09.10.2013

Die EU-Innen­mi­nis­ter beschlos­sen bei ihrem EU-Rats­tref­fen in Luxem­burg zur Kata­stro­phe von Lam­pe­du­sa ges­tern ledig­lich, eine „Task Force“ ein­zu­rich­ten, die Maß­nah­men zur Ver­hin­de­rung ähn­li­cher Kata­stro­phen erar­bei­ten soll. Bun­des­in­nen­mi­nis­ter Fried­rich hat­te grund­le­gen­de Ände­run­gen der EU-Asyl­po­li­tik von vorn­her­ein kate­go­risch ausgeschlossen.

Die Blo­cka­de­hal­tung Deutsch­lands und ande­rer EU-Staa­ten zeigt, dass die zen­tra­len poli­ti­schen Akteu­re in der EU kein Inter­es­se dar­an haben, das Ster­ben der Men­schen auf dem Meer zu been­den. „Das Ergeb­nis ist ange­sichts der vie­len Todes­op­fer vor den Außen­gren­zen der EU zutiefst beschä­mend,“ so Gün­ter Burk­hardt, Geschäfts­füh­rer von PRO ASYL. Vor den Küs­ten Ita­li­ens, Mal­tas und Grie­chen­lands sind von 1993 bis 2012 bereits mehr als 17.000 Men­schen umgekommen.

Euro­sur: Per­fek­tio­nie­rung der Abschot­tung statt Lebensrettung

Mor­gen soll das Grenz­über­wa­chungs­sys­tem Euro­sur vom Euro­päi­schen Par­la­ment ver­ab­schie­det wer­den. PRO ASYL weist dar­auf hin, dass Euro­sur kein Instru­ment zur Ret­tung von Men­schen­le­ben, son­dern ein wei­te­res Sys­tem zur Abwehr von Flücht­lin­gen ist. PRO ASYL appel­liert an die Abge­ord­ne­ten, die Euro­sur-Ver­ord­nung abzu­leh­nen. Wenn Euro­sur wirk­lich zur Ret­tung von Flücht­lin­gen bei­tra­gen soll, müss­te die Ver­ord­nung grund­le­gend geän­dert werden.

Zweck von Euro­sur ist laut Ver­ord­nungs­ent­wurf die „Auf­spü­rung, die Ver­hin­de­rung und Ver­fol­gung ille­ga­ler Ein­wan­de­rung und grenz­über­schrei­ten­der Kri­mi­na­li­tät“. Zur See­not­ret­tung heißt es ledig­lich, die Ver­ord­nung „trägt dazu bei“ den „Schutz und die Lebens­ret­tung von Migran­ten zu gewähr­leis­ten.“ Wei­te­re Bestim­mun­gen lau­fen der See­not­ret­tung zuwi­der. So müs­sen Grenz­schüt­zer ihre natio­na­len See­not­ret­tungs­zen­tren zwar über See­not-Vor­fäl­le infor­mie­ren, es gibt aber kei­ne Ver­pflich­tung zur Zusam­men­ar­beit. Euro­sur wird am euro­päi­schen Ver­ant­wor­tungs­va­ku­um bei der See­not­ret­tung von Flücht­lin­gen nichts ändern.

Das Grenz­über­wa­chungs­sys­tem sieht außer­dem die Ein­bin­dung von Dritt­staa­ten in die Flücht­lings­ab­wehr vor: Mit­hil­fe von Euro­sur soll Fron­tex künf­tig die nord­afri­ka­ni­schen Küs­ten mit Satel­li­ten und ande­ren Über­wa­chungs­tech­no­lo­gien kon­trol­lie­ren. Dritt­staa­ten sol­len so über auf­ge­spür­te Flücht­lings­boo­te vor ihren Küs­ten und auf dem Mit­tel­meer infor­miert wer­den, um die Boo­te früh­zei­tig abzu­fan­gen. EUROSUR zielt auf ver­bes­ser­ter Flücht­lings­ab­wehr, nicht auf die Wah­rung von Men­schen­rech­ten oder die Seenotrettung.

Fron­tex ist kei­ne Seenotrettungs-Agentur

Der Vor­schlag von EU-Innen­kom­mis­sa­rin Ceci­lia Malm­ström, im gesam­ten Mit­tel­meer­raum eine Fron­tex-Ope­ra­ti­on zur Ret­tung von Flücht­lin­gen ins Leben zu rufen, igno­riert, dass Fron­tex zur Bekämp­fung der „irre­gu­lä­rer Migra­ti­on“ geschaf­fen wur­de. Die­ses Man­dat wider­spricht der Ret­tung von Flücht­lin­gen. Bis­he­ri­ge Fron­tex-Ope­ra­tio­nen haben Schutz­su­chen­de auf immer gefähr­li­che­re Rou­ten getrie­ben. Die Fron­tex-Ope­ra­ti­on Her­mes 2011 im zen­tra­len Mit­tel­meer hat den Tod von über 2.000 Flücht­lin­gen nicht ver­hin­dert. Selbst wenn das Man­dat von der Migra­ti­ons­ver­hin­de­rung zur Ret­tung von Flücht­lin­gen abge­än­dert wür­de, ist unge­klärt, wel­che EU-Staa­ten von Fron­tex geret­te­te Flücht­lin­ge auf­neh­men wür­den. EU-Staa­ten wie etwa Mal­ta wei­gern sich immer wie­der, geret­te­te Flücht­lin­ge an Land gehen zu lassen.

