Hintergrund
Lernen ohne Zwang – die positive Vision der »Freien Dozent*innen«
Menschen, die nach Deutschland kommen, sei es als Asylsuchende, als Bürger*innen der Europäischen Union oder als sonstige Migrant*innen, wollen in der Regel Deutsch lernen, wenn sie es nicht schon können. Ihre Motivation muss aber aufrechterhalten werden.
Ein Gastbeitrag von Claudia Drenda und Linda Guzzetti
Es ist keine leichte Aufgabe, für viele Menschen mit sehr unterschiedlichen Kenntnissen und Lernbiographien ausreichende und passende Sprachkurse zu organisieren. Trotzdem darf bezweifelt werden, dass das Bundesministerium des Inneren die richtige Behörde dafür ist, da es für seine sonstigen Aufgaben eine ordnungspolitische Brille trägt. Ist es in der Lage, diese abzusetzen, um für die Gestaltung der Rahmenbedingungen der Kurse eine didaktische zu benutzen? Perspektivisch ist diese Debatte wichtig, aber gegenwärtig ist die Situation so, dass Asylsuchende mit guter Bleibeperspektive zu den Integrationskursen vom BAMF verpflichtet werden. Alle anderen Asylsuchenden und Migrant*innen werden durch die Kurse aufgefangen, die Länder und Kommunen bereitstellen.
Die Integrationskurse sollen die Teilnehmenden zum Sprachniveau B1 nach dem Europäischen Referenzrahmen führen, aber die Erfahrung zeigt, dass die dafür eingeräumte Zeit in vielen Fällen nicht reicht. Erst mit dem Trägerschreiber vom 11. April 2019 hat das BAMF endlich die Stundenzahl der Kurse von 600 auf 900 erhöht, leider ausschließlich für diejenigen, die erst das lateinische Alphabet lernen müssen; hinzu kommen die 300 möglichen »Wiederholungsstunden«.
Nach den Bestimmungen vom August 2018 (Rundschreibens des BAMF an die Träger vom 08.08.2018) müssen Teilnehmende der Integrationskurse vom Träger dem Jobcenter / der Ausländerbehörde gemeldet werden, wenn sie mehr als 20 Prozent der Unterrichtsstunden in einem Kursabschnitt oder ab drei Tagen am Stück entschuldigt oder unentschuldigt fehlen. Bei Krankheit muss nun schon ab dem 2. Fehltag ein ärztlicher Nachweis erbracht werden. Als Strafe kann Ihnen zum Beispiel die Möglichkeit versagt werden, Wiederholungsstunden in Anspruch zu nehmen. Darüber hinaus wurde die freie Wahl des Bildungsträgers sowie der Wechsel zu einem anderen Träger für die Teilnehmer*innen eingeschränkt. Diese Zwangsmaßnahmen halten wir für kontraproduktiv und unhaltbar, da sie an der Realität der Teilnehmer*innen vorbeigehen und ein repressives Kursklima schaffen.
Für die Teilnehmenden entsteht durch so ein Kontrollsystem ein Klima des Generalverdachts und dies belastet das Vertrauensverhältnis
Zwar setzen Sanktionen nur beim unentschuldigten Fehlen ein, aber dieses Kontrollsystem hat Auswirkungen auf den Alltag der Kurse. Die tägliche Mitteilung der Teilnahme jeder Person in jedem Kurs bedeutet für die Lehrenden und die Träger eine zusätzliche Arbeitsbelastung. Für die Teilnehmenden entsteht durch so ein Kontrollsystem ein Klima des Generalverdachts und dies belastet das für den Lernerfolg so wichtige Vertrauensverhältnis zwischen Teilnehmenden und Dozent*innen.
Für das Bündnis »Freie Dozent*innen« ist es hingegen wichtig, dass die Neugier, mit der die Teilnehmenden zu den Kursen kommen, verstärkt wird, sodass ihnen ein positiver Zugang zur deutschen Sprache ermöglicht wird. Zwang versperrt aber allen Erfahrungen nach diesen Zugang. Wir erleben unsere Teilnehmer*innen zum größten Teil motiviert und sehr interessiert daran, die deutsche Sprache zu erlernen, die nicht für ihre Einfachheit bekannt ist. Gerade Geflüchtete müssen oft ein völlig neues Schriftsystem in einer Sprache lernen, die von ihrer eigenen Muttersprache sehr weit entfernt ist. Es bedeutet sehr viel Arbeit und Übung, oft erschwert durch folgende Umstände: Unsere Teilnehmer*innen sind nicht hauptsächlich junge, gesunde alleinstehende Menschen, die ihren Alltag rein am Deutschkurs ausrichten können. Viele haben Kinder oder sogar schon Enkelkinder und/oder sind seit längerem kein Schulumfeld mehr gewöhnt. Sie haben regelmäßige Behördentermine, viele sind auf Wohnungssuche, leben oft auf engsten Raum in Heimen, also an Orten ohne Ruhe zum Lernen. Viele werden von (chronischen) Krankheiten geplagt, sind vor Krieg und Unrecht geflohen und haben lebensbedrohliche Situationen durchlebt, deren Folgen oft Traumata sind. Der Fehlzeitenkatalog des BAMF, der die offiziell anerkannten Gründe für das Fernbleiben vom Unterricht aufführt, sowie die neuen Regelungen berücksichtigen diese Lebensrealitäten der Teilnehmer*innen nicht.
