10.12.2015
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Viele Flüchtlinge sind aktuell von ihren Familien getrennt. Angehörige nach Deutschland zu holen ist bereits jetzt langwierig und kompliziert - und es droht, noch schwieriger zu werden. Foto: UNHCR / D'Amato

Bis Mitte 2015 konnten Syrer in Deutschland Angehörige aus dem Kriegsgebiet in Sicherheit bringen. Möglich war das durch Aufnahmeprogramme von Bund und Ländern. Doch die meisten der Programme sind nun eingestellt – und die Bundesregierung plant sogar weitere Verschärfungen beim Familiennachzug. Es droht, dass nun auch die letzten legalen und sicheren Fluchtmöglichkeiten abgeschafft werden.

2013 haben die Innen­mi­nis­ter von Bund und Län­dern Auf­nah­me­pro­gram­me für Flücht­lin­ge aus der syri­schen Kri­sen­re­gi­on beschlos­sen – ins­ge­samt rund 35.000 Men­schen konn­ten dadurch zu ihren in Deutsch­land leben­den Ver­wand­ten zie­hen. Häu­fig war dafür eine Ver­pflich­tungs­er­klä­rung not­wen­dig: Die hier leben­den Syre­rIn­nen, die einen Antrag stell­ten, muss­ten qua­si unbe­grenzt erklä­ren, für die Lebens­er­hal­tungs­kos­ten ihrer Ver­wand­ten aufzukommen.

Es ist zu befürch­ten, dass die­se Mög­lich­keit, Men­schen auf lega­len Wegen aus den Gefah­ren­ge­bie­ten zu ret­ten, bald ganz vor­bei ist: Das Bun­des­auf­nah­me­pro­gramm ist weit­ge­hend been­det und auch die Pro­gram­me der Län­der lau­fen über­wie­gend aus – wäh­rend es in Bay­ern erst gar kein Auf­nah­me­pro­gramm gab. Vie­le Anträ­ge wur­den daher gar nicht erst bearbeitet.

Auf­nah­me­pro­gram­me hel­fen beson­ders Schutzbedürftigen

Durch die Auf­nah­me­pro­gram­me kann vor allem den schwächs­ten und am meis­ten gefähr­de­ten Flücht­lin­gen gehol­fen wer­den: Frau­en, Kin­dern und ande­ren beson­ders schutz­be­dürf­ti­ge Men­schen. Gera­de sie har­ren im Bom­ben­ha­gel Syri­ens oder in den Elend­sla­gern der Anrai­ner­staa­ten teil­wei­se sehr lan­ge aus, um auf siche­ren Wegen nach Deutsch­land kom­men zu kön­nen. Wird ihnen dies nicht ermög­licht, wer­den sie sich aus Not und Ver­zweif­lung eigen­stän­dig auf den Weg machen. Das Aus­lau­fen der Pro­gram­me und die Behin­de­run­gen beim Fami­li­en­nach­zug haben auch die­je­ni­gen auf irre­gu­lä­re Wege getrie­ben, die in der Ver­gan­gen­heit lega­le Auf­nah­me­mög­lich­kei­ten hat­ten. Und es droht sogar, dass die Lage sich gar verschlimmert:

Bun­des­re­gie­rung will auch den Fami­li­en­nach­zug der Kern­fa­mi­lie erschweren

Die Bun­des­re­gie­rung will den Fami­li­en­nach­zug noch wei­ter ein­schrän­ken. Künf­tig sol­len inter­na­tio­nal sub­si­di­är geschütz­te Flücht­lin­ge nach der Aner­ken­nung zunächst einer zwei­jäh­ri­gen War­te­frist unter­lie­gen und den Fami­li­en­nach­zug dann auch nur unter ver­schärf­ten Bedin­gun­gen rea­li­sie­ren dür­fen. Davon wäre dann auch die Kern­fa­mi­lie (min­der­jäh­ri­ge Kin­der, Ehe­part­ner) betrof­fen. Wür­de die­se Rege­lung Gesetz, wür­den schutz­be­rech­tig­te Men­schen de fac­to zu einer min­des­tens vier oder fünf Jah­re lan­gen Fami­li­en­tren­nung gezwun­gen: Mehr als zwölf Mona­te dau­ert häu­fig das Asyl­ver­fah­ren, zwei Jah­re soll die War­te­frist betra­gen, län­ger als ein Jahr war­ten Nach­zugs­be­rech­tig­te auf einen Ter­min bei der jewei­li­gen deut­schen Botschaft.

PRO ASYL kri­ti­siert die­se geplan­te de-fac­to-Ver­hin­de­rung des Fami­li­en­nach­zugs über Jah­re hin­weg als recht­lich frag­wür­dig und mora­lisch ver­werf­lich.

Aus­set­zung des Fami­li­en­nach­zugs für Syrer?

