15.02.2016

Am 18. und 19. Febru­ar tref­fen sich die EU-Staats- und Regie­rungs­chefs in Brüs­sel. Im Vor­feld sind Doku­men­te der EU-Kom­mis­si­on bekannt gewor­den, die die argu­men­ta­ti­ve Basis für die Beschlüs­se der Staats- und Regie­rungs­chefs bei die­sem Gip­fel lie­fern sol­len (Stand der Umset­zung der Euro­päi­schen Migra­ti­ons­agen­da und des EU-Tür­kei-Akti­ons­plans). Die EU-Kom­mis­si­on drängt dem­nach dar­auf, Dub­lin-Abschie­bun­gen nach Grie­chen­land wie­der auf­zu­neh­men und die Tür­kei als „siche­ren Dritt­staat“ ein­zu­stu­fen.
PRO ASYL wirft der EU-Kom­mis­si­on Rea­li­täts­ver­wei­ge­rung vor. „Nach dem Mot­to ‚Augen zu und durch‘ wird die Situa­ti­on in Grie­chen­land und in der Tür­kei schön­ge­re­det. Die Rea­li­tät wird ver­bo­gen, bis sie zum poli­tisch gewoll­ten Ergeb­nis führt“, kri­ti­siert Gün­ter Burk­hardt, Geschäfts­füh­rer von PRO ASYL.

Die EU-Kom­mis­si­on zu Griechenland

PRO ASYL geht unver­än­dert davon aus, dass in Grie­chen­land kein men­schen­rechts­kon­for­mes Schutz- und Auf­nah­me­sys­tem für gegen­wär­tig Zehn­tau­sen­de von ankom­men­den Schutz­su­chen­den exis­tiert – allein im Janu­ar waren es UNHCR-Anga­ben zufol­ge mehr als 65.000. Die EU-Kom­mis­si­on for­dert den­noch die „Wie­der­auf­nah­me der Über­stel­lun­gen auf der Grund­la­ge der Dub­lin-Ver­ord­nung nach Grie­chen­land“. Dafür sol­len so schnell wie mög­lich die Vor­aus­set­zun­gen geschaf­fen wer­den. Zu die­sem Zweck hat man der grie­chi­schen Regie­rung einen Maß­nah­men­ka­ta­log über­mit­telt. Ins­be­son­de­re gehe es um die Auf­nah­me­ka­pa­zi­tä­ten und ‑bedin­gun­gen, den Zugang zum Asyl­ver­fah­ren, Rechts­be­hel­fe und Rechts­bei­stand. In der Emp­feh­lung wird Grie­chen­land auf­ge­for­dert, im März Bericht über die erziel­ten Fort­schrit­te zu erstat­ten – dann wer­de erneut geprüft.

Dass die Bedin­gun­gen für Schutz­su­chen­de in Grie­chen­land nach wie vor mise­ra­bel sind, bewei­sen zahl­rei­che Berich­te, selbst die Berich­te der Kom­mis­si­on. Nach wie vor errei­chen täg­lich rund 2.000 Schutz­su­chen­de die grie­chi­schen Inseln. Die Wie­der­auf­nah­me von Über­stel­lun­gen aus ande­ren EU-Staa­ten nach Grie­chen­land wird sich die huma­ni­tä­re Kri­se ver­schär­fen. Anstatt Schutz­su­chen­den die lega­le Aus­rei­se in ande­re EU-Staa­ten zu ermög­li­chen, setzt die EU-Kom­mis­si­on Grie­chen­land mas­siv unter Druck. Das Ziel: Flücht­lin­ge sol­len in die Tür­kei zurück­ge­scho­ben werden.

