12.02.2025
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Lager auf der griechischen Insel Samos. Foto: migration.gov.gr

Menschenunwürdige Bedingungen, rigide Überwachung, Verfahrensprobleme – die systematischen Missstände in den Flüchtlingslagern auf den Ägäis-Inseln halten an. Ein neuer Bericht der PRO ASYL-Schwesterorganisation Refugee Support Aegean (RSA) zeigt die harte Realität, die mit der EU-Asylrechtsreform an sämtlichen Außengrenzen droht.

Auch mehr als vier Jah­re nach dem Brand des Flücht­lings­la­gers von Moria, der inter­na­tio­nal für Ent­set­zen sorg­te und die Ver­ant­wort­li­chen unter Druck setz­te, ist es noch immer nicht gelun­gen, men­schen­wür­di­ge Zustän­de für Asyl­su­chen­de auf den ägäi­schen Inseln zu eta­blie­ren – trotz Ein­rich­tung einer euro­päi­schen Task Force, voll­stän­di­ger EU-Finan­zie­rung und Über­wa­chung durch die EU-Kommission.

Im Gegen­teil, hin­ter hohen Zäu­nen hält die Elends­ver­wal­tung an. So lässt sich der aktu­el­le Bericht »Refu­gee Faci­li­ties on the Aege­an Islands« von Refu­gee Sup­port Aege­an (RSA), der grie­chi­schen Schwes­ter­or­ga­ni­sa­ti­on von PRO ASYL, zu den Bedin­gun­gen in den CCAC-Lagern zusam­men­fas­sen. Die sicher­heits­tech­nisch hoch auf­ge­rüs­te­ten und gefäng­nis­ähn­li­chen neu­en Lager­struk­tu­ren (Clo­sed Con­trol­led Access Cen­tres – CCAC) bezie­hungs­wei­se die auf Les­bos und Chi­os genutz­ten Pro­vi­so­ri­en sind größ­ten­teils über­be­legt und nur weni­ge Jah­re nach ihrer Errich­tung schon wie­der maro­de. Die Deckung selbst ele­men­ta­rer Grund­be­dürf­nis­se wie Klei­dung, Was­ser, medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung und Lebens­mit­tel ist nicht gesi­chert. Nicht ein­mal für beson­ders schutz­be­dürf­ti­ge Men­schen sieht die Lage bes­ser aus – sogar unbe­glei­te­te Kin­der hau­sen wei­ter­hin unter kata­stro­pha­len Bedin­gun­gen in als »sicher« dekla­rier­ten Berei­chen der Lager. Kurz­um: Es man­gelt an allem.

Die Deckung selbst ele­men­ta­rer Grund­be­dürf­nis­se wie Klei­dung, Was­ser, medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung und Lebens­mit­tel ist nicht gesichert. 

Die Ein­rich­tun­gen haben einen euro­päi­schen Anstrich. Sie wer­den nicht nur mit euro­päi­schen Mit­teln finan­ziert, viel­mehr übt die EU-Kom­mis­si­on auch eine Kon­troll­funk­ti­on über die Lager aus. Auf­grund des­sen und der dor­ti­gen Ver­fah­rens­ab­läu­fe gel­ten die CCACs als Test­bal­lon für die Umset­zung der beschlos­se­nen Reform des gemein­sa­men euro­päi­schen Asylsystems.

Der Bericht »Refu­gee Faci­li­ties on the Aege­an Islands« lie­fert einen Über­blick über die Abläu­fe und Ver­fah­ren in den fünf soge­ann­ten Clo­sed Con­trol­led Access Cen­tern (CCAC) auf den grie­chi­schen Ägä­is-Inseln und stellt detail­liert die Lebens­be­din­gun­gen und Miss­stän­de auf Samos, Kos, Leros, Les­bos und Chi­os dar. Zahl­rei­che Aus­sa­gen von Schutz­su­chen­den wer­den mit foto­gra­fi­schen und audio­vi­su­el­len Ein­drü­cken ver­an­schau­licht und durch Gra­fi­ken ergänzt.

