Hintergrund
Praxishinweise zur aktuellen Aussetzung von Dublin-Überstellungen und Überstellungsfristen
Aufgrund der Corona-Pandemie hat das BAMF neben den Dublin-Überstellungen auch die Überstellungsfristen ausgesetzt und stützt letzteres auf § 80 Abs. 4 VwGO i.V.m. Art 27 Abs. 4 Dublin-III-VO. In diesen Praxishinweisen von PRO ASYL und Equal Rights Beyond Borders wird dieses Vorgehen analysiert und bezüglich verschiedener Fallgruppen geprüft.
Update 26.01.2021: Das Bundesverwaltungsgericht hat die Frage, ob die Aussetzung der Dublin-Fristen wegen der Corona-Pandemie europarechtswidrig war, mit Beschluss vom 26. Januar 2021 dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) vorgelegt. Wann mit einer Entscheidung des EuGHs zu rechnen ist, kann aktuell nicht vorhergesagt werden. In der Regel sind solche Verfahren aber für eine längere Zeit anhängig.
Update, 04.08.2020:
- Das BAMF hat die Praxis aufgegeben, bei Personen ohne anhängiges Klageverfahren § 80 Abs. 4 VwGO i.V.m. Art. 27 Abs. 4 Dublin-III-VO anzuwenden.
- Personen im Dublin-Verfahren, bei denen kein Klageverfahren anhängig ist und bei denen die Überstellungsfrist abgelaufen ist, sind nicht mehr länger von der Aussetzung der Überstellungsfrist betroffen und werden ins nationale Asylverfahren übernommen.
- Noch ist uns nicht bekannt, ob die Übernahme ins nationale Verfahren automatisch erfolgt oder ob das BAMF angeschrieben werden muss.
Update Mai 2020: In mehreren Entscheidungen wurde vom VG Schleswig-Holstein die Unterbrechung der Frist als europarechtswidrig beurteilt und nach Fristablauf die Zuständigkeit Deutschlands festgestellt. Siehe beispielsweise VG Schleswig-Holstein, Urteil vom 15.05.2020, Az. 10 A 596/19
Update, 16.04.2020: Die EU-Kommission stellt in ihrer Kommunikation zu Covid-19 und der Asylpolitik fest, dass eine Aussetzung der Überstellungsfristen aufgrund einer Pandemie keine Rechtsgrundlage in der Dublin-III-Verordnung hat und bestätigt damit die Rechtsauffassung von PRO ASYL. Entsprechend müssen laut Kommission die Fristen weiterlaufen und die Verantwortung nach Fristablauf auf den Mitgliedstaat übergehen, in dem sich die Person aktuell aufhält.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat in einer Mitteilung an die Präsident*innen der deutschen Verwaltungsgerichte bekanntgegeben, dass bis auf weiteres alle Dublin-Überstellungen sowie ‑Überstellungsfristen auf Grund der Corona-Pandemie ausgesetzt seien. Zudem erhalten viele Betroffene ebenso entsprechende Schreiben.
Das BAMF stützt die Aussetzung der Fristen auf § 80 Abs. 4 VwGO i.V.m. Art 27 Abs. 4 Dublin-III-Verordnung. Nach einer solchen Aussetzung soll die Überstellungsfrist komplett neu beginnen.
Nach § 80 Abs. 4 VwGO kann eine Behörde die Vollziehung eines Verwaltungsakts, der trotz Rechtsbehelf vollziehbar bleibt, aussetzen. Dies ist bei »Dublin-Bescheiden« der Fall, weil Klagen gegen diese Entscheidungen keine aufschiebende Wirkung haben. Art. 27 Abs. 4 Dublin-III-VO wiederum ermöglicht es den Mitgliedstaaten, die Aussetzung der Überstellungsentscheidung bis zum Abschluss des Rechtsbehelfs vorzusehen.
Nach Einschätzung des BAMF sind angesichts der wegen der Corona-Krise geschlossenen Grenzen und Reiseverbote in Europa Dublin-Überstellungen nicht vertretbar. Die zeitweise Aussetzung soll laut BAMF jedoch nicht zum Ablauf der jeweiligen Dublin-Überstellungsfrist führen, die nach Art. 29 Abs. 1 Dublin-III-VO grundsätzlich sechs Monate beträgt. Diese Frist, nach deren Ablauf die Zuständigkeit für das Asylverfahren auf Deutschland übergehen würde, werde unterbrochen. Dabei stützt sich die Behörde auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 08.01.2019 – 1 C 16.18). Demnach werde die Überstellungsfrist vor ihrem Ablauf durch eine Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsanordnung jedenfalls dann unterbrochen, wenn dies aus sachlich vertretbaren Gründen erfolgt ist.
