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Ein Leben für die Menschenrechte – PRO ASYL trauert um Herbert Leuninger
Herbert Leuninger war der Mitbegründer und charismatische Sprecher von PRO ASYL, Kopf der PRO ASYL-Bewegung, als es um den Kahlschlag des Asylrechts in Deutschland 1993 ging. Er hat sein Leben der Verteidigung von Flüchtlings- und Menschenrechten gewidmet. Herbert Leuninger ist am 28. Juli im Alter von 87 Jahren in Limburg gestorben.
»Wenn Staat und Behörden ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit nicht mehr täten, fällt den Bürgerinnen und Bürgern die Aufgabe zu, die Einhaltung der Menschenrechte mit allem Nachdruck einzufordern. Dies ist kein privates Hobby, dies ist eine öffentliche Aufgabe«, formuliert Herbert Leuninger im Jahr 2011.
In der Tradition des Widerstandes
Leuningers Wirken ist tief vom Wissen geprägt, was es bedeutet, in einer Gesellschaft zu leben, in der Barbarei und Unrecht herrschen. Als die Nationalsozialisten an die Macht kommen, ist er noch ein Kind. Die Eltern, Alois und Elisabeth Leuninger, sind überzeugte »Anti-Nazi«, Onkel Franz Leuninger, christlicher Gewerkschafter und Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime wird am 1. März 1945 im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee erhängt. Herbert Leuninger gehört einer Generation an, die den Kampf für die Menschenrechte als existenzielle Aufgabe begreift.
Er wird katholischer Pfarrer und widmet seine Arbeit denjenigen, die ihrer Stimme beraubt und ohne Rechte sind – den Flüchtlingen. Von 1972 bis 1992 wird Leuninger Migrationsreferent des Bischofs von Limburg.
»Hungern für Häuser«
Am Gründungsakt von PRO ASYL nimmt der Gründer nicht teil: Herbert Leuninger tritt wegen der menschenunwürdigen Zeltunterbringung für Asylsuchende in den Hungerstreik. Am 8. September, dem Gründungstag von PRO ASYL, befindet er sich im Hungerfasten und will so lange im Lager verbleiben, bis die Zelte für die Flüchtlinge abgebaut sind.
Der Protest trägt Früchte: Nach fünf Tagen werden die Zelte abgebaut.
Gründung von PRO ASYL
Leuninger gründet zusammen mit Jürgen Micksch und anderen Menschenrechtsaktivisten aus Kirchen, Gewerkschaften, Verbänden und Flüchtlingsinitiativen die Menschenrechtsorganisation PRO ASYL. Bis 1994 ist er der Sprecher der Organisation, im Anschluss bis 1998 ihr Europa-Referent.
Anfang der 90-er Jahre erschüttern rassistische Angriffe auf Migrant*innen und Asylsuchende das Land. Flankiert werden sie von einer hässlichen, menschen- und flüchtlingsfeindlichen Debatte, die sich bis in den Bonner Bundestag den Weg bahnt. Das Recht auf Asyl sollte weitgehend abgeschafft werden.
»»Mit knappen Sätzen habe ich den bundesdeutschen Verfassungsschutz aufs Korn genommen. Dieser, so sagte ich, kümmere sich um vieles andere, nur nicht um die Verfassung. Deswegen seien wir als Bürgerinnen und Bürger unmittelbar aufgerufen. Stakkato brüllte ich ins Mikrofon: WIR-SIND-DER-VERFASSUNGSSCHUTZ!««
Der Kampf um das Asylrecht
1992 und 1993 mobilisiert PRO ASYL mit einer großen Kampagne für den Erhalt des Asylrechts nach Artikel 16 Grundgesetz. Am 3. Oktober 1992 protestieren weit über 100.000 Menschen im Bonner Hofgarten gegen Rassismus und für das Grundrecht auf Asyl. Herbert Leuninger hat das Schlusswort: »Mit knappen Sätzen habe ich den bundesdeutschen Verfassungsschutz aufs Korn genommen. Dieser, so sagte ich, kümmere sich um vieles andere, nur nicht um die Verfassung. Deswegen seien wir als Bürgerinnen und Bürger unmittelbar aufgerufen. Stakkato brüllte ich ins Mikrofon: „WIR – SIND – DER – VERFASSUNGSSCHUTZ!« erinnert sich Leuninger.
Leuninger ist auch am 26. Mai 1993 in der riesigen Menschenmenge, die den Bonner Bundestag blockiert. Die Abgeordneten erreichen das Gebäude nur noch über eine Schiffsanlegestelle am Rhein. Der Protest ist vergebens: Der Bundestag ändert das Grundrecht auf Asyl. Nur wenige Tage später, am 5. Juni 1993 wird Herbert Leuninger bei einer Solidaritätskundgebung in Solingen nach den rechtsextremistischen Morden an fünf Angehörigen der Familie Genç mahnen: »Eine Politik, die um rechts buhlt, führt uns in die Katastrophe!«
Leuninger kämpft gegen Rassismus und rechtsextreme Gewalt und prangert eine Politik an, die immer wieder davor eingeknickt ist. Ein Jahr nach dem Einschnitt in das Grundrecht auf Asyl beschreibt er die neue Asylpolitik als »das konzertierte AB« – Abschottung, Abschiebung, Abschreckung.