Die von RSA vor­ge­leg­te Ana­ly­se stützt sich auf die fort­lau­fen­de Beglei­tung und Ver­tre­tung von Asyl­su­chen­den, die sich in CCACs auf­hal­ten. RSA hat Stand­or­te auf Chi­os und Les­bos, zusätz­lich führ­ten Mit­ar­bei­ten­de der Orga­ni­sa­ti­on zwi­schen den 20. Sep­tem­ber 2024 und dem 20. Novem­ber 2024 Orts­be­su­che auf den ande­ren Inseln durch. Aus­ge­wer­tet wur­den zudem offi­zi­el­le Sta­tis­ti­ken, Doku­men­te der EU-Kom­mis­si­on, Berich­te von Betrof­fe­nen, Per­so­nal und Frei­wil­li­gen sowie Aus­sa­gen der Behör­den und von Mit­ar­bei­ten­den des UN-Flücht­lings­hoch­kom­mis­sa­ri­ats (UNHCR).

RSA berich­tet regel­mä­ßig über die Situa­ti­on in grie­chi­schen Unter­brin­gungs­struk­tu­ren. Bereits 2023 erschien mit »What is hap­pe­ning today in refu­gee struc­tures on the Aege­an islands« ein ers­ter Über­blick über die anhal­ten­den Pro­ble­me in den EU-Haft­la­gern auf den Ägä­is-Inseln. Der aktu­el­le Bericht knüpft daran.

Wochenlange Inhaftierung statt rechtsstaatlicher Standards im Vorverfahren (Screening)

Auch von rechts­staat­li­chen Asyl­ver­fah­ren kann trotz Unter­stüt­zung der Asyl­agen­tur der Euro­päi­schen Uni­on nicht die Rede sein, berich­ten die Kolleg*innen von RSA: Schon der Zugang zu den CCACs, um einen Asyl­an­trag zu stel­len, ist für Neu­an­kömm­lin­ge nicht gesi­chert. Die Fol­ge: Vie­le Asyl­su­chen­de auf den Inseln sind zunächst obdach­los, bis sie einen Asyl­an­trag stel­len kön­nen. Dar­über hin­aus wer­den die Mobil­te­le­fo­ne von neu ankom­men­den Schutz­su­chen­den auf meh­re­ren Inseln ohne Ein­lei­tung eines for­mel­len Ver­fah­rens auf unbe­stimm­te Zeit beschlag­nahmt. Die­se Pra­xis ist klar rechts­wid­rig, wird aber von den grie­chi­schen Behör­den sys­te­ma­tisch angewandt.

Vor Beginn des eigent­li­chen Asyl­ver­fah­rens durch­lau­fen Schutz­su­chen­de in den CCACs ein soge­nann­tes Scree­ning-Ver­fah­ren. Die­ses dient for­mell dazu, die Asyl­su­chen­den zu regis­trie­ren und her­aus­zu­fin­den, ob jemand zum Bei­spiel auf­grund von Krank­heit oder einer Behin­de­rung beson­ders schutz­be­dürf­tig ist. Laut Scree­ning-Ver­ord­nung der EU muss ein sol­ches Ver­fah­ren in maxi­mal sie­ben Tagen abge­schlos­sen sein.

Auf den Inseln wird das Ver­fah­ren vor allem genutzt, um pau­schal alle Asyl­su­chen­den für meh­re­re Wochen de fac­to in den CCACs zu inhaf­tie­ren. Der Zugang zu einem Rechts­bei­stand ist wäh­rend die­ser Zeit regel­mä­ßig ver­sperrt, weil sich der zustän­di­ge Auf­nah­me- und Iden­ti­fi­zie­rungs­dienst (Recep­ti­on and Iden­ti­fi­ca­ti­on Ser­vice – RIS) wei­gert, die für die Bevoll­mäch­ti­gung eines Rechts­bei­stands not­wen­di­ge Beglau­bi­gung einer Unter­schrift durch­zu­füh­ren. Da es in den CCACs bei wei­tem nicht genü­gend medi­zi­ni­sches Per­so­nal gibt (sie­he unten), bleibt die Fest­stel­lung medi­zi­ni­scher Schutz­be­dar­fe aus. Regel­mä­ßig wer­den bei der Regis­trie­rung fal­sche Staats­an­ge­hö­rig­kei­ten ein­ge­tra­gen, was für die betrof­fe­nen Men­schen im anschlie­ßen­den Asyl­ver­fah­ren zu gro­ßen Pro­ble­men führt. Ohne Rechts­bei­stand haben die Asyl­su­chen­den effek­tiv kei­ne Mög­lich­keit, ihre Rech­te durch­zu­set­zen – sie sind den Behör­den schutz­los aus­ge­lie­fert, das Scree­ning-Ver­fah­ren wird zur Farce.

