20.11.2015

PRO ASYL hält an sei­ner Grund­kri­tik am Gesetz­ent­wurf zur „Ein­füh­rung beschleu­nig­ter Asyl­ver­fah­ren“ fest. Auch wenn auf den ers­ten Blick eini­ge Ver­schär­fun­gen aus dem Refe­ren­ten­ent­wurf von Anfang der Woche her­aus­ge­nom­men wur­den, ist der Ent­wurf gemes­sen an der aktu­el­len Geset­zes­la­ge ein weit­rei­chen­der Ein­schnitt in das Asylrecht.

Flücht­lin­ge sol­len ein Schnell­ver­fah­ren in „beson­de­ren Auf­nah­me­ein­rich­tun­gen“ durch­lau­fen, wenn ihnen unter­stellt wird, „Iden­ti­täts- oder Rei­se­do­ku­men­te […] mut­wil­lig ver­nich­tet oder besei­tigt [zu haben], oder die Umstän­de offen­sicht­lich die­se Annah­me recht­fer­ti­gen“ (§30a Abs. 3 AsylG). Die­se Vor­aus­set­zung ist ufer­los und kann von den Behör­den in der Pra­xis will­kür­lich ange­wandt wer­den. PRO ASYL befürch­tet, dass hier­un­ter bei­spiels­wei­se Flücht­lin­ge fal­len wer­den, die ohne Päs­se über meh­re­re euro­päi­sche Staa­ten nach Deutsch­land gekom­men sind.

Eben­so sol­len alle soge­nann­ten Fol­ge­an­trags­stel­ler – auch die­je­ni­gen, die bereits in Deutsch­land leben – in die Ein­rich­tun­gen ver­bracht wer­den. In der Pra­xis kann dies dazu füh­ren, dass bei­spiels­wei­se ein Afgha­ne, der seit meh­re­ren Jah­ren in Deutsch­land lebt und hier arbei­tet, aus sei­ner Stadt zwangs­wei­se in die „beson­de­re Auf­nah­me­ein­rich­tung“ ver­bracht wird, wenn er auf­grund der ver­schlech­ter­ten Sicher­heits­la­ge in Afgha­ni­stan erneut einen Asyl­an­trag stellt.

Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat in sei­nem Urteil zum Flug­ha­fen­ver­fah­ren von 1996 klar­ge­stellt, dass die Schutz­su­chen­den bei beschleu­nig­ten Son­der­ver­fah­ren Anspruch auf eine kos­ten­lo­se asyl­recht­li­che Bera­tung und anwalt­li­che Unter­stüt­zung haben müs­sen. Es ist voll­kom­men unklar, wie die­se Bera­tung fern­ab der Städ­te und Bal­lungs­zen­tren gewähr­leis­tet wer­den soll. PRO ASYL geht davon aus, dass der Geset­zes­ent­wurf zahl­rei­che Fehl­ent­schei­dun­gen durch die Behör­den pro­du­zie­ren wird und zugleich fak­tisch kei­ne rechts­staat­li­che Kor­rek­tur durch Anwäl­te und Gerich­te vor­ge­nom­men wer­den kann. Die Gro­ße Koali­ti­on hebelt damit das Asyl­recht in der Pra­xis aus.

Abschie­ben, bevor ein Arzt begutachtet

Durch den Geset­zes­ent­wurf „wird ver­mu­tet, dass der Abschie­bung gesund­heit­li­che Grün­de nicht ent­ge­gen­ste­hen“ (§ 60a Abs. 2c Auf­enthG). Zur Wider­le­gung der Ver­mu­tung bedarf es einer „qua­li­fi­zier­ten ärzt­li­chen Beschei­ni­gung.“ Dass die­se „unver­züg­lich“ durch einen Arzt bei­gebracht wer­den kann, wird in der Pra­xis oft nicht mög­lich sein. Die Ver­fah­ren sind so kon­stru­iert, dass Abschie­bun­gen statt­fin­den wer­den, bevor ein Arzt die Flücht­lin­ge unter­su­chen und eine umfang­rei­che ärzt­li­che Stel­lung­nah­me anfer­ti­gen konnte.

Die Gro­ße Koali­ti­on ver­sucht mit dem Ent­wurf zudem gesund­heit­li­che Grün­de, die gegen Abschie­bun­gen spre­chen, zu baga­tel­li­sie­ren. Nur noch „lebens­be­droh­li­che oder schwer­wie­gen­de“ Erkran­kun­gen, die „sich durch die Abschie­bung wesent­lich ver­schlech­tern wür­den“, sol­len einer Rück­füh­rung ent­ge­gen­ste­hen (§ 60 Abs. 7 AufenthG).

Eine Abschie­bung soll mög­lich sein, wenn eine „inlän­di­sche Gesund­heits­al­ter­na­ti­ve“ (S. 16) im Ziel­staat der Abschie­bung exis­tie­ren soll, unge­ach­tet der Fra­ge, ob die­se über­haupt erreich­bar ist. Denn eine „aus­rei­chen­de medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung“ lie­ge auch vor, „wenn die­se in einem Teil des Ziel­staats gewähr­leis­tet ist“ (§ 60 Abs. 7 Auf­enthG). Abge­scho­be­ne Flücht­lin­ge wer­den jedoch oft nur mit wenig Geld in ihr Her­kunfts­land ver­bracht, die Mög­lich­keit in einen ande­ren Teil des Lan­des zu rei­sen, um medi­zi­ni­sche Behand­lun­gen in Anspruch zu neh­men, sind finan­zi­ell und prak­tisch nicht mög­lich. Die Gro­ße Koali­ti­on will offen­bar so vie­le Flücht­lin­ge, wie nur mög­lich abschieben.

Psy­chi­sche Trau­ma­ta als Krank­hei­ten zwei­ter Klasse

Psy­chi­sche Trau­ma­ta sind oft schwer­wie­gend und kön­nen bei geplan­ten Abschie­bun­gen zu Sui­zid­ver­su­chen füh­ren. Den­noch erach­tet der Ent­wurf Post­trau­ma­ti­sche Belas­tungs­stö­run­gen nicht für schwer­wie­gend, sofern eine „medi­ka­men­tö­se Behand­lung“ mög­lich ist. Psy­cho­lo­gen sind nach Ansicht der Koali­ti­on offen­sicht­lich ein Berufs­stand min­de­rer Güte, inso­fern deren  Beschei­ni­gun­gen nicht mehr die Glaub­haft­ma­chung der Erkran­kung dar­le­gen kön­nen (S. 17).

 Abge­lehnt im Schnell­ver­fah­ren: Zwei­tes Asyl­pa­ket höhlt Rechts­staat wei­ter aus (27.11.15)

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