Image
Demonstration zur Konferenz der Innenminister*innen in Würzburg. Foto: PRO ASYL / Jonas Bickmann

Ein halbes Jahr nach Amtsantritt wird ein erstes migrationspolitisches Vorhaben aus dem Koalitionsvertrags auf den Weg gebracht: Das Chancen-Aufenthaltsrecht. Doch der Entwurf ist so restriktiv, dass die Regelung leer laufen könnte. Es muss nachgebessert werden! Vorgesehene Verschärfungen bei Ausweisung und Abschiebungshaft gehören gestrichen.

Es ist eins der zen­tra­len Vor­ha­ben aus dem Kapi­tel zu Inte­gra­ti­on, Migra­ti­on und Flucht des Koali­ti­ons­ver­trags der Ampel-Regie­rung und könn­te für 100.000 Men­schen lebens­ver­än­dernd sein: Das Chan­cen-Auf­ent­halts­recht. Über 240.000 Men­schen leben in Deutsch­land nur mit einer soge­nann­ten Dul­dung. Das bedeu­tet oft, dass sie jeder­zeit abge­scho­ben wer­den könn­ten. Es fehlt somit an Sicher­heit und Per­spek­ti­ve, vie­le dür­fen nicht ein­mal arbei­ten. Für fast die Hälf­te von ihnen, etwa 100.000 Men­schen, könn­te das Chan­cen-Auf­ent­halts­rechts eine Kehrt­wen­de bedeu­ten. Denn sie sind schon seit fünf Jah­ren oder län­ger in Deutsch­land und könn­ten damit durch das Chan­cen-Auf­ent­halts­recht eine Auf­ent­halts­er­laub­nis auf Pro­be bekom­men, um anschlie­ßend in eine ech­te Blei­be­rechts­re­ge­lung reinzuwachsen.

Im Wort­laut heißt es im Koalitionsvertrag:

»Der bis­he­ri­gen Pra­xis der Ket­ten­dul­dun­gen set­zen wir ein Chan­cen-Auf­ent­halts­recht ent­ge­gen: Men­schen, die am 1. Janu­ar 2022 seit fünf Jah­ren in Deutsch­land leben, nicht straf­fäl­lig gewor­den sind und sich zur frei­heit­li­chen demo­kra­ti­schen Grund­ord­nung beken­nen, sol­len eine ein­jäh­ri­ge Auf­ent­halts­er­laub­nis auf Pro­be erhal­ten kön­nen, um in die­ser Zeit die übri­gen Vor­aus­set­zun­gen für ein Blei­be­recht zu erfül­len (ins­be­son­de­re Lebens­un­ter­halts­si­che­rung und Iden­ti­täts­nach­weis gemäß §§ 25 a und b AufenthG)

Bis zur gesetzlichen Umsetzung droht die Abschiebung

Doch zunächst ein­mal folg­te auf die­se hoff­nungs­vol­le Ankün­di­gung im Koali­ti­ons­ver­trag eine – meist wei­ter­hin andau­ern­de – Hän­ge­par­tie: Denn solan­ge es kei­ne gesetz­li­che Umset­zung gibt, gibt es selbst für die Men­schen, die ein­deu­tig unter die Rege­lung fal­len wür­den, noch kei­nen Schutz vor Abschie­bung. Und vie­ler­orts wird dies von Aus­län­der­be­hör­den genutzt und ent­spre­chen­de Abschie­bun­gen durch­ge­führt. Um dies zu ver­hin­dert hat PRO ASYL die Kam­pa­gne #Recht­Auf­Zu­kunft gestar­tet, mit der die Bun­des­län­der auf­ge­for­dert wer­den, über Vor­griffs­er­las­se ihre Aus­län­der­be­hör­den anzu­wei­sen, sol­che Abschie­bun­gen zu unterlassen.

