Hintergrund
Geflüchtete in Italien – zwischen Hoffnungslosigkeit und Ausbeutung
Die allermeisten der Menschen, die über das Mittelmeer nach Europa fliehen, kommen in Italien an. Doch die Unterbringungssituation dort ist unübersichtlich, die Asylantragsstellung schwierig. Viele leben unter prekären Bedingungen, manche sind gar obdachlos.
Zäune teilen das Gelände der ehemalige Kaserne Gasparro in Messina. Auf der einen Seite befindet sich der neueste Hotspot Italiens, der im Oktober 2017 als fünfter seine Tore öffnete (oder besser hinter den Geflüchteten schloss). Messinas Bevölkerung war jedoch nicht gewillt, einen Hotspot in der eigenen Stadt zu tolerieren, daher nennt es sich »Zentrum für die allererste Aufnahme«. Ein Selbstbetrug, denn das Zentrum arbeitet tatsächlich genauso wie ein Hotspot: mit EASO Beamt*innen und sicher bald auch mit Frontex-Beamt*innen, die dort so genannte »Wirtschaftsmigrant*innen« von potentiellen Asylsuchenden trennen.
Auf der anderen Seite des Zaunes leben derzeit vor allem männliche Geflüchtete aus dem Subsahararaum in einem so genannten CAS, einem außerordentlichen Aufnahmezentrum. Dieses soll eigentlich nur zum Übergang dienen, bis ein Platz in einem »richtigen« Aufnahmezentrum gefunden wird. Nicht selten jedoch verbringen Geflüchtete Jahre in diesen »Notfallzentren«, die nicht darauf angelegt sind, Menschen in den italienischen Alltag zu integrieren und sie auf das Leben dort vorzubereiten.
Die Unterkunft ist seit langem in der Kritik, trotz Renovierungsarbeiten ist sie bei jedem größerem Regenguss überschwemmt, die Bewohner müssen dann draußen in Zelten auf Feldbetten schlafen. In Sizilien ist es kalt im Winter, es regnet viel. Auch sonst ist das CAS eine eher prekäre Einrichtung: keinerlei Gemeinschaftsräume, Wäsche muss auf dem Trennzaun zum Hotspot aufgehängt werden, es gibt selten warmes Wasser, neue Kleidung gibt es nur einmal bei der Ankunft – das bedeutet, dass viele Bewohner Ende November mit Sommerkleidung herumlaufen. Viele leiden unter Hautkrankheiten, da sie sich nicht richtig waschen und die Wäsche wechseln können.
Viele Zentren, viel Chaos
Das große Problem der italienischen Unterbringungspolitik ist seit langem der Notstandscharakter und das Chaos in den verschiedenen Zentrumstypen. So gibt es nicht nur die CAS, die in immer abgelegeneren Orten eröffnet werden, sondern auch noch CARA – Zentren für Asylsuchende – und SPRAR, die »Zweitunterkunft«, die laut italienischer Regierung die einzige Unterbringungsform nach der Erstaufnahme sein sollte. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. In den CARA befanden sich Ende Oktober laut OXFAM 13.302 Personen, in den Hotspots knapp 900 Menschen. Diese Zahlen ändern sich natürlich mit jeder Ankunft. SPRAR-Plätze gibt es laut Aussage des dafür zuständigen Servizio Centrale 31.270, bei weitem nicht ausreichend, wenn man bedenkt, dass die Geflüchteten dort 6–12 Monate verbringen, aber in diesem Jahr schon mehr als 117.000 Geflüchtete Italien erreicht haben.
