17.02.2023
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Aufnahmen aus Hatay, Türkei. Foto: picture alliance / AA | Erhan Sevenler

Am 6. Februar erschütterten Erdbeben das türkisch-syrische Grenzgebiet. 40.000 Todesopfer sind bereits bestätigt. Erst langsam wird das Ausmaß der Katastrophe sichtbar. PRO ASYL hat mit der Wissenschaftlerin Begüm Başdaş über die Krisenreaktion der Türkei, menschenrechtliche Bedenken und die prekäre Situation von Schutzsuchenden gesprochen.

Infor­ma­ti­on: Das Inter­view wur­de am 16.02.2023 geführt. Die Situa­ti­on und die Rege­lun­gen kön­nen sich in der aktu­el­len Situa­ti­on sehr schnell verändern.

Begüm, seit einer Woche stehst du im stän­di­gen Kon­takt mit Menschenrechtsaktivist*innen in der Tür­kei und ver­folgst die Bericht­erstat­tung. Wie stellt sich die der­zei­ti­ge Situa­ti­on für dich dar?

48 h

und län­ger brauch­ten Ret­tungs­teams, bis sie in man­chen Regio­nen eintrafen

Es ist schwie­rig in Wor­te zu fas­sen, was gera­de vor Ort pas­siert. Die Aus­wir­kun­gen des ver­hee­ren­den Erd­be­bens sind kaum vor­stell­bar. Die Situa­ti­on ist von Ort zu Ort unter­schied­lich und es ist immer noch zu früh für eine umfas­sen­de Ana­ly­se. Die kata­stro­pha­len Fol­gen jedoch sind auch poli­tisch bedingt. Es geht hier um ver­schie­de­ne Pro­ble­me wie Bau­män­gel, Kor­rup­ti­on, Ver­nach­läs­si­gung von Auf­sichts­pflich­ten und die lang­sa­me Mobi­li­sie­rung von Such- und Ret­tungs­maß­nah­men durch die Behör­den. An vie­len Orten tra­fen die Teams mehr als 48 Stun­den nach der Kata­stro­phe ein, was viel zu spät war. Vie­le Leben fie­len nicht unmit­tel­bar dem Beben selbst zum Opfer, son­dern der ver­spä­te­ten Hil­fe­leis­tung. Ret­tungs- und Hilfs­ak­tio­nen wur­den zu gro­ßen Tei­len selbst­stän­dig durch die Zivil­ge­sell­schaft orga­ni­siert, und in die­sem Pro­zess wur­den sie auch noch durch Behör­den behindert.

Wei­ter­hin fehlt es an Koor­di­na­ti­on und kla­rer Kom­mu­ni­ka­ti­on, schnell ver­brei­ten sich hin­ge­gen Falsch­in­for­ma­tio­nen und Het­ze – ins­be­son­de­re gegen Flücht­lin­ge und Migrant*innen. Es ist das tota­le Cha­os. Die ein­zi­gen Gewiss­hei­ten sind, dass die Aus­wir­kun­gen des Erd­be­bens auf die men­schen­recht­li­che Lage in der Tür­kei immens sind und die Zahl der Todes­op­fer wei­ter stei­gen wird.

»In der Tür­kei erle­ben wir immer wie­der, dass Men­schen­le­ben nichts wert sind.«

Wie­der gibt es Berich­te über die Inhaf­tie­rung von Journalist*innen und die Ein­schrän­kung der Pressefreiheit.

Kurz nach den Erd­be­ben war der Zugang zu Social Media-Kanä­len wie Twit­ter ein­ge­schränkt. Und das, obwohl es zu einem der wich­tigs­ten Mit­tel gewor­den ist, um Ret­tungs­ak­tio­nen zu koor­di­nie­ren und an hun­der­ten ver­schie­de­nen Orten in dem betrof­fe­nen Gebiet um Hil­fe zu bit­ten. Offen­sicht­lich hat der Schutz von Men­schen­le­ben kei­ne Prio­ri­tät für die Regie­rung. In der Tür­kei erle­ben wir immer wie­der, dass Men­schen­le­ben nichts wert sind. Nutzer*innen Sozia­ler Medi­en und Journalist*innen wur­den ins Visier genom­men. Weil sie sich kri­tisch äußer­ten oder die Lage beob­ach­te­ten, wur­den eini­ge zeit­wei­se sogar fest­ge­nom­men, was die Behör­den mit dem kürz­lich ver­ab­schie­de­ten »Des­in­for­ma­ti­ons­ge­setz« leicht legi­ti­mie­ren konnten.

Der Prä­si­dent hat den Aus­nah­me­zu­stand für die von dem Erd­be­ben betrof­fe­nen Städ­te ver­kün­det, aber ich befürch­te, dass er sogar lan­des­weit ver­hängt wer­den könn­te. Wir haben die Aus­wir­kun­gen des Aus­nah­me­zu­stands auf die Men­schen­rech­te nach dem geschei­ter­ten Putsch­ver­such 2016 gese­hen und wie er zur Ein­schrän­kung der Meinungs‑, Ver­samm­lungs- und Medi­en­frei­heit genutzt wur­de. Die­ses Mal haben die­se Ein­schrän­kun­gen unmit­tel­ba­re Aus­wir­kun­gen auf Menschenleben.

