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In vielen Kommunen wird auf billige Container zurückgegriffen, um schnell Unterkünfte für Flüchtlinge zu schaffen, wie hier in Leipzig-Schönefeld. Foto: Flickr / Caruso Pinguin / CC BY-NC 2.0

Die steigende Zahl der Flüchtlinge hat auch dafür gesorgt, dass viele Kommunen es mit Mindeststandards und Kostenkontrolle nicht mehr so genau genommen haben. Nicht nur Containerbauer und Feldbettenhersteller haben das für Profit genutzt. Höchste Zeit, dass der Notstandsmodus nun verlassen und die Lebenslage von Flüchtlingen normalisiert wird.

»Seit die Städ­te und Län­der nicht mehr wis­sen, wohin mit den vie­len Men­schen, die über die Gren­ze kom­men, ist das ganz gro­ße pri­va­te Flücht­lings-Busi­ness zur Betreu­ung, Bewir­tung und Ver­arz­tung der Neu­an­kömm­lin­ge ent­stan­den. Und die Bezah­lung ist gut. Je mehr Flücht­lin­ge kom­men, des­to höher stei­gen die Prei­se. So ist das im Kapitalismus.«

Die­ses Zitat stammt aus einem gut recher­chier­ten Arti­kel in der Frank­fur­ter All­ge­mei­nen Zei­tung. Und wenn die FAZ schreibt, wie sich das mit dem Kapi­ta­lis­mus ver­hält, dann kann man das durch­aus ernst­neh­men. Sehr vie­le pro­fi­tie­ren davon, dass die Poli­tik sich spä­tes­tens seit dem Jahr 2015 per­ma­nent im Not­stands­mo­dus wähnt, auch wenn dies in der Pra­xis – bezo­gen auf Unter­brin­gungs­pro­ble­me – nur für eini­ge Mona­te gegol­ten haben mag. Doch der Zeit­raum genüg­te, damit fast alle Regeln außer Kraft gesetzt wer­den konn­ten, was den Pro­fi­teu­ren Tür und Tor geöff­net hat.

Dunkelgraue »Sonderangebote«

Allein die unzäh­li­gen, oft­mals win­di­gen, Ange­bo­te, die seit ver­gan­ge­nem Som­mer von Unter­neh­men, bei Orga­ni­sa­tio­nen wie PRO ASYL oder den Flücht­lings­rä­ten ein­ge­gan­gen sind, ver­mit­teln einen Ein­druck wie groß die Zahl der­je­ni­ger war und ist, die nun ihre die nun ihre Chan­ce auf Pro­fit wit­ter­ten. Die meis­ten die­ser  »Son­der­an­ge­bo­te« sind dabei aus dem Bereich dun­kel­grau und dunkler.

Dass einem ob man­cher Ange­bots-Chuz­pe das Wort im Hal­se ste­cken bleibt, soll­te aber eher Anlass sein, dar­über nach­zu­den­ken, wel­che struk­tu­rel­len Fra­gen zu lösen sind, will man es denn bei der rei­nen Dia­gno­se, dass aus der Not der einen die Pro­fi­te der ande­ren wer­den, nicht bewen­den lassen.

Wäh­rend zehn­tau­sen­de Frei­wil­li­ge ohne Bezah­lung über­all da ein­ge­sprun­gen sind, wo staat­li­ches Ver­sa­gen Men­schen unver­sorgt und unbe­treut ließ, schlug gleich­zei­tig die gro­ße Stun­de derer, die oft­mals ihre pro­fi­ta­blen Ange­bo­te noch mit huma­ni­tä­rem Zucker­guss überzogen.

Mindeststandards außer Kraft gesetzt

Ja, es war zeit­wei­lig ein ehr­gei­zi­ges Ziel, vie­len hun­dert­tau­send Neu­an­kömm­lin­gen ein Dach über dem Kopf ver­schaf­fen zu wol­len – schließ­lich kam­pier­ten an vie­len Orten in Euro­pa Flücht­lin­ge unter frei­em Him­mel, in Schlamm und Matsch. Kom­mu­nal­po­li­ti­ker, befragt nach Aus­schrei­bun­gen, Kos­ten­kon­trol­len, Min­dest­stan­dards usw., reagier­ten ver­är­gert. Wer sol­che Fra­gen zu die­sem Zeit­punkt stel­le, han­de­le gegen die Inter­es­sen der Flüchtlinge.

Wo es Min­dest­stan­dards für die Unter­brin­gung gab, wur­den sie unter­lau­fen oder außer Kraft gesetzt. Vie­le Kom­mu­nen erklär­ten sich außer Stan­de, die Unter­brin­gungs­auf­ga­be in eige­ner Regie zu schul­tern, man­gels Ver­wal­tungs­ka­pa­zi­tät oder weil zur Unter­brin­gung geeig­ne­te Objek­te im eige­nen Besitz nicht vor­han­den waren.

