16.03.2023

Gemein­sa­me Pres­se­er­klä­rung von PRO ASYL und RSA

Sie­ben Jah­re nach der Unter­zeich­nung des EU-Tür­kei-Deals for­dern die Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­ti­on PRO ASYL und ihre grie­chi­sche Part­ner­or­ga­ni­sa­ti­on Refu­gee Sup­port Aege­an das sofor­ti­ge Ende  des rechts­staats­ge­fähr­den­den Abkom­mens, die Abkehr von  Abschre­ckung und Mili­ta­ri­sie­rung an den EU Außen­gren­zen, siche­re Flucht­we­ge und eine radi­ka­le Ände­rung der men­schen­rechts­ver­ach­ten­den  Auf­nah­me- und Asyl­po­li­tik  Griechenlands.

Die am 18. März 2016 unter­zeich­ne­te Erklä­rung zwi­schen der EU und der Tür­kei wird noch immer als Blau­pau­se dafür ver­kauft, wie eine künf­ti­ge euro­päi­sche Flücht­lings­po­li­tik aus­se­hen könn­te. Tat­sa­che ist aber: Der soge­nann­te Flücht­lings­deal liegt auf bei­den Sei­ten der Ägä­is in Trüm­mern. In der Tür­kei im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes: Zu den Opfern des kata­stro­pha­len Erd­be­bens gehö­ren mehr als 1,5 Mil­lio­nen in der Tür­kei leben­de Flücht­lin­ge, die nun vor dem Nichts ste­hen. Und in Grie­chen­land wer­den seit März 2016 Schutz­su­chen­de auf den grie­chi­schen Inseln sys­te­ma­tisch ihrer Rech­te beraubt.

Karl Kopp, Lei­ter der Euro­pa­ab­tei­lung von PRO ASYL: „Der Deal ist ein men­schen­recht­li­cher Alb­traum. Er steht für einen Aus­stieg der EU aus dem inter­na­tio­na­len Flücht­lings­schutz. Mit dem EU-Tür­kei-Deal för­dert die Euro­päi­sche Uni­on die Nor­ma­li­sie­rung und Aus­wei­tung einer Poli­tik, die Men­schen­le­ben, Rechts­staat­lich­keit und die Demo­kra­tie selbst gefährdet.“

Grenzverfahren, Inhaftierung und vermeintlich „sichere Drittstaaten“

Der EU-Tür­kei-Deal und die aktu­el­le Pra­xis in Grie­chen­land zei­gen, wie gefähr­lich Grenz­ver­fah­ren und das Dritt­staa­ten­kon­zept für den Flücht­lings­schutz sind.  Auf dem Son­der­gip­fel der euro­päi­schen Staats- und Regie­rungs­chefs am 9. Febru­ar 2023 wur­de ver­ein­bart, dass das Kon­zept ver­meint­lich „siche­rer Dritt­staa­ten“ inten­si­ver genutzt wer­den und die Euro­päi­sche Asyl­agen­tur dafür Leit­li­ni­en aus­ar­bei­ten soll. Mit der Reform des Gemein­sa­men Euro­päi­schen Asyl­sys­tems (GEAS) sol­len die Kri­te­ri­en für „siche­re Dritt­staa­ten“ so weit abge­senkt wer­den, dass der mas­sen­haf­ten Abwei­sung von  eigent­lich schutz­be­rech­tig­ten Men­schen in der EU kaum noch etwas im Wege steht.

Zugleich wird  in Grie­chen­land der Rechts­staat wei­ter abge­baut: Wie Regie­rung und Behör­den  mit Flücht­lin­gen umge­hen, stellt eine der größ­ten Bedro­hun­gen für die demo­kra­ti­schen Grund­la­gen des Lan­des dar. Das Ergeb­nis des Abkom­mens war und ist, dass Flücht­lin­gen ihre Grund­rech­te vor­ent­hal­ten wer­den, das Recht auf Asyl in Fra­ge gestellt wird, Asyl­su­chen­de inhaf­tiert oder in  Lagern ein­ge­schlos­sen und sie mit allen Mit­teln dar­an gehin­dert wer­den, in die EU einzureisen.

So wur­den und wer­den Tau­sen­de Flücht­lin­ge auf den grie­chi­schen Inseln vom recht­mä­ßi­gen Schutz aus­ge­schlos­sen. Push­backs – ille­ga­le und äußerst bru­ta­le Zurück­wei­sun­gen von Schutz­su­chen­den – sind in Grie­chen­land an der Tages­ord­nung und sind das Fun­da­ment des grie­chi­schen „Grenz­schut­zes“. Das bele­gen erneut ein erst kürz­lich ver­öf­fent­lich­ter Zwi­schen­be­richt der grie­chi­schen Natio­na­len Men­schen­rechts­kom­mis­si­on und die bei­spiel­lo­se Anzahl von Inter­ven­tio­nen des Euro­päi­schen Gerichts­hofs für Men­schen­rech­te (EGMR) bei den grie­chi­schen Behör­den im ver­gan­ge­nen Jahr.