In dem betrof­fe­nen Gebiet leben vie­le Flücht­lin­ge, die ins­be­son­de­re vor dem Krieg in Syri­en geflo­hen sind, aber auch Schutz­su­chen­de aus ande­ren Län­dern wie dem Iran und Afgha­ni­stan. Wie ist ihre Situa­ti­on momentan?

1,7 Mio.

regis­trier­te Geflüch­te­te leben min­des­tens in den elf betrof­fe­nen Regionen.

Laut den tür­ki­schen Behör­den leben in den elf betrof­fe­nen Pro­vin­zen min­des­tens 1,7 Mil­lio­nen regis­trier­te Geflüch­te­te. Den Groß­teil machen Syrer*innen unter dem soge­nann­ten Tem­po­rä­ren Schutz aus. Wir wis­sen nicht, wie vie­le Schutz­su­chen­de ohne Papie­re in dem betrof­fe­nen Gebiet gelebt haben. Schon vor dem Erd­be­ben war das Leben von Schutz­su­chen­den und Migrant*innen in der Tür­kei schwie­rig, was den Zugang zu Schutz und grund­le­gen­den Rech­ten, aber auch die gesell­schaft­li­che Akzep­tanz, anbelangt.

Die zuneh­mend migra­ti­ons­feind­li­che Rhe­to­rik im Land trug zur Ver­schlech­te­rung ihrer Situa­ti­on bei. Ins­be­son­de­re nach 2019, mit der wirt­schaft­li­chen Tal­fahrt in der Tür­kei, wer­den Flücht­lin­ge und Migrant*innen ins Visier genom­men und wei­ter mar­gi­na­li­siert, was ihre Vul­nerabi­li­tät noch ver­stärkt. Das Erd­be­ben hat das gan­ze Land getrof­fen, aber wie bei allen Kri­sen, Kata­stro­phen und Kon­flik­ten blei­ben vul­nerable Grup­pen auf der Stre­cke. Der Staat muss den Schutz der gefähr­de­ten Grup­pen sicher­stel­len, aber heu­te sind sie alle auf sich allein gestellt.

Kannst du das wei­ter ausführen?

Ich habe bereits erwähnt, dass der Zugang zu kla­ren Infor­ma­tio­nen ein Pro­blem ist. Es gibt kei­ne kla­ren Leit­li­ni­en für Flücht­lin­ge und Migrant*innen. Selbst auf der Web­site des zustän­di­gen Prä­si­di­ums für Migra­ti­ons­ma­nage­ments feh­len Infor­ma­tio­nen, abge­se­hen von einer Mel­dung über die Aus­set­zung bestimm­ter Diens­te in eini­gen Städ­ten. Men­schen vor Ort sagen, dass die Ver­tei­lung von Hilfs­gü­tern, wie zum Bei­spiel Lebens­mit­teln, Geflüch­te­te erreicht, aber auch hier sind wir nicht in der Lage, das mit Sicher­heit zu bestätigen.

Aus einem der Doku­men­te, die zir­ku­lie­ren, geht her­vor, dass Geflüch­te­te nicht bei der Eva­ku­ie­rung in ande­re Städ­te oder Unter­brin­gun­gen unter­stützt wer­den. Wäh­rend eini­ge Syrer*innen sagen, dass unter den Über­le­ben­den ein hohes Maß an Soli­da­ri­tät gelebt wird und sie in Antak­ya unmit­tel­bar nach den Erd­be­ben kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung erlebt haben, gibt es vie­le Berich­te, in denen ein ganz ande­res Bild gemalt wird. Die Defi­zi­te in der Koor­di­nie­rung und der kla­ren Kom­mu­ni­ka­ti­on der Behör­den eröff­nen Raum für Hass­re­den, Syrer*innen wer­den zur Ziel­schei­be und es kommt zu gewalt­tä­ti­gen Angriffen.

Von wem geht die­se Het­ze aus?

Hoch­ran­gi­ge Poli­ti­ker rechts­extre­mer Par­tei­en und ihre Anhän­ger nut­zen die Situa­ti­on aus und machen Flücht­lin­ge mit einer dis­kri­mi­nie­ren­den Rhe­to­rik zum Sün­den­bock. Das ist in dem Zusam­men­hang sehr gefährlich.

Es gibt Berich­te über Men­schen, die in den Trüm­mern plün­dern oder sogar Tote auf den Stra­ßen besteh­len. Wir wis­sen nicht, um wen es sich dabei han­delt, es könn­ten dar­un­ter auch Über­le­ben­de sein, die ihr eige­nes Eigen­tum durch­su­chen. Es ist aktu­ell völ­lig unklar, um wen es sich han­delt. Vie­le Men­schen wer­den jedoch gezielt und gewalt­sam angegriffen.