Pri­va­te Inves­to­ren, Immo­bi­li­en­be­sit­zer, Hote­liers und mehr oder weni­ger win­di­ge Pro­jekt­ent­wick­ler sahen ihre Chan­ce und gaben sich die Klin­ke in Land­rats­äm­tern und Rat­häu­sern in die Hand. Wo sich ein Hotel zuvor nicht ren­tiert hat­te, da wur­den jetzt Asyl­su­chen­de ein­ge­wie­sen, wo leer­ste­hen­de Pro­duk­ti­ons­hal­len waren, da lie­ßen sich Schlaf­plät­ze schaf­fen. Fan­tas­ti­sche Pro­fit­chan­cen rie­fen die bereits exis­tie­ren­den Unter­brin­gungs­fach­fir­men mit ihren groß­zü­gig kal­ku­lier­ten Alles-aus-einer-Hand-Ange­bo­ten auf den Plan.

Es war und ist die Hoch­zeit einer Boom-Bran­che. »Feld­bet­ten­her­stel­ler und Con­tai­ner­bau­er pro­fi­tie­ren genau­so wie Cate­rer, Putz­fir­men, Ärz­te, Kran­ken­kas­sen, Sprach­leh­rer und Bau­fir­men. Und über­all stei­gen die Prei­se«, so noch­mals die FAZ. Obwohl die Nach­fra­ge vom Staat kommt, also von einem eigent­lich fast mono­po­lis­ti­schen Nach­fra­ger, sei der Staat nicht in der Lage, so ana­ly­sier­te die FAZ, sei­ne Macht noch aus­zu­spie­len, zumal sich die Kom­mu­nen auch unter­ein­an­der in einem Wett­be­werb um Con­tai­ner, Trag­luft­hal­len usw. befinden.

Wohnungsnot: Resultat neoliberalen Denkens

Ja, wie­so eigent­lich hat sich der Staat sei­ne Gestal­tungs­macht auf die­sem Sek­tor so sehr aus der Hand neh­men las­sen? Im Boom der „Flücht­lings­kri­se“ wie­der­holt sich, was im Gesamt­sek­tor des Woh­nungs­baus seit mehr als zwei Jahr­zehn­ten die täg­li­che Rea­li­tät ist. Ohne Not haben die Kom­mu­nen seit mehr als zwei Jahr­zehn­ten über­wie­gend den Bereich des sozia­len Woh­nungs­baus aus der Hand gege­ben, Woh­nungs­be­stän­de ver­kauft und als Aus­fluss neo­li­be­ra­len Den­kens ver­kün­det, der Markt wer­de es schon richten.

So feh­len heu­te hun­dert­tau­sen­de erschwing­li­cher Woh­nun­gen, kei­nes­wegs nur für Asyl­su­chen­de, son­dern eben­so für brei­te Schich­ten der Bevöl­ke­rung, die nie­mals von den neo­li­be­ra­len Boom-Jah­ren pro­fi­tiert haben. Bezahl­ba­re Woh­nun­gen feh­len aber auch vie­ler­orts für Flücht­lin­ge. Eini­ge Bun­des­län­der waren über vie­le Jah­re hin­weg gut mit einer Poli­tik gefah­ren, die über­wie­gend auf die Ver­sor­gung von Flücht­lin­gen mit nor­ma­len Pri­vat­woh­nun­gen setz­te und ohne stig­ma­ti­sie­ren­de und aus­gren­zen­de Lager aus­kom­men wollte.

Es ist vor die­sem Hin­ter­grund ein wenig wohl­feil, sich in die­ser Zeit der leich­ten Pro­fi­te den­je­ni­gen kri­tisch zuzu­wen­den, die beson­ders exzes­si­ve Geschäf­te machen. So ist das eben im Kapi­ta­lis­mus, wenn der Staat sei­ne Ein­wir­kungs­mög­lich­kei­ten aus der Hand gege­ben hat und den Rest sei­ner Kon­troll­mög­lich­kei­ten in einer schwie­ri­gen Zeit aus der Hand gibt.

Wäh­rend zehn­tau­sen­de Frei­wil­li­ge ohne Bezah­lung über­all da ein­ge­sprun­gen sind, wo staat­li­ches Ver­sa­gen Men­schen unver­sorgt und unbe­treut ließ, schlug gleich­zei­tig die gro­ße Stun­de derer, die oft­mals ihre pro­fi­ta­blen Ange­bo­te noch mit huma­ni­tä­rem Zucker­guss überzogen.