Herbert Leuninger verzagt angesichts des grundrechtlichen Kahlschlags nicht. Nach dem vergeblichen Kampf für den Erhalt eines Grundrechts basierend auf den Erfahrungen der Nazidiktatur gibt er die Richtung vor: PRO ASYL muss sich der europäischen Herausforderung stellen. Es geht um den Erhalt des Asylrechts in Europa, ja weltweit. Die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention müssen verteidigt werden: Es geht um den Erhalt des Zugangs zu einem Recht auf Asyl. Noch kurz vor seinem Tod lässt er sich über die Anstrengungen und Projekte von PRO ASYL in Griechenland und an Europas Grenzen berichten.
Leuningers Wirken wird mehrfach ausgezeichnet: 1991 mit der Wilhelm-Leuschner-Medaille der Hessischen Landesregierung, 1998 mit dem Walter-und-Marianne-Dirks-Preis (gemeinsam mit seinem Bruder Ernst Leuninger).
Wir trauern um einen großen Menschen und unersetzbaren Mitstreiter für die Rechte Schutzsuchender. Unser Mitgefühl gilt seiner Familie.
Da uns viele Kondolenzbekundungen von Mitstreiter*innen und Freund*innen erreichen, öffnen wir hier den Raum für persönliche Abschiedsworte.
Jürgen Micksch, Mitgründer & Ehrenvorsitzender von PRO ASYL:
»Herbert Leuninger war das Gesicht von PRO ASYL und die katholische Stimme für Migranten und Flüchtlinge in Deutschland. Sein beispielhaftes Engagement wird weiter wirken.«
Claudia Roth, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags:
»Herbert Leuninger war radikaler Humanist und unbeugsamer Demokrat. Er war streitbarer Schützer unserer Verfassung, als andere das Grundrecht auf Asyl malträtierten. Für Herbert Leuninger war die Würde des Menschen kein Konjunktiv. Er war für mich immer mahnendes Vorbild. Herbert Leuninger wird uns sehr fehlen.«
Bernhard Döveling, Mitgründer von PRO ASYL:
»Herbert Leuninger: Ein Mensch und Priester, den man nicht vergisst, den ich nicht vergessen werde! Ich habe ihn kennen lernen dürfen, als überaus engagierten Christen und Mitbegründer von PRO ASYL, der sich mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, bis zum Hungerstreik vor den Toren einer Aufnahmestelle für Asylsuchende in Hessen, für eine menschenwürdige Zukunft der vor Not und Verfolgung geflohenen Menschen einsetzte.«
Günter Burkhardt, Geschäftsführer von PRO ASYL:
»Herbert war einer meiner politischen Väter. Ich bin dankbar, dass ich PRO ASYL mit ihm und Jürgen Micksch so lange gemeinsam aufbauen durfte. Er vermittelte uns in oft aussichtslosen Situationen, dass wir als Menschenrechtsaktivisten nie aufgeben und nie die Hoffnung verlieren dürfen. Als das Grundrecht auf Asyl geschleift war, trieb er uns an zur Verteidigung des Asylrechts an Europas Grenzen. Seine Fußstapfen sind groß, wir alle versuchen sie gemeinsam zu füllen.«
Gabriele Erpenbeck, Vorsitzende des ÖVA zur Interkulturellen Woche und
Klaus Barwig, vormals Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart:
»Die christlichen Kirchen im Land haben Herbert Leuninger viel zu verdanken: Als Ausländerreferent der Diözese Limburg war er in den ersten Jahrzehnten der Anwerbung und Beschäftigung von »Gastarbeitern« wesentlicher Impulsgeber für die Leitplanken einer kirchlichen »Migrationspolitik«, die aus theologischer Fundierung alle Vorläufigkeit und Ausgrenzung konsequent ablehnte, frühen Vorstößen fremdenfeindlicher und rassistischer Natur massiv entgegentrat und die Idee der faktischen Einwanderung entschieden verfocht – lange bevor hierüber gesellschaftlicher Konsens entstand. Pfarrer Herbert Leuninger war ein homo politicus: Wegbereiter für die Idee einer vielfältigen Gesellschaft – klug und weitsichtig, aber kompromisslos und unerschütterlich in seinem christlichen Glauben an die Würde eines jeden Menschen.«
Heiko Kauffmann, Mitbegründer von PRO ASYL:
Herbert war das Herz und die Seele der Bewegung, die sich 1986, an seinem Geburtstag, als Bundesarbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge PRO ASYL konstituierte.
