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Flüchtlingsverteilung: Warum EU-Quoten das Problem nicht lösen
Am Mittwoch will die EU-Kommission einen Vorschlag zur Quoten-Verteilung von Flüchtlingen vorstellen. Für die Betroffenen würde das aber kaum Verbesserungen bringen. Das Problem lösen könnte nur eine Regelung, die Asylsuchende selbst entscheiden lässt, wo sie ihr Asylverfahren durchlaufen.
EU-Kommissionspräsident Junker will am Mittwoch einen Vorschlag zur Quotenverteilung von Flüchtlingen in Europa vorstellen. »Um eine faire und ausgeglichene Beteiligung aller Mitgliedstaaten an diesen gemeinsamen Bemühungen sicherzustellen (…), benötigt die EU ein permanentes System für die Aufteilung der Verantwortung für große Zahlen von Flüchtlingen und Asylsuchenden«, zitiert die „The Times“ ein entsprechendes EU-Papier.
Eine Quotenregelung würde das bisherige Asylzuständigkeitssystem ablösen. Lange hatten Deutschland und andere Staaten im Zentrum der EU daran festgehalten: Die Dublin-Regelung, nach der ein Schutzsuchender in jenem EU-Staat zu bleiben hat, in dem er erstmals EU-Territorium betreten hat, schien praktisch für die Staaten in der Mitte der EU – und problematisch für die EU-Staaten an den Außengrenzen: Schließlich landen die meisten Schutzsuchenden zunächst in den Staaten am Rande Europas – etwa in Italien, Griechenland oder Ungarn.
Quotenregelung: Deutschland müsste weniger, Großbritannien mehr aufnehmen
Nach den jüngsten Anstiegen der Flüchtlingszahlen befürworten Deutschland und andere EU-Staaten aus der Mitte Europas plötzlich einen anderen Mechanismus. Der Umschwung geht nicht auf die Einsicht zurück, dass das Dublin-System für die Betroffenen unmenschlich ist, sondern auf die Hoffnung hierdurch weniger Flüchtlinge aufnehmen zu müssen.
Eine Quote könnte sich am Bruttoninlandsprodukt und der Einwohnerzahl orientieren. Länder wie Deutschland, Österreich, Malta, Zypern oder Schweden müssten dadurch weniger Asylsuchende als bisher aufnehmen – Staaten wie Großbritannien, Portugal oder Spanien deutlich mehr. Dass sich die EU-Staaten auf eine Quoten-Regelung einigen ist daher mehr als unwahrscheinlich. Großbritannien wird jede Art von Quotenregelung ablehnen, erklärte das britische Innenministerium in einer ersten Reaktion. Auch Tschechien und Ungarn haben bereits angekündigt dagegen zu stimmen.
Keine Einigung in Sicht: Es bleibt wohl bei der unmenschlichen Dublin-Regelung
Angesichts der politischen Differenzen zwischen den EU-Staaten wird es wohl bei dem Dublin-System bleiben. Für zehntausende Schutzsuchende bedeutet dies, dass sie weiterhin zwischen den EU-Staaten hin- und hergeschoben werden. Im Ersteinreiseland können sie nicht bleiben, da Flüchtlinge in vielen der EU-Staaten an den Außengrenzen unter menschenunwürdigen Bedingungen leiden. Flüchtlinge werden in Ländern wie Griechenland, Italien, Ungarn und Bulgarien zu Obdachlosen gemacht, erleben schlimmste Armut und Übergriffe. Reisen sie jedoch weiter in andere EU-Staaten, wie etwa Deutschland droht ihnen die Abschiebung in den Ersteinreisestaat. Flüchtlinge irren so oft jahrelang durch Europa, ohne jemals in Sicherheit ankommen zu können.
Quoten sind keine Lösung
Doch auch das vorgeschlagene Quotenmodell ist keine Lösung. Allen Quotenmodellen ist gemein, dass sie allein an den Interessen der Staaten – und nicht der Schutzsuchenden – orientiert sind. Sie alle würden nichts daran ändern, dass Asylsuchende in Länder gezwungen werden, wo sie keine menschenwürdigen Aufnahmebedingungen und Asylverfahren vorfinden. Darauf zu hoffen, dass perspektivisch EU-weit gleiche Asyl-Standards gelten, ist aus heutiger Sicht völlig unrealistisch. Eine Quotenregelung würde – genau wie das geltende Dublin-System – so weit an den existenziellen Bedürfnissen der Betroffenen vorbei gehen, dass ihnen letztendlich nichts anderes übrig bleibt, als den „zuständigen“ Staat zu verlassen. An dem jetzigen Problem der umherirrenden Schutzsuchenden würde sich durch eine Quote nichts verändern.
