Hintergrund
Wie PRO ASYL entstand
Seit 35 Jahren engagiert sich PRO ASYL für die Flüchtlings- und Menschenrechte. Gegründet wurde die Organisation in einer Zeit, als Ausgrenzung und Diskriminierung von Flüchtlingen und Asylsuchenden die öffentliche Debatte dominierten. Die Idee dazu hatte Dr. Jürgen Micksch, der Gründer und heutige Ehrenvorsitzende von PRO ASYL.
Im Herbst 1985 kamen immer mehr Asylsuchende nach Deutschland. Die Stimmung in der Bevölkerung war ihnen gegenüber durchweg ablehnend. In zahlreichen kleineren Orten versammelten sich Bürger und versuchten zu verhindern, dass die Asylsuchenden in ihrem Ort aufgenommen werden. Und was empörend war: Es gab kaum eine Stimme, die sich für diese Flüchtlinge einsetzte. Damals sprach ich darüber mit meinem katholischen Kollegen Rechtsanwalt Herbert Becher vom Kommissariat der Deutschen Bischöfe, der viele Erfahrungen im Flüchtlingsbereich hatte.
Ich wollte mich dafür einsetzen, dass sich wenigstens die Sozialverbände zusammenschließen und für Flüchtlinge eintreten. Doch er sagte mir, dass ich das lassen sollte, da diese Verbände zerstritten seien und dabei nichts zu erreichen sei.
Das hat mich nicht zufriedengestellt. Zum 30. November 1985 lud ich zu einer Tagung der Evangelischen Akademie Tutzing nach Hof in Bayern ein, wo wir über die aktuellen Entwicklungen sprechen wollten. Teilgenommen hat neben Landesbischof Dr. Johannes Hanselmann der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) in Deutschland, René van Rooyen. Mein Gedanke war es, mit Hilfe des UN-Kommissars die deutschen Verbände zu einer Kooperation zu gewinnen. Am Abend nach der Veranstaltung saß ich mit René van Rooyen zusammen und fragte ihn, ob er sich vorstellen könnte, einen deutschen Flüchtlingsrat zu unterstützen, wie es ihn ähnlich in Holland gab. Er befürwortete dies und wir besprachen das weitere Vorgehen.
In den folgenden Monaten traf ich mich zu weiteren Gesprächen mit René van Rooyen, meinem katholischen Kollegen Pfarrer Herbert Leuninger vom Bistum Limburg, Günter Burkhardt vom Ökumenischen Vorbereitungsausschuss zur Woche der ausländischen Mitbürger und anderen. Gemeinsam sprachen wir über das Vorgehen und schließlich lud ich einen kleinen Kreis von verantwortlichen Persönlichkeiten vor allem aus den Sozialverbänden zu einer Tagung am 30. Juni 1986 in die Evangelische Akademie Tutzing ein. Dafür hatte ich ein »Konzept zur Bildung eines Flüchtlingsrates« vorbereitet, das ich bei der Sitzung vorlegen wollte. René van Rooyen sprach dort einführend und bald danach gab es so heftige Auseinandersetzungen, dass wir die vorgesehene Bildung eines Flüchtlingsrates zuerst einmal zurückstellten. In Absprache mit dem UNHCR in der Bundesrepublik Deutschland lud ich dann ausgewählte Personen zur »konstituierenden Sitzung des Flüchtlingsrates« für den 8. September 1986 in das Dominikanerkloster nach Frankfurt am Main ein.
Darauf schrieb mir Dr. Konrad Pölzl vom Deutschen Caritasverband in einem ausführlichen Brief, dass ihm das Vorgehen »überstürzt« zu sein schien und dass er nicht teilnehmen werde. Ähnlich äußerte sich das Diakonische Werk der EKD. Die Kritik erreichte auch den Vertreter des UNHCR, der in einem Schreiben an mich zwar einige kritisierte Punkte aufgriff, sich aber dafür aussprach, nicht »vom Datum des 8. September abzurücken«.