Mangelhafte Grenzverfahren ohne rechtlichen Beistand

Auch im eigent­li­chen Asyl­ver­fah­ren fehlt es an recht­li­chem Bei­stand, der auf den Inseln von zivil­ge­sell­schaft­li­chen Orga­ni­sa­tio­nen wie der PRO ASYL-Schwes­ter­or­ga­ni­sa­ti­on RSA geleis­tet wird. Der Bedarf an recht­li­cher Bera­tung und anwalt­li­cher Ver­tre­tung kann von den Orga­ni­sa­tio­nen nicht ein­mal ansatz­wei­se gedeckt wer­den. Erst in der zwei­ten Instanz haben Asyl­su­chen­de die Mög­lich­keit, eine staat­lich finan­zier­te anwalt­li­che Ver­tre­tung ein­zu­schal­ten. Zu die­sem Zeit­punkt kön­nen jedoch Feh­ler im bis­he­ri­gen Ver­fah­ren oft­mals nicht mehr kor­ri­giert wer­den. Zudem haben die staat­lich finan­zier­ten Anwält*innen ihre Arbeit zeit­wei­se nie­der­ge­legt, weil sie vom grie­chi­schen Staat seit Novem­ber 2023 nicht mehr bezahlt werden.

Beson­ders dra­ma­tisch ist der man­gel­haf­te Zugang zu recht­li­cher Bera­tung und Ver­tre­tung, weil die grie­chi­sche Asyl­be­hör­de auf den Inseln will­kür­lich beschleu­nig­te Grenz­ver­fah­ren mit ein­ge­schränk­ten Ver­fah­rens­ga­ran­tien und ver­kürz­ten Fris­ten durch­führt. Sol­che Ver­fah­ren sind selbst mit qua­li­fi­zier­ter anwalt­li­cher Ver­tre­tung rechts­staat­lich höchst bedenk­lich. Ohne anwalt­li­che Ver­tre­tung und recht­li­che Bera­tung füh­ren sie sys­te­ma­tisch dazu, dass Sach­ver­hal­te nicht aus­rei­chend auf­ge­klärt wer­den und Asyl­su­chen­de nicht aus­rei­chend Gele­gen­heit erhal­ten, ihre Flucht­grün­de vor­zu­tra­gen. In der Kon­se­quenz bleibt den Men­schen der Schutz ver­wehrt, der ihnen recht­lich eigent­lich zusteht. Dabei hat die über­wie­gen­de Mehr­heit der Asyl­su­chen­den auf den Inseln Anspruch auf inter­na­tio­na­len Schutz, weil sie aus Her­kunfts­län­dern mit hohen Aner­ken­nungs­quo­ten kommen.

Ein wei­te­res Pro­blem ist das Aus­ein­an­der­fal­len von Anhörer*innen und Entscheider*innen: Anhö­run­gen wer­den auf den Inseln vom Per­so­nal der EU-Asyl­agen­tur durch­ge­führt. Die Ent­schei­dung über den Asyl­an­trag wird jedoch vom Per­so­nal der grie­chi­schen Asyl­be­hör­de gefällt. Das bedeu­tet, es wird nach Akten­la­ge ent­schie­den, die zustän­di­gen Entscheider*innen kön­nen sich kei­nen per­sön­li­chen Ein­druck von den Asyl­su­chen­den ver­schaf­fen, über deren Schick­sal sie ent­schei­den. Das ist jedoch vor allem, wenn es um Fra­gen der Glaub­wür­dig­keit geht, enorm wichtig.