Seit Mit­te Juni liegt nun ein Refe­ren­ten­ent­wurf aus dem Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um zur Umset­zung des Chan­cen-Auf­ent­halts­recht sowie wei­te­rer Rege­lun­gen vor – ein Inkraft­tre­ten des Geset­zes ist damit erst im Herbst rea­lis­tisch. Doch der Vor­schlag ist so gestal­tet, dass vie­le Men­schen ent­ge­gen dem Koali­ti­ons­ver­trag aus­ge­schlos­sen wer­den könn­ten oder die Gefahr besteht, dass sie den Wech­sel in ein Blei­be­recht nicht schaf­fen und nach der ein­jäh­ri­gen Auf­ent­halts­er­laub­nis auf Pro­be wie­der in der Dul­dung lan­den. PRO ASYL hat den Ent­wurf detail­liert kom­men­tiert (sie­he Stel­lung­nah­me).

Regelung entfristen!

Laut Refe­ren­ten­ent­wurf sol­len Per­so­nen mit Dul­dung, die bis zum 1. Janu­ar 2022 fünf Jah­re in Deutsch­land gedul­det, gestat­tet oder mit einer Auf­ent­halts­er­laub­nis aus huma­ni­tä­ren Grün­den gelebt haben, die Auf­ent­halts­er­laub­nis auf Pro­be bekom­men (Ach­tung: wei­te­re Bedin­gun­gen gel­ten, dazu wei­ter unten). Die­se wird dann für ein Jahr ausgestellt.

Ange­sichts des unter ande­rem durch den Krieg in der Ukrai­ne ver­zö­ger­ten Gesetz­ge­bungs­pro­zes­ses ist der im Koali­ti­ons­ver­trag vor­ge­se­he­ne Stich­tag vom 1. Janu­ar 2022 aus Sicht von PRO ASYL nicht mehr ange­bracht. Bis das Gesetz in Kraft tritt wer­den vie­le der Begüns­tig­ten bereits sechs Jah­re mit Dul­dung in Deutsch­land gelebt haben und wei­te­re bereits seit fünf Jah­ren hier leben. Um auch in Zukunft Ket­ten-Dul­dun­gen zu ver­mei­den, wäre aus Sicht von PRO ASYL eine Ent­fris­tung der Rege­lung ziel­füh­rend. Zumin­dest soll­te der Stich­tag aber mit dem Inkraft­tre­ten der Rege­lung korrespondieren.

Chancen-Aufenthaltsrecht nicht einschränken!

Der vor­lie­gen­de Refe­ren­ten­ent­wurf setzt zudem die Vor­ga­ben des Koali­ti­ons­ver­trags nicht aus­rei­chend um und weist ver­schie­de­ne Kon­struk­ti­ons­feh­ler auf. Laut dem aktu­el­len Vor­schlag wird zum Bei­spiel nicht von der Erfül­lung der Pass­pflicht als Vor­aus­set­zung für einen Auf­ent­halts­ti­tel abge­se­hen. Damit wür­de abseh­bar ein Groß­teil der ansons­ten begüns­tig­ten Per­so­nen vom Chan­cen-Auf­ent­halts­recht aus­ge­schlos­sen wer­den. Denn die Beschaf­fung eines Pas­ses ist oft die größ­te Hür­de bei der Iden­ti­täts­klä­rung, für die das Chan­cen-Auf­ent­halts­recht gera­de gedacht ist.

Der säch­si­sche Flücht­lings­rat macht mit Fäl­len aus sei­ner Bera­tungs­pra­xis auf die Pro­ble­me bei Iden­ti­täts­klä­rung und ins­be­son­de­re der Pass­be­schaf­fung deutlich:

Nach der Ableh­nung sei­nes zwei­jäh­ri­gen Asyl­ver­fah­rens wur­de Ramin 2017 die Dul­dung erteilt. Damit konn­te er wei­ter­hin einer regel­mä­ßi­gen Beschäf­ti­gung nach­ge­hen, ver­dien­te sei­nen Lebens­un­ter­halt selbst, mie­te­te sei­ne eige­ne Woh­nung an.

Im Sep­tem­ber 2020 wur­de ihm die »Dul­dung light« erteilt. Eine Geburts­ur­kun­de wur­de nicht als aus­rei­chend für die Iden­ti­täts­klä­rung erach­tet. Damit wur­de Ramin sei­ne Arbeits­er­laub­nis umge­hend ent­zo­gen, er muss­te sich wie­der um Asyl­be­wer­ber­leis­tun­gen regis­trie­ren und erhielt für einen gesam­ten Monat ledig­lich 160€ für Lebens­mit­tel, Fahr­kar­ten, um Ter­mi­ne wahr­zu­neh­men, Kör­per­hy­gie­ne, Klei­dung etc.