Die Gründung
Nach den kritischen Diskussionen vor der Sitzung war mir klar, dass wir nicht von einem »Flüchtlingsrat« sprechen sollten – aber einen geeigneten Namen konnte ich nicht finden. Am Abend vor der Zusammenkunft saßen wir in einem kleinen Kreis zusammen und sprachen über mögliche Namen. Da sagte Robin Schneider von der Gesellschaft für bedrohte Völker, es müsste ein Name wie Pro Flüchtlinge oder PRO ASYL sein. Das hat mich sofort überzeugt. Für diese Idee zahlte ich ihm zehn Pfennige – so wie ich es aus meiner Theaterzeit kannte. Seitdem bin ich Besitzer des Namens PRO ASYL. Abends besuchte ich Pfarrer Herbert Leuninger in Schwalbach, wo er wegen der Unterbringung von Flüchtlingen in Zelten in den Hungerstreik getreten war. Er konnte an der konstituierenden Sitzung nicht teilnehmen, gab mir aber seine Zustimmung zu den vorgesehenen Beschlüssen. Die Sitzung begann dann in guter Atmosphäre.
Der Name PRO ASYL fand breite Zustimmung. Wir nahmen eine Pressemitteilung einstimmig an, die ich am nächsten Tag selbst zur Frankfurter Rundschau, zur Deutschen Presseagentur (dpa) und zum Evangelischen Pressedienst (epd) brachte und in der es heißt: »Als Antwort auf die jüngste Asyldiskussion, welche die Aufnahme politischer Flüchtlinge in der Bundesrepublik infrage stellt, haben sich am 8. September in Frankfurt 15 verantwortliche Mitarbeiter aus Wohlfahrtsverbänden, Kirchen und Menschenrechtsorganisationen zu der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge ‚ PRO ASYL ́ zusammengefunden. … Der Vertreter des UNHCR in der Bundesrepublik, René von Rooyen, begrüßte in Frankfurt die Initiative als einen Schritt zur Versachlichung der Asyldiskussion. … Vorbereitet werden von PRO ASYL zurzeit Initiativen für den Tag des Flüchtlings am 3. Oktober 1986 …«
»Für diese Idee zahlte ich ihm zehn Pfennige – so wie ich es aus meiner Theaterzeit kannte. Seitdem bin ich Besitzer des Namens PRO ASYL.«
Die Pressemitteilung fand eine beachtliche Verbreitung. Unvergessen ist mir die Aussage einer Pfarrerin, die mir sagte, dass sie nach der Lektüre der wenigen Zeilen zur Gründung von PRO ASYL bitterlich geweint habe. Sie hat sich nicht vorstellen können, dass sich Menschen in Deutschland für Flüchtlinge zusammenschließen. Bereits am nächsten Morgen um 7 Uhr gab ich die ersten Inter-
views. Ich war nur noch mit PRO ASYL befasst, was ich zeitlich angesichts meiner Aufgaben in der Evangelischen Akademie Tutzing nicht leisten konnte. Wir hatten vereinbart, dass PRO ASYL drei Sprecher hat: Wolfgang Grenz von amnesty international aus Bonn, Herbert Leuninger vom Bistum Limburg aus Hofheim/Taunus und der erfahrene Rechtanwalt Victor Pfaff aus Frankfurt. Nach den vielen Anfragen beschloss ich, keine Interviews mehr zu PRO ASYL zu geben. Bereits im Vorfeld hatte ich gesagt, dass ich aus Zeitgründen nur den Vorsitz der Arbeitsgemeinschaft PRO ASYL übernehmen könne.