Die Kolleg*innen von RSA wei­sen in ihrem Bericht auf eine Rei­he wei­te­rer schwer­wie­gen­der Miss­stän­de bei der Unter­brin­gung und Ver­sor­gung hin. Ein Auszug:

Die CCACs sind nicht nur mehr­fach mit Sta­chel­draht umzäunt, son­dern wer­den zudem teil­wei­se mit hoch­mo­der­nen Sicher­heits­sys­te­men über­wacht. Neben Ein- und Aus­gangs­kon­trol­len, bei denen wie am Flug­ha­fen auch bio­me­tri­sche Daten erfasst wer­den (teil­wei­se voll­au­to­ma­ti­siert), wird auch der Innen­be­reich mit Kame­ras über­wacht.  Dabei kommt ein Sys­tem namens »Cen­taur« zum Ein­satz, das mit­hil­fe von KI-gestütz­ten Kame­ras und Droh­nen Bewe­gungs­ana­ly­sen erstellt. Die grie­chi­sche Daten­schutz­be­hör­de hat die Ver­wen­dung von Cen­taur und von Hype­ri­on, dem voll­au­to­ma­ti­sier­ten Kon­troll­sys­tem bei der Ein­lass­kon­trol­le, als rechts­wid­rig ein­ge­stuft und dem grie­chi­schen Migra­ti­ons­mi­nis­te­ri­um eine Geld­stra­fe in Höhe von 175.000 Euro auf­er­legt. Trotz­dem sind bei­de Sys­te­me wei­ter­hin im Ein­satz. Schutz­su­chen­de wer­den in den CCACs wie Schwerverbrecher*innen in einem Hoch­si­cher­heits­ge­fäng­nis behan­delt und rund um die Uhr über­wacht. Das Euro­päi­sche Komi­tee zur Ver­hü­tung von Fol­ter (CPT) hält die CCACs wegen »über­mä­ßi­ger Sicher­heits­vor­keh­run­gen und unnö­ti­ger Sta­chel­draht­zäu­ne nicht für die Unter­brin­gung von Kin­dern und ver­letz­li­chen Per­so­nen geeignet«.

Die Ein­rich­tun­gen sind kei­ne fünf Jah­re alt – den­noch ist der Zer­fall in vol­lem Gan­ge. Zur Unter­brin­gung genutz­te Con­tai­ner und Sani­tär­an­la­gen sind ver­dreckt und zum Teil unbe­nutz­bar, not­we­ni­ge Repa­ra­tu­ren blei­ben aus. Die offi­zi­el­le Kapa­zi­tät der Lager weicht somit von der tat­säch­lich nutz­ba­ren Kapa­zi­tät ab.

Die Ver­sor­gungs­la­ge in den CCACs unter­schei­det sich, durch­weg ist sie jedoch von Miss­stän­den geprägt. Eini­ge Ein­drü­cke: Die Bewohner*innen erzäh­len von »Bet­ten« ohne Matrat­zen, von Bett­wan­zen und Kaker­la­ken (etwa auf Samos). Sie kla­gen über auch im Win­ter feh­len­de Mög­lich­kei­ten heiß zu Duschen (etwa auf Les­bos), und zeit­lich begrenz­ter Was­ser­ver­sor­gung wegen anhal­ten­der infra­struk­tu­rel­ler Pro­ble­me (etwa auf Samos und Leros) und frag­wür­di­ge Was­ser­qua­li­tät (auf Kos). Auf Samos gibt es zudem auch Pro­ble­me bei der Abwas­ser­ent­sor­gung. Die ver­teil­ten Lebens­mit­tel sind man­cher­orts man­gel­haft, aus Les­bos etwa wird von unge­nieß­ba­ren Spei­sen sowie Insek­ten im Essen berich­tet. Zusätz­lich erhiel­ten die Men­schen hier im Novem­ber ledig­lich ein­ein­halb Liter Trink­was­ser pro Tag. Bewohner*innen auf Kos bekla­gen, dass die Spei­sung nicht nur ein­sei­tig, son­dern vor allem zu gering sei.

Hin­zu­kommt die vie­ler­orts unzu­rei­chen­de Bereit­stel­lung von Non-Food-Items, wie sai­so­na­le Klei­dung und Hygie­ne­ar­ti­kel. So feh­len Bewohner*innen auf Leros und Samos grund­le­gen­de Din­ge wie Sei­fe und Toi­let­ten­pa­pier, wodurch den Men­schen in den Mas­sen­un­ter­künf­te eine aus­rei­chen­de täg­li­che Hygie­ne unmög­lich gemacht wird.

