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Heidenau: Brauner Mob belagert Flüchtlingsunterkunft
Seit Freitag fliegen Böller, Steine und Flaschen auf eine Asylunterkunft, Polizisten und antirassistische Demonstranten in Heidenau. Vor einer Strafverfolgung fühlen sich die Nazis offenbar sicher. Justiz und Polizei müssen endlich konsequent gegen rechte Angreifer vorgehen. Maßnahmen zum Schutz der Flüchtlinge sind dringend nötig.
In der sächsischen Kleinstadt Heidenau belagern Rechtsradikale seit Freitagabend eine Unterkunft, in die aktuell Flüchtlinge einziehen. Zeitweise versammeln sich bis zu 300 Nazis. Es fliegen Böller, Steine und Flaschen. Rechtsradikale grölen Hassparolen, errichten Straßenblockaden und greifen Beamte, Gegendemonstrant*innen sowie das Flüchtlingsheim an. Umstehende applaudieren.
Volksfeststimmung: Nazis fühlen sich vor Strafverfolgung sicher
Die Nazis fühlen sich offenbar sicher vor strafrechtlichen Konsequenzen und wollen ihre Macht auf der Straße demonstrieren. Sie greifen ohne Vermummung ihres Gesichts andere Menschen an – selbst als sie auf linke Gegendemonstration losgehen, wie Augenzeugen berichten. Es herrscht Volksfeststimmung: Organisierte rechte Kader aus Heidenau und der sächsischen Umgebung hätten den Tag vor der Unterkunft mit ihren Familien verbracht, berichten Gegendemonstrant*innen.
„Bürger“ und Nazis demonstrieren gemeinsam
Vorangegangen waren mehrere NPD-Demonstrationen gegen die Unterbringung von Flüchtlingen in Heidenau. Sowohl am Mittwoch und Donnerstag verbreiteten Rechte ihren Hass zunächst bei angemeldeten Protesten. An der Demonstration am Freitag mit 1000 Rechten sollen zahlreiche Anwohner*innen teilgenommen haben. „Vor und hinter erkennbar Rechten (laufen) auch scheinbar normale Bürger mit, darunter Frauen mit Kinderwagen und Kinder“, berichtet etwa die TAZ.
Nachdem die offizielle Demonstration mit bis zu 1000 Teilnehmern am Freitag beendet wurde, wird mit einigen Stunden Abstand aus der Hetze Gewalt. 200 bis 300 Nazis blockieren erst die Zufahrt zum Heim, dann fliegen Steine, Feuerwerkskörper und Flaschen auf die Unterkunft und auf Polizisten. Aus der Menge gibt es Applaus, wenn die Nazis die Unterkunft oder Menschen treffen.
Gegendemonstranten bleiben weitgehend schutzlos
Die ausländerfeindlichen Krawalle setzen sich auch Samstagnacht fort. Ein elfminütiges Video, dass von den Angreifern ins Netzt gestellt wurde, zeigt wie Rechtsradikale immer wieder eine Polizeikette mit Feuerwerkskörpern, Flaschen und Steinen angreifen, Blockaden errichten und Hetzparolen rufen. Entgegen der bisherigen Meldungen, berichten Augenzeugen, dass die Angriffe der Nazis zunächst der Gegendemonstration galten, die sich in Solidarität zu den Flüchtlingen versammelt hatte.
Augenzeugen, die am Samstag an einer Gegendemonstration teilnahmen, gaben gegenüber PRO ASYL an, dass sie weitgehend ungeschützt 250–300 Angreifern gegenüberstanden, obschon die Polizei in direkter Nähe war. Die Polizei habe erst eingegriffen, als Nazis mit Zaunlatten und Böllern auf Antirassist*innen losgingen, die die Unterkunft zu schützen versuchten. Polizisten hätten dabei keine Helme getragen, zu wenig Polizei sei vor Ort gewesen. Offenbar schaffte es die Polizei nicht einmal in der zweiten Krawallnacht für Sicherheit zu sorgen und die Pogromstimmung zu beenden. Erst nachdem Sachsens Ministerpräsident Tillich am Sonntag den Ort besucht hatte, wurden ausreichend Einsatzkräfte herangefahren und eine Sicherheitszone um die Unterkunft errichtet. Von einer adäquaten Gefahreneinschätzung fehlte bis dato jede Spur.
Zahl rechtsextremer Angriffe drastisch gestiegen
Die Zahl der rechtsextremistischen Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte im Jahr 2014 hat sich mit 170 gegenüber dem Vorjahr mehr als verdreifacht – 2013 waren es laut Verfassungsschutz 55. Auch im ersten Halbjahr 2015 (Stand 28.6.2015) gab es laut Bundesinnenministerium bereits 150 gegen Flüchtlingsunterkünfte gerichtete Straftaten, zu denen in der Statistik des Verfassungsschutzes Sachbeschädigungen und Propagandadelikte wie das Zeigen des Hitlergrußes zählen. Die Statistiken für 2015 können nur schwer aktuell gehalten werden, da sich jeden Tag neue Anschläge ereignen, so wurde in der Nacht zu Montag im baden-württembergischen Weissach eine künftige Flüchtlingsunterkunft angezündet.
Maßnahmen zum Schutz der Flüchtlinge dringend notwendig
Insbesondere die Innenminister von Bund und Ländern tragen die politische Verantwortung dafür, dass Flüchtlinge und Migrant*innen in Deutschland vor Anschlägen und rassistischen Angriffen effektiv geschützt werden. Sie müssen geeignete Maßnahmen zum Schutz der Betroffenen ergreifen und sich klar auf ihre Seite stellen. Es darf kein Zweifel daran gelassen werden, dass Gewalt und Anfeindungen gegenüber Flüchtlingen und Migrant*innen in Deutschland geächtet und mit aller Härte strafrechtlich verfolgt werden. Gleichzeitig müssen effektive Maßnahmen zum Schutz von Flüchtlingen ergriffen werden. Dazu gehören mehrsprachige Notrufnummern, Polizeischutz bei Gefahrensituationen und ein Verbot bedrohlicher Kundgebungen vor Unterkünften.
Als Anfang der 1990er Jahre Pogrome gegen Flüchtlinge und Ausländer von Nazis verübt wurden, konnten sich ebenfalls viele rechte Kader in Gewissheit wiegen, keine ernsthaften Konsequenzen durch die Sicherheitsbehörden und die Politik fürchten zu müssen. Der nächste Schritt war eine massive Radikalisierung der Szene, die in der Bildung des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) gipfelte, der kaltblütig zehn Menschen in Deutschland ermordete. Will man die richtigen Lehren aus dem NSU ziehen, dürfen sich die Nazis nicht erneut durch fehlende Konsequenzen in ihren Aktionen bestätigt sehen.
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