Das Lager, Gegen­mo­dell eines men­schen­wür­di­gen Woh­nens, fei­ert sein Revi­val, auch wenn heu­te jeder Drecks­con­tai­ner Modul genannt wird, jede Press­span­hüt­te ein Chalet.

Leidtragende der Schnellschüsse sind die Flüchtlinge

Von den Men­schen, den Flücht­lin­gen, die in die­sen Boom-Zei­ten nicht Kun­den irgend­wel­cher Ange­bo­te sind, son­dern zu Objek­ten von Not­un­ter­brin­gung, Zwangs­ver­sor­gung und Ver­wal­tung gemacht wer­den, war bis­lang noch nicht die Rede. Sie müs­sen hin­neh­men, was ange­bo­ten wird, kommt doch schnell die Rede auf ihre Undank­bar­keit, wenn sie dies nicht tun.

Dabei hat der pro­fi­ta­ble Boom in Sachen Unter­brin­gung und Ver­sor­gung ihnen ganz über­wie­gend eine pro­vi­so­ri­sche Exis­tenz von unab­seh­ba­rer Dau­er beschert. Denn an vie­len Orten sind mit Unter­kunfts­be­trei­bern lang­jäh­ri­ge Ver­trags­ver­hält­nis­se ein­ge­gan­gen wor­den, so dass sich in vie­len Fäl­len der Zwang zur Wei­ter­nut­zung auch der pro­ble­ma­tischs­ten Unter­künf­te erge­ben wird.

Zustände wie in Zeiten der Abschreckungsdoktrin

Es herr­schen Zustän­de wie in den schlimms­ten Zei­ten der poli­ti­schen Abschre­ckungs­dok­trin gegen Flücht­lin­ge zu Anfang der 90er Jah­re des letz­ten Jahr­hun­derts. Das Lager, Gegen­mo­dell eines men­schen­wür­di­gen Woh­nens, fei­ert sein Revi­val, auch wenn heu­te jeder Drecks­con­tai­ner Modul genannt wird, jede Press­span­hüt­te ein Cha­let. Ja, selbst im modu­la­ren Bau­en geht Vie­les und Bes­se­res, wenn die Kom­mu­nen nur woll­ten und könn­ten, auch in eige­ner Regie. Aber die haben ja nun lei­der viel gutes Geld ver­brannt und wer­den dies bei wei­ter gel­ten­den Ver­trä­gen auch wei­ter tun müssen.

Es ist in der Regel nicht ihr eige­nes, denn es ist gelun­gen, die über vie­le Jah­re hin­weg tat­säch­lich völ­lig unzu­rei­chen­den Erstat­tungs­pau­scha­len der Län­der nach oben zu trei­ben und die Spit­zen­ver­bän­de ver­han­deln wei­ter. Die Lebens­qua­li­tät der Asyl­su­chen­den spielt bei alle­dem kaum eine Rolle.

Flücht­lin­ge wün­schen sich ein Leben ohne ein »Sys­tem­haus aus Tra­pez­blech mit Däm­mung« oder außer­halb einer »Not­un­ter­kunft aus Kar­ton oder Zement gebun­de­ner Span­plat­te«. Die men­schen­wür­di­ge Alter­na­ti­ve, bil­li­ger zudem, ist längst erfun­den: in Form der ganz nor­ma­len Wohnung.

Von der Wohnsitzauflage profitiert die Immobilienbranche

Im Gegen­teil: Der neu­es­te Coup im Sin­ne der Pro­fit­ma­che­rei ist die Idee, mit dem Inte­gra­ti­ons­ge­setz eine Wohn­sitz­nah­me­ver­pflich­tung selbst für aner­kann­te Flücht­lin­ge ein­zu­füh­ren. Das kommt ganz päd­ago­gisch daher: Auf dem fla­chen Lan­de, so heißt es plötz­lich, lie­ßen sich Men­schen bes­ser inte­grie­ren, weil die Ver­hält­nis­se per­sön­lich und über­schau­bar sind. Hin­zu kämen hun­dert­tau­sen­de leer­ste­hen­de Woh­nun­gen gera­de in länd­li­chen Regionen.

Bräch­te man auch aner­kann­te Flücht­lin­ge dort unter, gäbe es prak­tisch kei­nen gro­ßen Bedarf an zusätz­li­chem Woh­nungs­bau in den Bal­lungs­ge­bie­ten. Und man könn­te die Bil­dung von sozia­len Brenn­punk­ten, man­che rede­ten mal wie­der von »Ghet­tos« und »Par­al­lel­ge­sell­schaf­ten«, ver­hin­dern. Als ob sol­che Zustän­de nicht das Ergeb­nis von Segre­ga­ti­on und Aus­gren­zung, von har­ten kapi­ta­lis­ti­schen Mecha­nis­men wären, son­dern aus der Wahl der fal­schen Alter­na­ti­ve durch die Betrof­fe­nen entstünden.

