06.01.2023
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Kalte Lager-Container wie dieses sind Teil der griechischen Abschreckungspolitik. Foto: Unsplash/ Julie Ricard

Während in Griechenland Weihnachten gefeiert wurde, mussten Hunderte Flüchtlinge ihre Wohnungen, vertraute Nachbarschaften, Schulen und Jobs verlassen und in kalte Lager-Container ziehen, darunter kleine Kinder und kranke Menschen. Refugee Support Aegean, Partnerorganisation von PRO ASYL, hat mit Betroffenen gesprochen.

Obwohl die Euro­päi­sche Kom­mis­si­on das Not­fall­pro­gramm zur Inte­gra­ti­on und Unter­brin­gung (ESTIA II) für vul­nerable Asyl­su­chen­de wei­ter­hin finan­zie­ren woll­te, hat die grie­chi­sche Regie­rung dar­auf bestan­den, das Pro­gramm zu been­den. Zivil­ge­sell­schaft­li­che Orga­ni­sa­tio­nen, Lehr­kräf­te und Flücht­lin­ge haben ihr Ent­set­zen über die­sen Rück­schritt bei Schutz und Inte­gra­ti­on aus­ge­drückt und for­dern eine Fort­set­zung des Wohnungsprogramms.

Wohn-Programm sollte Schutz und Sicherheit bieten 

Hun­der­te Fami­li­en wur­den bereits von ihren Woh­nun­gen in Flücht­lings­camps zurück­ge­schickt oder war­ten auf die Zwangs­räu­mung und Über­stel­lung dort­hin.  Tau­sen­de Men­schen sind bereits von Räu­mun­gen oder Über­stel­lun­gen in Camps betrof­fen, seit­dem die Regie­rung im Febru­ar 2022 das Ende des ESTIA-Pro­gramms bekannt gege­ben hat­te, als mit die­sem noch etwa 12.500 Men­schen eine Woh­nung hatten.

ESTIA steht für Emer­gen­cy Sup­port to Inte­gra­ti­on and Accom­mo­da­ti­on. Ziel war, beson­ders schutz­be­dürf­ti­ge Flücht­lin­ge wie Kin­der, Kran­ke,  Allein­er­zie­hen­de und geschlechts­spe­zi­fisch Ver­folg­te, die noch im Asyl­ver­fah­ren sind, aus den Lagern mit ihren oft kata­stro­pha­len Lebens­be­din­gun­gen her­aus­zu­ho­len und in Woh­nun­gen unterzubringen.

Umfassende Abschreckungspolitik der griechischen Regierung 

Geflüch­te­te berich­ten, dass sie nur kurz und münd­lich über ihren erzwun­ge­nen Umzug in die Flücht­lings­la­ger infor­miert wur­den, oft sogar, ohne den genau­en Ort anzu­ge­ben. Plötz­lich muss­ten Kin­der ihre Schu­len und Freund*innen ver­las­sen, Erwach­se­ne ihre Sprach- und Berufs­kur­se, Per­so­nen mit Gesund­heits­pro­ble­men muss­ten ihre Behand­lung unter­bre­chen. Die­je­ni­gen, die Gele­gen­heits­ar­bei­ten gefun­den hat­ten, muss­ten weit weg­zie­hen von ihren Arbeitsmöglichkeiten.

Die Ent­schei­dung der grie­chi­schen Regie­rung, ESTIA II zu been­den, kann als Teil einer umfas­sen­de­ren Abschre­ckungs­po­li­tik ver­stan­den wer­den, die dar­auf abzielt, Asyl­su­chen­de in kon­trol­lier­ten und abge­schie­de­nen Lagern zu iso­lie­ren. Die­se Ent­schei­dung steht in der­sel­ben Rei­he mit der Been­di­gung des Unter­brin­gungs­pro­gramms FILOXENIA in Hotels, der schritt­wei­sen Ein­stel­lung der alter­na­ti­ven Unter­brin­gung auf den Inseln und der Schlie­ßung von Lagern in der Nähe von städ­ti­schen Gebie­ten wie Ska­ra­man­gas und Eleo­nas in der Regi­on Attika.