Die Anfragen von Medien an Victor Pfaff nahmen allerdings so zu, dass er nach 14 Tagen erklärte, dass er seine Sprecherfunktion nicht weiter wahrnehmen könne. Kurz darauf informierte mich auch Wolfgang Grenz, dass er aus Arbeitsüberlastung die Sprecherfunktion abgeben müsse. So blieb Herbert Leuninger, der von Bischof Franz Kamphaus teilweise freigestellt wurde und die Aufgaben acht Jahre lang übernahm. Er arbeitete eng mit Günter Burkhardt zusammen, der von Anfang an bis heute als Geschäftsführer PRO ASYL aufgebaut hat.
Kritik
Die Kritik an PRO ASYL ging allerdings weiter. Bereits wenige Tage nach der Gründung beschloss die Bundesarbeitsgemeinschaft der Wohlfahrtverbände, ihren Mitarbeitenden eine Mitwirkung bei PRO ASYL zu verbieten. Triumphierend informierte mich darüber der zuständige Referent des Bundesvorstandes der SPD und sagte, dass ich nun PRO ASYL »einpacken« könne. Die Mitwirkenden vom Deutschen Roten Kreuz oder der Arbeiterwohlfahrt kamen trotzdem zu den Sitzungen und mussten dafür einen Urlaubstag nehmen. Im Laufe der Jahre wirkten dann immer mehr Mitarbeitende der Wohlfahrtsorganisationen bei PRO ASYL mit. Erst nach über 30 Jahren hat die Bundesarbeitsgemeinschaft der Wohlfahrtsverbände auf Grund eines Schreibens von mir dieses Verbot aufgehoben.
Auch der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ließ mich zweimal darum bitten, die Arbeit für PRO ASYL zu beenden. Im Rahmen der Akademiearbeit setzte ich das ehrenamtliche Engagement fort. Umso mehr hat es mich gefreut, dass zum 20jährigen Jubiläum von PRO ASYL der Vorsitzende des Rates der EKD, Bischof Wolfgang Huber, an uns geschrieben hat: »Wenn es PRO ASYL nicht gäbe, müsste es erfunden werden. Aber zum Glück gibt es PRO ASYL seit zwanzig Jahren.«
»»Wenn es PRO ASYL nicht gäbe, müsste es erfunden werden. Aber zum Glück gibt es PRO ASYL seit zwanzig Jahren.««
Förderverein und Stiftung
In der Arbeitsgemeinschaft PRO ASYL wurde bald deutlich, dass die anfallenden Arbeiten nicht nur ehrenamtlich wahrgenommen werden konnten. Daher gründeten wir am 2. Dezember 1987 in
Frankfurt den »Förderverein PRO ASYL – Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge«, der in das Vereinsregister von Frankfurt am Main eingetragen wurde. Durch kostenlose Anzeigen z.B. im SPIEGEL gelang es uns, immer mehr fördernde Menschen zu gewinnen. Wir konnten Personal einstellen.
Da uns später z.B. Wohnungen mit Mieteinnahmen aus Nachlässen zur Verfügung gestellt wurden, war die Struktur eines Vereins überfordert. Im Jahr 2002 gründeten wir die Stiftung PRO ASYL, die insbesondere Projekte im Ausland wie in Griechenland förderte. 26 Jahre habe ich den Vorsitz der Arbeitsgemeinschaft PRO ASYL wahrgenommen, später auch den Vorsitz des Fördervereins und schließlich den der Stiftung. Im Jahr 2012 habe ich diese ehrenamtlichen Funktionen an Andreas Lipsch übergeben, der auch mein Nachfolger als Interkultureller Beauftragter der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) gewesen ist. Die Fördergemeinschaft von PRO ASYL machte mich beim Ausscheiden zum Ehrenvorsitzenden, was mich sehr gefreut hat. Die Arbeit wurde in meinem Sinn weitergeführt. Inzwischen hat der Förderverein über 25.000 Mitglieder und eine stabile finanzielle Struktur.
Jürgen Micksch
Der Text stammt aus dem Werk »Wandel durch Kontakte« (Januar 2021)