Dieses Vorgehen des BAMF löst einige Unsicherheiten und Fragestellungen in der Beratungspraxis aus. Folgende kurze Zusammenstellung soll – auch auf Grund entsprechender Nachfragen und Diskussionen – eine kurze Übersicht über die Wirkungen dieser Entscheidung und Konsequenzen für die Beratungspraxis bieten. Diese kann freilich nur vorläufig und vorbehaltlich der weiteren Entwicklungen. Sie ersetzen keine anwaltliche Beratung.
Eine PDF-Version der Praxishinweisen mit weiteren Nachweisen ist hier zu finden.
Insbesondere Personen, bei denen aktuell ein Klageverfahren anhängig ist, sollten sich von fachkundigen Rechtsanwält*innen über das im individuellen Fall beste Vorgehen beraten lassen.
Zunächst ist festzustellen, dass das BAMF nicht rechtswirksam die Überstellung aussetzen und dadurch die Überstellungfrist in Fällen unterbrechen kann, in denen gegen den Dublin-Bescheid (konkret: die Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG) kein Rechtsmittel eingelegt wurde.
Auch wenn das BAMF den Hinweis ebenso an Personen im Dublin-Verfahren schickt, die nicht geklagt haben: Die aktuelle Vollziehungsaussetzung betrifft diese Fälle nicht. Die Überstellungsfrist endet regulär sechs Monate nach Annahme des Auf- oder Wiederaufnahmegesuches durch den anderen Mitgliedsstaat. Eine möglicherweise gegenteilige Auffassung des BAMF wäre juristisch kaum zu halten, wie folgend begründet wird.
- Nationales Recht – § 80 Abs. 4 VwGO
80 Abs. 4 VwGO regelt die Möglichkeit der Behörde, die Vollziehung eines Verwaltungsaktes »in Fällen des § 80 Abs. 2 VwGO« auszusetzen. Der Verwaltungsakt ist hier der Dublin-Bescheid. Die Klage gegen den Dublin-Bescheid hat keine automatische aufschiebende Wirkung, so dass ein Fall des § 80 Abs. 2 VwGO vorliegt. Diese Norm regelt eine Ausnahme vom Grundsatz des § 80 Abs. 1 VwGO, der bestimmt, dass Anfechtungsklagen grundsätzlich aufschiebende Wirkung haben. Insofern ist eindeutiger Bezugspunkt und Regelungsgegenstand des § 80 Abs. 4 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage. Die Behörde kann zwar die Vollziehung vor Klageerhebung aussetzen (BVerwG, Beschluss vom 17. 09.2001 – 4 VR 19/01 – Rn. 5), diese Aussetzung endet dann aber mit der Bestandkraft – also etwa mit Ablauf der Klagefrist oder Klageabweisung, vgl. auch § 80b Abs. 1 S. 2 VwGO. Ohne anhängiges Rechtsmittel kann es somit keine wirksame Vollziehungsaussetzung geben.
- Europarecht – Art. 27 Abs. 4 Dublin-III-Verordnung
Für Dublin-Bescheide wird dies auch eindeutig durch Art. 27 Abs. 4 Dublin-III-VO bestätigt. Denn dieser gibt der Behörde die Möglichkeit, die Durchführung der Überstellung »bis zum Abschluss des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung« der Überstellungsentscheidung – also des Dublin-Bescheides – auszusetzen. Ohne anhängiges Verfahren, mit dem die Rechtmäßigkeit des Bescheides überprüft wird, erlaubt Art. 27 Abs. 4 Dublin-III-VO der Behörde eine Aussetzung nicht. Laut der Entscheidung des BVerwG vom Januar 2019 ist die Klageerhebung »unionsrechtliches Mindesterfordernis« für die Aussetzung nach § 80 Abs. 4 VwGO i.V.m. Art. 27 Abs. 4 Dublin-III-VO (Rn. 29). Dies folgt im Übrigen auch aus Art. 29 Abs. 1 Dublin-III-VO, der für den Beginn der Überstellungsfrist die Annahme des Auf- oder Wiederaufnahmegesuches oder die endgültige Entscheidung über das Rechtsmittel gegen den Dublin-Bescheid bestimmt. Auch diese Regelung zeigt, dass es eine Verlängerung der Überstellungsfrist durch behördliche Aussetzung nach Art. 27 Abs. 4 Dublin-III-VO nur in Zusammenhang mit einem eingelegten Rechtsmittel geben kann.
