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Der »Seehofer-Deal« manövriert am Rechtsstaat vorbei. Das VG München hat nun ein Urteil gefällt. Foto: pixabay / pixel2013

Das VG München hat in einem Eilverfahren nun erstmals angeordnet: Ein Afghane, der nach dem deutsch-griechischen Verwaltungsabkommen – dem sogenannten »Seehofer-Deal« – von der deutsch-österreichischen Grenze direkt nach Griechenland abgeschoben wurde, ist umgehend zurückzuholen. Besonders deutlich wird die Grundsatzkritik gegen den Deal.

Seit Frei­tag liegt der Beschluss vor, der Betrof­fe­ne harrt aber wei­ter­hin in Grie­chen­land in Abschie­bungs­haft aus. Der afgha­ni­sche Schutz­su­chen­de wur­de im Mai nach Über­tritt der deutsch-öster­rei­chi­schen Gren­ze von der Bun­des­po­li­zei im Zug auf­ge­grif­fen. Ohne jeg­li­che Ein­schal­tung des Bun­des­am­tes für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge (BAMF) ent­schied die Bun­des­po­li­zei allein auf Grund­la­ge eines sog. EURO­DAC-1-Tref­fers, d.h. einer Regis­trie­rung und Antrag­stel­lung in Grie­chen­land, die­se Per­son dort­hin zu ver­brin­gen. Eine wei­te­re Prü­fung erfolg­te nicht. Zugang zu einem Rechts­an­walt gab es wäh­rend die­ses Ver­fah­rens fak­tisch nicht. Die Bun­des­po­li­zei beton­te, Rechts­grund­la­ge sei allein das deutsch-grie­chi­sche Abkom­men gewe­sen. Kei­ne 48 Stun­den spä­ter befin­det sich der Betrof­fe­ne in Grie­chen­land – und ist dort mitt­ler­wei­le seit über zwei Mona­ten inhaftiert.

VG bestätigt: Grundlegende Zweifel an Europarechtskonformität

Das VG Mün­chen hat nun erheb­li­che Zwei­fel an der Vor­ge­hens­wei­se der Bun­des­po­li­zei geäu­ßert: Es sei kei­ne euro­pa­recht­li­che Grund­la­ge ersicht­lich, die die­se Maß­nah­me recht­fer­ti­ge. Auch sei die Bun­des­po­li­zei nicht die zustän­di­ge Behör­de – son­dern eben das BAMF, das für die Prü­fung von Asyl­an­trä­gen und dem damit zusam­men­hän­gen­den sog. Dub­lin-Ver­fah­ren zustän­dig ist.

Der See­ho­fer-Deal stellt sich außer­halb des gel­ten­den Rechts

Recht­lich ist die Sache ohne­hin klar – und wur­de mehr­fach von Rechts­exper­tIn­nen wie Gut­ach­te­rin Prof. Dr. Anna Lüb­be bestä­tigt: Die ver­bind­li­che euro­päi­sche Dub­lin-Ver­ord­nung legt das Ver­fah­ren und die Kri­te­ri­en fest, ob und wie ein Asyl­su­chen­der von einem Mit­glied­staat in einen ande­ren Mit­glied­staat über­stellt wer­den kann – nach aus­rei­chen­der Prü­fung und  mit effek­ti­vem Zugang zu Rechts­schutz. Die­se ele­men­ta­ren Rech­te  hat auch der EuGH mehr­fach  her­vor­ge­ho­ben. Der See­ho­fer-Deal  igno­riert das und stellt sich außer­halb des gel­ten­den Rechts.

