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Bleiberecht für die 72 afghanischen Ungarn-Flüchtlinge gefordert

72 afghanische Flüchtlinge waren im Juni vor unerträglichen Lebensbedingungen in Ungarn nach Baden-Württemberg weitergeflohen. Nun droht ihnen die Abschiebung nach Ungarn. Die Betroffenen und ihre Unterstützerinnen und Unterstützter forderten heute das Landesinnenministerium auf, die geplanten Abschiebungen nach Ungarn zu stoppen.
„Wir haben keine andere Möglichkeit gesehen, als zusammen zu bleiben und eine gemeinsame Lösung woanders zu suchen. Wir haben festgestellt, dass das europäische Asylsystem nicht funktioniert, es gibt keine Gleichbehandlung und gleiche Bedingungen für Asylsuchende und Flüchtlinge in Europa“, heißt es in einer Erklärung von 72 Flüchtlingen aus Afghanistan, die im Juni gemeinsam von Ungarn nach Karlsruhe in Deutschland weitergeflohen waren.
Zuvor hatten die Betroffenen verzweifelt versucht, in Ungarn Lebensbedingungen einzufordern, die ihnen die Integration in die ungarische Gesellschaft ermöglichen – sie hatten sich mit Briefen, Gesprächen und öffentlichen Protesten an das ungarische Innenministerium und die ungarische Migrationsbehörde(ION) gewandt, aber ohne Erfolg: Den Betroffenen drohte, aus dem sogenannten Pre-Integration-Camp in Bicske heraus auf die Straße gesetzt zu werden.
Obdachlosigkeit und mangelnde Versorgung prägen die Lebenswirklichkeit vieler Flüchtlinge in Ungarn. Nach maximal 12 Monaten in einem „Pre-Integration-Camp“ bleiben die Betroffenen auf sich selbst gestellt. Für die meisten – vor allem für Familien – ist es nahezu unmöglich, eine Wohnung oder Arbeit zu finden, die Kinder können nicht in die Schule gehen, es besteht kein Krankenversicherungsschutz.
Auch den 72 schließlich in Karlsruhe gelandeten Flüchtlingen wurde jegliche finanzielle, medizinische und soziale Unterstützung entzogen. Der Schutzstatus, den die Betroffenen im Asylverfahren erhielten, bietet aufgrund der menschenunwürdigen Aufnahme- und Lebensbedingungen von Flüchtlingen in Ungarn praktisch kaum Schutz. Dennoch sollen die nach Baden-Württemberg geflohenen Afghaninnen und Afghanen nach Ungarn abgeschoben werden.
Aufgrund der desolaten Situation von Flüchtlingen in Ungarn sind Abschiebungen dorthin jedoch nicht zu verantworten. In Ungarn drohen Flüchtlingen Obdachlosigkeit und rassistische Übergriffe, Asylsuchenden droht die Inhaftierung. Das belegen unter anderem Berichte von bordermonitoring.eu und PRO ASYL: eine aktuelle Recherche zeigt, dass sich an den Anfang 2012 umfangreich dokumentierten Verhältnissen nur wenig geändert hat.
Dem tragen auch immer wieder Verwaltungsgerichte Rechnung. Auch einigen der in Karlsruhe gestrandeten Flüchtlinge gewährten Verwaltungsgerichte mit Verweis auf die unzumutbaren Lebensverhältnisse in Ungarn Eilrechtsschutz gegen die Rücküberstellung. Obwohl die positiven Gerichtsbeschlüsse zeigen, dass die in den Eilanträgen formulierten Zweifel an menschenwürdigen Lebensbedingungen für Flüchtlinge in Ungarn berechtigt sind, versuchte das Regierungspräsidium Karlsruhe in der vergangenen Woche mit den Abschiebungen zu beginnen.
Die Betroffenen, ihre Unterstützerinnen und Unterstützer vor Ort, der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg und PRO ASYL fordern die Landesregierung auf, für die 72 Betroffenen eine humanitäre Lösung zu finden und dafür einzutreten, dass Abschiebungen nach Ungarn bundesweit ausgesetzt werden. Um die Forderungen zu unterstreichen, wurden heute dem Landesinnenministerium die Unterschriften von mehr als 3000 Unterzeichnenden übergeben, die ein Bleiberecht für die 72 Flüchtlinge in Deutschland fordern.
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