Sie müssen abwägen, ob sie ihre geringe Chance auf eine Wohnung im Vorhinein aufgeben, weil sie Besichtigungstermine zu Unterrichtszeiten nicht wahrnehmen können.
Wir Dozent*innen sind dagegen, dass der Verfall des Anspruches auf ihren Deutschunterricht wie ein Damoklesschwert über den Teilnehmer*innen schwebt. Ihnen kann der Leistungsbezug vom Jobcenter gekürzt werden, obwohl das Jobcenter wie auch die Ausländerbehörde oftmals Termine in die Unterrichtszeit legen und damit selber eine ordnungsgemäße Kursteilnahme verhindern. So etwas erzeugt Ohnmacht. Auch ist es möglich, dass sich zu hohe Fehlzeiten negativ auf die Teilnehmer*innen bezüglich ihrer Aufenthaltsverlängerung und ihre Chance auf Familiennachzug auswirken. So müssen sie z.B. auch abwägen, ob sie bei Krankheit zu Hause bleiben können bzw. sie ihre geringe Chance auf eine Wohnung im Vorhinein aufgeben müssen, weil sie Besichtigungstermine zu Unterrichtszeiten nicht wahrnehmen können. In dieser Unsicherheit zu leben ist eine Zumutung und kontraproduktiv für das Lernen.
Wir sehen uns solidarisch an der Seite unserer Teilnehmer*innen, denn wir wissen, mit welchen Voraussetzungen sie die Deutschkurse besuchen und in welchen Lebenslagen sie sich momentan befinden. Wir möchten das Interesse und die Neugier, mit der Teilnehmer*innen zu uns kommen, weiter fördern, so dass sie ihren positiven Zugang zur deutschen Sprache und ihre Freude am Lernen beibehalten. Mit Zwang ist dies unserer Ansicht und unserer Erfahrung nach nicht möglich. Was sie neben Motivation und Vertrauen brauchen, ist vor allem ausreichend Zeit. Die Kursdauer, ‑größe und ‑stabilität sollte dringend den spezifischen Lern-und Lebenssituationen der Teilnehmer*innen Rechnung tragen, auch der von älteren und lernungewohnten.
Um erfolgreich lernen zu können, müssen sich die Teilnehmer*innen in ihren Kursen und mit den Dozent*innen wohl fühlen, sich von ihnen gefordert und gefördert fühlen. Deshalb ist die selbstbestimmte Wahl der Lernumgebung von immenser Bedeutung. Nicht immer passt die Stimmung zwischen Dozent*in und Teilnehmer*in. Auch werden Teilnehmer*innen zur Wahrung der Mindestteilnehmendenzahl oft in falsche Kursniveaus eingestuft, was in der Regel weitreichende Folgen nicht nur für den Lernerfolg jedes Einzelnen, sondern auch für die Gruppendynamik im Kurs hat. Die einzige Möglichkeit der Teilnehmer*innen, den eigenen Lernerfolg trotz alledem zu sichern, war bisher der Wechsel des Kursträgers. Diese Möglichkeit wurde nun erheblich beschnitten. Wir verstehen nicht, wie dies dazu führen soll, dass mehr Menschen die Sprache lernen, um ihren Alltag in Deutschland meistern zu können, und den Deutschtest für Zuwanderer erfolgreich bestehen.
Die Initiative »Freie Dozent*innen Berlin« ruft gemeinsam mit Organisationen, die die Rechte der Migrant*innen und Asylsuchenden thematisieren und verteidigen am 20. Juni 2019, dem internationalen Weltflüchtlingstag, zu einer Kundgebung vor dem Bundesministerium des Inneren in Berlin (Alt-Moabit 140) auf.
»Freie Dozent*innen Berlin« ist eine Gruppe von in Integrationskursen tätigen Dozent*innen, die seit 2015 existiert. Sie hat im März 2016 eine Kundgebung vor dem Bundesministerium des Inneren organisiert, die zur Erhöhung der Honorare der Dozent*innen in den Integrationskursen beigetragen hat. Aber die Gruppe beschäftigt sich nicht nur mit den – immer noch prekären – Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte, sondern hat im Dezember 2018 eine Initiative gestartet, bei der die Kursteilnehmenden im Mittelpunkt stehen. In einem Brief an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), der von 30 weiteren Gruppen und Initiativen sowie über 100 Einzelpersonen mitunterzeichnet wurde, wird auf die Auswirkungen der Bestimmungen des BAMF hingewiesen, welche Engpässe und Sanktionen immer weiter verschärfen.