Der Ter­min bei der afgha­ni­schen Bot­schaft zur Pass­be­an­tra­gung brach­ten ihm weder Dul­dung noch Arbeits­er­laub­nis zurück. In der Zwi­schen­zeit regie­ren die Tali­ban wie­der in Afgha­ni­stan. Auf­grund der dar­aus resul­tie­ren­den Unmög­lich­keit der Pass­be­schaf­fung erhielt er Ende 2021 Dul­dung und Arbeits­er­laub­nis zurück. Doch kann er, obwohl er inzwi­schen wie­der in Voll­zeit sozi­al­ver­si­che­rungs­pflich­tig beschäf­tig ist, ange­sichts der restrik­ti­ven Pra­xis in Sach­sen jemals einen Auf­ent­halt ohne gül­ti­gen Rei­se­pass beantragen?

* Name zum Schutz der Per­son geändert

Har­leen reis­te 2013 aus Indi­en nach Deutsch­land ein. Ihr Ehe­mann in Indi­en hat sie geschla­gen, getre­ten, ein­ge­sperrt. Wegen ihrer Flucht nach Deutsch­land will die Ver­wandt­schaft nichts mehr mit ihr zu tun haben, ver­sagt ihr jeg­li­che Unterstützung.

Nach einem abge­lehn­ten Asyl­an­trag 2015 arbei­te­te Har­leen im Sta­tus der Dul­dung jah­re­lang in einer Bäcke­rei und hat­te gro­ße Freu­de dar­an. 2017 hei­ra­te­te sie reli­gi­ös ihren aus Paki­stan stam­men­den Mann. Die Ende 2019 ein­ge­führ­te »Dul­dung light« wur­de ihr wegen feh­len­dem Pass umge­hend von der Aus­län­der­be­hör­de erteilt. Sie konn­te nur eine Kopie ihres alten Rei­se­pas­ses vor­le­gen, doch genüg­te dies nicht als Identitätsnachweis.

Wegen des Beschäf­ti­gungs­ver­bo­tes, das mit der »Dul­dung light« ein­her­geht, muss­te sie den Arbeits­platz kün­di­gen. 2020 beka­men sie und ihr neu­en Mann einen Sohn. Seit Janu­ar 2020 bemüht sie sich um die Pass­be­schaf­fung und den Iden­ti­täts­nach­weis. Da sie gemäß indi­schem Recht nach wie vor ver­hei­ra­tet ist und für die Pass­be­an­tra­gung die Erlaub­nis des Ehe­man­nes vor­lie­gen muss, ver­such­te sie ein Schei­dungs­ver­fah­ren über einen Ver­trau­ens­an­walt in Indi­en einzuleiten.

Für die­ses Ver­fah­ren benö­tigt der Anwalt aber eine bei der Bot­schaft unter­zeich­ne­te Voll­macht. Aller­dings ver­langt die Bot­schaft dafür ein gül­ti­ger Rei­se­pass. In der Qua­dra­tur des Krei­ses ist weder die Schei­dung, noch die Pass­be­an­tra­gung mög­lich. Trotz­dem fährt sie auf wie­der­hol­te Auf­for­de­rung der Aus­län­der­be­hör­de immer wie­der ver­geb­lich zur Botschaft.

Außer­dem sieht der Refe­ren­ten­ent­wurf die Ein­fü­gung des im Koali­ti­ons­ver­trag nicht vor­ge­se­he­nen Aus­schlus­ses von Per­so­nen vor, deren Abschie­bung auf­grund ver­meint­lich fal­scher Anga­ben oder Täu­schung über ihre Iden­ti­tät oder Staats­an­ge­hö­rig­keit aus­ge­setzt ist. Damit wird nicht nur ein zusätz­li­cher Prü­fungs­schritt vor­ge­se­hen, es ist auch abseh­bar, dass dies in der Pra­xis in man­chen Bun­des­län­dern, wie Sach­sen oder Bay­ern, durch die ört­li­che restrik­ti­ve Anwen­dung zum Aus­schluss vie­ler Men­schen führt, die vom Bun­des­ge­setz­ge­ber gar nicht gemeint sind.