Was schon höchst ärger­lich ist als ein wei­te­rer Ver­such, Men­schen dau­er­haft zu bevor­mun­den und zu Objek­ten ver­wal­tungs­tech­ni­scher Ratio­na­li­tät zu machen, wo man Deut­schen die Bereit­schaft zur Mobi­li­tät in Rich­tung eines Arbeits­plat­zes posi­tiv anrech­nen wür­de, ent­puppt sich auf den zwei­ten Blick als geschick­ter Ver­such der Immo­bi­li­en­lob­by, Unter­brin­gung effi­zi­ent in ihrem Sin­ne zu gestalten.

Im länd­li­chen Raum sol­len die oft in erbärm­li­chem Zustand befind­li­chen und kaum ver­markt­ba­ren Woh­nungs­leer­stän­de doch noch ver­mark­tet wer­den. Per Zwangs­ein­wei­sung und Wohn­sitz­nah­me­ver­pflich­tung sozu­sa­gen mit erneu­ter staat­li­cher Garan­tie für das Geschäft. Und in Bezug auf die Bal­lungs­räu­me stö­ren die man­cher­orts auf­kei­men­den Bekennt­nis­se zu einer Neu­auf­la­ge des sozia­len Woh­nungs­baus die Pro­fit­in­ter­es­sen der Pro­jekt­ent­wick­ler und Inves­to­ren, an deren Rock­schö­ßen groß­städ­ti­sche Ver­wal­tun­gen ganz über­wie­gend hän­gen. Gewön­ne der Staat wie­der Hand­lungs­macht im Unter­brin­gungs­sek­tor hin­zu, wären die sagen­haf­ten Stei­ge­run­gen der Woh­nungs­mie­ten irgend­wann nicht mehr zu realisieren.

Notstandsmodus verlassen, Lebenslage der Flüchtlinge normalisieren

Der gro­ße Rei­bach mit den Flücht­lin­gen wirkt wie ein Kon­junk­tur­pro­gramm, von dem ein­mal ande­re pro­fi­tie­ren, als die übli­cher­wei­se sonst im Vor­der­grund ste­hen­den High-Tech Indus­trien. Ver­dient wird in vie­len Sek­to­ren dar­an, dass die Lebens­la­ge der unter­ge­brach­ten Men­schen eben nicht nor­mal ist. So ver­die­nen Cate­ring-Fir­men dar­an, dass Flücht­lin­ge in Unter­künf­ten nicht kochen kön­nen. Die Secu­ri­ty-Dienst­leis­ter sind eine not­wen­di­ge, wie­wohl in der Pra­xis umstrit­te­ne, Drein­ga­be zur Lager­un­ter­brin­gung. In den Groß­un­ter­künf­ten ist der sozi­al­ar­bei­te­ri­sche Auf­wand weit grö­ßer, als wären Asyl­su­chen­de pri­vat unter­ge­bracht. Auch Wohl­fahrts­ver­bän­de pro­fi­tie­ren hier.

Set­zen wir uns dafür ein, dass die Poli­tik den Not­stands­mo­dus ver­lässt und ihre Auf­ga­be dar­in sieht, die Lebens­la­ge von Flücht­lin­gen zu nor­ma­li­sie­ren, indem z.B. die Not­un­ter­brin­gung been­det wird. Dies wäre auch ein Bei­trag gegen rech­te und rechts­po­pu­lis­ti­sche Pro­pa­gan­da, die kri­ti­siert, dass Flücht­lin­gen teu­re Extra­würs­te gebra­ten wür­den. Flücht­lin­ge aber sind ganz nor­ma­le Men­schen, die Bedürf­nis­se haben wie wir alle: Rück­zugs­mög­lich­kei­ten, Pri­vat­sphä­re, nach­bar­schaft­li­che Kon­tak­te. Sie wün­schen sich ein Leben ohne ein »Sys­tem­haus aus Tra­pez­blech mit Däm­mung« oder außer­halb einer »Not­un­ter­kunft aus Kar­ton oder Zement gebun­de­ner Span­plat­te«. Die men­schen­wür­di­ge Alter­na­ti­ve, bil­li­ger zudem, ist längst erfun­den: in Form der ganz nor­ma­len Wohnung.

Bernd Meso­vic, Text zuerst erschie­nen als Vor­wort in der Bro­schü­re zur Aus­stel­lung »Hel­fen und Ver­die­nen« des Flücht­lings­rat Bremen


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