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Allein in Abschiebungshaft: Jugendlicher als Letzter am Frankfurter Flughafen
Ein 16-jähriger Junge aus der Demokratischen Republik Kongo wird derzeit als einzig Verbliebener in der Hafteinrichtung am Frankfurter Flughafen festgehalten und soll im Mai zurückgeführt werden. Das BAMF hält ihn für volljährig, doch dies wirft Fragen auf. Auch ist eine Abschiebung unter den derzeitigen Corona-Bedingungen unverantwortlich.
Eugène* landete Mitte März am Frankfurter Flughafen, woraufhin ihm die Einreise verweigert, er inhaftiert sowie sein Asylantrag im sogenannten Flughafenverfahren – einem Schnellverfahren – bearbeitet wurde. Alarmierend in dem Fall ist, dass Eugène höchstwahrscheinlich erst 16 Jahre alt ist.
Update, 01.05.: Die rechtlichen Schritte gegen die Inhaftierung waren erfolgreich, der Betroffene durfte mittlerweile einreisen.
VERSCHIEDENE DOKUMENTE BELEGEN MINDERJÄHRIGKEIT
Für die Altersfeststellung kann er urkundliche Beweise vorlegen: mit sich führt er seine Geburtsurkunde, ein Schulzeugnis, einen Schülerausweis mit Lichtbild und einen Arztbericht. Alles mit dem Geburtsdatum 2003 versehen. Laut erfahrenem Anwalt lässt auch das Erscheinungsbild auf die Minderjährigkeit schließen – das Jugendamt verneinte dies jedoch zunächst, ohne Eugène überhaupt angesehen zu haben, da es wegen der Corona-Einschränkungen nicht zur persönlichen Inaugenscheinnahme in die Haft wollte.
Nachdem er nach Aufforderung doch noch in Augenschein genommen wurde, wollte das Jugendamt von seiner Einstufung nicht abweichen. Angesichts der vorliegenden klaren Hinweise auf seine Minderjährigkeit, hätte hier genau geprüft werden müssen. Wie es der UN-Kinderrechtsausschuss zudem festhält: im Zweifel für die Minderjährigkeit! (Allgemeiner Kommentar No. 6, Rn. 31).
Warum er dennoch mit einem angolanischen Pass mit Geburtsdatum 1998 einreiste, kann Eugène plausibel begründen: Um seine Ausreise via Luftweg zu ermöglichen, musste er seine Volljährigkeit vortäuschen, denn als Minderjähriger wäre ihm dieser Weg auf eigenständige Weise auszureisen, verwehrt geblieben. In diesem Zusammenhang gestand er, sich einen gefälschten angolanischen Pass besorgt zu haben, obwohl er selbst die kongolesische Staatsbürgerschaft besitzt und noch minderjährig ist.
Die Bundespolizei und das BAMF führen ihn aber trotzdem als Erwachsenen und berufen sich auf das im gefälschten angolanischen Pass angegebene Geburtsdatum. Damit wird Eugène die ihm, als vermutlich Minderjährigen, zustehende besondere Fürsorge verweigert.
Eine Ablehnung als »offensichtlich unbegründet« ist sehr schwerwiegend, weil Klagefristen verkürzt und eine aufschiebende Wirkung der Klage nicht automatisch gegeben ist.
Das BAMF lehnt ihn – wie im Flughafenverfahren häufig der Fall – als »offensichtlich unbegründet« ab. Eine solche Entscheidung ist rechtlich für Minderjährige normalerweise ausgeschlossen, da dies dem Kindeswohl widerspricht. Eine Ablehnung als »offensichtlich unbegründet« ist sehr schwerwiegend, weil Klagefristen verkürzt und eine aufschiebende Wirkung der Klage nicht automatisch gegeben ist. Außerdem ergeben sich zusätzlich viele Nachteile in späteren aufenthaltsrechtlichen Belangen.
OFFENSICHTLICHE WIDERSPRÜCHE DES BUNDESAMTES: KONGOLESE JA; MINDERJÄHRIGKEIT NEIN
Worin sich das Bundesamt offensichtlich widerspricht ist, dass sie Eugène zwar als kongolesischen Staatsangehörigen führt, also in dieser Hinsicht den vorgelegten angolanischen Pass nicht anerkennt, aber auf der anderen Seite sich dennoch mehrmals auf die Echtheit des angolanischen Dokuments stützt.
Da der einzige Hinweis auf Volljährigkeit der angolanische Pass ist, passen die Angaben des Bundesamts nicht zusammen.
An der kongolesischen Staatsangehörigkeit besteht kein Zweifel: Eugène spricht Lingála und Französisch und somit die Amtssprachen der DR Kongo, hingegen nicht das in Angola geläufige Portugiesisch. So hat er auch die für das Asylverfahren notwendige Anhörung in Lingála durchgeführt. Neben dem vorgelegten Schulzeugnis und Schülerausweis konnte der Betroffene seinen täglichen Schulweg detailliert beschreiben. Der anwesende Dolmetscher, der angab die Gegend gut zu kennen, bestätigte indes die Angaben des Antragsstellers. Dennoch geht das Bundesamt weiterhin von dessen Volljährigkeit aus.