Der Aus­schluss­grund wegen Straf­fäl­lig­keit ist außer­dem viel zu nied­rig­schwel­lig ange­setzt und es wird sogar eine extrem bedenk­li­che – nach Sicht vie­ler Jurist*innen und auch Gerich­ten ver­fas­sungs­wid­ri­ge – Form der Sip­pen­haf­tung ein­ge­führt, die die gesam­te Fami­lie vom Chan­cen-Auf­ent­halts­recht aus­schließt, wenn ein Mit­glied unter den Aus­schluss­grund fällt. Die­ser Ver­schär­fun­gen der im Koali­ti­ons­ver­trag vor­ge­se­he­nen Rege­lung müs­sen wie­der gestri­chen werden!

Verlängerungsoption muss auf den Tisch

Ange­sichts der unkla­ren wirt­schaft­li­chen Ent­wick­lun­gen im Zuge des Kriegs in der Ukrai­ne besteht die Gefahr, dass es für vie­le Men­schen – ins­be­son­de­re Fami­li­en – letzt­lich schwie­rig wer­den wird, alle Vor­aus­set­zun­gen für den Über­gang in ein Blei­be­recht zu erfül­len. Für ein Blei­be­recht bei nach­hal­ti­ger Inte­gra­ti­on (§ 25b Auf­enthG) sind zum Bei­spiel neben der Iden­ti­täts­klä­rung auch die über­wie­gen­de Siche­rung des Lebens­un­ter­halts – was letzt­lich einen regel­mä­ßi­gen Job vor­aus­setzt –  und münd­li­che Deutsch­kennt­nis­se auf A2-Niveau not­wen­dig. Letz­te­res kann eine Her­aus­for­de­rung wer­den, da vie­le Betrof­fe­ne bis­lang kei­nen Anspruch auf z.B. einen Inte­gra­ti­ons­kurs hat­ten. Daher soll­te eine Ver­län­ge­rungs­mög­lich­keit des Chan­cen-Auf­ent­halts­rechts für Fäl­le vor­ge­se­hen wer­den, in wel­chen die Betrof­fe­nen unver­schul­det nicht in der Lage waren, sämt­li­che Vor­aus­set­zun­gen für ein Blei­be­recht bin­nen Jah­res­frist zu bewerkstelligen.

Um den Über­gang in ein Blei­be­recht nicht für vie­le zum Stol­per­stein zu machen muss auch ein wei­te­res Ver­spre­chen des Koali­ti­ons­ver­trags ein­ge­löst wer­den: Die Iden­ti­täts­klä­rung per Ver­si­che­rung an Eides statt. Denn wie die Bei­spie­le vom säch­si­schen Flücht­lings­rat zei­gen kann die Iden­ti­täts­klä­rung für man­che Men­schen trotz ent­spre­chen­der Bemü­hung ein dau­er­haf­tes Pro­blem und letzt­lich Sper­re für Blei­be­rechts­re­ge­lun­gen sein. Sie müs­sen unter die Fra­ge der ver­meint­lich unge­klär­ten Iden­ti­tät einen Schluss­strich zie­hen können.

»Rückkehroffensive« bedeutet auch bei der Ampel-Regierung problematische Gesetzesverschärfungen

Auch eine wei­te­re nega­ti­ve Über­ra­schung hat der Refe­ren­ten­ent­wurf im pet­to: Neben dem Chan­cen-Auf­ent­halts­recht und im Koali­ti­ons­ver­trag vor­ge­se­he­nen Ver­bes­se­run­gen – u.a. bei den Blei­be­rechts­re­ge­lun­gen für gut inte­grier­te Jugend­li­che und Her­an­wach­sen­de sowie für gut inte­grier­te Erwach­se­ne – sieht der Ent­wurf auch im Koali­ti­ons­ver­trag nicht ver­an­ker­te Ver­schär­fung bei der Aus­wei­sung von Schutz­be­rech­tig­ten sowie bei der Abschie­bungs­haft für Straftäter*innen vor.