Kinder leben hinter Betonwänden und Stacheldraht

Nun sind staat­li­che Unter­stüt­zun­gen nur noch für Geflüch­te­te zugäng­lich, die in Lagern leben, ver­bor­gen hin­ter drei Meter hohen Beton­wän­den und Sta­chel­draht. Seit der Ein­füh­rung von HYPERION, einem umstrit­te­nen Über­wa­chungs­sys­tem, das der­zeit von der grie­chi­schen Daten­schutz­be­hör­de über­prüft wird, wer­den die Camp-Tore von pri­va­ten Sicher­heits­leu­ten kon­trol­liert.  Kame­ras wur­den instal­liert und die Bewohner*innen müs­sen sich aus­wei­sen, um ein­tre­ten zu kön­nen. Camps, die frü­her als »offe­ne tem­po­rä­re Auf­nah­me­ein­rich­tun­gen« bekannt waren, wer­den seit 2021 offi­zi­ell als »kon­trol­lier­te tem­po­rä­re Unter­künf­te für Asyl­be­wer­ber«  bezeich­net. Die Unter­brin­gung in die­sen Lagern ist inzwi­schen die ein­zi­ge Mög­lich­keit und zugleich Bedin­gung für Asyl­su­chen­de wäh­rend ihres Asylverfahrens.

Personal in Lagern wird reduziert 

Ende Novem­ber teil­te die Inter­na­tio­na­le Orga­ni­sa­ti­on für Migra­ti­on (IOM) ihren Mit­ar­bei­ten­den  mit, dass sie 60 Pro­zent des Per­so­nals, das in den Camps im Rah­men des Pro­gramms Har­mo­ni­zing Pro­tec­tion Prac­ti­ces in Greece (HARP) arbei­tet, bis Ende 2022 ent­las­sen und damit die Unter­stüt­zung für die am stärks­ten gefähr­de­ten Per­so­nen dras­tisch ein­schrän­ken wer­de.  Die betrof­fe­nen Mit­ar­bei­ten­den pro­tes­tier­ten und streikten.

Nach Anga­ben der Beschäf­tig­ten kam die Ankün­di­gung über­ra­schend. Sie befürch­ten, dass die Ent­schei­dung, die Unter­stüt­zung in den Camps zu ver­rin­gern, die Bedürf­nis­se und das Wohl der beträcht­li­chen Anzahl der Bewohner*innen nicht berück­sich­tigt. Sie kri­ti­sie­ren zudem, dass es kei­nen  Über­gangs­plan gibt, der die Fall­be­treu­ung und Über­ga­be regelt, bis die Betreu­ung durch die Regie­rung über­nom­men wird. Statt­des­sen wer­den die Men­schen in den Lagern plötz­lich mit weni­ger recht­li­cher, sozia­ler und psy­cho­lo­gi­scher Betreu­ung zurückgelassen.

Anfang Dezem­ber 2022 haben sich zehn Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen, dar­un­ter Refu­gee Sup­port Aege­an (RSA), an das grie­chi­sche Minis­te­ri­um für Migra­ti­on und Asyl gewandt, um ihre gro­ße Besorg­nis in Bezug auf die Been­di­gung von ESTIA II und die Ver­le­gung der vul­ner­ablen Asyl­be­wer­ber in die Camps zum Aus­druck zu brin­gen. Die Orga­ni­sa­tio­nen wie­sen auf die von der Ombuds­stel­le bereits zuvor geäu­ßer­ten schwer­wie­gen­den Beden­ken hin und for­der­ten den Staat auf, das Pro­gramm ESTIA II wei­ter­hin zu finanzieren.

RSA hat exem­pla­risch die Geschich­ten von vier Betrof­fe­nen und ihren Fami­li­en zusammengetragen:

»Wenn mei­ne Töch­ter das Wort »Lager« hören, haben sie Angst und Schre­cken in den Augen. Wir ver­brach­ten acht Mona­te im »Dschun­gel« von Moria auf Les­bos, als wir nach Grie­chen­land kamen. Wir muss­ten den gan­zen Tag und die gan­ze Nacht vor­sich­tig sein, um nicht in eine Schlä­ge­rei zu gera­ten und ver­letzt zu werden.«

Salim* und sei­ne drei jun­gen Töch­ter (5, 12 und 14 Jah­re alt) stam­men aus Afgha­ni­stan. Die Fami­lie ist seit 2019 in Grie­chen­land und wur­de nach meh­re­ren Mona­ten in Moria auf­grund ihrer Vul­nerabi­li­tät in eine ESTIA-Woh­nung ver­legt. Der Vater war in der Ver­gan­gen­heit Opfer einer Bom­ben­ex­plo­si­on gewor­den und lei­det noch immer an die­sen Ver­let­zun­gen. Die jün­ge­re Toch­ter lei­det unter einer schwe­ren Hör­be­ein­träch­ti­gung und braucht regel­mä­ßi­ge medi­zi­ni­sche Betreuung.