Debat­te um Ent­wick­lungs­hil­fe: Ein Ablenkungsmanöver

Bun­des­in­nen­mi­nis­ter Fried­rich hat vor dem Rats-Tref­fen den Wil­len bekun­det, die Ent­wick­lung in den Her­kunfts­län­dern so zu ver­bes­sern, dass “die Men­schen schon kei­nen Grund haben, ihre Hei­mat zu ver­las­sen.“ Ange­sichts der Tat­sa­che, dass sich gegen­wär­tig vor allem Flücht­lin­ge aus Eri­trea, Soma­lia und Syri­en auf den gefähr­li­chen See­weg nach Euro­pa bege­ben, kommt Fried­richs Vor­schlag einer hart­nä­cki­gen Rea­li­täts­ver­wei­ge­rung gleich. Soma­lia ist ein zer­fal­le­ner Staat, in dem War­lords herr­schen, in Eri­trea ist eine Mili­tär­dik­ta­tur an der Macht, in Syri­en tobt ein Bür­ger­krieg. Ent­wick­lungs­hil­fe und wirt­schaft­li­che Zusam­men­ar­beit kön­nen dort rea­lis­ti­scher­wei­se nichts zur Ver­bes­se­rung der Men­schen­rechts­la­ge bei­tra­gen. Die Her­aus­for­de­rung, Flücht­lin­ge zu ret­ten und men­schen­wür­dig auf­zu­neh­men, nimmt sich gegen­über Fried­richs Ansin­nen, die Lage in den Haupt­her­kunfts­län­dern zu ver­bes­sern, über­aus gering aus.

Schleu­ser­kri­mi­na­li­tät: Fol­ge ver­schlos­se­ner EU-Grenzen

Ange­sichts der Flücht­lings­ka­ta­stro­phe vor Lam­pe­du­sa hat­te Fried­rich zuvor gefor­dert, „dass wir noch stär­ker die Netz­wer­ke orga­ni­sier­ter und aus­beu­te­ri­scher Schleu­sungs­kri­mi­na­li­tät bekämp­fen müs­sen.“ Nach Auf­fas­sung von PRO ASYL eine irre­füh­ren­de Argu­men­ta­ti­on. Die Schleu­ser­kri­mi­na­li­tät ist Fol­ge der für Flücht­lin­ge ver­schlos­se­nen EU-Gren­zen. Flücht­lin­ge, die aus Eri­trea, Soma­lia, Syri­en, Afgha­ni­stan oder ande­ren Län­dern flie­hen müs­sen, bleibt kaum eine ande­re Wahl, als zu ver­su­chen, mit Hil­fe von Schlep­pern nach Euro­pa zu gelan­gen. In den Tran­sit­staa­ten fin­den Sie kei­nen Schutz. Die EU ver­wei­gert ihnen lega­le und siche­re Flucht­we­ge nach Euro­pa. Wer Schleu­ser bekämp­fen will, muss lega­le Ein­rei­se­we­ge schaf­fen, nicht die Gren­zen wei­ter abdichten.

Maß­nah­men zur Ver­hin­de­rung des Flücht­lings­ster­ben vor den EU-Außengrenzen

PRO ASYL for­dert fol­gen­de Maß­nah­men zur Ret­tung von Flüchtlingen:

- Euro­pa muss gefah­ren­freie Wege für Flücht­lin­ge eröff­nen. Dies kann durch ein ver­än­der­tes Visare­gime gesche­hen, das Schutz­su­chen­den die lega­le Ein­rei­se ermög­licht. Zudem kann Euro­pa durch die pro­ak­ti­ve Auf­nah­me von Flücht­lin­gen im Resett­le­ment-Ver­fah­ren Flücht­lin­gen die gefähr­li­che Über­fahrt ersparen.

- Bei allen Maß­nah­men der EU, die die Außen­gren­zen betref­fen, müs­sen die Ret­tung von Men­schen­le­ben und der Flücht­lings­schutz aller­ers­te Prio­ri­tät erhal­ten. Euro­pa muss ein effek­ti­ves See­not­ret­tungs­sys­tem instal­lie­ren, dass für die Ret­tung von Schiff­brü­chi­gen egal wel­cher Her­kunft voll ver­ant­wort­lich ist.

- Das EU-Asyl­zu­stän­dig­keits­sys­tem (Dub­lin-Ver­ord­nung) muss grund­le­gend geän­dert wer­den. Das bis­he­ri­ge Sys­tem schiebt die Haupt­ver­ant­wor­tung für den Flücht­lings­schutz auf die EU-Rand­staa­ten ab. Die EU-Rand­staa­ten wie Mal­ta, Grie­chen­land oder Ita­li­en reagie­ren dar­auf mit einer Stra­te­gie der Abschre­ckung, die die Ver­wei­ge­rung von See­not­ret­tung, ille­ga­le Push-Back-Ope­ra­tio­nen, die Inhaf­tie­rung von Asyl­su­chen­den, men­schen­un­wür­di­ge Auf­nah­me­be­din­gun­gen und unfai­re Asyl­ver­fah­ren beinhal­tet. So sehr die­se Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen auf das Kon­to der jewei­li­gen Natio­nal­staa­ten gehen, sind sie Fol­ge des unso­li­da­ri­schen Dub­lin-Sys­tems. Die Staa­ten im Zen­trum der Uni­on, die am Dub­lin-Sys­tem fest­hal­ten, sind daher für die­se sys­te­ma­ti­schen Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen mit­ver­ant­wort­lich. Sie müs­sen ihren Wider­stand gegen eine grund­le­gen­de Ver­än­de­rung der Asyl­zu­stän­dig­keits­re­ge­lung auf­ge­ben. Die EU muss Ver­stö­ße gegen die Men­schen- und Flücht­lings­rech­te in all ihren Mit­glied­staa­ten kon­se­quent unterbinden.

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