Rechts­staat­lich ein gro­ßes Pro­blem ist, dass Rechtsanwält*innen, die ihre Mandant*innen tref­fen wol­len, der Zugang zu den her­me­tisch abge­rie­gel­ten CCACs immer wie­der ver­wei­gert oder nur unter erschwer­ten Bedin­gun­gen geneh­migt wird. Ein Bei­spiel: Als Anwält*innen der PRO ASYL-Schwes­ter­or­ga­ni­sa­ti­on RSA ihren neu­en Man­dan­ten im CCAC auf Samos für eine Bera­tung und zur Voll­machts­un­ter­schrift besu­chen woll­ten, wur­de ihnen der Zutritt zunächst ver­wei­gert. Die­ser sei erst nach der Voll­machts­vor­la­ge mög­lich – hier beißt sich die sprich­wört­li­che Kat­ze in den Schwanz.

Laut einer Ant­wort, die RSA vom zustän­di­gen Auf­nah­me- und Iden­ti­fi­zie­rungs­dienst erhielt, gab es mit Stand vom 11. Novem­ber 2024 nur in dem Lager auf Les­bos eine*n Allgemeinmediziner*in – alle ande­ren CCAC waren ohne all­ge­mein­me­di­zi­ni­sche Ver­sor­gung. Zu die­sem Zeit­punkt waren mehr als 10.000 Men­schen in den CCACs unter­ge­bracht. Zahl­rei­che Stel­len für medi­zi­ni­sches Fach­per­so­nal sind unbe­setzt. Aller­dings wür­de selbst das voll­stän­dig ein­ge­plan­te medi­zi­ni­sche Per­so­nal nicht aus­rei­chen, um die Bewohner*innen der CCACs ange­mes­sen ver­sor­gen zu kön­nen. Auch das Euro­päi­schen Komi­tee zur Ver­hü­tung von Fol­ter (CPT) appel­liert in sei­nem jüngs­ten Bericht ein­dring­lich an die grie­chi­schen Behör­den, dass jedes CCAC über min­des­tens eine Ärz­tin und drei Krankenpfleger*innen für jeweils 500 Per­so­nen ver­fü­gen soll­te, um eine grund­le­gen­de Gesund­heits­ver­sor­gung zu gewährleisten.

Asyl­su­chen­de in Grie­chen­land haben Anspruch auf einen monat­li­chen Bar­geld­be­trag von 75 Euro für eine Ein­zel­per­son bis zu 210 Euro für Fami­li­en. Die Gel­der stam­men aus dem euro­päi­schen Asyl‑, Migra­ti­ons- und Inte­gra­ti­ons­fonds (AMIF). Seit Mai 2024 wur­den die Gel­der jedoch nicht mehr aus­ge­zahlt, Asyl­su­chen­de erhiel­ten über Mona­te und ohne eine Begrün­dung schlicht kei­ne Geld­leis­tun­gen durch die zustän­di­ge grie­chi­sche Behör­de. Erst im Okto­ber wur­den die Zah­lun­gen wie­der suk­zes­siv auf­ge­nom­men, meh­re­re Raten für den Zeit­raum davor ste­hen jedoch noch aus.

Wegen aus­blei­ben­der Zah­lun­gen durch das grie­chi­sche Migra­ti­ons­mi­nis­te­ri­um hat die Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­ti­on MET­Adra­si ihre Dol­met­scher­tä­tig­kei­ten in ganz Grie­chen­land ein­ge­stellt, die sie bis dahin im Rah­men einer Ver­ein­ba­rung mit dem Migra­ti­ons­mi­nis­te­ri­um erbracht hat­te. Seit­dem feh­len im gan­zen Land Dolmetscher*innen, so auch in den CCACs. Dolmetscher*innen, die zwi­schen­zeit­lich von der EU-Asyl­agen­tur zur Ver­fü­gung gestellt wur­den, kön­nen die Lücken nicht schließen.

Asyl­su­chen­de, die als Flücht­lin­ge aner­kannt wer­den, müs­sen die CCAC inner­halb von 30 Tagen ab Schutz­ge­wäh­rung ver­las­sen. Die eh schon defi­zi­tä­ren Unter­stüt­zungs­leis­tun­gen, die sie wäh­rend der Unter­brin­gung im CCAC erhal­ten, wer­den dann umge­hend ein­ge­stellt. Sie sind ab sofort kom­plett auf sich allein gestellt, ein wei­te­rer Auf­ent­halt in den Lagern wird nicht gedul­det. Dies gilt selbst in sol­chen Fäl­len, in denen die Schutz­be­rech­tig­ten noch auf die Aus­stel­lung ihrer Auf­ent­halts­ti­tel war­ten. In der Fol­ge cam­pie­ren zahl­rei­che aner­kann­te Flücht­lin­ge auf den Inseln ohne jeg­li­che Ver­sor­gung, ohne Zugang zu flie­ßen­dem Was­ser und Sani­tär­an­la­gen in leer­ste­hen­den Gebäu­den, Parks und an Strän­den. Betrof­fen sind aus­nahms­los alle – auch Fami­li­en mit klei­nen Kin­dern und Men­schen mit Behin­de­run­gen oder gesund­heit­li­chen Problemen.

