07.07.2020

Ab dem 2. Juli gelten keine Corona-Einreiseverbote mehr für Personen, die zum Zweck des Familiennachzugs nach Deutschland einreisen wollen. Doch die meisten Visa sind inzwischen abgelaufen – und das Auswärtige Amt (AA) legt den Betroffenen bei der »Neuvisierung« Steine in den Weg.

Zunächst die gute Nach­richt: Ab Juli gel­ten nicht nur weni­ger Ein­rei­se­be­schrän­kun­gen gene­rell, die Ein­rei­se zum Zweck des Fami­li­en­nach­zugs wur­de end­lich für alle Per­so­nen offi­zi­ell als »wich­ti­ger Ein­rei­se­grund« aner­kannt (sie­he Pres­ser­klä­rung des Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­ums vom 01.07.2020)! Das erlaubt es, Men­schen mit einem natio­na­len Visum (soge­nann­tes D‑Visum) zum Zweck des Fami­li­en­nach­zugs nach Deutsch­land ein­zu­rei­sen – egal aus wel­chem Land sie kom­men bzw. einreisen.

Der Haken: Inzwi­schen sind vie­le die­ser D‑Visa – die meist für drei Mona­te gül­tig sind – abge­lau­fen. Die Erneue­rung bzw. Ver­län­ge­rung der Visa (soge­nann­te »Neu­vi­sie­rung«) könn­te für eini­ge Betrof­fe­ne zum Pro­blem werden.

Visum während Corona-Einreisebeschränkungen abgelaufen – was nun?

Wie den BMI-Ver­fah­rens­hin­wei­sen vom 12. Juni zu ent­neh­men ist, wur­de ein Ver­fah­ren zur »Neu­vi­sie­rung«  für Visa ein­ge­führt, die wäh­rend der Coro­na-Ein­rei­se­be­schrän­kun­gen abge­lau­fen sind. Die­se Rege­lung gilt für Visa, die in der Zeit nach dem 15. März 2020 zur Ein­rei­se berech­tigt hät­ten (Gül­tig­keits­zeit­raum kann davor begin­nen). Für die Neu­vi­sie­rung wird kei­ne Bear­bei­tungs­ge­bühr erhoben.

Ein-Monats-Frist für »Neuvisierung« 

Die »Neu­vi­sie­rung« soll bei der für die Erst­aus­stel­lung zustän­di­gen deut­schen Aus­lands­ver­tre­tung bean­tragt wer­den kön­nen, sobald die Rei­se­be­schrän­kung auf­ge­ho­ben ist. Das ist seit dem 2. Juli 2020 der Fall! Der Antrag auf »Neu­vi­sie­rung« muss inner­halb einer Frist von einem Monat gestellt wer­den. Frist­be­ginn ist, wenn auf der Sei­te der zustän­di­gen Bot­schaft die Mög­lich­keit der Antrag­stel­lung bekannt gege­ben wur­de. Wenn die­se Frist abläuft ohne dass die Betrof­fe­nen die Mög­lich­keit hat­ten, den Antrag auf  »Neu­vi­sie­rung«  zu stel­len, müss­te ein neu­er Visums­an­trag gestellt wer­den, was zu erheb­li­chen Nach­tei­len füh­ren wür­de (erneu­ter lang­wie­ri­ger Pro­zess; Visa­kos­ten; in man­chen Fäl­len kön­nen sich die zugrund­lie­gen­den Umstän­de ver­än­dern, was zum Ver­lust des Anspruchs füh­ren kann).

Der Antrag auf »Neu­vi­sie­rung« muss inner­halb einer Frist von einem Monat gestellt wer­den. Frist­be­ginn ist, wenn auf der Sei­te der zustän­di­gen Bot­schaft die Mög­lich­keit der Antrag­stel­lung bekannt gege­ben wurde.

PRO ASYL emp­fiehlt allen Betrof­fe­nen, auf­grund der Auf­he­bung der Rei­se­be­schrän­kung zum Zweck des Fami­li­en­nach­zugs sich sofort an die ent­spre­chen­de Aus­lands­ver­tre­tung zu wen­den und die Neu­vi­sie­rung zu bean­tra­gen, um die Ein-Monats-Frist in jedem Fall zu wah­ren.  Sobald auf der Home­page der zustän­di­gen Aus­lands­ver­tre­tung eine Frist und eine Mail­adres­se genannt wird, soll­te dies auf jeden Fall wie­der­holt werden. 

