PRO ASYL wirft der EU-Kommission und den EU-Staaten eine Politik der kollektiven Realitätsverweigerung vor. „Die Debatte um die Einrichtung von Aufnahmezentren (Hot Spots) an den EU-Außengrenzen sowie Verteilungsquoten und sichere Herkunftsländer trägt irreale Züge“, sagt Günter Burkhardt, Geschäftsführer von PRO ASYL. Mit den Plänen der EU-Kommission, die heute in Brüssel vorgestellt werden, droht die Festsetzung tausender Flüchtlinge in den EU-Außengrenzstaaten ohne Schutzperspektive.
In seiner heutigen Rede zur „Lage der Europäischen Union“ vor dem Europaparlament hat Jean-Claude Juncker die EU-Pläne zur Flüchtlingspolitik vorgestellt. Sie zeigen, dass hartnäckig verweigert wird, die Realität der aktuellen Fluchtbewegungen überhaupt wahrzunehmen – mit fatalen Folgen für Schutzsuchende. Mit dem Konzept der Hot Spots in Griechenland, Ungarn und Italien sollen tausende Flüchtlinge in Wartezonen entlang der EU-Außengrenzen festgesetzt werden. Der aktuelle Stand der Diskussion um die Aufnahme von Flüchtlingen in den EU-Mitgliedstaaten zeigt, dass die angeblich vorgesehene Weiterreise in andere EU-Länder kaum erfolgen dürfte. Außerdem ist klar: Die gegenwärtig in Griechenland ankommenden und über die Balkan-Staaten weiterreisenden Flüchtlinge wird man nicht in den Grenzstaaten internieren können – es sei denn, die EU plant riesige Internierungslager, die das beschworene „Europa der Werte“ vollkommen unterminieren würden.
Der Kommissionspräsident will weiterhin auf Quoten für die Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU drängen. Mitte Juli noch war die EU-Kommission mit dem Ziel, 40.000 Flüchtlinge aus Griechenland und Italien umzuverteilen, gescheitert. Nach ernüchternden Verhandlungen zeigten sich die Mitgliedstaaten bereit, auf freiwilliger Basis rund 32.000 Flüchtlingen Relocation-Plätze anzubieten. Nun schlägt die Kommission vor, weitere 120.000 Flüchtlinge innerhalb der EU umzuverteilen. Aufnahmen sollen vor allem aus Ungarn und Griechenland erfolgen, ein kleinerer Teil aus Italien. Dass 120.000 ankommende Flüchtlinge nach einer Quote verteilt werden, ist unwahrscheinlich. Allein in Griechenland sind bisher über 250.000 Schutzsuchende in 2015 angekommen, so dass der Bedarf schon jetzt die in die Quotendiskussion eingebrachte Zahl weit übersteigt. Gleichzeitig soll weiterhin am Dublin-System festgehalten werden, das ersichtlich gescheitert ist.
Die Debatte um angebliche „sichere Herkunftsländer“, sowohl in Europa als auch in Deutschland, zeitigt immer empörendere Ideen. Die EU-Kommission zieht sogar in Erwägung, Länder wie die Türkei, in der aktuell ein de facto Bürgerkrieg wieder auflebt, oder Pakistan, wo religiöse Minderheiten massiv verfolgt werden, zu sicheren Herkunftsländern zu erklären. Die EU-Asylverfahrensrichtlinie sieht eine gemeinsame europäische Liste sogenannter „sicherer Herkunftsstaaten“ nicht vor. Wie in Deutschland soll auch auf EU-Ebene Stimmungsmache betrieben werden, die jeglicher sachlicher Grundlage entbehrt. Bedroht ist damit der Kern des Flüchtlingsrechts, die individuelle Einzelfallprüfung im Asylverfahren. Die meisten der über Serbien und Ungarn in die EU kommenden Menschen sind nach Einschätzung der Vereinten Nationen Flüchtlinge und haben damit ein Recht auf Asyl. Die meisten aktuell über die Balkanroute kommenden Schutzsuchenden kämen aus Syrien, Afghanistan und Irak, so UNHCR-Koordinator Vincent Cochetel am Dienstag. Rund 85 Prozent der Ankommenden seien Flüchtlinge und keine Wirtschaftsmigranten.
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