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Aufnahme afghanischer GIZ-Ortskräfte: Zähes Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Berlin
Über zwei Jahre nach der Machtübernahme der Taliban harren immer noch zahlreiche Ortskräfte in Afghanistan aus, stets in Sorge, dass von den Taliban an ihnen und ihren Familien Rache verübt wird. Klagen mehrerer GIZ-Ortskräfte vor dem Verwaltungsgericht Berlin ziehen sich aufgrund mangelnder Mitwirkung der Bundesregierung am Verfahren in die Länge.
Vor der erneuten Machtübernahme der Taliban unterhielt die halbstaatliche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) gemeinsam mit dem damaligen afghanischen Innenministerium ein Projekt zur Ausbildung afghanischer Polizeianwärter*innen namens Police Cooperation Project (PCP). Dessen Lehrpersonal, bestehend aus ca. 3.000 Personen, war damit beauftragt, die angehenden Polizist*innen so weit wie nötig zu alphabetisieren und ihnen lesen und schreiben beizubringen. Außerdem stand die Unterrichtung in Menschenrechtsfragen auf dem Lehrplan.
Große Versprechen der Politik für afghanische Ortskräfte
Nachdem die Taliban die Kontrolle über das Land errungen hatten, versprach die damalige Bundesregierung, Ortskräfte, die für deutsche Behörden und Organisationen tätig waren, in Sicherheit zu bringen und in Deutschland aufzunehmen. Dafür wurde – gestützt auf § 22 Satz 2 des Aufenthaltsgesetzes – ein Ortskräfteverfahren installiert, mit dem das Bundesinnenministerium die Aufnahme der Ortskräfte »zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland« erklären kann.
»Wir werden unsere Verbündeten nicht zurücklassen. Wir wollen diejenigen besonders schützen, die der Bundesrepublik Deutschland im Ausland als Partner zur Seite standen.«
Der damalige Außenminister Heiko Maas versprach: »Unsere Arbeit geht so lange weiter, bis alle in Sicherheit sind, für die wir in Afghanistan Verantwortung tragen« und auch die ehemalige Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer versicherte, sie werde »alles daransetzen«, die Ortskräfte aus Afghanistan herauszuholen. Die jetzige Bundesregierung bekräftige diese Versprechen. So heißt es im Koalitionsvertrag:
»Wir werden unsere Verbündeten nicht zurücklassen. Wir wollen diejenigen besonders schützen, die der Bundesrepublik Deutschland im Ausland als Partner zur Seite standen und sich für Demokratie und gesellschaftliche Weiterentwicklung eingesetzt haben. Deswegen werden wir das Ortskräfteverfahren so reformieren, dass gefährdete Ortskräfte und ihre engsten Familienangehörigen durch unbürokratische Verfahren in Sicherheit kommen«.
Auch zahlreiche PCP-Lehrkräfte zeigten in Folge des Ortskräfteprogramms und im Vertrauen auf die Versprechungen der damaligen und heutigen Bundesregierung ihre Gefährdung gegenüber der GIZ an. Doch ihre Anträge wurden vom Auswärtigen Amt samt und sonders abgelehnt, nachdem das Bundesinnenministerium die notwendige Erklärung einer Aufnahmezusage verweigert hat.
Aufnahme kommt auf Art des Vertrags an
Die lapidare Begründung: Die PCP-Lehrkräfte waren nicht auf der Basis von Arbeitsverträgen, sondern auf der Grundlage von Werkverträgen für die GIZ tätig und seien damit nicht in gleichem Maße gefährdet, wie Arbeitnehmer*innen. Bei der Einführung des Ortskräfteverfahrens haben die Ressorts vereinbart, dass nur in besonders begründeten Ausnahmefällen eine Aufnahme von Personal mit Werkvertrag erfolgen kann. Etwa, wenn die individuelle Gefährdung explizit auf das Vertragsverhältnis mit der deutschen Organisation oder Behörde zurückzuführen ist. Dies sei bei den PCP-Ortskräften allerdings nicht der Fall.
PRO ASYL unterstützt Klage gegen Deutschland
Einige der Betroffenen und ihre Angehörigen erhoben beim Verwaltungsgericht Berlin und mit Hilfe von Rechtsanwältin Susanne Giesler und Rechtsanwalt Matthias Lehnert unter finanzieller Unterstützung durch PRO ASYL Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland. Zu drei der von Matthias Lehnert geführten Verfahren fanden am 15. September 2023 mündliche Verhandlungen vor dem Verwaltungsgericht Berlin statt.
Zur Begründung der Klagen stellte der auf Migrationsrecht spezialisierte Rechtsanwalt darauf ab, dass die Bundesregierung eine Schutzpflicht für all jene treffe, die in ihrem Auftrag tätig waren – unabhängig von der konkreten vertraglichen Grundlage. Die Bundesregierung könne sich mithin nicht auf den Standpunkt zurückziehen, dass sie nur jenen gegenüber zum Schutz verpflichtet sei, die in einem Arbeitsverhältnis zu einer deutschen Behörde oder Organisation standen.
Zudem seien gerade die Mitarbeiter*innen des Polizeiprojektes besonders gefährdet, da sie im Sicherheitssektor tätig, im Rahmen ihrer Tätigkeit mit zahlreichen Menschen in Kontakt und überdies mit der Vermittlung von Menschenrechten betraut waren – welche die Taliban mit Verwestlichung in Verbindung brächten. Die Taliban hätten die PCP-Mitarbeiter*innen damit besonders im Visier und würden ihrerseits dabei selbstredend nicht zwischen verschiedenen Vertragsformen unterscheiden.
Die Taliban unterscheiden nicht nach Vertragsformen!