Bis­lang haben fol­gen­de Bot­schaf­ten eine expli­zi­te Frist gesetzt:

Update, 18.09.2020:

  • Laut der Ant­wort der Bun­des­re­gie­rung auf eine Anfra­ge der Grü­nen wur­de die ein­mo­na­ti­ge Frist für die Stel­lung des form­lo­sen Antrags der Neu­vi­sie­rung u.a. beim Fami­li­en­nach­zug an allen deut­schen Aus­lands­ver­tre­tun­gen durch eine pau­scha­le Frist bis zum 31.12.2020 ersetzt. Die­se Rege­lung ist rück­wir­kend bereits ab dem 08.09.2020 in Kraft.
  • Ziel war es, das Ver­fah­ren ein­heit­li­cher und trans­pa­ren­ter zu gestal­ten. Die neue Rege­lung gilt auch für Antragsteller*innen, deren Anträ­ge auf Neu­vi­sie­rung nach der bis­he­ri­gen Rege­lung bereits ver­fris­tet gewe­sen wären.
  • Nähe­re Infor­ma­tio­nen zu den Vor­ge­hens­wei­sen der Aus­lands­ver­tre­tun­gen ent­neh­men Sie bit­te den jewei­li­gen Inter­net­sei­ten. Die neue Frist wur­de aktu­ell jedoch noch nicht auf allen Sei­ten aktualisiert.

Die­se kur­ze Frist­set­zung ist sehr pro­ble­ma­tisch und nicht nach­voll­zieh­bar, ins­be­son­de­re da die Betrof­fe­nen nicht per­sön­lich dar­über infor­miert wer­den – die Frist der Bot­schaft in Bei­rut ist dazu nur äußerst schwer auf der Home­page zu fin­den. Es ist zwar zu begrü­ßen, dass die­se Art der Ver­län­ge­rung der Visa ermög­licht wird, aller­dings soll­te dies mög­lichst unbü­ro­kra­tisch erfol­gen und kei­ne Hür­den schaf­fen. Des­we­gen ist eine Frist­set­zung – beson­ders eine so kur­ze – kon­tra­pro­duk­tiv und auch eini­ge der ande­ren Vor­ga­ben – sie­he unten – legen man­chen Betrof­fe­nen neue Stei­ne in den Weg.

Hier­zu muss man beden­ken: Vie­le der Fami­li­en­mit­glie­der von in Deutsch­land leben­den Geflüch­te­ten leben in schwie­ri­gen Umstän­den in ihren Hei­mat­län­dern oder in Flücht­lings­la­gern in den Nach­bar­län­dern. Im schlimms­ten Fall könn­ten sie ihren Anspruch auf Fami­li­en­nach­zug ver­lie­ren, wenn zum Bei­spiel das Kind voll­jäh­rig gewor­den ist, nur weil sie nicht recht­zei­tig online gehen konnten!

Gute Regelung zur Minderjährigkeit, aber erneute Prüfung anderer Voraussetzungen

Eine gute Nach­richt gibt es für jene Fami­li­en, bei denen Kin­der wäh­rend der Coro­na-Kri­se voll­jäh­rig gewor­den sind und die sich Sor­gen gemacht haben, dass sie damit die Chan­ce auf den Fami­li­en­nach­zug ver­lö­ren. Hier hat das BMI klar­ge­stellt, dass sowohl für den Kin­der­nach­zug (Eltern­teil ist in Deutsch­land) als auch für den Eltern­nach­zug (Kind ist in Deutsch­land) eine zwi­schen­zeit­li­che Voll­jäh­rig­keit bei der »Neu­vi­sie­rung« kein Pro­blem darstellt.

Sowohl für den Kin­der- als auch für den Eltern­nach­zug ist eine zwi­schen­zeit­li­che Voll­jäh­rig­keit bei der Neu­vi­sie­rung kein Problem!

Mit fol­gen­den Vor­ga­ben wird jedoch die »Neu­vi­sie­rung« unnö­tig verkompliziert:

