Image
Das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) dient einmal mehr der Abschreckung von Schutzsuchenden und gehört abgeschafft. Foto: flickr / Medien AG Freiburg / CC BY-NC-SA 2.0

Das Bundesverfassungsgericht stellte 2012 fest: »Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.« Die Konsequenz davon war ein Ende der jahrelangen Leistungskürzungen bei Flüchtlingen. Jetzt will die Bundesregierung die Sozialleistungen für Flüchtlinge wieder beschneiden – mit einer Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes.

Die regel­mä­ßig not­wen­di­ge Anpas­sung der Sozi­al­leis­tungs­be­trä­ge an die Lebens­hal­tungs­kos­ten nimmt das Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Arbeit und Sozia­les zum Anlass, erneut die Axt an die Exis­tenz­si­che­rung von Flücht­lin­gen zu legen. Der ges­tern im Bun­des­ka­bi­nett beschlos­se­ne Gesetz­ent­wurf zur Ände­rung des Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­set­zes (Asyl­bLG) sieht eine gan­ze Rei­he an Leis­tungs­kür­zun­gen für Schutz­su­chen­de vor.

Wäh­rend Hilfeempfänger*innen nach SGB-II/XII ab Janu­ar 2017 mit leich­ten Erhö­hun­gen rech­nen kön­nen, sol­len Flücht­lin­ge weni­ger als bis­lang erhalten:

Einspareffekte auf Kosten von Schutzsuchenden

Flücht­lin­gen, die in Gemein­schafts­un­ter­künf­ten leben müs­sen, wer­den die Asyl­bLG-Leis­tun­gen pau­schal um 10% gekürzt. Begrün­det wird dies mit Ein­spar­ef­fek­ten durch eine gemein­schaft­li­che Haus­halts­füh­rung, die angeb­lich mit der eines Paar­haus­halts ver­gleich­bar sei. Dabei wird das Offen­sicht­li­che igno­riert: Dass es sich bei den Men­schen in staat­li­chen Unter­künf­ten gera­de nicht um frei­wil­li­ge, enge Lebens­part­ner­schaf­ten, son­dern um Zwangs­ge­mein­schaf­ten han­delt, die in der Regel auch nicht gemein­sam haus­hal­ten. Ein­spar­ef­fek­te durch die Kür­zun­gen erge­ben sich dort nicht, aber sicher bei den Behör­den: Zu befürch­ten ist, dass auch wegen die­ser neu­en Rege­lung vie­le Kom­mu­nen wei­ter­hin auf die krank machen­de und inte­gra­ti­ons­feind­li­che Zwangs­un­ter­brin­gung in Sam­mel­un­ter­künf­ten setzen.

Bürokratieaufwand steigt

Die Pau­scha­len für Woh­nungs­in­stand­hal­tung (Schön­heits­re­pa­ra­tu­ren) und Strom wer­den künf­tig vom aus­zu­zah­len­den Regel­satz abge­zo­gen – sie müs­sen dann jeweils geson­dert bean­tragt und als Geld- oder Sach­leis­tung zusätz­lich erbracht wer­den. Das war schon bis­lang zum Teil gän­gi­ge Pra­xis und führt vor allem zu einem mas­siv erhöh­ten Auf­wand für die Betrof­fe­nen wie auch die Ver­wal­tung. Über­dies nimmt die pau­scha­le Kür­zung den Flücht­lin­gen die für Sozi­al­hil­fe­emp­fän­ger aus­drück­lich vor­ge­se­he­ne Mög­lich­keit, mit ihrem Bud­get zu haus­hal­ten, also z.B. durch einen sehr spar­sa­men Umgang mit Strom mehr Geld für Klei­dung zu haben.

