PRO ASYL: EU-Kommission will dies künftig verhindern – Was heute rechtens ist, soll morgen unrechtmäßig sein
Vor einem Jahr verhinderten Bundeskanzlerin Merkel und der österreichische Bundeskanzler Faymann eine humanitäre Katastrophe in Europa. PRO ASYL würdigt dies als eine auch im Rückblick humanitär gebotene, politisch und rechtlich richtige Entscheidung. Die europaweit geltende Dublin-Verordnung ermöglicht Staaten, vom Selbsteintritt Gebrauch zu machen und selbst Asylverfahren durchzuführen.
Doch die EU-Kommission will in Zukunft durch Änderung der EU-Dublin-Verordnung humanitäres Eingreifen durch Staaten unmöglich machen. „Was rechtens ist, darf künftig nicht unrecht sein. Der Vorstoß der EU-Kommission ist empörend“, sagt PRO ASYL-Geschäftsführer Günter Burkhardt. Die EU-Kommission plane „nicht nur die Gängelung von Mitgliedsstaaten sondern auch einen Generalangriff auf das individuelle Asylrecht in Europa.“ Ihr Vorstoß will das europaweit geltende Recht und vor allem die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs aushebeln.
Das Selbsteintrittsrecht von eigentlich nicht zuständigen EU-Staaten wird beschnitten, der Zugang zur Prüfung der individuellen Fluchtgründe verbaut. Bevor Fluchtgründe geprüft werden oder geprüft wird, ob ein Recht auf Familienzusammenführung besteht, werden Rücküberstellungen in Durchreisestaaten geprüft. Wenn Flüchtlinge weiterfliehen, etwa aus Ungarn, Bulgarien, Griechenland oder Italien, werden sie ohne jede zeitliche Begrenzung in den Ersteinreisestaat zurückgeschoben. Dort kommen sie nicht mehr in ein reguläres Verfahren, ihre Fluchtgründe werden nicht mehr geprüft. „Damit drohen tausende Flüchtlinge zu refugees in orbit zu werden.“ Das sind Flüchtlinge, bei denen kein Staat in der EU bereit, ist ihren Asylantrag zu bearbeiten. Solch eine Situation zu verhindern war das erklärte Ziel der Dublin-Verordnung wie auch der EU-Verfassung (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)).
PRO ASYL-Geschäftsführer Burkhardt wirft der EU-Kommission vor, „die auf den Menschenrechten basierende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof aushebeln zu wollen und die Verfassung der EU zu missachten.“ Das individuelle Asylrecht wird ausgehebelt, wenn im Rahmen von Unzulässigkeitsverfahren nicht mehr die eigentlichen Fluchtgründe von Asylsuchenden geprüft und sie stattdessen in angeblich „sichere Drittstaaten“ außerhalb der Europäischen Union überstellt werden. Dies ist für PRO ASYL ein Verstoß gegen die EU-Verfassung. Artikel 78 Abs. des AEUV garantiert ein Recht auf Asyl innerhalb der Europäischen Union und nicht außerhalb. Auch unbegleitete Minderjährige sollen künftig europaweit hin und hergeschoben werden können.
PRO ASYL appelliert an die Bundeskanzlerin, im Interesse der Flüchtlinge, als auch im Interesse der Handlungsfähigkeit von Staaten und der Rechtsstaatlichkeit in Europa sich gegen diesen Entwurf der EU-Kommission zu positionieren. Die Bundeskanzlerin hat am 31.08. eingestanden, dass es seitens von Deutschland falsch war, jahrelang die Verantwortung für die Aufnahme und Versorgung von Asylsuchenden in Europa auf die Randstaaten abzuwälzen. Mit der neuen Dublin IV-Verordnung wird der Druck auf die Randstaaten der EU für die Aufnahme der Flüchtlinge verantwortlich zu sein verstärkt. Die Schieflage, an der Deutschland die Mitverantwortung trägt, wird sich mit der Beschränkung des Selbsteintrittsrechts und der jahrelang möglichen Rückschiebung in den Einreisestaat durch Wegfall von Fristenregelungen weiter verschärfen. „Die Aushebelung des Zugangs zu einem fairen Asylverfahren verschärft den Zerfallsprozess eines Europas der Werte und Rechte“, sagt Burkhardt. Gegenwärtig ist offen, wie sich die Bundesregierung zu diesem Vorhaben positioniert.
