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Zum Jubiläum: Die Genfer Flüchtlingskonvention unter Dauerbeschuss
Feiertag, Trauertag, Todestag? Ein Blick in die Berichterstattung zeigt, mit welch gemischten Gefühlen der 70. Geburtstag der Genfer Flüchtlingskonvention begangen wird. Am Lautesten feiern pflichtgemäß die Regierungen in Europa, die morgen den Kern der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) wieder vergessen haben und ihn mit Füßen treten werden.
Die Genfer Flüchtlingskonvention wird täglich an Europas Grenzen verletzt – deshalb ist dieser Jahrestag auch ein Trauertag. Aber dennoch gilt: Die »Magna Charta« des Flüchtlingsrechts, die GFK, war eine Antwort auf die Barbarei, den Nationalsozialismus und den Holocaust. Sie steht für den damaligen Willen der internationalen Staatengemeinschaft, Konsequenzen aus ihrem desaströsen Versagen zu ziehen.
Nie wieder sollten Schutzsuchende wie Stückgut an den Grenzen abgewiesen werden, zurück in die Folter und den Tod. Mit der GFK wurde 1951 ein Schutzinstrument geschaffen, das die Rechte und die Würde jedes Schutzsuchenden zur unumstößlichen Verpflichtung macht.
Mit Bitternis erinnern wir heute die Europäische Union daran, dass sie sich auf dem Sondergipfel von Tampere Oktober 1999 feierlich verpflichtete, ein »gemeinsames Asylsystem auf der vollständigen und allumfassenden Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention« aufzubauen und den »absoluten Respekt vor dem Recht Asyl zu suchen« zu gewährleisten.
Schutz vor Zurückweisung?
22 Jahre später gibt es noch immer kein gemeinsames europäisches Schutzsystem und die GFK wird systematisch an den europäischen Grenzen verletzt. PRO ASYL hat erst kürzlich zum Weltflüchtlingstag die Europäische Union davor gewarnt, der Genfer Flüchtlingskonvention »ihr Herzstück« zu entreißen. Als die GFK vor 70 Jahren, am 28. Juli 1951, auf einer UN-Sonderkonferenz verabschiedet wurde, geschah das auch unter dem Eindruck der Nazizeit, als die von Hitler Verfolgten vor geschlossenen Grenzen standen. Das Zurückweisungsverbot der GFK ist eine einzigartige humanitäre und rechtliche Errungenschaft, die Flüchtlingen grundlegende individuelle Rechte zusichert.
An den EU-Grenzen passiert vielfach genau das Gegenteil von dem, was die GFK garantiert!
Doch die Realität heute sieht anders aus: Tausende Tote im Mittelmeer vor Europas Toren, systematische Verletzungen der Rechte und völkerrechtswidrige Zurückweisungen (»Pushbacks«) an den Außengrenzen, schändliche Deals mit autoritären Regimen.
So passiert an den EU-Grenzen vielfach genau das Gegenteil von dem, was die GFK garantiert: Geflüchtete werden an Land- und Seegrenzen zurückgeprügelt oder an griechischen Grenzen mit Schallkanonen beschossen – und so daran gehindert, Asyl zu beantragen. Männer, Frauen und Kinder werden bei Pushbacks auf dem Meer ausgesetzt.
Schändliche Deals mit autoritären Regimen
Zudem hält Europa am Flüchtlingsdeal mit Erdoğan fest: mehr Geld für Flüchtlinge, aber auch für die Grenzaufrüstung. Griechenland hat kürzlich die Türkei für den Großteil aller Schutzsuchenden zum »sicheren Drittstaat« erklärt. So werden aus Flüchtlingen Rechtlose und die Flüchtlingskonvention wird – mit Unterstützung aus Brüssel – weitgehend außer Kraft gesetzt. Noch hinzu kommt: Die EU und ihre Mitgliedsstaaten finanzieren die sogenannte »libysche Küstenwache«, um zehntausende Bootsflüchtlinge gewaltsam in die libyschen Folterlager zurückzuschaffen.
Das Ende für den individuellen Flüchtlingsschutz?
Doch nicht genug, dass die GFK schon von der EU als Ganzes bedroht wird: Einzelne Mitgliedsstaaten gehen noch weiter: Dänemark – Erstunterzeichnerland der GFK – hat bereits die Gesetzesvoraussetzungen geschaffen, um das individuelle Asylrecht weitgehend abzuschaffen. Asylanträge sollen so faktisch nicht mehr möglich sein. Schutzsuchende sollen postwendend in irgendwelche Drittstaaten – irgendwo im Süden der Welt – transferiert werden.
Nach den Plänen der EU-Kommission und den Mitgliedsstaaten soll diese Externalisierung künftig zur Gewohnheit werden. Das neue EU-Asyl- und Migrationspaket, das derzeit in Brüssel verhandelt wird, zielt darauf ab, Grenzverfahren unter Haftbedingungen durchzuführen.
Das könnte der Anfang vom Ende des individuellen Flüchtlingsschutzes sein, der in der Genfer Flüchtlingskonvention vor 70 Jahren seinen hoffnungsvollen Anfang hatte.
(kk)