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Das Chancen-Aufenthaltsrecht – eine gemischte Zwischenbilanz
Mit der Einführung des Chancen-Aufenthaltsrechts am 31.12.2022 wollte die Bundesregierung Kettenduldungen entgegenwirken und die Zahl der Langzeitgeduldeten reduzieren, indem ihnen ein Weg zur Aufenthaltssicherung eröffnet wird. Nach gut einem Jahr seit Einführung dieser Regelung ist der gewünschte Effekt merklich, doch könnte er verpuffen.
Das Chancen-Aufenthaltsrecht nach Paragraph 104c Aufenthaltsgesetz (AufenthG) ist eine Aufenthaltserlaubnis, die einer geduldeten Person einmalig für maximal 18 Monate erteilt werden kann und nicht verlängerbar ist. Spätestens nach Ablauf dieser 18 Monate sollten die Bedingungen für die Bleiberechtsregelung nach § 25a AufenthG oder § 25b AufenthG erfüllt sein, damit die Person nicht wieder in den Duldungsstatus zurückfällt. Geduldeten Menschen soll damit nach jahrelanger Integration die Perspektive geboten werden, ein sicheres Leben in Deutschland aufzubauen.
Das Chancen-Aufenthaltsrecht hat im Vergleich zu anderen Bleiberechtsregelungen weniger Voraussetzungen. Eine geduldete Person kann diese 18-monatige Aufenthaltserlaubnis bekommen, wenn sie sich zum Stichtag 31.10.2022 ununterbrochen seit fünf Jahren geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis in Deutschland aufgehalten hat, sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennt und nicht wegen vorsätzlicher Straftaten zu mehr als 50 Tagessätzen verurteilt wurde oder mehrfach über Ihre Identität getäuscht hat.
Der Effekt des Chancen-Aufenthaltsrechts
In der Gesetzesbegründung ging die Bundesregierung davon aus, dass circa 98.000 geduldete Personen das Chancen-Aufenthaltsrecht in Anspruch nehmen werden. Nach einer Befragung des Mediendienstes Integration haben bis zum Anfang des Jahres 2024 bereits mindestens 75.000 Personen den Chancen-Aufenthalt beantragt – die Gesamtzahl liegt vermutlich deutlich höher, da nur elf von 16 Bundesländern entsprechende Daten erhoben und nicht alle Bundesländer Zahlen für das gesamte Jahr vorliegen haben. Zudem kann ein Antrag mehrere Personen umfassen, wenn er für Angehörige mitgestellt wurde. Rund 54.000 Aufenthaltserlaubnisse wurden bereits erteilt, circa 4.000 Anträge wurden abgelehnt. Dadurch sank die Zahl der Ausreisepflichtigen um über 20 Prozent.
Die Einführung des Chancen-Aufenthaltsrechts führte nach einem Jahr bereits dazu, dass die Zahl der Menschen mit Duldung in Deutschland deutlich zurückgegangen ist.
Die Einführung des Chancen-Aufenthaltsrechts führte also bereits nach einem Jahr dazu, dass die Zahl der Menschen mit Duldung in Deutschland deutlich zurückgegangen ist – ein Ergebnis, das sich sehen lässt. Aber leider schlägt die Ampel-Regierung nun einen anderen Kurs ein: Dem rechten Diskurs nach mehr Abschiebungen folgend, hatte sie zuletzt im Januar das sogenannte Rückführungsverbesserungsgesetz beschlossen, das zu mehr Abschiebungen führen und somit die Zahl der Geduldeten reduzieren soll. Es wird aller Voraussicht nach aber vor allem zu mehr Grundrechtsverletzungen und nicht zu deutlich mehr Abschiebungen führen, denn die meisten Ausreisepflichtigen und Geduldeten kommen aus Ländern, deren humanitäre und menschenrechtliche Lage Abschiebungen schlicht nicht zulässt.
Zudem gibt es vielfältige andere individuelle Gründe wie schwerste Erkrankungen, familiäre Bindungen in Deutschland oder eine Berufsausbildung. Diese Gründe machen zwar eine Abschiebung unmöglich, die Menschen bleiben aber trotzdem ausreisepflichtig und damit in der Statistik derer, die das Land verlassen müssen.
Nur wenige haben die Duldung für Personen mit ungeklärter Identität
Die angeblich hohe Zahl der Ausreisepflichtigen kommt also nicht dadurch zustande, dass sich Menschen »nicht abschieben lassen wollen«. Darauf deutet auch die vergleichsweise geringe Zahl der Menschen mit einer »Duldung für Personen mit ungeklärter Identität« hin: Nur circa zehn Prozent haben diese Duldung, weil ihnen von den Ausländerbehörden mangelnde Kooperation bei ihrer eigenen Abschiebung vorgeworfen wird (BT Drucksache 20/9931, S. 3).
