen­ab­schie­bun­gen ohne eine rechts­staat­li­che und fai­re inhalt­li­che Prü­fung der Schutz­be­dürf­tig­keit. Euro­pa ver­ab­schie­det sich fak­tisch vom indi­vi­du­el­len Recht auf Asyl.