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Das Land Syrien ist seit 2011 von einem Bürgerkrieg zerüttet, der bis heute über 6,7 Millionen Menschen in die Flucht ins Ausland getrieben hat. Foto: picture alliance / AP Photo

Obwohl die Innenminister der Länder inzwischen wieder zurückgerudert sind, bleibt nach der Debatte um Syrienabschiebungen ein bitterer Beigeschmack. Die erneute Verlängerung um nur sechs Monate verunsichert die syrische Community weiterhin.

Nach wider­sprüch­li­chen Aus­sa­gen diver­ser Innen­mi­nis­ter bei der Innen­mi­nis­ter­kon­fe­renz (IMK) in Lübeck zur mög­li­chen Abschie­bung von Straf­tä­tern nach Syri­en und der dar­auf­fol­gen­den schar­fen Kri­tik von PRO ASYL, Amnes­ty Inter­na­tio­nal und Oppo­si­ti­ons­par­tei­en, hat der Schles­wig-Hol­stei­ner Vor­sit­zen­de Gro­te den Vor­stoß wie­der zurückgenommen.

Statt­des­sen wird der gene­rel­le Abschie­be­stopp erneut um nur sechs Mona­te ver­län­gert, das Aus­wär­ti­ge Amt (AA) soll bis dahin sei­nen Lage­be­richt aktua­li­sie­ren. Wäh­rend bis­lang das AA auf­ge­for­dert wur­de, eine dif­fe­ren­zier­te Betrach­tung von Rück­füh­rungs­mög­lich­kei­ten für Gefähr­der und Straf­tä­ter vor­zu­neh­men (ver­glei­che Beschluss vom Juni 2019 und von Novem­ber 2018) – sol­len jetzt die Vor­aus­set­zun­gen für die Rück­füh­run­gen von Gefähr­dern, Men­schen, die sich schwe­rer Straf­ta­ten schul­dig gemacht haben, und von »Hei­mat­be­su­chern« ent­we­der nach Syri­en oder in Dritt­staa­ten geschaf­fen wer­den (sz, 06.12.).

Lagebericht ist eindeutig: Abschiebungen nicht vertretbar

Die Debat­te zeugt davon, dass man den Inhalt der zu die­ser IMK aktua­li­sier­ten Lage­be­ur­tei­lung des Aus­wär­ti­gen Amtes, über die ver­schie­de­ne Medi­en berich­te­ten, offen­sicht­lich ein­fach nicht wahr­ha­ben will: Dar­in heißt es näm­lich, dass beson­ders Rück­keh­rer, die als oppo­si­tio­nell oder regime­kri­tisch bekannt sind oder auch nur als sol­che erach­tet wer­den, erneu­ter Ver­trei­bung, Sank­tio­nen bis hin zu unmit­tel­ba­rer Gefähr­dung für Leib und Leben aus­ge­setzt sei­en (dpa, 02.12.).

»»Nach wie vor besteht in kei­nem Teil Syri­ens ein umfas­sen­der, lang­fris­ti­ger und ver­läss­li­cher inter­ner Schutz für ver­folg­te Personen««

Lage­be­richt des Aus­wär­ti­gen Amtes

Es gebe »zahl­rei­che glaub­haf­te Berich­te über eine sys­te­ma­ti­sche, poli­tisch moti­vier­te Sicher­heits­über­prü­fung jedes Rück­kehr­wil­li­gen«. Auch eine im Sep­tem­ber ver­kün­de­te Gene­ral­am­nes­tie für Deser­teu­re blei­be in der Umset­zung »bis­lang wir­kungs­los«, kon­sta­tiert der Bericht. Es gebe eine anhal­ten­de Ver­haf­tungs­wel­le im Land, die »gefähr­det poten­ti­ell auch rück­kehr­wil­li­ge Syrer«, so das Aus­wär­ti­ge Amt. Ver­wie­sen wird auf eine Daten­bank mit 1,5 Mil­lio­nen Namen, die vom syri­schen Regime mit Haft­be­fehl gesucht wür­den. Vie­le syri­sche Geflüch­te­te hät­ten sich dar­auf mit kor­rek­ten Anga­ben wie­der­ge­fun­den (taz, 05.12.). »Nach wie vor« bestün­de gene­rell »in kei­nem Teil Syri­ens ein umfas­sen­der, lang­fris­ti­ger und ver­läss­li­cher inter­ner Schutz für ver­folg­te Per­so­nen«. (welt, 06.12.) Seit 2012 sei­en (vor allem in Assads Gefäng­nis­sen) »mehr als 144.000 Men­schen inhaf­tiert wor­den oder ver­schwun­den«, 17.000 Men­schen dabei »zu Tode gequält wor­den«. (tages­spie­gel, 07.12.)

Abschie­bun­gen nach Syri­en wür­den außer­dem bedeu­ten, dass sei­tens der Bun­des­re­gie­rung mit dem Regime von Dik­ta­tor Bas­har al-Assad zusam­men­ge­ar­bei­tet wer­den müss­te. Gro­te sprach der­weil nur von »Schwie­rig­kei­ten, dort Ansprech­part­ner zu fin­den«, nicht aber davon, dass es grund­sätz­lich frag­wür­dig ist, mit den Behör­den einer Regie­rung zu koope­rie­ren, die sich erwie­se­ner­ma­ßen schwers­ter Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen schul­dig gemacht hat.