  • Wenn der ursprüng­li­che Visums­an­trag zum Zeit­punkt des Antrags auf »Neu­vi­sie­rung«  mehr als sechs Mona­te zurück­liegt, müs­sen die Antrag­stel­len­den erneut zur Bot­schaft und ihre bio­me­tri­schen Daten abgeben.
  • Urkun­den und Beschei­ni­gun­gen mit begrenz­ter Gül­tig­keit, die inzwi­schen über­schrit­ten wur­de, sol­len inner­halb von drei Mona­ten aktua­li­siert vor­ge­legt wer­den (z.B. Auf­ent­halts­ti­tel des Fami­li­en­mit­glieds in Deutsch­land oder Sprachzertifikate).
  • Beim Fami­li­en­nach­zug für sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­te und beim Nach­zug »sons­ti­ger Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ger« (sprich nicht der Kern­fa­mi­lie) sol­len ein­ge­brach­te Bele­ge für die not­wen­di­gen huma­ni­tä­re Grün­de (z.B. ärzt­li­che Attes­te) inner­halb von drei Mona­ten bestä­tigt bzw. aktua­li­siert wer­den (sie­he hier­zu beson­ders die Bera­tungs­hin­wei­se vom DRK Such­dienst).
  • Auch die Lebens­un­ter­halts­si­che­rung und der aus­rei­chen­de Wohn­ort, sofern sie erfor­der­lich gewe­sen sind, wer­den erneut geprüft.

Die­se Vor­ga­ben könn­ten sich in der Pra­xis als höchst pro­ble­ma­tisch erwei­sen. Kann bei einem abge­lau­fe­nen Sprach­zer­ti­fi­kat aktu­ell coro­nabe­dingt über­haupt ein neu­er Test gemacht wer­den? Bio­me­tri­sche Daten ändern sich nicht, war­um muss hier­für erneut bei der Bot­schaft vor­ge­spro­chen wer­den? Schon zu nor­ma­len Zei­ten ist es oft schwie­rig, ein not­wen­di­ges ärzt­li­ches Attest zu bekom­men – wie ist das erst wäh­rend einer Pan­de­mie, die in vie­len Län­dern den Gesund­heits­sek­tor mas­siv unter Druck setzt? Was, wenn das Fami­li­en­mit­glied in Deutsch­land wegen Coro­na in Kurz­ar­beit ist und so weni­ger Geld als not­wen­dig ver­dient? Auf­grund der lan­gen Bear­bei­tungs­zei­ten von Visums­an­trä­gen sind ein­ge­reich­te Doku­men­te bei Bear­bei­tung durch die Bot­schaft auch nie »tages­ak­tu­ell«, was die Sinn­haf­tig­keit der erneu­ten Ein­rei­chung in Fra­ge stellt. Bei Pro­ble­men in die­sem Sin­ne soll­ten sich die Betrof­fe­nen an Rechtsanwält*innen wenden.

Bürokratisches Verfahren erschwert »Neuvisierung«

Es ist zudem zu befürch­ten, dass die­se Vor­ga­ben zu einem rele­van­ten Arbeits­auf­wand bei den deut­schen Aus­lands­ver­tre­tun­gen füh­ren wer­den und die »Neu­vi­sie­rung« selbst bei Erfül­lung der Kri­te­ri­en nicht sehr schnell erfol­gen wird. Ange­sichts der Tat­sa­che, dass die Fami­li­en bereits sehr lan­ge getrennt sind, soll­te die »Neu­vi­sie­rung« aber zügig erfolgen.

Auf­grund der sehr kur­zen Frist, über die die Betrof­fe­nen nicht infor­miert wer­den, sowie der ande­ren  Vor­aus­set­zun­gen besteht die Gefahr, dass die »Neu­vi­sie­rung« in eini­gen Fäl­len doch nicht zu einer Ver­län­ge­rung des nicht-genutz­ten Visums füh­ren wird. Damit könn­te das Wie­der­se­hen von Ehepartner*innen oder Kin­der für man­che Betrof­fe­ne erneut in wei­te Fer­ne rücken – obwohl sie das Ver­fah­ren für den Fami­li­en­nach­zug schon durch­lau­fen haben. PRO ASYL for­dert, dass das Ver­fah­ren ent­bü­ro­kra­ti­siert wird und den Betrof­fe­nen kei­ne Fris­ten gesetzt wer­den! Zumin­dest müs­sen sie aber recht­zei­tig indi­vi­du­ell über die­se Frist infor­miert wer­den, die auch deut­lich län­ger als nur ein Monat sein sollte.

Die Bera­tungs­hin­wei­se vom DRK Such­dienst zu der aktu­el­len Lage (Stand 01. Juli 2020) bie­ten eine gute Über­sicht und kon­kre­te Hand­lungs­emp­feh­lun­gen für Betrof­fe­ne und Unterstützer*innen.

Rückblick: Einreiseverweigerung trotz Familienzusammenführung?!

