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Gefährliche Überfahrt: Der Weg über das zentrale Mittelmeer nach Europa ist deutlich weiter. Da die Europäische Union mehr auf Abschottung als auf Seenotrettung setzt, werden private Rettungsorganisationen wieder viel Arbeit bekommen. Foto: MOAS

Die Fluchtbewegungen über Libyen und die zentrale Mittelmeerroute werden wieder stärker. Ein einträgliches Geschäft für Schlepper und äußerst gefährlich für Flüchtlinge, denn die Überfahrt nach Europa ist deutlich länger und schwieriger als auf der Route über die Ägäis.

Mehr als dop­pelt so vie­le Flücht­lin­ge als noch im Febru­ar sind im März 2016 über das zen­tra­le Mit­tel­meer nach Ita­li­en gelangt. Nicht nur das bes­se­re Wet­ter, auch die Schlie­ßung ande­rer, ver­gleichs­wei­se unge­fähr­li­che­rer, Flucht­we­ge für Men­schen aus Kri­sen- und Kriegs­ge­bie­ten könn­te dar­an einen Anteil haben.

Noch tödlicher als die Ägäis-Route

343

Men­schen sind allein die­ses Jahr bereits auf der Flucht im zen­tra­len Mit­tel­meer gestorben.

Fast 3.000 Men­schen sind im Jahr 2015 beim Ver­such, Euro­pa zu errei­chen, im zen­tra­len Mit­tel­meer umge­kom­men, eben­so vie­le wie bereits 2014.  Auch 2016 ist die Todes­zahl mit über 343 (Stand 04.04.) fast genau­so hoch wie in der Ägä­is, in der die­ses Jahr schon 366 (Stand 04.04.) Men­schen gestor­ben sind – obwohl nur 10 Pro­zent der Flücht­lin­ge die Rou­te über Liby­en gewählt haben. Die meis­ten von ihnen stam­men aktu­ell noch aus afri­ka­ni­schen Län­dern, es ist aber zu befürch­ten, dass wie schon vor eini­gen Jah­ren erneut ver­mehrt auch syri­sche oder ira­ki­sche Schutz­su­chen­de auf die­sen Flucht­weg aus­wei­chen. Zu befürch­ten ist auch, dass sich bei einem wei­te­ren Anstieg der Flucht­be­we­gun­gen über die zen­tra­le Mit­tel­meer­rou­te wei­te­re dra­ma­ti­sche Boots­un­glü­cke mit hun­der­ten Toten ereig­nen, wie schon im Okto­ber 2013 und im April 2015.

Libyen: Staat ohne Recht und Gesetz

Über die Ent­wick­lung der Flucht­be­we­gun­gen dürf­te sich nur eine Grup­pe freu­en: Schleu­ser, die nun wie­der gro­ße Geschäf­te machen kön­nen, denn für die tage­lan­ge Über­fahrt von Liby­en nach Ita­li­en wird ein wesent­lich höhe­rer Preis ver­langt als für die Flucht über die Ägä­is – und die Men­schen sind noch mehr als in der Tür­kei dar­auf ange­wie­sen, das Land schnell zu ver­las­sen, denn die Bedin­gun­gen für Flücht­lin­ge in Liby­en sind kata­stro­phal: Vie­le lan­den in Gefäng­nis­sen oder wer­den von Kri­mi­nel­len gezwun­gen, unter skla­ven­ähn­li­chen Bedin­gun­gen für sie zu arbei­ten. In einem der Haft­la­ger für Migrant*innen kam es Anfang der Woche auch zu Schüs­sen auf Inhaf­tier­te, bei denen fünf Men­schen star­ben.

Die all­ge­mei­ne Situa­ti­on des Lan­des ist ähn­lich düs­ter: Es machen sich isla­mis­ti­sche Grup­pen breit, immer noch tobt ein Bür­ger­krieg – an dem sich laut Infor­ma­tio­nen von »Le Mon­de« im Gehei­men auch ame­ri­ka­ni­sche und fran­zö­si­sche Trup­pen betei­li­gen.

Euro­pa schot­tet sich ab, dabei nimmt es den Tod von Tau­sen­den in Kauf.

EU-Militäroperation im zentralen Mittelmeer

Prompt wer­den in Euro­pa nun wie­der die Rufe nach der Aus­wei­tung der euro­päi­schen Mis­si­on »EUNAVFOR Med« laut. Der völ­ker­rechts­wid­ri­ge Mili­tär­ein­satz in den Gewäs­sern zwi­schen Ita­li­en und Liby­en soll vor­ran­gig »Schlep­per bekämp­fen«, See­not­ret­tung hat dort kei­ne gro­ße Priorität.

Nun wird vom bri­ti­schen Pre­mier Came­ron gefor­dert, die Ope­ra­ti­on sol­le schnellst­mög­lich bereits in liby­schen Gewäs­sern tätig wer­den und Flücht­lings­boo­te dort zurück­wei­sen. Auch der deut­sche EU-Par­la­men­ta­ri­er Elmar Brok äußer­te sich dahin­ge­hend – er for­dert sogar, direkt in den liby­schen Häfen aktiv zu wer­den. Die­ser Plan ist in »Pha­se 2b« der EUNAVFOR Med – Mis­si­on vor­ge­se­hen, bedarf aber eigent­lich der Zustim­mung der liby­schen Regie­rung. Bloß: Eine sol­che Zen­tral­re­gie­rung exis­tiert in dem Land schlicht nicht. Auch ein ent­spre­chen­des Man­dat des UN-Sicher­heits­ra­tes liegt nicht vor – eine Aus­wei­tung der Mis­si­on ist somit nicht möglich.

Abschottung bedeutet, dass Menschen sterben

Von den gro­ßen Bekennt­nis­sen im Okto­ber 2013, als EU-Par­la­ments­prä­si­dent Schulz beton­te, Lam­pe­du­sa müs­se »ein Wen­de­punkt für die euro­päi­sche Flücht­lings­po­li­tik« sein, ist offen­sicht­lich nichts mehr übrig: Noch immer gibt es so gut wie kei­ne lega­len und siche­ren Wege, um nach Euro­pa zu flie­hen – und durch die Schlie­ßung ande­rer Flucht­op­tio­nen sind die Men­schen auf immer gefähr­li­che­re Rou­ten ange­wie­sen. Euro­pa schot­tet sich ab, dabei nimmt es den Tod von Tau­sen­den in Kauf.