Willkürlichen Kürzungen wird Vorschub geleistet

Dar­über hin­aus sieht der Gesetz­ent­wurf die Mög­lich­keit wei­te­rer, indi­vi­du­el­ler Kür­zun­gen im Ein­zel­fall vor. Pau­scha­len für Leis­tun­gen, die nicht nur ein­ma­lig oder kurz­fris­tig »ander­wei­tig gedeckt« wür­den, sol­len vom Geld­be­trag abge­zo­gen wer­den. Die­se Rege­lung stellt einen wei­te­ren Schritt dar, die Aus­ga­be von Sach- statt Geld­leis­tun­gen zu beför­dern. Dabei war erst 2015 die Abkehr vom Sach­leis­tungs­prin­zip ver­ein­bart wor­den, als Teil eines poli­ti­schen Kom­pro­mis­ses, in des­sen Gegen­zug drei Bal­kan­staa­ten als »sicher« defi­niert wor­den waren (»Kret­sch­mann-Deal«). In der Pra­xis dürf­te die Rege­lung die klein­li­che Kür­zungs­phan­ta­sie von Wohn­heim­be­trei­bern und Kom­mu­nen beför­dern und einen Fli­cken­tep­pich unge­recht­fer­tig­ter Kür­zungs­pra­xen nach sich zie­hen. Schon in der Ver­gan­gen­heit wur­de Flücht­lin­gen, weil es WLAN in der Unter­kunft gab, die Pau­scha­le für Tele­kom­mu­ni­ka­ti­on kom­plett gestri­chen – rechts­wid­rig, wie das Sozi­al­ge­richt Lands­hut ein­deu­tig feststellte.

Eben­falls im Gesetz­ent­wurf vor­ge­se­hen ist eine im Grund­satz zu begrü­ßen­de Frei­be­trags­re­ge­lung für Ein­kom­men aus ehren­amt­li­chen Tätig­kei­ten, die jedoch an der grund­sätz­li­chen Schlech­ter­stel­lung nichts ändert und ledig­lich deren Fol­gen in eini­gen Fäl­len abmil­dern könnte.

Verschärftes AsylbLG verhindert Integration

Ins­ge­samt betrach­tet sieht der Gesetz­ent­wurf eine – wie­der ein­mal – ver­fas­sungs­recht­lich frag­wür­di­ge Schlech­ter­stel­lung von Flücht­lin­gen vor. Wie man eine der­art gering­schät­zi­ge und offen­kun­dig dis­kri­mi­nie­ren­de Behand­lung von Flücht­lin­gen noch mit dem bestän­dig wie­der­hol­ten poli­ti­schen Ziel der Inte­gra­ti­ons­för­de­rung in Ein­klang brin­gen will, hat die Bun­des­re­gie­rung im Übri­gen nicht erklärt.

Flüchtlinge werden weiter entmündigt

Das geht wohl auch nicht, denn das Gegen­teil ist der Fall: Das Asyl­bLG wird erneut immer mehr zum Inte­gra­ti­ons­hin­der­nis: Die Men­schen wer­den wie­der stär­ker durch Armut bewusst in ihren Hand­lungs­mög­lich­kei­ten beschränkt und durch Sach­leis­tun­gen ent­mün­digt. Die Pfle­ge zwi­schen­mensch­li­cher Bezie­hun­gen und eine lega­le Teil­ha­be am sozia­len und kul­tu­rel­len All­tag wer­den erschwert oder gar verhindert.

Kürzungen nehmen kein Ende

Der Angriff auf die men­schen­wür­di­ge Ver­sor­gung ist nicht der ers­te seit dem Ver­fas­sungs­ge­richts­ur­teil: Schon im Asyl­pa­ket I vom Okto­ber 2015 hat die Bun­des­re­gie­rung eine Rei­he von Tat­be­stän­den ein­ge­führt, die für bestimm­te Per­so­nen­grup­pen eine – ver­fas­sungs­recht­lich eben­falls äußerst frag­wür­di­ge – Kür­zun­gen der Leis­tun­gen auf weni­ger als die Hälf­te vor­se­hen. Gleich­zei­tig wur­de das Sach­leis­tungs­prin­zip erst­mals auch für den per­sön­li­chen Bedarf ein­ge­führt und damit die Mög­lich­keit des Ent­zugs jeg­li­chen Bar­gelds im Regel­fall – eine bis dato nie­mals geplan­te und unhalt­ba­re Ein­schrän­kung der Hand­lungs­frei­heit der Betroffenen.

Zuletzt senk­te der Gesetz­ge­ber den per­sön­li­chen Bar­be­trag zum 17. März 2016 um zehn Euro ab mit dem Hin­weis auf die Bereit­stel­lung von Inte­gra­ti­ons­kur­sen, die fak­tisch aller­dings nur ein klei­ner Teil der Betrof­fe­nen tat­säch­lich in Anspruch neh­men kann.

Der aktu­el­le Gesetz­ent­wurf belegt nun ein­mal mehr, dass das Asyl­bLG – einst aus­drück­lich erson­nen als Abschre­ckungs­in­stru­ment – nicht reform­fä­hig ist, son­dern immer wie­der, unter Zuhil­fe­nah­me immer neu­er Begrün­dun­gen, als Dis­kri­mi­nie­rungs­in­stru­ment mit per­fi­dem Inhalt gefüllt wird.