Der Stan­dard für eine Aus­wei­sung, durch die der Auf­ent­halts­ti­tel wegen einer Gefahr für die öffent­li­che Sicher­heit und Ord­nung, ent­zo­gen und die Per­son aus­rei­se­pflich­tig wird, soll bei Asyl­be­rech­tig­ten, Flücht­lin­gen und sub­si­di­är Schutz­be­rech­ti­gen– mit Ver­weis auf eine fal­sche euro­pa­recht­li­che Grund­la­ge – abge­senkt wer­den. Unzu­läs­sig ist die vor­ge­se­he­ne Geset­zes­än­de­rung aber vor allem im Hin­blick dar­auf, dass künf­tig auch gene­ral­prä­ven­ti­ve Grün­de – in Form der Abschre­ckung poten­ti­ell künf­tig straf­fäl­li­ger Ausländer*innen – für eine Aus­wei­sung genü­gen sol­len und nicht mehr dar­auf abge­stellt wer­den soll, dass tat­säch­lich (noch) von der aus­zu­wei­sen­den Per­son selbst eine Gefahr ausgeht.

Im Regel­fall darf Abschie­bungs­haft nur dann ange­ord­net wer­den, wenn die Abschie­bung inner­halb von drei Mona­ten durch­ge­führt wer­den kann. Denn Abschie­bungs­haft muss stets ulti­ma ratio sein und auf die kür­zest mög­li­che Zeit begrenzt wer­den. Nach dem vor­lie­gen­den Refe­ren­ten­ent­wurf wird beab­sich­tigt, die Aus­nah­me für die­se Drei-Monats-Gren­ze von »Gefähr­dern« auch auf man­che Straftäter*innen aus­zu­wei­ten. Die vor­ge­schla­ge­ne Rege­lung ist weder ver­hält­nis­mä­ßig noch not­wen­dig. Denn die Abschie­bung kann bei Straftäter*innen unmit­tel­bar nach Ver­bü­ßung der Straf­haft vor der Ent­las­sung aus der­sel­ben vor­ge­nom­men wer­den – die Aus­län­der­be­hör­den hat­ten genug Zeit die­se wäh­rend der Straf­haft vor­zu­be­rei­ten. Eine über die Straf­haft andau­ern­de Abschie­bungs­haft stellt sich vor die­sem Hin­ter­grund in der Regel als unnö­tig und damit als unver­hält­nis­mä­ßig dar.

Selbst unter SPD-Füh­rung lebt das Nar­ra­tiv fort, dass jede Ver­bes­se­rung durch eine Ver­schlech­te­rung erkauft wer­den muss.

Seehofer-Mentalität lebt weiter im Bundesinnenministerium

In der Pra­xis wird Abschie­bungs­haft laut der Erfah­rung von Rechtsanwält*innen cir­ca in der Hälf­te der Fäl­le recht­wid­rig ange­ord­net (sie­he hier­zu auch das Inter­view mit PRO ASYL Men­schen­rechts­preis­trä­ger Rechts­an­walt Peter Fahl­busch anläss­lich des Refe­ren­ten­ent­wurfs). Dies ist ange­sichts des hohen ver­fas­sungs­recht­li­chen Guts der Frei­heit ein recht­staat­li­cher Skan­dal und macht zwar den eigent­lich not­wen­di­gen Reform­be­darf deut­lich, der aber gera­de nicht durch die vor­ge­se­he­ne Ver­schär­fung der Abschie­bungs­haft gedeckt wird.

Dass im Refe­ren­ten­ent­wurf das »Huma­ni­tät und Ordnung«-Credo von Ex-Innen­mi­nis­ter See­ho­fer direkt in der Ein­lei­tung zur Begrün­dung der Ver­schär­fung auf­ge­nom­men wird, zeigt: Selbst unter SPD-Füh­rung lebt das Nar­ra­tiv fort, dass jede Ver­bes­se­rung durch eine Ver­schlech­te­rung erkauft wer­den muss. Mit einem »Neu­an­fang in der Migra­ti­ons- und Inte­gra­ti­ons­po­li­tik« oder einem Para­dig­men­wech­sel in der Flücht­lings­po­li­tik, wie im Koali­ti­ons­ver­trag ver­spro­chen, hat das nichts zu tun. Bei­de Ver­schär­fun­gen sind aus Sicht von PRO ASYL auf­grund der genann­ten recht­li­chen Beden­ken aus dem Ent­wurf zu streichen.

