02.07.2015
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Das neue Gesetz droht Flüchtlingen mit Abschiebungshaft, die aus einem anderen EU-Staat nach Deutschland kommen, ohne dort ihr Asylverfahren abgewartet zu haben. Das trifft unter anderen auch Schutzsuchende, die nach Deutschland kommen, weil sie hier Angehörige haben.

Heute soll im Bundestag das „Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und Aufenthaltsbeendigung“ verabschiedet werden. Das Gesetz enthält nicht nur eine Bleiberechtsregelung - es führt auch zu einer Ausweitung der Abschiebungshaft. Künftig droht Flüchtlingen, die unter die Dublin-Regelung fallen, wieder vermehrt die Inhaftierung.

Dass mit dem Gesetz erst­mals eine bun­des­ge­setz­li­che stich­tags­un­ab­hän­gi­ge Blei­be­rechts­re­ge­lung beschlos­sen wird, ist zunächst eine gute Nach­richt: Die Rege­lung ver­spricht, das Pro­blem der Lang­zeit­ge­dul­de­ten zu lösen.

Zugleich sieht das Gesetz jedoch zahl­rei­che Haft­grün­de vor, die zu einer Aus­wei­tung der Abschie­bungs­haft füh­ren. Künf­tig droht Flücht­lin­gen, die etwa in einem ande­ren EU-Land einen Asyl­an­trag gestellt haben, aber ohne des­sen Aus­gang abzu­war­ten, nach Deutsch­land wei­ter­ge­reist sind, hier­zu­lan­de die Inhaftierung.

Das ist äußerst pro­ble­ma­tisch, denn in vie­len EU-Staa­ten an den Außen­gren­zen wie Ita­li­en, Grie­chen­land, Ungarn, Bul­ga­ri­en oder Mal­ta lei­den Asyl­su­chen­de unter Haft, Elend Obdach­lo­sig­keit und wer­den dadurch zur Wei­ter­flucht in ande­re EU-Staa­ten gezwun­gen, unter ande­rem nach Deutsch­land. In Zukunft droht den Betrof­fe­nen, in Haft genom­men zu werden.

Der hier fol­gen­de Blick in die Details des Geset­zes offen­bart jedoch auch bei der Blei­be­rechts­re­ge­lung Probleme:

Blei­be­rechts­re­ge­lung mit Haken

Allein­ste­hen­den, die mehr als acht Jah­re in Deutsch­land leben, soll ein Blei­be­recht erteilt wer­den sofern sie deutsch spre­chen, nicht straf­fäl­lig gewor­den sind und über Erwerbs­ein­kom­men ver­fü­gen. Fami­li­en müs­sen sechs Jah­re war­ten, bei Jugend­li­chen, die in Deutsch­land die Schu­le besu­chen sind es vier Jahre.

Was dabei fehlt: eine kon­se­quen­te Inte­gra­ti­ons­po­li­tik, die es gedul­de­ten Flücht­lin­gen ermög­licht, die Anfor­de­run­gen der Blei­be­rechts­re­ge­lung zu erfül­len. Die Bun­des­re­gie­rung for­dert damit Inte­gra­ti­on, ohne dass sie die­se för­dert. So fehlt etwa ein Sprach­kurs­an­spruch für gedul­de­te und asyl­su­chen­de Flücht­lin­ge. Durch Ver­bo­te und Ein­schrän­kun­gen wird zudem die Arbeits­markt­in­te­gra­ti­on der Betrof­fe­nen behindert.

Wäh­rend des Gesetz­ge­bungs­ver­fah­rens hat­te PRO ASYL mas­siv vor der Ein­füh­rung von sog. Auf­ent­halts­ver­bo­ten, die Aus­län­der­be­hör­den aus­spre­chen kön­nen, gewarnt, da die­se die Ertei­lung eines Blei­be­rechts kon­ter­ka­rie­ren. Im nun ver­ab­schie­de­ten Gesetz ist die­se Mög­lich­keit nach wie vor vor­ge­se­hen, Auf­ent­halts­ver­bo­te kön­nen jedoch leich­ter auf­ge­ho­ben wer­den, wenn ansons­ten alle Vor­aus­set­zun­gen für das Blei­be­recht vor­lie­gen. Trotz die­ser Modi­fi­ka­ti­on am Gesetz­ent­wurf ist zu befürch­ten, dass beson­ders restrik­ti­ve Behör­den in der Pra­xis Mit­tel und Wege fin­den, die eigent­lich posi­ti­ven Rege­lun­gen mit die­sem Instru­ment ins Lee­re lau­fen zu lassen.

