28.07.2021
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Unterzeichnung der Genfer Flüchtlingskonvention 1951. Foto: Arni / UN Archives

Feiertag, Trauertag, Todestag? Ein Blick in die Berichterstattung zeigt, mit welch gemischten Gefühlen der 70. Geburtstag der Genfer Flüchtlingskonvention begangen wird. Am Lautesten feiern pflichtgemäß die Regierungen in Europa, die morgen den Kern der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) wieder vergessen haben und ihn mit Füßen treten werden.

Die Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on wird täg­lich an Euro­pas Gren­zen ver­letzt – des­halb ist die­ser Jah­res­tag auch ein Trau­er­tag. Aber den­noch gilt: Die »Magna Char­ta« des Flücht­lings­rechts, die GFK, war eine Ant­wort auf die Bar­ba­rei, den Natio­nal­so­zia­lis­mus und den Holo­caust. Sie steht für den dama­li­gen Wil­len der inter­na­tio­na­len Staa­ten­ge­mein­schaft, Kon­se­quen­zen aus ihrem desas­trö­sen Ver­sa­gen zu ziehen.

Nie wie­der soll­ten Schutz­su­chen­de wie Stück­gut an den Gren­zen abge­wie­sen wer­den, zurück in die Fol­ter und den Tod. Mit der GFK wur­de 1951 ein Schutz­in­stru­ment geschaf­fen, das die Rech­te und die Wür­de jedes Schutz­su­chen­den zur unum­stöß­li­chen Ver­pflich­tung macht.

Mit Bit­ter­nis erin­nern wir heu­te die Euro­päi­sche Uni­on dar­an, dass sie sich auf dem Son­der­gip­fel von Tam­pe­re Okto­ber 1999 fei­er­lich ver­pflich­te­te, ein »gemein­sa­mes Asyl­sys­tem auf der voll­stän­di­gen und all­um­fas­sen­den Anwen­dung der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on« auf­zu­bau­en und den »abso­lu­ten Respekt vor dem Recht Asyl zu suchen« zu gewährleisten.

Schutz vor Zurückweisung?

22 Jah­re spä­ter gibt es noch immer kein gemein­sa­mes euro­päi­sches Schutz­sys­tem und die GFK wird sys­te­ma­tisch an den euro­päi­schen Gren­zen ver­letzt. PRO ASYL hat erst kürz­lich zum Welt­flücht­lings­tag die Euro­päi­sche Uni­on davor gewarnt, der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on  »ihr Herz­stück« zu ent­rei­ßen. Als die GFK vor 70 Jah­ren, am 28. Juli 1951, auf einer UN-Son­der­kon­fe­renz ver­ab­schie­det wur­de, geschah das auch unter dem Ein­druck der Nazi­zeit, als die von Hit­ler Ver­folg­ten vor geschlos­se­nen Gren­zen stan­den. Das Zurück­wei­sungs­ver­bot der GFK ist eine ein­zig­ar­ti­ge huma­ni­tä­re und recht­li­che Errun­gen­schaft, die Flücht­lin­gen grund­le­gen­de indi­vi­du­el­le Rech­te zusichert.

An den EU-Gren­zen pas­siert viel­fach genau das Gegen­teil von dem, was die GFK garantiert!

Doch die Rea­li­tät heu­te sieht anders aus: Tau­sen­de Tote im Mit­tel­meer vor Euro­pas Toren, sys­te­ma­ti­sche Ver­let­zun­gen der Rech­te und völ­ker­rechts­wid­ri­ge Zurück­wei­sun­gen (»Push­backs«) an den Außen­gren­zen, schänd­li­che Deals mit auto­ri­tä­ren Regimen.

So pas­siert an den EU-Gren­zen viel­fach genau das Gegen­teil von dem, was die GFK garan­tiert: Geflüch­te­te wer­den an Land- und See­gren­zen zurück­ge­prü­gelt oder an grie­chi­schen Gren­zen mit Schall­ka­no­nen beschos­sen – und so dar­an gehin­dert, Asyl zu bean­tra­gen. Män­ner, Frau­en und Kin­der wer­den bei Push­backs auf dem Meer ausgesetzt.

Schändliche Deals mit autoritären Regimen 

Zudem hält Euro­pa am Flücht­lings­deal mit Erdoğan fest: mehr Geld für Flücht­lin­ge, aber auch für die Grenz­auf­rüs­tung. Grie­chen­land hat kürz­lich die Tür­kei für den Groß­teil aller Schutz­su­chen­den zum »siche­ren Dritt­staat« erklärt. So wer­den aus Flücht­lin­gen Recht­lo­se und die Flücht­lings­kon­ven­ti­on wird – mit Unter­stüt­zung aus Brüs­sel – weit­ge­hend außer Kraft gesetzt. Noch hin­zu kommt: Die EU und ihre Mit­glieds­staa­ten finan­zie­ren die soge­nann­te »liby­sche Küs­ten­wa­che«, um zehn­tau­sen­de Boots­flücht­lin­ge gewalt­sam in die liby­schen Fol­ter­la­ger zurückzuschaffen.

Das Ende für den individuellen Flüchtlingsschutz?

Doch nicht genug, dass die GFK schon von der EU als Gan­zes bedroht wird: Ein­zel­ne Mit­glieds­staa­ten gehen noch wei­ter: Däne­mark – Erst­un­ter­zeich­ner­land der GFK – hat bereits die Geset­zes­vor­aus­set­zun­gen geschaf­fen, um das indi­vi­du­el­le Asyl­recht weit­ge­hend abzu­schaf­fen. Asyl­an­trä­ge sol­len so fak­tisch nicht mehr mög­lich sein. Schutz­su­chen­de sol­len post­wen­dend in irgend­wel­che Dritt­staa­ten – irgend­wo im Süden der Welt – trans­fe­riert werden.

Nach den Plä­nen der EU-Kom­mis­si­on und den Mit­glieds­staa­ten soll die­se Exter­na­li­sie­rung künf­tig zur Gewohn­heit wer­den. Das neue EU-Asyl- und Migra­ti­ons­pa­ket, das der­zeit in Brüs­sel ver­han­delt wird, zielt dar­auf ab, Grenz­ver­fah­ren unter Haft­be­din­gun­gen durchzuführen.

Das könn­te der Anfang vom Ende des indi­vi­du­el­len Flücht­lings­schut­zes sein, der in der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on vor 70 Jah­ren sei­nen hoff­nungs­vol­len Anfang hatte.

(kk)