Eine irgendwie geartete Ausnahmeregelung für die vorübergehende Unmöglichkeit von Überstellungen etwa auf Grund höherer Gewalt existiert nicht. Ziele der Dublin-III-Verordnung sind unter anderem die rasche Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates (Erwägungsgrund 5) und ein zügiger Zugang zu einem Asylverfahren in der Sache. Dieses Ziel wird auch nicht durch die vorübergehende Unmöglichkeit einer Überstellung in Frage gestellt.
- Keine analoge Anwendung
Auch eine analoge Anwendung von § 80 Abs. 4 VwGO auf bestandskräftige Dublin-Bescheide ist rechtlich nicht möglich. Dazu bedürfte es einer planwidrigen Regelungslücke. Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-VO regelt aber die Möglichkeiten der Verlängerung der Überstellungsfrist aus anderen Gründen als anhängigen Rechtsmitteln abschließend. Die Frist kann auf ein Jahr verlängert werden, wenn sich Antragstellende in Strafhaft befinden und auf 18 Monate, wenn Antragstellende flüchtig sind. Dies zeigt schon, dass in der Dublin-III-VO bewusst geregelt wurde, dass die Verlängerung der Überstellungsfrist nur an ausdrücklich normierten Verhalten von Antragsteller*innen anknüpfen soll. Es ist nicht überzeugend, dass Konstellationen übersehen wurden, in denen die Überstellung wegen Umständen unmöglich ist, die außerhalb des Verantwortungsbereiches sowohl der Antragstellenden als auch des unzuständigen Staates liegen. Solche Konstellationen waren auch vor der Corona-Krise denkbar.
Praxishinweis:
Nach Ablauf der jeweiligen – regulären und nicht wirksam ausgesetzten – Überstellungsfrist, sollte das BAMF aufgefordert werden, das Asylverfahren zu übernehmen, wie es nach Fristablauf durch die Dublin-III-Verordnung vorgesehen ist (Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG). Die Einleitung rechtlicher Schritte kann bereits angedroht werden. Sollte das BAMF sich weigern oder nicht reagieren, so ist in entsprechenden Fällen nach Ablauf der sechsmonatigen Überstellungsfrist ein Eilantrag beim zuständigen Verwaltungsgericht nach § 123 VwGO einzureichen, um das BAMF zur Bescheidaufhebung zu verpflichten sowie zur Aufnahme des Asylverfahrens und weiter dazu zu verpflichten, bis zur Aufhebung keine Überstellung durchzuführen bzw. durch die Ausländerbehörde durchführen zu lassen. Ein solcher »wirksamer und schneller« Rechtsbehelf ist unionsrechtlich verpflichtend vorgegeben (vgl. EuGH, Urteil vom 25.10.2017 – C‑201/16 (Shiri), Rn. 44 ff.). Teilweise anderslautende verwaltungsgerichtliche Beschlüsse, wonach ein Eilverfahren nicht statthaft sei, stehen in deutlichem Widerspruch zu dieser Rechtsprechung.
Wurden Klage und Eilantrag gegen den Dublin-Bescheid eingelegt und wurde dem Eilantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO stattgegeben, so entfaltet die vom BAMF angestrebte Vollziehungsaussetzung ebenfalls keine Rechtswirkung. Denn die Vollziehung ist bereits ausgesetzt. Für Betroffene ergeben sich keine Änderungen.
Ist der Eilantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO noch anhängig, ergibt sich aus der behördlichen Vollziehungsaussetzung auch keine zusätzliche Rechtswirkung für die Überstellungsfrist. Denn diese wird ohnehin unterbrochen während der Eilantrag anhängig ist und beginnt erst bei ablehnender Entscheidung über den Eilantrag oder die Klage erneut zu laufen (BVerwG, Urteil vom 26.05.2016 – 1 C 15.15; dann: möglicherweise Rechtswirkung der Vollzugsaussetzung, siehe III.).
Praxishinweis:
Trotz behördlicher Aussetzung dürfte das Rechtsschutzbedürfnis an einer stattgebenden Eilentscheidung, also einer gerichtlichen Aussetzung nach § 80 Abs. 5 VwGO (quasi zusätzlich zur behördlich angeordneten) nicht entfallen. Denn diese gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung entfaltet bis zur Entscheidung über die Klage Wirkung und nicht nur (unabsehbar) temporär, bis Überstellungen wieder aufgenommen würden, wie die BAMF-Entscheidung. Lehnt das Gericht den Eilantrag dennoch formaljuristisch mangels Rechtsschutzbedürfnisses ab, wäre nach Ende der behördlichen Überstellungs-Aussetzung ein Änderungsantrag nach § 80 Abs. 7 VwGO zu stellen, so dass das Gericht dann über die Gewährung des Eilrechtsschutzes zu entscheiden hätte.
