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Fataler Rückschritt: Wiedereinführung von Dublin-Verfahren für syrische Flüchtlinge
Seit dem 21. Oktober wendet Deutschland auch bei syrischen Flüchtlingen wieder das Dublin-Verfahren an. Statt Schutz in Deutschland zu erhalten, droht Asylsuchenden eine Rücküberstellung nach Ungarn oder Kroatien. Eine menschenunwürdige Maßnahme und ein fataler Rückschritt, durch den das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) weiter lahmgelegt wird.
Die Bundesregierung will die Abschiebung Zehntausender syrischer Flüchtlinge nach Ungarn oder Kroatien prüfen. Nach dem Dublin-System gilt grundsätzlich, dass das Ersteinreiseland der EU für die Durchführung der Asylverfahren zuständig ist. Damit müssten Ungarn oder Kroatien für fast alle Asylverfahren die Verantwortung übernehmen und die Betroffenen dorthin zurückgeschickt werden. Seit Ende August machte Deutschland bei SyrerInnen generell vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch, wonach die Zuständigkeit auch freiwillig übernommen werden kann. Davon will das Bundesinnenministerium nun offenbar abrücken.
Druck auf die Transitstaaten
Die Wiederbelebung des Dublin-Systems könnte eine Kettenreaktion der Grenzschließungen auslösen. Die Bundesregierung will durch die Drohkulisse der Dublin-Rückschiebungen den Druck auf die Transit-Staaten massiv erhöhen, keine Flüchtlinge mehr durchreisen zu lassen. Nationalstaatliche Egoismen werden zunehmen und dazu führen, dass kein EU-Staat mehr die Verantwortung für die Schutzsuchenden übernehmen will. Damit konterkariert die Bundesregierung ihr eigenes Bestreben, mehr EU-Staaten dafür zu gewinnen, sich an der Flüchtlingsaufnahme zu beteiligen.
Bundesamt wird lahmgelegt
Die Durchführung des Dublin-Verfahrens für Syrer wird das ohnehin überlastete BAMF noch weiter lahmlegen. Medienberichten zufolge waren Ende Oktober 328.000 Asylanträge unerledigt. Jetzt gilt das Dublin-Verfahren wieder für alle Flüchtlinge. Dadurch muss bei jedem einzelnen Fall aufwendig geprüft werden, ob eine Überstellung nach Ungarn oder Kroatien möglich ist. Deutschland hat für die entsprechende Anfrage zwei Monate Zeit, der angefragte Staat drei Monate für eine Antwort. Sollten Ungarn oder Kroatien zuständig für die Asylverfahren sein, hat Deutschland sechs Monate Zeit, die Schutzsuchenden in diese Länder zu überstellen.
Flüchtlinge in der Warteschleife
Nach den Strapazen der Flucht auf der Balkan-Route droht Syrern in Deutschland jetzt Ungewissheit und Abschiebung in Länder, die kaum Schutz und eine gesicherte Existenz bieten. Für Flüchtlinge aus Syrien ist das ein Leben in einer Warteschleife, die sich insgesamt auf eineinhalb bis zwei Jahre ausdehnen kann. In dieser Zeit findet Integration de facto nicht statt, da offen ist, ob die Betroffenen in Deutschland bleiben können. Sprachkurse bleiben ihnen ebenso verwehrt wie ein schnelles Asylverfahren. Von der Entscheidung könnten bis zu 200.000 Flüchtlinge betroffen sein. 61.706 Schutzsuchende aus Syrien waren Ende Oktober noch im Asylverfahren. Eingereist, aber noch nicht registriert sind im Jahr 2015 140.000. Allerdings ist davon auszugehen, dass ein beträchtlicher Teil durch Deutschland lediglich durch reist und in andere EU-Staaten weiterreisen möchte.
Dublin-Abschiebungen menschenunwürdig
Sowohl in Ungarn als auch in Kroatien gibt es keine soliden Aufnahmestrukturen. Die ungarische Regierung hat das Asylrecht mittlerweile drastisch verschärft und betreibt mitunter Kampagnen gegen Schutzsuchende. Amnesty International prangert Ungarns harten Kurs als Verstoß gegen internationale Verpflichtung gegenüber Menschenrechte an. Flüchtlingen drohen dort Armut und Obdachlosigkeit, viele berichten von Misshandlungen in ungarischen Haftlagern. Kroatien ist schlicht überfordert: Seit September haben fast 250.000 Menschen das kleine Land passiert. Auf der Durchreise setzen ihnen das nasskalte Wetter und der bevorstehende Winter zu, Erstaufnahmelager sind überfüllt. Die Wiederaufnahme der Dublin-Verfahren ist nicht nur ein fatales Signal in der Flüchtlingspolitik, Abschiebungen in Länder wie Ungarn und Kroatien wären schlicht menschenunwürdig.
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