Nie­mand darf in eine unmensch­li­che oder ernied­ri­gen­de Situa­ti­on abge­scho­ben werden

Die Miss­ach­tung der Rege­lun­gen füh­ren sogar zu dro­hen­den Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen: Nie­mand darf in eine unmensch­li­che oder ernied­ri­gen­de Situa­ti­on abge­scho­ben wer­den (Art. 3 der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on). In Grie­chen­land aber gibt es noch immer kein funk­tio­nie­ren­des Schutz­sys­tem, de fac­to man­gelt es Geflüch­te­ten an Unter­künf­ten, Nah­rungs­mit­teln und medi­zi­ni­scher Basis­ver­sor­gung. Jah­re­lang wur­de wegen der dort herr­schen­den Bedin­gun­gen nicht dort­hin abge­scho­ben. Auch das VG Mün­chen hat wei­ter­hin erheb­li­che Zwei­fel bezüg­lich men­schen­rechts­kon­for­mer Rück­füh­run­gen nach Griechenland.

Ein Jahr Seehofer-Deal = Ein Jahr europa- und menschenrechtswidrige Maßnahmen

Dem Abkom­men zwi­schen Deutsch­land und Grie­chen­land ging ein hef­ti­ger Streit der Gro­ßen Koali­ti­on vor­aus. Schließ­lich einig­te man sich auf einen Kom­pro­miss: rechts­wid­ri­ge Zurück­wei­sung an der Gren­ze. Bun­des­in­nen­mi­nis­ter See­ho­fer schloss dar­auf­hin (neben Spa­ni­en) ein Abkom­men mit Grie­chen­land, wonach Betrof­fe­ne, die in Deutsch­land ein Asyl­ge­such vor­brin­gen und in Grie­chen­land regis­triert wur­den, inner­halb von 48 Stun­den abge­scho­ben wer­den sol­len. Das Abkom­men wur­de zunächst nicht ein­mal den Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten zugäng­lich gemacht. Erst dank unse­rer grie­chi­schen Part­ner in Grie­chen­land Refu­gee Sup­port Aege­an wur­de es öffentlich.

Bis­her sind 26 Zurück­wei­sun­gen nach Grie­chen­land und zwei nach Spa­ni­en erfolgt (Stand Juli 2019). Die Bun­des­po­li­zei ver­such­te sogar, drei min­der­jäh­ri­ge Kin­der mit zwei Erwach­se­nen ohne Ver­fah­ren nach Grie­chen­land abzu­schie­ben – was nach Aus­kunft gegen­über PRO ASYL aber noch am Flug­ha­fen abge­bro­chen wurde.

Fehlender Rechtszugang verhindert Entscheidungen vor Gericht

Mög­lich wer­den sol­che Zurück­wei­sun­gen am Rechts­staat vor­bei vor allem durch den feh­len­den Zugang zu Rechts­an­wäl­tIn­nen sei­tens der Betrof­fe­nen. Das aktu­el­le deut­sche Ver­fah­ren wird von PRO ASYL und Equal Rights Bey­ond Bor­ders unter­stützt, nach­dem erst im Nach­gang über die grie­chi­sche Orga­ni­sa­ti­on AITIMA Zugang zum Betrof­fe­nen erlangt wer­den konnte.

»Die Ent­schei­dung zeigt, dass gel­ten­des Recht nicht durch abstru­se Wunsch­vor­stel­lun­gen umgan­gen wer­den kann. Euro­pa­recht gilt auch an deut­schen Grenzen.«

Bel­lin­da Bar­to­luc­ci, Lei­te­rin der Abtei­lung Rechtspolitik

Bei der nun vor­lie­gen­den Ent­schei­dung han­delt es sich zwar vor­erst um ein Eil­ver­fah­ren – doch bereits die ers­te ange­ord­ne­te Rück­ho­lung zeigt, wel­che Bedeu­tung die­ser Ein­zel­fall hat. Bereits im Mai 2019 ent­schied eine Kam­mer des VG Mün­chen, dass der Betrof­fe­ne zwar in die­sem Ein­zel­fall nicht zurück­ge­holt wer­den müs­se – aber der Argu­men­ta­ti­on der Bun­des­po­li­zei gera­de nicht gefolgt wer­den kön­ne, son­dern die Dub­lin-Ver­ord­nung Anwen­dung fin­de. Gericht­lich ist also klar: Das Euro­pa­recht darf hier nicht igno­riert werden.

(beb)