Der Vater und die Kin­der war­ten auf ihre Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung mit der Ehe­frau und Mut­ter. Nach­dem sie fast zwei Jah­re in einer Woh­nung des ESTIA-Woh­nungs­pro­gramms leben konn­ten, wur­de ihnen kürz­lich mit­ge­teilt, dass sie inner­halb einer Woche erneut in ein Lager ver­legt wer­den sollen.

Salim sagt: »Mei­ne Töch­ter besuch­ten die öffent­li­che Schu­le in unse­rer Nach­bar­schaft.  Sie haben Freun­de gefun­den und Bin­dun­gen auf­ge­baut. Sie besu­chen nach­mit­tags Sprach­kur­se und Sport­ver­ei­ne. Mei­ne jün­ge­re Toch­ter muss sich regel­mä­ßig zum Arzt. Ich suche Arbeit in Athen. Jetzt sol­len wir in ein Lager weit außer­halb der Stadt zie­hen. Wir wis­sen nicht ein­mal, in wel­ches Lager wir gehen wer­den. Freun­de, die bereits in ein Lager umge­sie­delt wur­den, haben uns erzählt, dass sie jetzt in einem Con­tai­ner leben und um sie her­um Mau­ern und Zäu­ne ste­hen. Wie kön­nen mei­ne Kin­der jetzt in einen sol­chen Käfig ziehen?

Als ihr Vater füh­le ich mich hoff­nungs­los, weil ich nichts tun kann, damit sie hier blei­ben kön­nen, wo sie sich frei füh­len. Ich habe Angst, dass sie im Lager depres­siv wer­den. Ich habe Angst, weit weg von Kran­ken­häu­sern zu sein. Ich fürch­te mich davor, noch ein­mal der Unsi­cher­heit des Lebens im Lager aus­ge­setzt zu sein. Ich habe Ver­let­zun­gen erlit­ten, die mei­ne Fähig­kei­ten stark ein­schrän­ken, bevor ich nach Grie­chen­land kam. Ich kann kei­ne schwe­ren Gewich­te heben oder lan­ge Stre­cken zu Fuß gehen. Wie wer­den wir an einem Ort weit weg von der Stadt zurecht­kom­men? Wie sol­len wir die Trans­port­kos­ten zu den Kran­ken­häu­sern bezahlen?«

»[…] Als ihr Vater füh­le ich mich hoff­nungs­los, weil ich nichts tun kann, damit sie hier blei­ben kön­nen, wo sie sich frei füh­len. Ich habe Angst, dass sie im Lager depres­siv werden […]«

»Als ich vor einem Monat in das Lager ver­legt wur­de, hat­te ich das Gefühl, dass man mich dort abge­la­den hat. In der Umge­bung des Lagers gibt es nichts. Um das Lager zu betre­ten und zu ver­las­sen, muss man sei­ne Papie­re vor­zei­gen. Das Lager ist von Mau­ern umge­ben. Ich füh­le mich ein­ge­sperrt, obwohl ich nach drau­ßen gehen darf. Mei­ne Ärz­te rie­ten mir, spa­zie­ren zu gehen und Leu­te zu tref­fen, um Kon­tak­te zu knüp­fen. Sie sag­ten, wenn ich mehr über mei­ne Pro­ble­me spre­chen wür­de, wür­de es mir bes­ser gehen. Aber das ist hier nicht mög­lich. Es ist schwer für mich, Frem­den zu ver­trau­en. Ich habe schon sehr schlech­te Erfah­run­gen mit Men­schen in den Lagern gemacht. Ich habe Angst, allein an Orte zu gehen, an denen nie­mand ist, und ich habe Angst vor Men­schen­mas­sen. Die­ser Ort erin­nert mich an furcht­ba­re Dinge.«

Der 21-jäh­ri­ge Adellard* aus der Demo­kra­ti­schen Repu­blik Kon­go hat sowohl in sei­nem Her­kunfts­land als auch in Grie­chen­land schwe­re geschlechts­spe­zi­fi­sche Gewalt erlit­ten und ist in psy­cho­lo­gi­scher Betreu­ung. Er lei­det unter meh­re­ren Trau­ma­ta und benö­tigt regel­mä­ßi­ge Nach­sor­ge. Wegen sei­nes psy­chi­schen Zustands war er kaum in der Lage, bei sei­ner Anhö­rung im Asyl­ver­fah­ren über sei­ne Lebens­um­stän­de zu berich­ten. Er ver­brach­te andert­halb Jah­re auf Les­bos, davon meh­re­re Mona­te im berüch­tig­ten Lager Moria, wo er Opfer eines schwe­ren Über­griffs wur­de. Erst danach wur­de er nach Athen in eine ESTIA-Woh­nung ver­legt. Die Zeit, die er in der Woh­nung in Athen ver­brach­te, hat­te ihm ein Gefühl der Sicher­heit gegeben.