Dazu wurden noch die Hotspots und die HUBs geschaffen, erstere, um so genannte »Wirtschaftsflüchtlinge« von potentiellen Asylsuchenden zu trennen, letztere sollten eigentlich als Verteilstellen dienen. Hier wurden in vier HUBs in ganz Italien vor allem Geflüchtete untergebracht, die einen Anspruch auf »Relocation«, also die Umsiedlung in einen anderen EU-Mitgliedsstaat, hatten. Dieses Programm ist allerdings Ende September ausgelaufen, die HUBs sind letztendlich zu weiteren CAS geworden. Und so regiert das Chaos auch aufgrund des Endes der Relocation-Programms: sogar ganze syrische Familien werden in die Erstaufnahmezentren gebracht – und wenn dort keine Plätze für Familien zur Verfügung stehen werden sie getrennt: was der Krieg nicht geschafft hat, schafft die Politik.
Problemfall CAS
OXFAM brachte Anfang November einen neuen Bericht zur Unterbringung »à la italiana« heraus. 78% aller Asylsuchenden leben demnach in den ca. 7.000 CAS im Land. Die individuellen Geschichten zählen nicht – willkürlich werden Geflüchtete in große Zentren ohne jegliche Versorgung oder aber in kleine Unterkünfte verlegt, die ihnen eine Chance auf Arbeit und Ausbildung geben. Einen Plan gibt es dabei nicht.
Das bedeutet nach Aussagen von Ärzte ohne Grenzen in Sizilien, dass vielfach nicht darauf geachtet wird, ob es sich um besonders Schutzbedürftige handelt oder nicht. Familien werden oftmals getrennt, Asylanträge aufgrund der Nationalität verwehrt bzw. es wird nicht informiert über die Möglichkeit, einen solchen zu stellen. Die Standards sind nicht gleich, eine Kontrolle durch die zuständigen Präfekturen erfolgt selten oder nie. CAS werden meist in heruntergewirtschafteten Hotels oder Pensionen eröffnet, abgelegen und schwer zugänglich, manchmal schlichtweg in alten Bauernhöfen, die ebenso schlecht angebunden sind.
Lange Wartezeiten
Ein großes Problem für CAS Bewohner*innen stellen auch die langen Wartezeiten der Verfahren dar. Bis ein so genanntes C3 Formular – das Asylantragsgesuch – ausgefüllt werden kann, vergehen oftmals drei Monate, eine Rechtsberatung gibt es nicht. Weitere sechs Monate vergehen im Durchschnitt, bis die Asylkommission einen Termin zur Anhörung vergibt. Nach der Anhörung kann es wiederrum 6–12 Monate bis zu einer Entscheidung dauern. Drei Monate dauert es, bis ein Gerichtstermin für das Klageverfahren bei einer negativen Entscheidung in der ersten Instanz festgelegt wird, weitere vier bis sechs Monate dauert es von der Festlegung des Termins bis zur Verhandlung. Der Gerichtsentscheid ist dann nach durchschnittlich dreieinhalb bis 10 Monaten zu erwarten. Im Schnitt dauern damit Verfahren zwischen zwei und drei Jahren. Jahre, die für einen Großteil der Migrant*innen in unzulänglichen CAS zugebracht werden müssen. Für viele bedeutet das nach einem langem Warten auf Godot, dass sie sich wieder auf den Weg machen, ihre Flucht fortsetzen, ohne auf den Ausgang ihres Verfahrens zu warten, sollte es denn je begonnen haben.
Freier Fall – Obdachlose Migrant*innen und Geflüchtete in Rom
Nicht nur in Sizilien ist die Situation der Unterbringung trostlos. Besonders hart trifft es auch Migrant*innen und Geflüchtete in Rom. MEDU (Ärzte für Menschenrechte) berichtet, dass sie derzeit drei Orte mit dem Nötigsten in der italienischen Hauptstadt versorgen.
In Tiburtina handelt es sich um eine Siedlung mit Zelten und ein paar festen Strukturen, in der vor allem Eritreer*innen leben, die auf die Relocation warten. Doch auch Westafrikaner*innen und Menschen aus dem Maghreb sind hier untergekommen. Es befinden sich auch viele so genannte Dublin-Rückkehrer*innen hier, da sie bei ihrer Ankunft in Italien keinerlei Unterkunft zugewiesen bekommen haben.