Straftäter-Debatte soll Weg für Abschiebungen nach Syrien frei machen

Mit sei­nen Äuße­run­gen vor Beschluss­nah­me hat der Vor­sit­zen­de der IMK nicht nur ver­wirrt, er hat auch selbst eini­ges durch­ein­an­der gebracht. Das sieht man auch an sei­nen Äuße­run­gen zu Straf­tä­tern: Wenn schwe­re Straf­tä­ter ihren Flücht­lings­sta­tus nicht ver­lie­ren wür­den, wäre das der Bevöl­ke­rung nicht ver­mit­tel­bar.

Tat­säch­lich ist es schon jetzt recht­lich mög­lich, dass jemand, der eine schwe­re Straf­tat began­gen hat, sei­nen Schutz­sta­tus ver­liert. Dies ist in der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on vor­ge­se­hen und ist in Deutsch­land durch eine Aus­wei­sung mög­lich, wodurch der Per­son ihr Auf­ent­halts­recht ent­zo­gen wird (§ 53 Aufenthaltsgesetz).

Dies bedeu­tet aber nicht zwin­gend, dass eine Per­son auch abge­scho­ben wer­den darf. Denn hier gilt das völ­ker­recht­li­che Abschie­bungs­ver­bot (soge­nann­tes Non-Refou­le­ment-Gebot), wel­ches sich aus dem abso­lu­ten Fol­ter­ver­bot ablei­tet. Die­sem ist Deutsch­land zum Bei­spiel gemäß Art. 3 EMRK und Art. 7 UN-Zivil­pakt ver­pflich­tet. Wenn in einem Land so schwe­re Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen dro­hen wie in Syri­en, dann darf eben nie­mand in das Land abge­scho­ben wer­den – da dies sonst gegen das Fol­ter­ver­bot ver­sto­ßen würde.

Die­se Unter­schei­dung soll­ten Innen­mi­nis­ter ken­nen und men­schen­recht­li­che Grund­wer­te auch in der Öffent­lich­keit vertreten.

Eben­so ist der Hin­weis auf »Hei­mat­be­su­cher« pro­ble­ma­tisch, mit der ver­mut­lich an die hit­zi­ge »Urlaub in Syrien«-Debatte ange­knüpft wird. Die Orga­ni­sa­ti­on adopt a revo­lu­ti­on hat dazu bereits im August sehr gut zusam­men gefasst, dass man­che Syrer*innen die gro­ße Gefahr einer kurz­zei­ti­gen Rück­kehr auf sich neh­men, um zum Bei­spiel erkrank­te Eltern noch ein­mal zu sehen oder weil ihnen der Fami­li­en­nach­zug ver­wehrt wird. Dar­aus lässt sich nicht pau­schal ablei­ten, dass Syri­en sicher sei oder dass eine Abschie­bung der Per­so­nen rech­tens wäre.

Beispiel Afghanistan zeigt, wie schnell Kriterien aufgeweicht werden

Auch lässt auf­hor­chen, dass der Vor­sit­zen­de der IMK einen Ver­gleich zu Abschie­bun­gen nach Afgha­ni­stan gezo­gen hat. Denn nach Afgha­ni­stan wer­den schon lan­ge nicht nur Straftäter*innen abge­scho­ben, mitt­ler­wei­le gibt es kei­ne gene­rel­le Beschrän­kung mehr, nur von den Bun­des­län­dern sich selbst gege­be­ne Ein­schrän­kun­gen) – obwohl das Land in den letz­ten Jah­ren immer gefähr­li­cher gewor­den ist. Regel­mä­ßig ist ein gro­ßer Teil der Betrof­fe­nen in den Sam­mel­ab­schie­be­flie­gern nicht straf­fäl­lig gewor­den, schon gar nicht schwer.

Das Land dis­ku­tiert über Abschie­bun­gen, über die ange­sichts eines glas­kla­ren Lage­be­richts nicht zu dis­ku­tie­ren ist!

Selbst wenn sich bei die­ser IMK kei­ne sofor­ti­gen Ände­run­gen für Abschie­bun­gen nach Syri­en erge­ben haben, haben die Innen­mi­nis­ter mit ihrem Vor­stoß eins geschafft: Das Land dis­ku­tiert über Abschie­bun­gen, über die ange­sichts eines glas­kla­ren Lage­be­richts nicht zu dis­ku­tie­ren ist! Damit öff­nen sie die Debat­te auch für Stim­men, denen die Ein­hal­tung von Men­schen­rech­ten eh egal ist. Die »Erwar­tung der Bevöl­ke­rung«, dass nach Syri­en abge­scho­ben wer­den soll­te, wird so selbst geschaf­fen, indem ihre Legi­ti­mi­tät sug­ge­riert wird.

(tz / wj / mk)