03.12.2021

In Griechenland wird das Klima gegenüber zivilgesellschaftlichen Organisationen immer feindseliger. Die Regierung nimmt bei ihren Kriminalisierungsversuchen zunehmend auch Organisationen ins Visier, die Schutzsuchende beraten und vor Gericht vertreten. Ein jüngstes Opfer ist unsere Partnerorganisation Refugee Support Aegean (RSA).

NGOs werden an die Kette gelegt 

Im Sep­tem­ber 2021 wur­de ein Gesetz zur Ände­rung von Abschie­be- und Rück­füh­rungs­ver­fah­ren im grie­chi­schen Par­la­ment ver­ab­schie­det. Arti­kel 40 führt mas­si­ve Ein­schrän­kun­gen für Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen ein, die in den Zustän­dig­keits­be­rei­chen der grie­chi­schen Küs­ten­wa­che tätig sind. Es dro­hen schwe­re Sank­tio­nen und Geld­stra­fen. Damit wür­den die »lebens­ret­ten­de Arbeit der NGOs auf See und ihre Kapa­zi­tä­ten zur Über­wa­chung der Men­schen­rech­te in der Ägä­is ernst­haft behin­dert«, so die Men­schen­rechts­kom­mis­sa­rin des Euro­pa­ra­tes Dun­ja Mija­to­vić.

Im April 2020 wur­de ein neu­es Regis­trie­rungs­ver­fah­ren für NGOs im Asyl­be­reich ein­ge­führt, das hohe büro­kra­ti­sche Hür­den schafft und mas­si­ve Kos­ten ver­ur­sacht. Die Ver­hält­nis­mä­ßig­keit die­ses Ver­fah­rens stell­te unter ande­rem eine Exper­ten­grup­pe des Euro­pa­rats im Juli 2020 in Fra­ge und for­der­te, die Regeln zu über­ar­bei­ten, sodass sie euro­päi­schen Stan­dards entsprechen.

Hohe Anforderungen, vage Begründungen

Im Sep­tem­ber 2020 hat die Regie­rung mit einem gemein­sa­men Minis­ter­be­schluss wei­te­re Ver­schär­fun­gen für die Regis­trie­rung von NGOs ein­ge­führt. Nun­mehr sind alle Orga­ni­sa­tio­nen ver­pflich­tet, eine Rei­he von Unter­la­gen und per­sön­li­che Infor­ma­tio­nen vor­zu­le­gen, dar­un­ter detail­lier­te Finanz­da­ten (Jah­res­ab­schlüs­se und Prüf­be­rich­te). Die­se ver­schie­de­nen Anfor­de­run­gen müs­sen alle NGOs erfül­len, die in den Berei­chen Asyl, Migra­ti­on und Inte­gra­ti­on arbei­ten wol­len. Außer­dem liegt es im Ermes­sen des Minis­te­ri­ums für Migra­ti­on und Asyl, die Regis­trie­rung von NGOs und ein­zel­ner Mitarbeiter*innen die Regis­trie­rung zu ver­wei­gern, und zwar aus Grün­den, die völ­lig vage und will­kür­lich sind.

Das Gesetz ist nicht mit den völ­ker­recht­li­chen Ver­pflich­tun­gen Grie­chen­lands zum Schutz des Rechts auf Ver­ei­ni­gungs­frei­heit ver­ein­bar, sagen die UN-Sonderberichterstatter.

Ein­mal regis­trier­te NGOs sind ver­pflich­tet, jede Ände­rung im Team unver­züg­lich zu mel­den. Alle sen­si­blen Daten über Mit­ar­bei­ten­de müs­sen dem Minis­te­ri­um völ­lig offen­ge­legt wer­den. Unse­re Part­ner­or­ga­ni­sa­ti­on Refu­gee Sup­port Aege­an (RSA) hat im Febru­ar 2021 Kla­ge gegen die­ses Regis­trie­rungs­ver­fah­ren beim höchs­ten grie­chi­schem Gericht, dem Staats­rat, eingelegt.

Am 31. März 2021 haben drei UN-Son­der­be­richt­erstat­ter in einem an die grie­chi­sche Regie­rung gerich­te­ten Schrei­ben erklärt, dass die jüngs­ten NGO-Geset­zes­än­de­run­gen nicht mit den völ­ker­recht­li­chen Ver­pflich­tun­gen Grie­chen­lands zum Schutz des Rechts auf Ver­ei­ni­gungs­frei­heit ver­ein­bar sind.