Er sagt: »Ich ver­mis­se mei­ne Woh­nung. Ich füh­le mich hier ein­sam und ver­ängs­tigt. In Athen habe ich mei­nen Part­ner, ich habe mei­ne Ärz­te und mei­nen Anwalt, ich hat­te einen siche­ren Ort. Um von hier aus nach Athen zu fah­ren, muss ich 30 Minu­ten bis zum nächs­ten Bus­bahn­hof lau­fen und dann mehr als eine Stun­de mit dem Bus fah­ren. Für jede Fahrt muss ich 6,10 Euro bezah­len. Die Bus­se fah­ren nicht oft nach Athen. Ich erhal­te 70 Euro Taschen­geld im Monat, also ist es ein Luxus, nach Athen zu fah­ren, den ich mir nicht oft leis­ten kann. Und für mei­nen Part­ner ist es eben­falls schwie­rig, mich hier zu besu­chen. Ich habe vie­le Arzt­ter­mi­ne in Athen, manch­mal drei pro Woche, und es ist wirk­lich schwer, sie wahr­zu­neh­men. Ich habe mich auch für Grie­chisch-Kur­se in Athen ange­mel­det, aber ich kann nicht mehr hin­ge­hen. Im Lager habe ich drei­mal ver­sucht, an einem Kurs teil­zu­neh­men, aber es war nie­mand da. Da ich fast kei­ne Mög­lich­keit habe, irgend­wo­hin zu gehen, bin ich gezwun­gen, die meis­te Zeit im Lager und weit weg von mei­nen Freun­den zu blei­ben. Seit ich im Lager bin, den­ke ich die gan­ze Zeit nach. Mei­ne psy­chi­sche Situa­ti­on hat sich verschlechtert.«

Adellards* Ver­le­gung zurück in ein Lager hat ihn erneut trau­ma­ti­siert. Der jun­ge Mann muss­te von sei­ner Woh­nung in der Stadt zurück in einen Con­tai­ner in einem Lager außer­halb Athens zie­hen, wo er mit Hun­der­ten von ande­ren Flücht­lin­gen ver­schie­de­ner Natio­na­li­tä­ten lebt.  Als er dort ankam, war noch nichts fer­tig, sagt er: »Der Con­tai­ner war schmut­zig und es gab nicht genü­gend Bet­ten dar­in. Die Hei­zung funk­tio­nier­te nicht rich­tig und es war sehr kalt. Am ers­ten Tag war die Käl­te uner­träg­lich. Sie gaben uns anfangs nur Bett­zeug und kei­ne Decken. Wir haben vie­le Tage gebraucht, um den Con­tai­ner rich­tig zu rei­ni­gen. Das Essen, das wir bekom­men, ist kaum genieß­bar. Ich lei­de oft an Magenschmerzen.«

»[…]Als ich vor einem Monat in das Lager ver­legt wur­de, hat­te ich das Gefühl, dass man mich dort abge­la­den hat[…]«

»Uns wur­de gesagt, dass wir das Haus, in dem wir vier Jah­re lang gelebt haben, ver­las­sen müs­sen. Erst eine Woche vor der Ver­le­gung in das Lager wur­de uns der genaue Ort mit­ge­teilt. Das ist nicht nur ein Rück­schritt für mei­ne Toch­ter und mich, es ist, als wür­de man einen jun­gen Baum ent­wur­zeln, der gera­de erst Kraft zum Wach­sen gefun­den hat. Das Haus war unser Zuhau­se und der ein­zi­ge Ort, an dem sich mei­ne Toch­ter sicher fühl­te. Sie ist dort drei Jah­re lang zur Schu­le gegan­gen. Sie ging wöchent­lich zu ihrem Psy­cho­lo­gen im Zen­trum von Athen. Außer­dem befin­det sich unser Anwalt in der Nähe unse­res Hau­ses. Wir wuss­ten nur, dass wir kei­ne ande­re Wahl hat­ten und dass wir von nun an weit weg von unse­rem Zuhau­se, unse­rer Nach­bar­schaft, unse­ren Freun­den und jedem Ort sein wür­den, an dem wir end­lich etwas Unter­stüt­zung gefun­den hat­ten.  Wir wur­den jeg­li­cher Chan­ce auf Hei­lung und Inte­gra­ti­on beraubt«, sagt Par­wan*, ein allein­er­zie­hen­der Vater eines zwölf­jäh­ri­gen  Mäd­chens aus Afgha­ni­stan, der auf die Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung mit sei­ner Frau und sei­nen bei­den klei­nen Kin­dern  war­tet, die in Deutsch­land leben.