Weitere Anliegen des Koalitionsvertrags im Entwurf unzureichend oder gar nicht umgesetzt

Wenn nicht ver­ein­bar­te Ver­schär­fun­gen bei Aus­wei­sung und Abschie­bungs­haft im Refe­ren­ten­ent­wurf zu fin­den sind, dann fragt man sich, war­um z. B. die im Koali­ti­ons­ver­trag expli­zit vor­ge­se­he­ne Strei­chung der »Dul­dung Light« noch nicht im Ent­wurf ent­hal­ten ist. Neben einem auto­ma­ti­schen Arbeits­ver­bot wenn angeb­lich nicht alles Zumut­ba­re für die Iden­ti­täts­klä­rung getan wur­de, fun­giert die Dul­dung Light auch als Sper­re zu Blei­be­rechts­re­ge­lun­gen. Ent­spre­chend wür­de die Strei­chung sich sinn­voll in den vor­lie­gen­den Refe­ren­ten­ent­wurf ein­glie­dern. Auch die ver­spro­che­ne Abschaf­fung sämt­li­cher Arbeits­ver­bo­te lässt der vor­lie­gen­de Gesetz­ent­wurf vermissen.

Neben der Ein­füh­rung des Chan­cen-Auf­ent­halts­rechts und der Ände­run­gen beim Blei­be­recht wer­den wei­te­re Ände­run­gen durch den Refe­ren­ten­ent­wurf vor­ge­schla­gen. Doch auch die vor­ge­se­he­ne Öff­nung der Inte­gra­ti­ons­kur­se sowie das Abse­hen vom Erfor­der­nis ein­fa­cher deut­scher Sprach­kennt­nis­se beim Ehe­gat­ten­nach­zug wer­den nicht voll­stän­dig, dem Koali­ti­ons­ver­trag ent­spre­chend, umge­setzt (sie­he hier­zu die Aus­füh­run­gen in der Stel­lung­nah­me).

Jede Woche, jeder Tag kann für die Men­schen, die spä­ter vom Chan­cen-Auf­ent­halts­recht pro­fi­tie­ren kön­nen, den Unter­schied ums Gan­ze machen, wenn sie wei­ter­hin nicht vor Abschie­bung geschützt sind.

Fazit: Grundlegende Überarbeitung dringend notwendig!

Die Ana­ly­se des Refe­ren­ten­ent­wurfs macht also deut­lich: Wenn das Chan­cen-Auf­ent­halts­recht ein Erfolg wer­den soll und tat­säch­lich einer signi­fi­kan­ten Zahl an Men­schen zum ers­ten Mal eine Per­spek­ti­ve und Sicher­heit in Deutsch­land geben soll, dann ist noch eini­ges zu tun. Basie­rend auf der detail­lier­ten Stel­lung­nah­me setzt sich PRO ASYL nun für die not­wen­di­gen Ver­bes­se­run­gen ein. Der nächs­te Schritt ist, dass das Kabi­nett über den – hof­fent­lich bereits nach­ge­bes­ser­ten – Ent­wurf abstim­men wird. Doch auch im anschlie­ßen­den par­la­men­ta­ri­schen Ver­fah­ren, das erst nach der Som­mer­pau­se star­ten wird, kön­nen noch Ände­run­gen erfolgen.

Das Pro­blem: Jede Woche, jeder Tag kann für die Men­schen, die spä­ter vom Chan­cen-Auf­ent­halts­recht pro­fi­tie­ren kön­nen, den Unter­schied ums Gan­ze machen, wenn sie wei­ter­hin nicht vor Abschie­bung geschützt sind. Unter­stützt des­we­gen die Kam­pa­gne #Recht­Auf­Zu­kunft und macht euch gegen­über euren zustän­di­gen Minister*innen und Senator*innen für ent­spre­chen­de Vor­griffs­re­geln stark!

(wj)