Willkürliche Ablehnung von RSA

RSA war bereits vor der Ver­schär­fung der grie­chi­schen NGO-Gesetz­ge­bung im frü­he­ren Natio­na­len Regis­ter der NGOs sowie im Trans­pa­renz­re­gis­ter der Euro­päi­schen Uni­on regis­triert. Ende Okto­ber wur­de der Regis­trie­rungs­an­trag von RSA auf Grund­la­ge der neu­en Gesetz­ge­bung abge­lehnt, obwohl die Orga­ni­sa­ti­on sich akri­bisch an die Vor­ga­ben gehal­ten und die ange­frag­ten Doku­men­te stets zeit­nah ein­ge­reicht hat­te. RSA hat im Juni 2020 die Regis­trie­rung beim Migra­ti­ons­mi­nis­te­ri­um bean­tragt und ins­ge­samt 15 Mona­te auf die Ent­schei­dung gewar­tet. Am 25. Okto­ber 2021 wur­de RSA mit­ge­teilt, dass ihr Antrag abge­lehnt wur­de. RSA hat am 8. Novem­ber eine Anfra­ge zur erneu­ten Prü­fung des Regis­trie­rungs­an­trags gestellt.

Grund­la­ge für die Ent­schei­dung, die Regis­trie­rung von RSA abzu­leh­nen, ist die Auf­fas­sung eines drei­köp­fi­gen Komi­tees des zustän­di­gen Sekre­ta­ri­ats im Migra­ti­ons­mi­nis­te­ri­um, das den Antrag geprüft hat. Vor­her hat­te die zustän­di­ge Behör­de im Migra­ti­ons­mi­nis­te­ri­um am 28. Sep­tem­ber 2021 die Regis­trie­rung von RSA emp­foh­len, da alle benö­tig­ten Unter­la­gen ein­ge­reicht und die Regis­trie­rungs­kri­te­ri­en erfüllt sei­en. In der Ent­schei­dung des Sekre­ta­ri­ats wur­den zwei Punk­te ange­führt, die der Regis­trie­rung ent­ge­gen­ste­hen. Der ers­te Grund betrifft einen Absatz aus der Sat­zung von RSA. Dort heißt es in Arti­kel 3 – Zielsetzung:

»The deve­lo­p­ment of acti­vi­ty in sup­port of tho­se sub­ject to per­se­cu­ti­on and dis­cri­mi­na­ti­on for reasons of poli­ti­cal or reli­gious beliefs, racial or eth­nic ori­gin, for reasons of belon­ging to a par­ti­cu­lar social group or other persecution/discrimination, in sup­port of refu­gees, migrants and per­sons under depor­ta­ti­on, as well as other per­sons in need of inter­na­tio­nal pro­tec­tion in accordance with inter­na­tio­nal, Euro­pean Uni­on and natio­nal law. In the afo­re­men­tio­ned frame­work, the orga­ni­sa­ti­on also deve­lo­ps acti­vi­ties for other cate­go­ries of per­sons ori­gi­na­ting from third count­ries, with empha­sis on vul­nerable groups such as unac­com­pa­nied minors, vic­tims of traf­fi­cking, vic­tims of tor­tu­re or ill-tre­at­ment.«

Das Gericht von Chi­os, wo sich der Sitz der 2017 gegrün­de­ten Orga­ni­sa­ti­on befin­det, hat die Recht­mä­ßig­keit des gesam­ten Sat­zungs­tex­tes bestätigt.

Das Sekre­ta­ri­at argu­men­tiert in sei­ner Ableh­nung, die beab­sich­tig­ten Maß­nah­men zur Unter­stüt­zung von Per­so­nen im Abschie­bungs­ver­fah­ren  ver­stie­ßen gegen grie­chi­sches Recht. Genaue Geset­zes­stel­len wer­den in der Ent­schei­dung jedoch nicht genannt.

Eine wort­ge­treue Aus­le­gung der Sat­zung hin­ge­gen zeigt, dass sich die Ziel­set­zung auf ver­folg­te oder schutz­be­dürf­ti­ge Men­schen bezieht. Die­se steht im Ein­klang mit EU-Recht und grie­chi­schem Recht. Das Gericht von Chi­os, wo sich der Sitz der 2017 gegrün­de­ten Orga­ni­sa­ti­on befin­det, hat die Recht­mä­ßig­keit des gesam­ten Sat­zungs­tex­tes bestätigt.

Ein wei­te­rer Grund für die Ableh­nung ist dem Sekre­ta­ri­at zufol­ge ein ver­al­te­tes Doku­ment, das RSA ein­ge­reicht hat. Der Regis­trie­rungs­pro­zess hat über ein Jahr gedau­ert, RSA hat immer wie­der zeit­nah ange­for­der­te Doku­men­te ein­ge­reicht. Eine aktua­li­sier­te Ver­si­on die­ses bestimm­ten Doku­ments war wäh­rend des gesam­ten Ver­fah­rens nicht ange­for­dert wor­den. RSA hat nun für die erneu­te Prü­fung des Regis­trie­rungs­an­trags eine aktua­li­sier­te Ver­si­on des Doku­ments eingereicht.