Im Fall einer sie­ben­köp­fi­gen Fami­lie mit einem weni­ge Wochen alten Säug­ling, die nach Erhalt der Flücht­lings­an­er­ken­nung das CCAC auf Kos ver­las­sen muss­te, aber noch auf die Aus­stel­lung von Doku­men­ten war­te­te, ver­pflich­te­te der EGMR im Eil­ver­fah­ren Grie­chen­land im Juli 2024, die Fami­lie ange­mes­sen unter­zu­brin­gen und zu ver­sor­gen. Die Fami­lie hat­te zu die­sem Zeit­punkt mit dem Säug­ling bereits zwei Wochen bei extre­mer Hit­ze ohne jeg­li­che Ver­sor­gung und Zugang zu Sani­tär­ein­rich­tun­gen auf der Stra­ße gelebt. In Reak­ti­on auf die Anord­nung aus Straß­burg wur­de die Fami­lie im CCAC auf Kos zwar wie­der auf­ge­nom­men und mit Brot und Was­ser ver­sorgt. Sie wur­den jedoch in einem kaput­ten und ver­dreck­ten Con­tai­ner ohne Türen und Fens­ter in einem geschlos­se­nen Bereich des Lagers unter­ge­bracht – obwohl funk­tio­nie­ren­de Con­tai­ner im nor­ma­len Bereich des CCAC ver­füg­bar waren.

Trotz bekannter Mängel: Modell für zukünftige EU-Grenzverfahren

Die Erkennt­nis­se in dem Ende 2024 ver­öf­fent­li­chen Bericht wer­den unter ande­rem auch vom Euro­päi­schen Komi­tee zur Ver­hü­tung von Fol­ter (CPT) bestä­tigt, das die Lebens­be­din­gun­gen in den Lagern in sei­nem jüngs­ten Bericht als »unmensch­lich und ernied­ri­gend« bezeich­net. Auch der Euro­päi­sche Gerichts­hof für Men­schen­rech­te (EGMR) hat die Lage erkannt und Grie­chen­land in meh­re­ren Eil­ver­fah­ren ver­pflich­tet, beson­ders schutz­be­dürf­ti­ge Asyl­su­chen­de aus den CCACs men­schen­wür­dig unter­zu­brin­gen. Wie kata­stro­phal die Bedin­gun­gen sind, belegt eine Ent­schei­dung des EGMR von Febru­ar 2024 zu einer allein­er­zie­hen­den Mut­ter mit einem Klein­kind im CCAC auf Samos: Sie muss­te ohne gesi­cher­ten Zugang zu Ver­pfle­gung, Hygie­ne­ar­ti­keln und medi­zi­ni­scher Ver­sor­gung wochen­lang die glei­che Klei­dung tra­gen und sich ein Eta­gen­bett mit einem frem­den Mann teilen.

Es sind eben jene Lager, in denen ab 2026, wenn die beschlos­se­ne Reform des Gemein­sa­men Euro­päi­schen Asyl­sys­tems (GEAS) in Kraft tritt, alle Asyl­su­chen­den im Scree­ning- und Grenz­ver­fah­ren fest­ge­hal­ten wer­den sol­len. Sie gel­ten als Pro­to­ty­pen für die Umset­zung der Reform. Der EU-Kom­mis­si­on sind die Zustän­de in den CCACs bes­tens bekannt, sie hat jedoch trotz der zen­tra­len Rol­le, die sie bei der Pla­nung, der Finan­zie­rung und dem Moni­to­ring der Lager inne­hat, bis­her kei­ne wirk­sa­men Schrit­te unter­nom­men, um die Situa­ti­on zu verbessern.

(ame, mz)