Es ist vier Jah­re her, dass sie in Grie­chen­land ange­kom­men ist. Seit einem Monat leben sie in einem Flücht­lings­la­ger, eine Auto­stun­de von Athen ent­fernt. »Die meis­te Zeit ver­brin­gen wir im Con­tai­ner, inner­halb des ein­ge­zäun­ten Lager­ge­län­des. Für eine Zug­fahrt nach Athen und zurück müs­sen wir etwa 10 Euro pro Per­son aus­ge­ben. Ich habe gehört, dass unser Geld gekürzt wird, da wir inner­halb des Lagers Essen erhal­ten. Ich füh­le mich hier gefan­gen. Tag für Tag wer­den mehr Men­schen in das Lager gebracht. Jetzt tei­len wir uns einen Con­tai­ner mit einer ande­ren Fami­lie. Wir ste­hen Schlan­ge für Wasch­ma­schi­nen, für Lebens­mit­tel, für Ärz­te und Sozi­al­ar­bei­ter. Die­se War­te­schlan­gen erin­nern mich an unse­re ers­ten Tage in Griechenland.«

»[…] Wir wur­den jeg­li­cher Chan­ce auf Hei­lung und Inte­gra­ti­on beraubt […]«

»Wir leb­ten etwa zwei Jah­re lang in der Woh­nung in Athen. Dann wur­de uns plötz­lich mit­ge­teilt, dass wir inner­halb von zwei Tagen in ein Lager ver­legt wer­den soll­ten. Man sag­te uns, wir hät­ten kei­ne ande­re Wahl. Jetzt sind wir in dem Lager. Wir müs­sen wie­der bei Null anfangen.«

Shab­nam* aus Afgha­ni­stan ist Mut­ter von zwei Mäd­chen im Alter von drei und sie­ben Jah­ren. Sie kam vor vier Jah­ren zusam­men mit ihrem Mann und ihren Kin­dern nach Grie­chen­land. Nach­dem ihr Asyl­an­trag end­gül­tig abge­lehnt wor­den war, stell­te die Fami­lie einen Fol­ge­an­trag. Die Fami­lie kam ursprüng­lich auf der Insel Samos an, wo sie fünf Mona­te lang in einem Zelt im so genann­ten Dschun­gel des Lagers leb­te. Von dort wur­den sie in drei ver­schie­de­ne Hotels ver­legt, wo sie ins­ge­samt ein­ein­halb Jah­re ver­brach­ten, bevor sie schließ­lich in eine ESTIA-Woh­nung in Athen zie­hen konnten.

»Als wir die Woh­nung in Athen beka­men, war das ein gutes Gefühl. Wir hat­ten das Gefühl, dass wir uns ein­rich­ten konn­ten. Wir hat­ten unser eige­nes Zuhau­se. Unse­re ältes­te Toch­ter begann dort zur Schu­le zu gehen. Sie fand Freun­de. Ich mel­de­te mich zu Sprach­kur­sen an. Mein Mann hat auch gele­gent­lich Arbeit gefunden.«

Als Bewoh­ner eines Lagers macht sich ihr Mann vor allem Sor­gen wegen der Ent­fer­nung zu Kran­ken­häu­sern. »Es dau­ert Stun­den, bis ein Kran­ken­wa­gen hier ein­trifft, wenn es einen Not­fall gibt. Für Arzt­ter­mi­ne müs­sen wir die Kos­ten für die öffent­li­chen Ver­kehrs­mit­tel selbst tra­gen und wir fah­ren ohne Über­set­zer. Ein Arzt­ter­min ohne Über­set­zer ist aber wie kein Termin.«

»[…] Man sag­te uns, wir hät­ten kei­ne ande­re Wahl. Jetzt sind wir in dem Lager. Wir müs­sen wie­der bei Null anfangen […]«

Die­ser Text ist eine über­ar­bei­te­te Über­set­zung eines Arti­kels, der von unse­rer grie­chi­schen Part­ner­or­ga­ni­sa­ti­on Refu­gee Sup­port Aege­an (RSA) publi­ziert wurde.

(jo/wr)