Rechtswirkungen entfalten könnte die behördliche Vollziehungsaussetzung damit allein, wenn
- die Rechtsmittelfrist für den Dublin-Bescheid – insbesondere die Frist, den Eilantrag einzulegen – noch läuft oder
- nur eine Klage, aber kein Eilantrag, gegen den Dublin-Bescheid eingelegt wurde oder
- der Eilantrag vom Verwaltungsgericht abgelehnt wurde und die Klage noch anhängig ist.
Nach Logik des BAMF würden dann in all diesen Fällen die Vollziehungsaussetzung nach § 80 Abs. 4 VwGO i.V.m. Art. 27 Abs. 4 Dublin-III-VO die Überstellungsfrist unterbrechen, so dass die sechsmonatige Frist nach Ende der Vollziehungsaussetzung oder nach Abweisung der Klage erneut zu laufen beginnt. Dem Bundesamt stünden dann erneut volle sechs Monate zur Verfügung, um die Überstellung zu realisieren (BVerwG, Urteil vom 26.05.2016). Die Frist wir aber nur wirksam unterbrochen, wenn die Vollziehungsaussetzung rechtmäßig ist (Umkehrschluss aus: BVerwG, Urteil vom 08.01.2019, Rn. 21).
Es bestehen jedoch erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Vollziehungsaussetzung:
Grundsätzlich kommt der Behörde ein weites Ermessen bezüglich der Frage zu, aus welchen Gründen die Vollziehung von Dublin-Überstellungen nach § 80 Abs. 4 VwGO i.V.m. Art. 27 Abs. 4 Dublin-III-VO ausgesetzt wird. Allerdings sind diesem Ermessen unionsrechtliche Grenzen gesetzt. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat diese Grenzen bisher ausdrücklich offengelassen. Jedenfalls rechtswidrig sei die Vollziehungsaussetzung aber »[…] wenn bei klarer Rechtslage und offenkundig eröffneter Überstellungsmöglichkeit die behördliche Aussetzungsentscheidung allein dazu dient, die Überstellungsfrist zu unterbrechen, weil sie aufgrund behördlicher Versäumnisse ansonsten nicht (mehr) gewahrt werden könnte« (BVerwG, Urteil vom 08.01.2019, Rn. 27).
Vorliegend sind die Überstellungen aufgrund der Corona-Pandemie ausgesetzt, was nicht per se unter diesen Fall der Rechtswidrigkeit nach dem BVerwG fällt. Allerdings enthält die entsprechende Passage des Urteils ausdrücklich keine abschließende Bewertung, so dass die Frage der Rechtmäßigkeit der aktuellen Aussetzung nicht an Hand der Rechtsprechung abschließend beurteilt werden kann.
Für die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Aussetzung ist entscheidend, dass die Rechtsgrundlage, auf die sich das BAMF bezieht, eine Vollziehungsaussetzung nur in Bezug auf anhängige Rechtsbehelfe ermöglicht. Damit wird klar, dass hier die Behörde ein Ermessen hat, das in einem Sachzusammenhang mit dem Rechtsschutz steht. Der derzeit erteilte Überstellungsstopp für alle Überstellungen nach der Dublin-III-VO aufgrund der Corona-Krise steht gerade nicht in diesem Zusammenhang.
Berücksichtigt werden muss ebenso, dass es außerhalb des Einflusses der Betroffenen liegt, dass Überstellungen derzeit nicht durchgeführt werden.
Die Vollziehungsaussetzung würde zudem Personen mit anhängigem Rechtsmittel schlechter stellen als solche, die keine Klage eingereicht haben, da für diese eine Vollzugsaussetzung generell nicht in Betracht kommt. An die Inanspruchnahme von Rechtsschutz so negative Folgen zu knüpfen ist aus Sicht von Art. 19 Abs. 4 GG problematisch.
Außerdem widerspricht das Vorgehen des BAMF dem europarechtlichen Beschleunigungsgebots: Nach der Dublin-III-VO soll die Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaats und damit auch der Zugang zum inhaltlichen Asylverfahren schnell erfolgen. Nur so kann gewährleistet werden, dass die Betroffenen einen effektiven Zugang zum Asylverfahren und ihrer inhaltlichen Prüfung haben und sie dementsprechend Rechtssicherheit haben. So beschreibt es ausdrücklich auch die Verordnung in ihrem Erwägungsgrund 5:
»(…) Sie sollte insbesondere eine rasche Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats ermöglichen, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Gewährung des internationalen Schutzes zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz nicht zu gefährden.«
1. Kein anhängiges Klageverfahren: Sobald die Überstellungsfrist abgelaufen ist, sollte beim BAMF ein Antrag auf Aufhebung des Dublin-Bescheids und Durchführung des Asylverfahrens in Deutschland gestellt werden. Zur Sicherung des Anspruchs kann beim Gericht ein Antrag nach § 123 VwGO gestellt werden.