- Niemand prangerte so deutlich, leidenschaftlich und entschlossen die Härte und Trostlosigkeit der herrschenden Asyl-Praxis und ‑Politik an wie er;
- niemand trat mutiger, hartnäckiger, „sturer“ und kompromissloser für den Erhalt des Grundrechts auf Asyl und für eine Willkommenskultur für Flüchtlinge ein;
- niemand setzte sich glaubwürdiger für eine Gesellschaft der Gerechtigkeit und Solidarität ein; für sein Credo „Niemand soll sich im Stich gelassen fühlen“ war er bereit zu hungern, zu streiten und Konsequenzen auf sich zu nehmen.
Herbert konnte streitbar, zornig und barsch mit politischen und medialen Scharfmachern von rechts umgehen – und er war warmherzig und emphatisch mit Vertrauten, Freunden und Flüchtlingen, die er unterstützte und die Ihn noch heute liebevoll „unseren Vater“ nennen.
Aus unserer Zusammenarbeit wuchs mit den Jahren immer größeres Vertrauen und eine enge Freundschaft, die mich mit Dankbarkeit erfüllt. Als er 1994 nach kraftzehrenden Jahren sein Amt als Sprecher aufgab, war es Herbert, der mich durch seine Bitte und sein Zureden bewog, seine Nachfolge als Sprecher anzutreten. Es folgten viele Jahre enger Zusammenarbeit, gemeinsamer Aktionen und intensiven Austausches.
Auch in den letzten Jahren – nach meinem Umzug nach Vorpommern – telefonierten wir häufig miteinander. Herbert nahm regen Anteil an unserer lokalen Flüchtlingsarbeit, unterstützte unsere Projekte, wollte aber auch immer genauestens über die Jungstörche im nahegelegenen Horst, über die Ankunft der Kraniche im Bodden und den Jahreslauf der Natur in Pommern informiert werden.
Bis zum Schluss trieb Ihn die Sorge über zunehmenden Rassismus und einen neuen Faschismus um; in unserem letzten Telefonat im Juli fragten wir uns, wie eine Welt aussähe, in der niemand mehr Not leiden müsste und gezwungen wäre zu fliehen. Bis zur Verwirklichung dieses Ziels – da waren wir uns einig – bleiben zivilgesellschaftliche Initiativen von unten und Menschenrechts-Organisationen wie PRO ASYL unentbehrlich und sind nötiger denn je.…
Ich sehe Herbert in seiner Küche sitzen, bei jeder Mahlzeit den großen Leuchtturm im Blick, – ein Geschenk der MitarbeiterInnen und des Vorstands zu seinem 75. Geburtstag, das ihn schmunzeln ließ und ihn immer wieder erfreute. Es sollte symbolisch – angelehnt an Ursprung und Bedeutung seines Namens – unseren Dank und unsere grosse Wertschätzung ihm gegenüber ausdrücken.
Ja, Herbert hatte die Fähigkeit, Licht, Kraft und Wärme auszustrahlen und zu verbreiten, immer wieder Leuchtfeuer der Menschlichkeit zu entfachen und Orientierung zu geben und – auch in dunklen Stunden und bei unruhiger See – die richtigen Signale zu senden.
Herbert Leuninger – ein unabhängiger authentischer Mensch, ein unbeirrbarer Kämpfer für Menschenrechte und Menschenwürde, ein radikaler Christ und Humanist : ein Licht im Dunkel, ein Leuchtturm in rauen Zeiten, eine Stimme gegen den Trend.
Behrouz Asadi, Leiter Migrationsbüro Malteser Rheinland/Pfalz:
Herbert Leuninger war für mich wie ein Vater oder großer Bruder. Meine Anerkennung für ihn wird ewig bleiben, da er für mich ein bedeutsamer Mensch war. Ich habe von ihm gelernt und erfahren was Zivilcourage bedeutet.
Im Jahr 1992 schrieb er an dem damaligen Innenminister, um mein Leben zu schützen, da ich von der islamischen Republik Iran bedroht wurde. Mit seinen klaren Worten hat er mein Leben gerettet.
Mir fehlen die richtigen Worte, um zu beschreiben, wie dankbar ich ihm für alles bin. Er hatte stets ein offenes Ohr für mich und ich konnte ihm jederzeit blind vertrauen. Ich begegnete ihm immer mit dem Wissen, dass er der Garant für meine Arbeit und mein Leben war. Er wird immer einen Platz in meinem Herzen haben. Ich kann es kaum glauben, dass wir uns an meinem 60. Geburtstag noch gesehen haben.
Sein Mut, sein Engagement für andere Menschen und vor allem seine direkten, klaren Aussagen haben mich geprägt und werden immer Teil meines Lebens sein.
Joachim Schäfer, katholische Domgemeinde Wetzlar:
Herbert Leuninger ist verstorben. Das stimmt mich sehr traurig. Eine mutige Stimme für die Flüchtlinge, ein Mensch mit Zivilcourage, politischer und prophetischer Überzeugung.
2007 haben wir ihn mit Jugendnetz Wetzlar gefilmt – eine sehr bewegende und motivierende Ansprache in Wetzlar.
Mögen seine Worte uns weiter begleiten und seine Kraft weiter bestärken! Solidarische Grüße voller Trauer und Anteilnahme.