Eine ausführliche Stellungnahme von PRO ASYL zur Dublin-Reform gibt es hier.
Zum Positionspapier (kurze Version) von PRO ASYL zu Dublin IV geht es hier.
Zur Kritik von PRO ASYL im Einzelnen:
Unzulässigkeitsverfahren untergraben das individuelle Recht auf Asyl
Die neue Dublin-Verordnung führt verpflichtend die Prüfung von unzulässigen Asylanträgen ein. Im Rahmen der neuen Verfahren soll z.B. geprüft werden, ob der Asylsuchende aus einem sicheren Drittstaat oder einem sicheren Herkunftsstaat stammt. Erfüllt der Antragssteller ein solches Kriterium, darf er nicht im Rahmen der Relocation in einen anderen Staat verteilt werden.
Die Unzulässigkeitsverfahren bedeuten für die Asylsuchenden, dass ihre eigentlichen Fluchtgründe nicht mehr geprüft werden, sondern alleine untersucht wird, ob sie in einem Drittstaat außerhalb der EU angeblich „sicher“ sind. Dies untergräbt systematisch das individuelle Recht auf Asyl in der Europäischen Union.
Zu Artikel 78 AEUV: https://dejure.org/gesetze/AEUV/78.html
Mit der Einschränkung des Selbsteintrittsrechts und der Aufhebung von Überstellungsfristen werden humanitäre Spielräume abgeschafft
Randstaaten der EU, die Flüchtlinge einreisen lassen, sollen für sie ohne jegliche zeitliche Begrenzung zuständig bleiben. Der Selbsteintritt eines anderen EU-Staates soll nur noch in Familienkonstellationen möglich sein.
Der EuGH hat im Grundsatzurteil entschieden, dass es im Interesse der Mitgliedstaaten und der Flüchtlinge ist, dass durch die Möglichkeit des Selbsteintritts schnell die Zuständigkeit für das Asylverfahren im Land des Aufenthaltes geklärt wird.
Zum Urteil des EuGH:
Abschaffung des Fristenablaufs wird Tausende zu „refugees in orbit“ machen
Bislang musste ein Mitgliedstaat, der eine Dublin-Abschiebung durchsetzen möchte, eine Überstellungsfrist einhalten. Läuft sie ab, geht die Zuständigkeit auf den Staat, in dem sich der Flüchtling aufhält, über.
Die EU-Kommission will nun die verbindlichen Fristen abschaffen. Die Folge: Flüchtlinge können künftig auch noch nach Jahren abgeschoben werden – humanitäre Spielräume bestehen nicht mehr. Die Betroffenen wären nur noch geduldet und müssten in der ständigen Angst leben, doch noch nach Bulgarien, Ungarn oder Italien zurück zu müssen. PRO ASYL befürchtet, dass Tausende Schutzsuchende so zu „refugees in orbit“ werden – also schutzbedürftige Flüchtlinge, die keinen Zugang zum Flüchtlingsschutz haben: Im Staat, in dem sie sich aufhalten, wird ihnen das Asylverfahren verwehrt. In dem Staat, der laut Dublin-Verordnung für sie zuständig ist, haben sie keine menschenwürdigen Überlebenschancen.
Abschiebungen von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen
Der Europäische Gerichtshof hat die Abschiebung unbegleiteter Minderjähriger in andere EU-Staaten untersagt. Abschiebungen von unbegleiteten Minderjährigen sind mit dem Kindeswohl nicht vereinbar. Nach dem Vorschlag der EU-Kommission sollen künftig auch unbegleitete minderjährige Flüchtlinge abgeschoben werden können.
Urteil des EuGH:
http://www.asyl.net/rechtsprechungsdatenbank/suchergebnis/artikel/48194.html