07.10.2013

Nach der Flücht­lings­ka­ta­stro­phe vor Lam­pe­du­sa wird erwar­tet, dass sich der heu­te zusam­men­kom­men­de EU-Rat mit der Asyl­po­li­tik der EU befasst. PRO ASYL for­dert vom Rat ein deut­li­ches Signal zur Abkehr von der bis­he­ri­gen Abschot­tungs­po­li­tik gegen­über Schutz­su­chen­den. „Deutsch­land muss hier sein poli­ti­sches Gewicht in der EU end­lich zuguns­ten einer Flücht­lings­po­li­tik ein­set­zen, die Flücht­lin­gen eine gefah­ren­freie Ein­rei­se ermög­licht“, so Gün­ter Burk­hardt von PRO ASYL.

PRO ASYL kri­ti­siert die Aus­sa­gen von Bun­des­in­nen­mi­nis­ter Fried­rich, nach denen ange­sichts der Kata­stro­phe nun die Bekämp­fung der Schleu­ser inten­si­viert wer­den müs­se, aufs schärfs­te. Die Schleu­ser­kri­mi­na­li­tät ist eine Fol­ge der für Flücht­lin­ge ver­schlos­se­nen EU-Gren­zen. Flücht­lin­ge, die aus Eri­trea, Soma­lia, Syri­en, Afgha­ni­stan oder ande­ren Län­dern flie­hen müs­sen, bleibt kaum eine ande­re Wahl, als zu ver­su­chen, mit Hil­fe von Schlep­pern nach Euro­pa zu gelan­gen. In den Tran­sit­staa­ten fin­den Sie kei­nen Schutz. Die EU ver­wei­gert ihnen lega­le und siche­re Flucht­we­ge nach Euro­pa. Wer Schleu­ser bekämp­fen will, muss lega­le Flucht­we­ge schaf­fen, nicht die Gren­zen wei­ter abdichten.

Nach­dem Grie­chen­land 2012 auf Druck von Fried­rich und ande­rer EU-Innen­mi­nis­ter die grie­chisch-tür­ki­sche Land­gren­ze am Evros her­me­tisch abge­rie­gelt hat, san­ken die Flücht­lings­zah­len in der Evros-Regi­on deut­lich. Zugleich stie­gen sie in der Ägä­is. Auf­grund des dor­ti­gen Fron­tex-Ein­sat­zes und rechts­wid­ri­ger Push-Back-Ope­ra­tio­nen durch die grie­chi­sche Küs­ten­wa­che ver­la­gert sich die Rou­te nach Ita­li­en. Die Inten­si­vie­rung des Grenz­schut­zes sorgt nur dafür, dass die Flucht­rou­ten län­ger und gefähr­li­cher werden.

Auch das Argu­ment, die EU müs­se sich statt für den Flücht­lings­schutz für die Ver­bes­se­rung für die Situa­ti­on in den Her­kunfts­län­dern ein­set­zen, geht an der Rea­li­tät vor­bei. Fried­rich hat­te for­mu­liert, die Men­schen bräuch­ten „sta­bi­le poli­ti­sche Ver­hält­nis­se und wirt­schaft­li­che Per­spek­ti­ven in ihrer Hei­mat“ und dabei kön­ne „Euro­pa hel­fen“. Ange­sichts der rea­len Ver­hält­nis­se in Syri­en, Soma­lia, Eri­trea, Afgha­ni­stan oder Irak ist dies illu­so­risch. Es ist der­zeit in kei­ner Wei­se ersicht­lich, dass die EU die gewalt­sa­men Kon­flik­te in den genann­ten Län­dern stop­pen kann.