Griechischer Staatsgerichtshof bestätigt Scheitern des Deals 

Zum Jah­res­tag des sie­ben­jäh­ri­gen Bestehens des EU-Tür­kei-Deals  bestä­tigt  nun auch der grie­chi­sche Staats­ge­richts­hof  des­sen Schei­tern (Beschluss Nr. 177/2023). Das Gericht erkennt das Offen­sicht­li­che an: Die Tat­sa­che, dass das Abkom­men nicht funk­tio­niert, weil sich die Tür­kei seit drei Jah­ren wei­gert, Schutz­su­chen­de aus Grie­chen­land zurück­zu­neh­men. Die Richter*innen des Staats­ge­richts­hofs spra­chen sich mit gro­ßer Mehr­heit dafür aus, die Ein­stu­fung der Tür­kei als „siche­ren Dritt­staat“ für Schutz­su­chen­de aus Syri­en, Afgha­ni­stan, Paki­stan, Ban­gla­desch und Soma­lia für nich­tig zu erklä­ren, und haben den Euro­päi­schen Gerichts­hof (EuGH) um Klä­rung gebeten.

EU stärkt Abbau der Rechtsstaatlichkeit

Ele­ni Spatha­na, Rechts­an­wäl­tin bei der grie­chi­schen PRO ASYL-Part­ner­or­ga­ni­sa­ti­on RSA, sagt: „Am Jah­res­tag des sie­ben­jäh­ri­gen Bestehens des EU-Tür­kei-Deals besie­gelt der grie­chi­sche Staats­ge­richts­hof  nun ganz offi­zi­ell des­sen Schei­tern, indem er wie im berühm­ten Mär­chen zeigt, dass der Kai­ser kei­ne Klei­der hat. Das Gericht erkennt die Tat­sa­che an, dass das Abkom­men ein­fach nicht funk­tio­niert. Die­se Poli­tik ist weder legi­tim noch nach­hal­tig für die Euro­päi­sche Uni­on und für Grie­chen­land und muss been­det wer­den. Das ist eine Fra­ge der Demo­kra­tie. „Obwohl der EU-Tür­kei-Deal offi­zi­ell geschei­tert ist, wird er wei­ter­hin als Blau­pau­se für die künf­ti­ge euro­päi­sche Asyl­po­li­tik ver­kauft. Gleich­zei­tig ver­wei­gert die EU-Kom­mis­si­on die Prü­fung, ob Grie­chen­lands Pra­xis, Asyl­an­trä­ge sys­te­ma­tisch zurück­zu­wei­sen und Schutz­su­chen­de auf die Tür­kei als ver­meint­lich „siche­ren Dritt­staat“  zu ver­wei­sen, mit EU-Recht ver­ein­bar ist. Eine gemein­sa­me Beschwer­de von PRO ASYL und RSA, in der die EU-Kom­mis­si­on auf­ge­for­dert wird, unver­züg­lich Ver­trags­ver­let­zungs­ver­fah­ren gegen Grie­chen­land ein­zu­lei­ten, ist noch immer nicht beant­wor­tet worden.

Um die Grundrechte von Schutzsuchenden wiederherzustellen, fordern PRO ASYL und Refugee Support Aegean (RSA):

- Die sofor­ti­ge Auf­he­bung des EU-Tür­kei-Deals und die Abkehr von  Abschre­ckung und Mili­ta­ri­sie­rung an den Außengrenzen

- Ein­hal­tung und Respek­tie­rung des Non-Refou­le­ment-Prin­zips an Land und auf See

- Siche­re Flucht­we­ge für Asyl­su­chen­de, um den töd­li­chen Über­fahr­ten auf dem Mit­tel­meer end­lich ein Ende zu set­zen. Gera­de jetzt, nach den ver­hee­ren­den Erd­be­ben in der Tür­kei und in Syri­en, müs­sen siche­re Wege und kon­kre­te Ver­fah­ren wie unbü­ro­kra­ti­sche Visa, Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung und Resett­le­ment für die syri­schen, afgha­ni­schen und ira­ni­schen Flücht­lin­ge gewähr­leis­tet wer­den, die alles ver­lo­ren haben, in der Tür­kei fest­sit­zen und in der EU Asyl bean­tra­gen wollen.

- Einen  groß ange­leg­ten Umver­tei­lungs­me­cha­nis­mus zwi­schen den EU-Mitgliedstaaten

- Das sofor­ti­ge Ende der auf den Inseln gel­ten­den „geo­gra­fi­schen Beschrän­kung“ für Schutz­su­chen­de, die Über­füh­rung der Asyl­su­chen­den in bes­se­re Lebens­ver­hält­nis­se  auf das Fest­land und eine deut­li­che Stär­kung des Aufnahmesystems

- Die radi­ka­le Ände­rung der kata­stro­pha­len Auf­nah­me- und Asyl­po­li­tik in Grie­chen­land und die Gewähr­leis­tung grund­le­gen­der Prin­zi­pi­en des inter­na­tio­na­len Schut­zes und der Rechts­staat­lich­keit, die in Grie­chen­land sys­te­ma­tisch ver­letzt werden

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