Die Rechtsauffassung einer seitens der Bundesregierung gegenüber den afghanischen Ortskräften bestehenden Schutzpflicht, die sich aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes (»Jeder hat das Recht auf körperliche Unversehrtheit«), aber auch aus der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie aus dem Internationalen Pakt über bürgerliche Rechte und Pflichten ergibt, wird auch von anderen Jurist*innen geteilt. Beispielsweise in einem Beitrag des Juristen Gabriel Noll im Verfassungsblog, einer Expert Opinion der Human Rights Clinic der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen Nürnberg, die in Kooperation mit PRO ASYL entstanden ist oder in einer juristischen Analyse des Deutschen Instituts für Menschenrechte. Auch dass diese grund- und menschenrechtliche Schutzpflicht unabhängig von der vertraglichen Grundlage der Zusammenarbeit mit deutschen Behörden und Organisationen gilt, wird in der letztgenannten Analyse deutlich betont:
»Die Taliban werden auch nicht danach unterscheiden, ob eine solche Tätigkeit im Innenverhältnis auf der Grundlage eines unmittelbaren Anstellungsverhältnisses, eines Werkvertrages oder auf Grundlage eines Subunternehmervertrages erfolgte. Eine solche Unterscheidung wäre daher mit Blick auf die besondere Gefährdung und den damit einhergehenden grund- und menschenrechtsrelevanten Schutzbedarf der Menschen, um den es vorliegend geht, nicht sachgerecht«.
Die Gefahr ist konkret: Einer der Kläger wurde inhaftiert und verprügelt
Bei einem der von Rechtsanwalt Lehnert vertretenen PCP-Mitarbeitern hat sich die Gefährdung bereits in furchtbarer Weise realisiert: In den letzten Monaten fanden bei ihm – der sich an einem anderen Ort vor den Taliban versteckt hielt – immer wieder Durchsuchungen seines alten Hauses statt. Die Taliban bezeichneten ihn dabei als Spion der Deutschen. Der Kläger wurde schließlich doch von den Taliban festgenommen, für etwa drei Wochen in Haft gehalten und immer wieder mit einem Schlagstock verprügelt. Nach Zahlung einer Kaution wurde er vorerst auf freien Fuß gesetzt.
Davon, dass insbesondere PCP-Mitarbeiter*innen in Afghanistan in hoher Gefahr sind, berichtet auch eine ausführliche und gut recherchierte Reportage in der Süddeutschen Zeitung aus. Diese Reportage ist ein Gemeinschaftsprojekt des Investigativbüros Lighthouse Report, der Süddeutschen Zeitung, des WDR und NDR, in der 20 Fälle von GIZ-Ortskräften detailliert untersucht wurden. Darin wird unter anderem von dem Leiter des PCP in einer afghanischen Provinz berichtet, der sich seit der Machtübernahme der Taliban in einem Versteck aufhalten muss. Auch er wandte sich zunächst an die GIZ. Doch auch sein Antrag wurde in knappen Worten abgelehnt: »Wir bedauern es, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ihr Aufnahmeantrag im Ortskräfteverfahren final abgelehnt wurde«. Und dies, obwohl die Taliban seinen Vater entführt und verhört hatten, um seiner habhaft zu werden und, obwohl Prüfer der GIZ selbst auf die hohe Gefährdungslage und Exponiertheit hingewiesen hatten. Auch in den anderen von dem Rechercheteam untersuchten Fällen kam es zu Drohanrufen, Vorladungen und Hausdurchsuchungen durch die Taliban, in einigen Fällen sogar zu Festnahmen und Folterungen.
Vor dem Verwaltungsgericht Berlin wird dennoch weiterhin über die widersinnige Frage gestritten, ob Menschen, die in Afghanistan mit Werkvertrag für deutsche Institutionen tätig waren, weniger gefährdet sind, als Personen mit Arbeitsvertrag und ob deshalb die Entscheidung der Bundesregierung, erstere nicht über das Ortskräfteverfahren aufzunehmen, gerechtfertigt ist. Wie die Bundesregierung auf diese Ungleichbehandlung gekommen ist, bleibt indessen weiterhin unklar.
Prozessvertreter der Bundesregierung ist unvorbereitet
Selbst bei der mündlichen Verhandlung, die am 15. September 2023 stattfand und auch von PRO ASYL vor Ort verfolgt wurde, vermochte der Vertreter der Bundesregierung die einfache Frage des Bevollmächtigen der Kläger*innen, auf welcher Grundlage diese Einschätzung zustande gekommen sei, nicht zu beantworten. Auch die Richter*innen zeigten sich ob dieser gänzlich fehlenden Vorbereitung des Prozessvertreters der Bundesregierung erstaunt.
Sie gaben nun der Bundesregierung auf, die Frage schriftlich zu beantworten. Erst dann könne das Verfahren weitergeführt werden. Das ist vor dem Hintergrund zu verstehen, dass die Richter*innen über die Entscheidung der Bundesregierung nur eine sogenannte Willkürkontrolle vornehmen können – wofür sie wiederum auf die von der Bundesregierung angestellten Erwägungen angewiesen sind. Wenn sich im Ergebnis erwartungsgemäß herausstellen sollte, dass Arbeitnehmer*innen und Personen mit Werkverträgen im Wesentlichen gleichermaßen gefährdet sind und dennoch ungleich behandelt werden, läge eine willkürliche Ungleichbehandlung und damit ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes vor.
Nach der Beantwortung der entscheidenden Frage durch die Bundesregierung wird voraussichtlich Anfang 2024 eine zweite mündliche Verhandlung angesetzt. Die Kläger*innen und ihre Familien sind derweil weiter der jederzeit drohenden Rache durch die Taliban ausgesetzt.
(pva)