Ob wei­ter­hin jedes Jahr Hun­der­te Flücht­lin­ge an den Außen­gren­zen Euro­pas ster­ben, liegt dage­gen in der Macht der EU. Die Orga­ne der Euro­päi­schen Uni­on und ihre Mit­glied­staa­ten kön­nen u.a. fol­gen­de Maß­nah­men ergreifen:

- Euro­pa muss gefah­ren­freie Wege für Flücht­lin­ge eröff­nen. Dies kann durch ein ver­än­der­tes Visare­gime gesche­hen, das Schutz­su­chen­den die lega­le Ein­rei­se ermög­licht. Gegen­wär­tig gibt es zum Bei­spiel immer noch kei­ne unbü­ro­kra­ti­schen Mög­lich­kei­ten für Flücht­lin­ge, die Ange­hö­ri­ge in Deutsch­land oder ande­ren EU-Staa­ten haben, legal in die EU ein­zu­rei­sen. Zudem kann Euro­pa durch die pro­ak­ti­ve Auf­nah­me von Flücht­lin­gen im Resett­le­ment-Ver­fah­ren Flücht­lin­gen die gefähr­li­che Über­fahrt ersparen.

- Die euro­päi­sche Grenz­schutz­agen­tur Fron­tex und auch die geplan­te Euro­sur-Rege­lung haben das pri­mä­re Ziel, angeb­lich „ille­ga­le Ein­rei­sen“ zu ver­hin­dern. Obwohl bereits zahl­rei­che tech­ni­sche Sys­te­me zur Ortung von Flücht­lings­boo­ten im Ein­satz sind, hat die EU immer noch kein funk­tio­nie­ren­des See­not­ret­tungs­sys­tem. Bei allen Maß­nah­men der EU, die die Außen­gren­zen betref­fen, müs­sen die Ret­tung von Men­schen­le­ben und der Flücht­lings­schutz aller­ers­te Prio­ri­tät erhalten.

- Das EU-Asyl­zu­stän­dig­keits­sys­tem (Dub­lin-Ver­ord­nung) sieht vor, dass der­je­ni­ge EU-Staat für ein Asyl­ge­such zustän­dig ist,  über den der Asyl­su­chen­de in die EU ein­ge­reist ist. Dadurch wird die Haupt­ver­ant­wor­tung für den Flücht­lings­schutz auf die EU-Rand­staa­ten abge­scho­ben.  EU-Rand­staa­ten wie Mal­ta, Grie­chen­land oder Ita­li­en reagie­ren dar­auf mit einer Stra­te­gie der Abschre­ckung. Die Ver­wei­ge­rung von See­not­ret­tung, ille­ga­le Push-Back-Ope­ra­tio­nen, die Inhaf­tie­rung von Asyl­su­chen­den, men­schen­un­wür­di­ge Auf­nah­me­be­din­gun­gen und unfai­re Asyl­ver­fah­ren sind Teil die­ser Pra­xis. So sehr die­se Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen auf das Kon­to der jewei­li­gen Natio­nal­staa­ten gehen, sind sie Fol­ge des unso­li­da­ri­schen Dub­lin-Sys­tems. Die Staa­ten im Zen­trum der Uni­on, die am Dub­lin-Sys­tem fest­hal­ten, sind daher für die­se sys­te­ma­ti­schen Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen mit­ver­ant­wort­lich. Sie müs­sen ihren Wider­stand gegen eine grund­le­gen­de Ver­än­de­rung der Asyl­zu­stän­dig­keits­re­ge­lung, die die Bedürf­nis­se der Schutz­su­chen­den in den Mit­tel­punkt stellt, end­lich auf­ge­ben. Die EU muss Ver­stö­ße gegen die Men­schen- und Flücht­lings­rech­te in all ihren Mit­glied­staa­ten kon­se­quent unterbinden. 

- Die Kata­stro­phe vom 3. Okto­ber geschah, weil die Flücht­lin­ge ver­zwei­felt ver­such­ten, vor­über­fah­ren­de Boo­te, die die Flücht­lin­ge offen­bar igno­rier­ten, auf sich auf­merk­sam zu machen. Da Ita­li­en Fischer und ande­re See­leu­te wegen angeb­li­cher „Schlep­pe­rei“ kri­mi­na­li­siert, die Flücht­lin­ge auf dem Meer ret­ten und an einen ita­lie­ni­schen Hafen brin­gen, wer­den zahl­rei­che Flücht­lin­ge nicht geret­tet, obwohl Schif­fe an ihnen vor­über­fah­ren. Es liegt an Ita­li­en, die­ses Gesetz abzu­schaf­fen. Die EU kann hier­zu ihren Ein­fluss gel­tend machen.

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