Ab dem 17. März 2020 gal­ten in Deutsch­land zur Ein­däm­mung der Coro­na-Pan­de­mie stren­ge Ein­rei­se­be­stim­mun­gen. Als Grund­la­ge wur­de sei­tens des BMI auf die Mit­tei­lung der EU-Kom­mis­si­on »COVID-19: Vor­über­ge­hen­de Beschrän­kung von nicht unbe­dingt not­wen­di­gen Rei­sen in die EU« vom 16. März 2020 ver­wie­sen (sie­he auch die Hin­wei­se zur Umset­zung vom 30. März 2020). Obwohl u.a. die Ein­rei­se aus »zwin­gen­den fami­liä­ren Grün­den« wei­ter erlaubt sein soll­te, wur­de der Fami­li­en­nach­zug zu in Deutsch­land leben­den »Dritt­staat­lern« (kei­ne deut­schen Staats­an­ge­hö­ri­ge oder EU-Bürger*innen, son­dern z.B. geflüch­te­te Men­schen) auf den Web­sei­ten des BMI sowie der Bun­des­po­li­zei nie als Ein­rei­se­grund genannt. Damit muss­ten die Fami­li­en – die meist seit Jah­ren getrennt sind und deren Visa kurz vor Ablauf stan­den – befürch­ten, dass ihnen bei Ankunft an einem deut­schen Flug­ha­fen aus Grün­den der »Gefahr für die öffent­li­che Gesund­heit« die Ein­rei­se ver­wei­gert wor­den wäre.

Eine sol­che Ein­rei­se­ver­wei­ge­rung wäre für die Betrof­fe­nen sowohl pri­vat als auch recht­lich gra­vie­rend und aus Sicht von PRO ASYL nicht ver­tret­bar. Die Fami­lie steht unter beson­de­rem grund­recht­li­chen Schutz, z.B. durch Arti­kel 6 des Grund­ge­set­zes und Arti­kel 8 der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on. Der Fami­li­en­nach­zug dient dazu, die­ses Recht zu erfül­len – dau­ert de fac­to aber schon unter nor­ma­len Umstän­den jah­re­lang. Wenn die Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen eines in Deutsch­land leben­den Flücht­lings ihr Visum zum Fami­li­en­nach­zug bekom­men, sind oft meh­re­re Jah­re ver­gan­gen. Wäh­rend die­ser Zeit leben die Ange­hö­ri­gen zum Teil noch im Kri­sen­ge­biet oder in Flücht­lings­la­gern in den Nach­bar­län­dern. Eine Ein­rei­se­ver­wei­ge­rung wür­de die Fami­li­en­ein­heit erneut ver­zö­gern, in man­chen Fäl­len gar verhindern.

Erst seit Juli ist ein­deu­tig gere­gelt: Jede*r darf zum Fami­li­en­nach­zug nach Deutsch­land einreisen.

Es gäbe zudem mil­de­re Mit­tel als die Ein­rei­se­ver­wei­ge­rung, was eine sol­che Maß­nah­me unver­hält­nis­mä­ßig macht. Die nahe­lie­gen­de Vari­an­te wäre, dass die Ein­rei­sen­den für die übli­chen 14 Tage in Qua­ran­tä­ne gehen oder/und ein Coro­na-Test gemacht wird. Die Grup­pe der Per­so­nen mit D‑Visum zum Fami­li­en­nach­zug ist auch nicht so groß, dass durch ein sol­ches Vor­ge­hen eine Gefahr für die öffent­li­che Gesund­heit ent­ste­hen würde.

Shutdown des Familiennachzugs während der Corona-Pandemie

Ange­sichts der welt­wei­ten Rei­se­be­schrän­kun­gen und dem Her­un­ter­fah­ren des inter­na­tio­na­len Flug­ver­kehrs war es für vie­le bereits unmög­lich noch einen Flug nach Deutsch­land zu buchen. Da das Ver­kehrs­mi­nis­te­ri­um zudem die Rechts­auf­fas­sung des BMI an alle Flug­li­ni­en kom­mu­ni­ziert hat, droh­te selbst bei einer bestehen­den und gebuch­ten Flug­ver­bin­dung, dass die Flug­ge­sell­schaft die Mit­nah­me der Per­so­nen ver­wei­gern würde.

Erst seit Juli ist ein­deu­tig gere­gelt: Jede*r darf zum Fami­li­en­nach­zug nach Deutsch­land ein­rei­sen. In vie­len Fäl­len kommt es nun auf die »Neu­vi­sie­rung« an bzw. dar­auf, dass die deut­schen Aus­lands­ver­tre­tun­gen über­haupt ihre Arbeit bezüg­lich der Aus­stel­lung von Visa wie­der aufnehmen.

(tl / wj)