Tür­kei: kein siche­rer Drittstaat

In ihrem Bericht ver­sucht die EU-Kom­mis­si­on den Weg zu berei­ten, um die Tür­kei als „siche­ren Dritt­staat“ ein­zu­stu­fen und damit die Zurück­schie­bung dort­hin zu legi­ti­mie­ren. Dabei ver­biegt sie fun­da­men­ta­les Flücht­lings­recht zur Unkennt­lich­keit. An der ent­schei­den­den Stel­le (Sei­te 18) heißt es, das Kon­zept des siche­ren Dritt­staats ver­lan­ge zwar die Mög­lich­keit zur Erlan­gung eines Schut­zes nach der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on (GFK). „Aber es ver­langt nicht, dass der siche­re Dritt­staat die Kon­ven­ti­on ohne geo­gra­phi­schen Vor­be­halt rati­fi­ziert hat“, so die Kommission.

Aus Sicht von PRO ASYL ist klar: Das ohne­hin pro­ble­ma­ti­sche Kon­zept des „siche­ren Dritt­staats“ wird damit voll­kom­men ad absur­dum geführt. Denn: Ent­schei­dend ist nicht nur die Rati­fi­ka­ti­on der GFK und die Beach­tung des Refou­le­ment-Schut­zes (Art. 38 Abs. 1 Buchst. c) RL 2013/32/EU). Es muss auch die Mög­lich­keit gewähr­leis­tet sein, die Aner­ken­nung als Flücht­ling nach der GFK zu erlan­gen (Art. 38 Abs. 1 Buchst. e) RL 2013/32/EU). Da der geo­gra­phi­sche Vor­be­halt besteht und die GFK nicht unein­ge­schränkt gilt, erfüllt die Tür­kei die­se Bedin­gung nicht. Der geo­gra­phi­sche Vor­be­halt bedeu­tet, dass in der Tür­kei nur Staats­an­ge­hö­ri­gen aus Län­dern des Euro­pa­rats über­haupt Flücht­lings­sta­tus erhal­ten können.

Flücht­lin­gen dro­hen in der Tür­kei Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen und sogar die Abschie­bung in Kri­sen­re­gio­nen wie Syri­en oder Irak. Seit der Ver­ab­schie­dung des Akti­ons­plans von Euro­päi­scher Uni­on und tür­ki­scher Regie­rung am 29. Novem­ber 2015 gibt es Berich­te über will­kür­li­che Inhaf­tie­run­gen von Flücht­lin­gen und Miss­hand­lun­gen in Haft­an­stal­ten. Mit­te Dezem­ber ver­öf­fent­lich­te Amnes­ty Inter­na­tio­nal (AI) den Bericht „Europe´s Gate­kee­per. Unlawful detenti­on and depor­ta­ti­on of refu­gees from Tur­key“. Der Doku­men­ta­ti­on zufol­ge began­nen tür­ki­sche Beam­te bereits im Sep­tem­ber 2015 damit, Schutz­su­chen­de abzu­fan­gen, die von der Tür­kei aus in Rich­tung Grie­chen­land auf­bre­chen woll­ten. Vie­le der Betrof­fe­nen kom­men aus Syri­en und dem Irak. Die Beam­ten ver­brach­ten sie in die Haft­zen­tren Düzi­ci in Osma­ni­ye oder in das Abschie­be­zen­trum in Askale/Erzurum.

Auch ille­ga­le Abschie­bun­gen und Zurück­wei­sun­gen nach Syri­en und in den Irak wur­den doku­men­tiert. Ende Okto­ber hat­te Human Rights Watch 51 syri­sche Flücht­lin­ge inter­viewt, die erst kürz­lich in die Tür­kei ein­ge­reist waren. Die Flücht­lin­ge beschrie­ben, wie sie selbst oder ande­re Opfer ille­ga­ler Rück­schie­bun­gen nach Syri­en wur­den, teils unter Ein­satz bru­ta­ler Gewalt. Die Berich­te zei­gen: Es lie­gen kla­re Ver­stö­ße gegen das Zurück­wei­sungs­ver­bot der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on und der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on vor. Auch das ARD-Maga­zin Moni­tor (14.1.2016) hat vor Ort gedreht und schil­dert will­kür­li­che Inhaf­tie­run­gen und Abschie­bun­gen nach Syri­en.

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