Zwischen 50 und 100 Menschen leben in einem Abrisshaus in einem Gewerbegebiet – zum Teil schon seit 10 Jahren. Die Lebensverhältnisse in Dreck, maroder Bausubstanz und Ungeziefer sind unzumutbar. Hier leben auch viele Geflüchtete, die ihren Platz in einem Zentrum aufgrund von unerlaubter Abwesenheit verloren haben oder deren Asylverfahren beendet wurde. Eine Zukunft haben sie nicht.
In der Stazione Termini hingegen, dem Hauptbahnhof, leben obdachlose Italiener*innen, europäische Staatsbürger*innen und Migrant*innen. Viele hier haben Dokumente, viele warten auf die Verlängerung ihrer Aufenthaltspapiere, viele hoffen, bald einen Zug Richtung Norden zu nehmen. Doch ein Großteil der hier Gestrandeten haben auch das foglio di via erhalten, die Ausreiseverfügung, und sind inzwischen ohne gültige Papiere in Italien. Auch hier herrscht Hoffnungslosigkeit, die mit Alkohol und Drogen kompensiert wird.
Die Asylantragstellung gleicht in Rom eher einer Lotterie. Nur 20 Anträge nimmt die Ausländerbehörde pro Tag an. Lange Schlangen bilden sich schon in der Nacht vor dem Gebäude. Inzwischen wird sogar der Pass zur Antragstellung oder zumindest eine Verlustanzeige bei der Polizei verlangt. MEDU berichtet über den Fall eines ägyptischen Staatsbürgers, der dreimal versucht hat, einen Asylantrag zu stellen. Da dies aufgrund der Passlosigkeit nicht ging, versuchte er, den Pass verlustig zu melden. Er wurde zur Polizei geschickt, um den Pass als gestohlen zu melden, dort erhielt er umgehend eine Abschiebungsverfügung – eine Asylantragstellung wurde ihm nicht ermöglicht.
Ausbeutung zur Erntezeit
Bis zu 1.500 Menschen, Asylsuchende wie auch schon lang in Italien lebende Migrant*innen, kommen jedes Jahr nach Campobello di Mazara auf Sizilien zur Olivenernte. Danach geht es weiter zur Orangenernte, Kartoffeln, Gemüse, Wein und wieder Oliven. Die Lebensbedingungen in diesen Zelt- und Kartonstädten sind absolut unzumutbar. Für 20 ‑30 Euro am Tag (der um die 14 und nicht acht Arbeitsstunden hat) schuften sie, um abends unter Plastikplanen und an improvisierten Feuern zu frieren, berichtet Alberto Biondo, der für Borderline Sicilia das Migrations-Monitoring in Westsizilien macht.
»Ich schäme mich, an diesem Ort zu leben. Ich schäme mich, das meiner Frau zu erzählen. Also lächele ich, wenn ich sie am Telefon höre. Aber ich möchte zurück, auch wenn ich weiß, dass das nicht geht. Also lasse ich mich ausbeuten, lasse mich von euch Italiener*innen für wenige Euros demütigen.«
Junge, meist nigerianische Frauen arbeiten hier als Prostituierte. Viele der hier Arbeitenden tragen noch den Jogginganzug, den sie bei ihrer Ankunft in einem sizilianischen Hafen erhalten haben. Sie haben niemals eine Unterkunft zugewiesen bekommen, sondern wurden sofort mit einer »zeitversetzten Zurückweisung« aufgefordert, Italien in sieben Tagen zu verlassen. Nun sind sie rechtlos, hoffnungslos. »Wir sollten daran denken, wenn wir im Supermarkt versuchen, das preiswerteste Öl und die billigsten Früchte zu kaufen – an ihnen klebt das Blut der neuen Sklaven«, resümiert Biondo die Situation.
(Judith Gleitze)