Das Chancen-Aufenthaltsrecht zeigt: Eine gut umgesetzte Bleiberechtsregelung senkt wesentlich schneller die Zahl von geduldeten Personen, als härtere Abschiebegesetze. Sie verursachen nur Leid und erschweren die Integrationsbemühungen der Betroffenen.
Das Chancen-Aufenthaltsrecht in der Praxis
Die Beratungserfahrung von PRO ASYL legt nahe, dass die Umsetzung des Chancen-Aufenthaltsrechts grundsätzlich recht gut gelingt und dass die Personen, deren Anträge dennoch abgelehnt wurden, meist tatsächlich eine der Voraussetzungen nicht erfüllen konnten. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn sich die antragstellende Person zum Stichtag noch nicht seit fünf Jahren in Deutschland aufgehalten hat.
Trotzdem gibt es auch ungerechtfertigte Ablehnungen, wenn manche Ausländerbehörden Anforderungen an die Antragstellenden richten, die das Chancen-Aufenthaltsrecht gar nicht vorsieht. Teilweise wird zum Beispiel für die Erteilung des Chancen-Aufenthaltsrechts eine geklärte Identität oder die Passvorlage verlangt. Auch kann es passieren, dass eine Behörde mit einer antragsstellenden Person einen ausführlichen mündlichen Test zum Orientierungskursteil »Leben in Deutschland« durchführt, obwohl dieser Test keine Voraussetzung für den Erhalt des Chancen-Aufenthaltsrechts darstellt.
Anderen wird der Antrag auf das Chancen-Aufenthaltsrecht mit der Begründung abgelehnt, dass sie sich nicht seit fünf Jahren mit den notwendigen Dokumenten in Deutschland aufgehalten hätten – auch wenn dies nur daran lag, dass zum Beispiel die Behörden selbst rechtswidrig keine Duldung für einen gewissen Zeitraum ausgestellt haben. Diese Beispiele zeigen, dass die Umsetzung des Chancen-Aufenthaltsrechts durch die Behörden noch verbesserungsbedürftig ist.
Perspektiven nach dem Chancen-Aufenthaltsrecht
Damit der vom Chancen-Aufenthaltsrecht begünstigte Personenkreis anschließend nicht in die Duldung zurück verfällt, sollten die Behörden den Übergang zur langfristigen Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG oder § 25b AufenthG reibungslos gestalten.
Als Voraussetzung für die Erteilung einer solchen Aufenthaltserlaubnis gilt die geklärte Identität, die in der Regel durch einen gültigen Herkunftspass belegt werden soll. Die Ausländerbehörden können aber davon absehen, wenn die betroffene Person bereits alle zumutbaren Maßnahmen getroffen hat, um ihre Identität klären zu lassen. Bei der Frage der Identitätsklärung wird den Betroffenen jedoch immer wieder ein mangelndes Bemühen unterstellt, obwohl die Passbeschaffung tatsächlich oft sehr kompliziert ist und länger, als die 18 Monate des Besitzes des Chancen-Aufenthaltsrechts dauern kann. In manchen Fällen ist es schlichtweg nicht möglich, die Identität über Dokumente aus dem Herkunftsland verifizieren zu lassen. Damit der Übergang in die Bleiberechtsregelungen trotzdem gelingt, sollten die Behörden ihr Ermessen zu Gunsten der Antragstellenden ausüben.
»Wir werden die Klärung der Identität einer Ausländerin oder eines Ausländers um die Möglichkeit, eine Versicherung an Eides statt abzugeben, erweitern und werden hierzu eine gesetzliche Regelung im Ausländerrecht schaffen«, versprach die Bundesregierung im Koalitionsvertrag. Die Umsetzung dieser Ankündigung würde den Betroffenen eine große Hürde beim Übergang in die Anschlussregelungen nehmen.
Nachhaltig Kettenduldungen vermeiden
Das Chancen-Aufenthaltsrecht wird am 31.12.2025 außer Kraft treten und ist zudem an den fünfjährigen Voraufenthalt zum Stichtag 31.10.2022 geknüpft. Somit werden diejenigen Personen, die nach dem Stichtag eingereist sind und bereits seit langer Zeit mit einer Duldung in Deutschland leben, nie vom Chancen-Aufenthaltsrecht profitieren können. Damit aber auch Geduldete, die schon lange in Deutschland leben, eine Perspektive zur Aufenthaltssicherung erhalten, sollte diese Regelung sowohl entfristet als auch stichtagsunabhängig geregelt werden. Denn nur so kann das Vorhaben der Bundesregierung, nachhaltig Kettenduldungen zu verhindern, die Zahl der Langzeitgeduldeten zu reduzieren und den Betroffenen somit ein würdevolles Leben in Deutschland zu ermöglichen, gelingen.
(ja)