Blei­be­recht für jun­ge Heranwachsende

Posi­tiv zu bewer­ten sind Ver­bes­se­run­gen beim Blei­be­recht für gut inte­grier­te Jugend­li­che. Die bis­he­ri­ge Rechts­grund­la­ge wur­de gelo­ckert, so dass Jugend­li­che bereits nach vier Jah­ren Schul­be­such ein Blei­be­recht erhal­ten kön­nen. Bis­her waren sechs Jah­re Schul­be­such nötig.

Pro­ble­ma­tisch ist jedoch die fest­ge­setz­te Alters­gren­ze: Der Blei­be­rechts­an­trag muss vor dem 21. Geburts­tag gestellt wer­den. In der Pra­xis führt die­se Alters­gren­ze dazu, dass vie­le unbe­glei­te­te Flücht­lin­ge, die mit 17 Jah­ren nach Deutsch­land kom­men, nicht mehr von die­ser Rege­lung pro­fi­tie­ren kön­nen: Bis sie die erfor­der­li­chen vier Jah­re Bil­dung auf einer deut­schen Schu­le absol­viert haben, sind sie älter als 21 Jah­re und damit vom Blei­be­recht ausgeschlossen.

Die noch auf letz­ten Metern ein­ge­füg­te Dul­dungs­mög­lich­keit wäh­rend einer Aus­bil­dung ist ent­täu­schend. Dis­ku­tiert wur­de noch in den letz­ten Wochen, eine Auf­ent­halts­er­laub­nis zum Zwe­cke der Aus­bil­dung zu schaf­fen. Dies hät­te gera­den den jun­gen Men­schen, die nur gedul­det sind, eine ech­te Inte­gra­ti­ons­chan­ce gebracht. Dage­gen wird es schwer blei­ben, mit der Dul­dung einen Aus­bil­dungs­platz zu fin­den, weil vie­le Arbeit­ge­ber sich auf die mit der Dul­dung bestehen­den Unsi­cher­hei­ten nicht ein­las­sen wollen.

Neue Haft­grün­de füh­ren zur Aus­wei­tung der Abschiebungshaft

Beson­ders pro­ble­ma­tisch ist die bereits oben ange­spro­che­ne vor­ge­se­he­ne Aus­wei­tung der Abschie­bungs­haft. Das Gesetz sieht zahl­rei­che neue Haft­grün­de vor. So sol­len Asyl­su­chen­de etwa schon des­we­gen inhaf­tiert wer­den kön­nen, weil sie aus einem ande­ren EU-Staat ein­ge­reist sind, ohne dort den Abschluss ihres Asyl­ver­fah­rens abge­war­tet zu haben.Mit die­ser Rege­lung kann theo­re­tisch der Groß­teil der Flücht­lin­ge mit Dub­lin-Ver­fah­ren in Haft genom­men wer­den. In 2014 wur­de in 35.115 Fäl­len ein sol­ches Ver­fah­ren eingeleitet.

Nach § 2 Abs. 15 Satz 2 soll die Dublin-Haft mög­lich sein, „wenn der Aus­län­der einen Mit­glied­staat vor Abschluss eines dort lau­fen­den Ver­fah­rens zur Zustän­dig­keits­prü­fung oder zur Prü­fung eines Antrags auf inter­na­tio­na­len Schutz ver­las­sen hat […]“. Kom­men Flücht­lin­ge bei­spiels­wei­se in Ita­li­en an, rei­sen aber zu ihren Ver­wand­ten nach Deutsch­land wei­ter, wür­de ihnen künf­tig hier die Inhaf­tie­rung dro­hen – eine inak­zep­ta­ble Vorstellung.

Das Gesetz ist nicht zustim­mungs­pflich­tig, so dass die für Anfang Juli erwar­te­te Befas­sung im Bun­des­rat nur noch eine Form­sa­che sein wird. Ein genau­er Ter­min für das Inkraft­tre­ten ist noch nicht bekannt.

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