Für die freie Wahl des Erstaufnahmelandes
Im „Memorandum: Für ein gerechtes und solidarisches System der Verantwortlichkeit“ haben PRO ASYL, Wohlfahrtsverbände, Richter- und Anwaltsvereine die Forderung nach dem Prinzip der freien Wahl des Mitgliedstaates für Asylsuchende entwickelt. Demnach sollen Asylsuchende selbst entscheiden können, in welchem EU-Staat sie ihr Asylverfahren durchlaufen. Damit die Freiwilligkeit der Wahl des Asylortes tatsächlich gewährleistet ist, muss den Asylsuchenden auch die (Durch-)Reise hin zu dem Land ihrer Wahl ermöglicht werden. Sie dürfen also an den EU-Außengrenzen nicht zurückgewiesen werden, sondern sie müssen Durchreise-Papiere für die Reise in das EU-Land ihrer Wahl erhalten. Klingt utopisch? Es ist aber vernünftig – aus folgenden Gründen:
1. Schnellere Integration
Für das Modell der freien Wahl des Asylortes spricht die schnellere Integration von Flüchtlingen. Denn diese gehen nach allen Erfahrungen dorthin, wo sie auf bereits bestehende Communities treffen, die wie ein Integrationskatalysator wirken: Sie vermitteln Wohnungen, Jobs und geben eine Orientierung in der neuen Heimat.
2. Weniger Abschottung
Wenn nicht mehr der Ort der Einreise in die EU über die Zuständigkeit für das Asylverfahren entscheidet, wird der Druck auf die EU-Außenstaaten, ihre Grenze abzuschotten, deutlich reduziert. Dadurch sinkt die Motivation für völkerrechtswidrige Zurückweisungen an der Grenze.
3. Bessere Aufnahmebedingungen für Flüchtlinge
Wenn Asylsuchende frei wählen können, werden sie in das EU-Land gehen, wo sie menschenwürdige Aufnahmebedingungen und ein faires Asylverfahren vorfinden. Ein Recht auf freie Wahl des Asyllandes würde damit viel Leid unter den Flüchtlingen mildern.
4. Einwanderung ist etwas Positives
Dem Free-Choice-Modell wird entgegen gehalten, dass damit ein Ungleichgewicht bei der Verteilung der Flüchtlinge in der EU entstehen würde. Gerade von deutschen Politikern wird immer als Befürchtung geäußert, es würden noch mehr Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Dies ist jedoch eine verengte negative Sichtweise auf Migration: Es ist an der Zeit, Einwanderung als Chance für alle Seiten zu erkennen, statt Flüchtlinge nur als Belastung darzustellen.
5. Solidarität durch finanziellen Lastenausgleich
Man kann besser Geld verschieben als Menschen. Etwaige Ungleichheiten bei der Aufnahme von Asylsuchenden können durch finanzielle Ausgleichfonds zumindest teilweise kompensiert werden. Damit werden EU-Staaten, die weniger Asylsuchende aufnehmen, nicht aus der Verantwortung für den Flüchtlingsschutz entlassen.
6. Weniger Bürokratie
Das Dublin-System ist ein Bürokratie-Monster. Unzählige Behördenmitarbeiter werden rund um die Uhr damit beschäftigt, dafür zu sorgen, dass Asylsuchende von Land A nach Land B gezwungen werden. Hinzu kommen das Betreiben von Abschiebungshaftanstalten, der Einsatz der Grenzpolizist_innen und, nicht zu vergessen, die ständige Befassung von Rechtsanwält_innen und Gerichten. Dieser Aufwand fällt nur deswegen an, weil man dem Willen der Flüchtlinge keine Beachtung schenken möchte.
7. Europäische Standards schaffen und durchsetzen
Manche wenden gegen das Freie-Wahl-Modell ein, dass es zur Folge hätte, dass die EU-Staaten ihre Asyl-Standards herabsenken würden, um möglichst nicht als Zielland von Flüchtlingen auserwählt zu werden. Das Gegenteil ist der Fall: Das jetzige Dublin-System führt dazu, dass in den EU-Randstaaten katastrophale Bedingungen herrschen und durch brutale Grenzabschottung und illegale Zurückweisungen (Push-Backs) versucht wird, zu verhindern, dass Flüchtlinge ihren Asylantrag stellen können. Außer Frage steht jedoch: Das europäische Asylrecht muss weiterentwickelt werden, schon bestehende Standards müssen tatsächlich durchgesetzt werden.
8. Realität anerkennen
Die Asylsuchenden gehen schon heute dorthin, wo sie Anknüpfungspunkte haben. Wer würde in Zeiten der größten Not nicht auf die Unterstützung seiner eigenen Familie zählen wollen? Aber auch andere Gründe für die Wahl eines bestimmten Landes sind nachvollziehbar. Die Abstimmung über die Wahl des Asylortes findet schon heute mit den Füßen statt. Es ist Teil einer vernünftigen Politik, diese Realitäten anzuerkennen. Flüchtlinge gehen in das Land ihrer Wahl, dies muss endlich legal möglich werden.
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