2. Stattgebender Eilbeschluss und anhängiges Klageverfahren: Die Überstellungsfrist läuft ohnehin nicht, da das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet hat. Durch die Rücknahme der Klage würde zwar die Frist zu laufen beginnen. Eine Klagerücknahme ist aber nur sinnvoll, wenn trotz stattgebendem Eilrechtsbeschluss geringe Erfolgsaussichten im Klageverfahren bestehen, dies muss rechtlich unbedingt geprüft werden.
3. Anhängiger Eilantrag und anhängiges Klageverfahren: Die Überstellungsfrist läuft nicht, da der Eilantrag aufschiebende Wirkung hat. An dem Eilantrag kann trotz behördlicher Aussetzung festgehalten werden. Es sollte jedoch geprüft werden, ob Eilantrag und Klage überhaupt Erfolgsaussichten haben. Nur wenn dies nach ausreichender rechtlicher Prüfung nicht der Fall ist, sollte eine Rücknahme erwogen werden, um die Überstellungsfrist in Gang zu setzen.
4. Kein Eilantrag gestellt aber anhängiges Klageverfahren: Nach Auffassung des BAMF wurde die Überstellungsfrist durch die behördliche Vollziehungsaussetzung unterbrochen. Diese Rechtsaufassung kann angegriffen werden, indem nach sechs Monaten (ab Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch den anderen Mitgliedsstaat) ein Eilantrag nach § 123 VwGO mit der Begründung gestellt wird, dass die Aussetzung rechtswidrig war und die Überstellungsfrist daher nicht unterbrochen wurde. Zusätzlich kann es – zwingend abhängig von den Erfolgsaussichten der Klage – sinnvoll sein, schon jetzt die Klage zurückzunehmen, damit im Fall, dass das Gericht der Rechtsauffassung des BAMF folgt, zumindest die Frist ab Klagerücknahme neu zu laufen beginnt. Nach sechs Monaten (ab Klagerücknahme) kann dann erneut ein Eilantrag nach § 123 VwGO zur Aufnahme des Asylverfahrens gestellt werden. Vor einer Klagerücknahme sollte jedoch ausreichend rechtlich geprüft werden, ob die Klage nicht Aussicht auf Erfolg hat.
5. Eilantrag abgelehnt und anhängiges Klageverfahren: Wie unter 4. mit der Abweichung, dass keine Anträge nach § 123 VwGO, sondern Anträge nach § 80 Abs. 7 VwGO zu stellen sind.
Für die Entscheidung ob eine Klagerücknahme oder eine Rücknahme noch anhängiger Eilanträge im Einzelfall sinnvoll ist, sollte in jedem Fall anwaltlicher Rat eingeholt werden. Es besteht stets im Fall der Klagerücknahme das Risiko, dass Überstellungen auch vor Ablauf der sechs-Monatsfrist wieder durchgeführt werden!
Im Ergebnis anders zu beurteilen sind Fälle, in denen die Dublin-Überstellung der Herstellung der Familieneinheit in einem anderen Dublin-Mitgliedsstaat dient, also auf den Art. 8–11 (Zuständigkeitskriterien bei Minderjährigen und Familienangehörigen), Art. 16 (Familienzusammen-führungen bei abhängigen Erwachsenen), Art. 17 Abs. 2 (Ermessensklausel) Dublin-III-VO beruht. Die Mehrzahl dieser familieneinheitsbezogenen Zuständigkeitsvorschriften erfordern ohnehin die Zustimmung der Antragstellenden (außer Art. 8 bei unbegleiteten Minderjährigen), so dass auch kein Rechtsbehelf gegen den Dublin-Bescheid anhängig sein dürfte, insofern die Überstellung ja dem Wunsch der Antragstellenden entspricht.
In diesen Fällen ist eine Überstellung nach Ablauf der Überstellungsfrist weiterhin möglich. Dies gilt unabhängig einer etwaigen Vollzugsaussetzung, sondern aus der Dublin-III-Verordnung selbst, insbesondere aus Art. 17 Abs. 2, und dem Grund- und Menschenrecht auf ein Familienzusammenleben nach Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK.
(wj / beb)