Es wirkt gerade so, als suche sich das Bundesamt jene Informationen zusammen, welche eine schnelle Abschiebung ermöglichen: kongolesische Staatsangehörigkeit ja, Minderjährigkeit nein. Da der einzige Hinweis auf Volljährigkeit jedoch der angolanische Pass ist, passen diese Angaben nicht zusammen.
Rückführung trotz Einreiseverboten?
Eugène sitzt seit der Ablehnung seines Asylantrages in Haft am Frankfurter Flughafen, da er rückgeführt werden soll. Doch ist dies – wie sich in den Fällen zweier Iranerinnen und einer Togolesin zuletzt schon gezeigt hatte – angesichts der Corona-Pandemie keine einfache Sache. Die Abschiebung ist entweder in sein Herkunftsland DR Kongo oder laut ICAO-Abkommen, welches die Zurückweisung in den Staat vorsieht über den man per Flugzeug eingereist ist, nach Angola möglich.
In beiden Staaten wurden strikte Einreiseverbote verhängt (DR Kongo bis 24.04.2020, Angola bis 04.04.2020) und Ausnahmezustände (DR Kongo 23.04.2020, Angola 11.04.2020) ausgerufen (Auswärtiges Amt zu DR Kongo, Auswärtiges Amt zu Angola).
Da viele afrikanische Staaten erst am Beginn der Coronavirus-Pandemie stehen, ist zu erwarten, dass sowohl Einreiseverbote als auch Ausnahmezustände verlängert werden müssen. Hinzu kommt, dass die Gesundheitssysteme beider Länder als labil gelten und mit schlimmen Folgen bei zunehmenden Infektionszahlen zu rechnen ist.
Nichtsdestotrotz halten die deutschen Behörden an ihren Plänen fest. Wann genau die Abschiebung terminiert wird, geht aus den Ausführungen noch nicht hervor – von Anfang Mai ist die Rede, weil eine Reiseagentur dann wieder Buchungen anbieten würde. Bei Verhängung von Abschiebungshaft und Inhaftierung im Flughafengewahrsam ist jedoch immer der Beschleunigungsgrundsatz zu beachten. Der Freiheitsentzug soll nur so kurz wie möglich und so lange wie nötig verhängt werden, um Art. 104 GG nicht zu missachten. Dem zuständigen Haftrichter am Amtsgericht Frankfurt genügte diese vage Aussage dennoch, um die Inhaftierung von Eugène um einen Monat zu verlängern. Humanität vonseiten der deutschen Behörden sieht anders aus. Der Anwalt des Betroffenen legte unmittelbar Haftbeschwerde ein.
Dass das Festhalten an der Haft unverantwortlich ist, zeigt auch die jüngste Entscheidung des Landgerichts Ingolstadt vom 08.04.2020: Wir berichteten über den Fall der togolesischen Frau, die in einem Einzelcharter abgeschoben werden sollte. Das Landgericht entschied, dass eine Rückführung derzeit als unwahrscheinlich gelte, da sich »nach Pressemitteilungen […] sich der Kontinent Afrika noch am Anfang der Pandemie [befindet], sodass eine hier nicht bestätigte oder näher dargelegte Durchführung des Fluges zum 11.05.2020 nicht wahrscheinlich erscheint.« Dieser Urteilsspruch lässt sich gleichbedeutend auf den kongolesischen Jugendlichen übertragen.
ALLEIN IN ABSCHIEBUNGSHAFT AM FRANKFURT FLUGHAFEN
Während die rechtliche Auseinandersetzung weitergeht, harrt Eugène nun bereits seit Anfang April in der Hafteinrichtung im Transitbereich des Frankfurter Flughafens aus. Der Betrieb wurde angesichts von Corona auf ein Minimalmaß zurückgefahren. Keiner der vor Ort Anwesenden kann sich derzeit mit ihm auf Französisch verständigen. Außerdem wurden alle üblicherweise zur Verfügung stehenden Freizeitmöglichkeiten abgebaut – es bleibt ihm einzig möglich, den ganzen Tag fernzusehen.
Eine angemessene Unterbringung eines vermutlich minderjährigen Jungen sieht anders aus! PRO ASYL unterstützt ihn über den PRO ASYL – Rechtshilfefonds und fordert, Eugène sofort einreisen zu lassen.
Eine angemessene Unterbringung eines vermutlich minderjährigen Jungen sieht anders aus! PRO ASYL unterstützt ihn über den PRO ASYL – Rechtshilfefonds und fordert, Eugène sofort einreisen zu lassen. Sein Asylverfahren sollte erneut aufgegriffen werden.
*Name zum Schutz der Person geändert
(tl)