Die Kern­fa­mi­lie kann von aner­kann­ten Asyl­be­wer­bern auch ohne die Auf­nah­me­pro­gram­me nach Deutsch­land geholt wer­den, auch wenn das in der Pra­xis durch die Über­las­tung der deut­schen Bot­schaf­ten nur schlep­pend geschieht. Innen­mi­nis­ter de Mai­ziè­re möch­te den Schutz­sta­tus von Syrern nun aller­dings ändern – geht es nach ihm, sol­len sie künf­tig nur noch sub­si­diä­ren Schutz erhal­ten. Dann wären auch syri­sche Flücht­lin­ge unmit­tel­bar von die­ser Geset­zes­än­de­rung betrof­fen und müss­ten noch län­ger auf den Nach­zug ihrer Kin­der und Ehe­part­ner war­ten, als bislang.

Die Plä­ne der Regie­rung hal­ten Fami­li­en auseinander

Wer­den die Plä­ne umge­setzt, wer­den Fami­li­en auf Jah­re getrennt. Dies ist zum einen nicht mit dem Grund­recht auf Schutz der Fami­lie (Art. 6 GG) zu ver­ein­ba­ren, zum ande­ren ist der Fami­li­en­nach­zug wich­tig für die Inte­gra­ti­on – das besagt auch das EU-Recht. Dar­in wird betont, die Zusam­men­füh­rung von Fami­li­en trü­ge „zur Schaf­fung sozio­kul­tu­rel­ler Sta­bi­li­tät bei, die die Inte­gra­ti­on Dritt­staats­an­ge­hö­ri­ger in dem Mit­glied­staat erleich­tert“. Dadurch wür­de auch „der wirt­schaft­li­che und sozia­le Zusam­men­halt geför­dert, der als grund­le­gen­des Ziel der Gemein­schaft im Ver­trag auf­ge­führt wird.“ (Erwä­gungs­grund 4 der Familienzusammenführungsrichtlinie)

Wird der Fami­li­en­nach­zug nun ver­wei­gert und über Jah­re hin­weg erschwert, wird das zwangs­läu­fig dazu füh­ren, dass die Ange­hö­ri­gen ent­we­der aku­ten Gefah­ren im Her­kunfts­land aus­ge­setzt sind oder gezwun­gen sind, gefähr­li­che Flucht­we­ge zu wählen.

Stän­di­ge Sor­ge um das Leben der Familie

Vie­le Flücht­lin­ge aus den Kriegs­ge­bie­ten in Syri­en und dem Irak ban­gen täg­lich um das Leben und die Gesund­heit ihrer Ange­hö­ri­gen im Her­kunfts­land oder in Elendslagern.

Dabei geht es nicht nur um die Kern­fa­mi­lie: Die Men­schen sor­gen sich bei­spiels­wei­se um zurück­ge­las­se­ne kran­ke Eltern oder kriegs­ver­sehr­te, trau­ma­ti­sier­te Geschwis­ter. Vie­le der Syrer und Ira­ker in Deutsch­land set­zen aktu­ell auch unter schwie­ri­gen Bedin­gun­gen all ihre Kraft und finan­zi­el­len Mög­lich­kei­ten ein, um Ange­hö­ri­ge am Leben zu hal­ten. Bei der Auf­nah­me von Ver­wand­ten kann die Regie­rung daher auf die Unter­stüt­zung der hier leben­den Men­schen zählen.

Aus­bau anstatt Beschrän­kung von siche­ren und lega­len Wegen

Eine Poli­tik, die jah­re­lan­ge Fami­li­en­tren­nun­gen zur Nor­ma­li­tät macht und Men­schen hilf­los dabei zuse­hen lässt, wie ihre Ange­hö­ri­gen tag­täg­lich in Lebens­ge­fahr schwe­ben, ist zutiefst unmenschlich.

PRO ASYL for­dert daher: Der Fami­li­en­nach­zug der Kern­fa­mi­li­en darf nicht ein­ge­schränkt wer­den. Die Auf­nah­me­pro­gram­me müs­sen fort­ge­führt wer­den, auf die Abga­be einer per­sön­li­chen, nahe­zu unbe­grenz­ten finan­zi­el­len Ver­pflich­tungs­er­klä­rung muss dabei ver­zich­tet wer­den, damit beson­ders Schutz­be­dürf­ti­gen wirk­sam gehol­fen wer­den kann. Die Mög­lich­kei­ten der siche­ren und lega­len Ein­rei­se nach Deutsch­land müs­sen aus­ge­baut wer­den, anstatt sie immer wei­ter zu beschränken.

Auf­nah­me­pro­gram­me für Syri­en- und Irak­flücht­lin­ge fort­set­zen! (02.12.15)

Aus­set­zung des Fami­li­en­nach­zugs wird Frau­en und Kin­der in den Tod schi­cken (09.11.15)