Widerspruch gegen die Ablehnung

RSA kri­ti­sier­te die Ableh­nung und kom­men­tier­te in einer Erklä­rung am 26. Novem­ber: »Die Regie­rung erklärt, dass die Unter­stüt­zung von Per­so­nen, die abge­scho­ben wer­den sol­len, unrecht­mä­ßig ist. Dies steht im Wider­spruch zu inter­na­tio­na­lem, EU- und natio­na­lem Recht«. Zudem kün­dig­te RSA an, die­se Ent­schei­dung anzu­fech­ten, da es sich um einen alar­mie­ren­den Schritt han­de­le, der die Zivil­ge­sell­schaft davon aus­schlie­ße, Flücht­lin­ge und Migrant*innen bei der Wahr­neh­mung ihrer Rech­te zu unterstützen.

Der grie­chi­sche Abge­ord­ne­te Gior­gos Psy­cho­gi­os hat eine Peti­ti­on an den Minis­ter für Migra­ti­on und Asyl, Notis Mit­a­ra­kis, ein­ge­reicht, in der er die Ver­wei­ge­rung der Regis­trie­rung von RSA als unrecht­mä­ßig zurück­weist. Psy­cho­gi­os stellt fest, dass auch eine Abschie­bungs­an­ord­nung Men­schen nicht ihrer Grund­rech­te nach grie­chi­schem und inter­na­tio­na­lem Recht berau­ben kön­nen. Die Kri­mi­na­li­sie­rung der Soli­da­ri­tät stel­le die Grund­prin­zi­pi­en der Rechts­staat­lich­keit in Frage.

Auch auf EU-Ebe­ne wur­de eine par­la­men­ta­ri­sche Anfra­ge gestellt. Dami­an Boe­se­la­ger Grüne/EFA) und Tine­ke Strik (Grüne/EFA) fra­gen die Euro­päi­sche Kommission:

»Ist die Kom­mis­si­on der Auf­fas­sung, dass der Stand­punkt der grie­chi­schen Behör­den, wonach die Rechts­be­treu­ung von Per­so­nen, die aus­ge­wie­sen wer­den sol­len, rechts­wid­rig sei, mit den euro­päi­schen Wer­ten und mit dem Besitz­stand der EU, ins­be­son­de­re mit den Richt­li­ni­en 2008/115/EG, 2013/32/EU und 2013/33/EU sowie mit der Char­ta der Grund­rech­te, ver­ein­bar ist?«

Wie weiter ?

Trotz der Wei­ge­rung der Regie­rung, RSA zu regis­trie­ren, geht die Arbeit von RSA und ande­rer betrof­fe­ner Orga­ni­sa­tio­nen wei­ter. Finan­zi­ell ist RSA nicht auf die Behör­den ange­wie­sen, da die Orga­ni­sa­ti­on kei­ne staat­li­che Finan­zie­rung bezieht. Aber nicht-regis­trier­ten NGOs wird der der Zugang zu den Flücht­lings­la­gern und den Hot­spots ver­wei­gert. Aber gera­de für die Anwäl­tin­nen ist der Zugang zu ihren Mandant*innen wich­tig, er darf ihnen nicht ver­wei­gert werden.

Grie­chen­land will die Arbeit von Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen, die gegen rechts­wid­ri­ge Asyl­ge­set­ze kla­gen, behin­dern und verhindern.

Doch genau dar­um geht es Asyl- und Migra­ti­ons­mi­nis­ter Mit­a­ra­kis mit sei­ner NGO-Zwangs­ja­cke: Er will die Arbeit von Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen, die gegen rechts­wid­ri­ge Asyl­ge­set­ze vor dem grie­chi­schen Staats­rat oder für die Rech­te von Schutz­su­chen­den vor dem Euro­päi­schen Gerichts­hof für Men­schen­rech­te kla­gen, behin­dern und ver­hin­dern. Er will ver­hin­dern, dass die Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen auf See und in den Lagern doku­men­tiert wer­den können.

Es wird Zeit, dass sich die EU und die künf­ti­ge Bun­des­re­gie­rung an die Sei­te der bedräng­ten grie­chi­schen Orga­ni­sa­tio­nen stel­len. Der Euro­päi­sche Gerichts­hof hat kürz­lich ein kla­res Signal aus­ge­sen­det. Er hat das soge­nann­te »Stop Soros«-Gesetz in Ungarn, das Flücht­lings­hel­fer kri­mi­na­li­siert, kas­siert. Dar­an soll­ten sich auch die EU und die künf­ti­ge Bun­des­re­gie­rung orientieren.

(kk)