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Ein Jahr Seehofer-Deal, ein Jahr europa- und menschenrechtswidrige Maßnahmen
Das VG München hat in einem Eilverfahren nun erstmals angeordnet: Ein Afghane, der nach dem deutsch-griechischen Verwaltungsabkommen – dem sogenannten »Seehofer-Deal« – von der deutsch-österreichischen Grenze direkt nach Griechenland abgeschoben wurde, ist umgehend zurückzuholen. Besonders deutlich wird die Grundsatzkritik gegen den Deal.
Seit Freitag liegt der Beschluss vor, der Betroffene harrt aber weiterhin in Griechenland in Abschiebungshaft aus. Der afghanische Schutzsuchende wurde im Mai nach Übertritt der deutsch-österreichischen Grenze von der Bundespolizei im Zug aufgegriffen. Ohne jegliche Einschaltung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) entschied die Bundespolizei allein auf Grundlage eines sog. EURODAC-1-Treffers, d.h. einer Registrierung und Antragstellung in Griechenland, diese Person dorthin zu verbringen. Eine weitere Prüfung erfolgte nicht. Zugang zu einem Rechtsanwalt gab es während dieses Verfahrens faktisch nicht. Die Bundespolizei betonte, Rechtsgrundlage sei allein das deutsch-griechische Abkommen gewesen. Keine 48 Stunden später befindet sich der Betroffene in Griechenland – und ist dort mittlerweile seit über zwei Monaten inhaftiert.
VG bestätigt: Grundlegende Zweifel an Europarechtskonformität
Das VG München hat nun erhebliche Zweifel an der Vorgehensweise der Bundespolizei geäußert: Es sei keine europarechtliche Grundlage ersichtlich, die diese Maßnahme rechtfertige. Auch sei die Bundespolizei nicht die zuständige Behörde – sondern eben das BAMF, das für die Prüfung von Asylanträgen und dem damit zusammenhängenden sog. Dublin-Verfahren zuständig ist.
Der Seehofer-Deal stellt sich außerhalb des geltenden Rechts
Rechtlich ist die Sache ohnehin klar – und wurde mehrfach von RechtsexpertInnen wie Gutachterin Prof. Dr. Anna Lübbe bestätigt: Die verbindliche europäische Dublin-Verordnung legt das Verfahren und die Kriterien fest, ob und wie ein Asylsuchender von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat überstellt werden kann – nach ausreichender Prüfung und mit effektivem Zugang zu Rechtsschutz. Diese elementaren Rechte hat auch der EuGH mehrfach hervorgehoben. Der Seehofer-Deal ignoriert das und stellt sich außerhalb des geltenden Rechts.
Niemand darf in eine unmenschliche oder erniedrigende Situation abgeschoben werden
Die Missachtung der Regelungen führen sogar zu drohenden Menschenrechtsverletzungen: Niemand darf in eine unmenschliche oder erniedrigende Situation abgeschoben werden (Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention). In Griechenland aber gibt es noch immer kein funktionierendes Schutzsystem, de facto mangelt es Geflüchteten an Unterkünften, Nahrungsmitteln und medizinischer Basisversorgung. Jahrelang wurde wegen der dort herrschenden Bedingungen nicht dorthin abgeschoben. Auch das VG München hat weiterhin erhebliche Zweifel bezüglich menschenrechtskonformer Rückführungen nach Griechenland.
Ein Jahr Seehofer-Deal = Ein Jahr europa- und menschenrechtswidrige Maßnahmen
Dem Abkommen zwischen Deutschland und Griechenland ging ein heftiger Streit der Großen Koalition voraus. Schließlich einigte man sich auf einen Kompromiss: rechtswidrige Zurückweisung an der Grenze. Bundesinnenminister Seehofer schloss daraufhin (neben Spanien) ein Abkommen mit Griechenland, wonach Betroffene, die in Deutschland ein Asylgesuch vorbringen und in Griechenland registriert wurden, innerhalb von 48 Stunden abgeschoben werden sollen. Das Abkommen wurde zunächst nicht einmal den Bundestagsabgeordneten zugänglich gemacht. Erst dank unserer griechischen Partner in Griechenland Refugee Support Aegean wurde es öffentlich.
Bisher sind 26 Zurückweisungen nach Griechenland und zwei nach Spanien erfolgt (Stand Juli 2019). Die Bundespolizei versuchte sogar, drei minderjährige Kinder mit zwei Erwachsenen ohne Verfahren nach Griechenland abzuschieben – was nach Auskunft gegenüber PRO ASYL aber noch am Flughafen abgebrochen wurde.
Fehlender Rechtszugang verhindert Entscheidungen vor Gericht
Möglich werden solche Zurückweisungen am Rechtsstaat vorbei vor allem durch den fehlenden Zugang zu RechtsanwältInnen seitens der Betroffenen. Das aktuelle deutsche Verfahren wird von PRO ASYL und Equal Rights Beyond Borders unterstützt, nachdem erst im Nachgang über die griechische Organisation AITIMA Zugang zum Betroffenen erlangt werden konnte.
»Die Entscheidung zeigt, dass geltendes Recht nicht durch abstruse Wunschvorstellungen umgangen werden kann. Europarecht gilt auch an deutschen Grenzen.«
Bei der nun vorliegenden Entscheidung handelt es sich zwar vorerst um ein Eilverfahren – doch bereits die erste angeordnete Rückholung zeigt, welche Bedeutung dieser Einzelfall hat. Bereits im Mai 2019 entschied eine Kammer des VG München, dass der Betroffene zwar in diesem Einzelfall nicht zurückgeholt werden müsse – aber der Argumentation der Bundespolizei gerade nicht gefolgt werden könne, sondern die Dublin-Verordnung Anwendung finde. Gerichtlich ist also klar: Das Europarecht darf hier nicht ignoriert werden.
(beb)