»Sie fürch­te­ten, nicht geret­tet zu wer­den, wenn die Men­schen erken­nen, dass sie Syrer*innen sind.«

Vor allem Syrer*innen wer­den beschul­digt, ohne dass es irgend­wel­che Bewei­se gibt. Es gibt schwer­wie­gen­de Vor­wür­fe der Miss­hand­lun­gen und Fol­ter durch die Poli­zei von Men­schen, die mut­maß­lich geplün­dert haben. Dies sind sehr schwe­re Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen, die unter­sucht wer­den müs­sen. Es gibt aktu­ell ein­deu­ti­ge Sicher­heits­be­den­ken, aber nichts kann die Angrif­fe legi­ti­mie­ren. Dies ist eine direk­te Fol­ge des flücht­lings­feind­li­chen Stim­mung, der Men­schen­le­ben kostet.

Wie meinst du das? 

Men­schen wer­den bru­tal zusam­men­ge­schla­gen. Aber was uns das Herz bricht, ist, dass vie­le Syrer*innen, die das Erd­be­ben über­lebt haben, sag­ten, sie hät­ten Angst gehabt um Hil­fe zu rufen. Sie ver­such­ten statt­des­sen, unter den Trüm­mern Geräu­sche zu machen, weil sie fürch­te­ten, nicht geret­tet zu wer­den, wenn die Men­schen erken­nen, dass sie Syrer*innen sind. In eini­gen Gebie­ten haben sie auch Angst, um Hil­fe zu bit­ten. Dies ist ein kumu­la­ti­ves Ergeb­nis jah­re­lan­ger Hass­re­den und Diskriminierung.

In der Tür­kei unter­lie­gen Flücht­lin­ge einer Gebiets­be­schrän­kung. Ohne Antrag dür­fen sie die ihnen zuge­wie­se­ne Regi­on nicht ver­las­sen. Gilt dies weiterhin?

Syrer*innen unter vor­über­ge­hen­dem Schutz und ande­re Geflüch­te­te unter inter­na­tio­na­lem Schutz müs­sen in der Regel in den Städ­ten blei­ben, in denen sie regis­triert sind.* Um in der Tür­kei zu rei­sen benö­ti­gen sie »road per­mits«. Nach dem Erd­be­ben wur­de die­se Rege­lung für Geflüch­te­te in den betrof­fe­nen Städ­ten gelo­ckert. Laut einem Doku­ment der tür­ki­schen Migra­ti­ons­be­hör­de vom 13. Febru­ar dür­fen Betrof­fe­nen für die nächs­te 60 Tage ohne die vor­he­ri­ge Geneh­mi­gung rei­sen. In einem frü­he­ren Doku­ment war von 90 Tagen die Rede.

Die Tür­kei hält an einer geo­gra­fi­schen Beschrän­kung der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on fest. Der Flücht­lings­sta­tus wird nur Per­so­nen gewährt, die aus Län­dern des Euro­pa­rats stam­men. Per­so­nen, die aus soge­nann­ten ‚nicht-Euro­päi­schen Her­kunfts­län­dern‘ stam­men und unter die Flücht­lings­de­fi­ni­ti­on fal­len, kön­nen nach erfolg­rei­chem Antrag einen beding­ten Schutz­sta­tuts erhal­ten. Für Flücht­lin­ge aus Syri­en hat die Tür­kei den Tem­po­rä­ren Schutz eingerichtet.

Ich ver­ste­he das Doku­ment so, dass die Locke­rung für Betrof­fe­ne aus sehr schwer betrof­fe­nen Städ­ten bezie­hungs­wei­se Gebie­ten, etwa Hat­ay oder Kahr­a­man­ma­raş, gilt. Sie kön­nen in ande­re Städ­te fah­ren und sich dann nach der Ankunft vor Ort bei den Behör­den regis­trie­ren. Per­so­nen, die in weni­ger betrof­fe­nen Städ­ten wie Diyar­bakır oder Ada­na leben, müs­sen wei­ter­hin vor der Rei­se eine Geneh­mi­gung ein­ho­len. Es hängt wohl vom Aus­maß der Schä­den in ihren Wohn­ge­bie­ten und ihrer Bedürf­tig­keit ab, ob die­se erteilt wird.

Es gibt kei­ne detail­lier­ten Leit­li­ni­en, aber es ist klar, dass ihnen in den Städ­ten, in denen sie ankom­men, kei­ne Unter­brin­gung gestellt wird. Die gesam­te Last der Unter­stüt­zung ruht auf den Geflüch­te­ten selbst und ihren Netz­wer­ken. Die von den Behör­den ver­öf­fent­lich­ten Infor­ma­tio­nen gehen nicht auf die Bedürf­nis­se der erneut ver­trie­be­nen Geflüch­te­ten ein, son­dern legen ihnen statt­des­sen neue Ein­schrän­kun­gen auf.

Die Aus­nah­me­re­ge­lung gilt für 60 Tage. Danach sind sie ver­pflich­tet, in die betrof­fe­nen Gebie­te zurück­zu­keh­ren. Dies wirft meh­re­re men­schen­recht­li­che Fra­gen auf. Wohin sol­len sie nach 60 Tagen zurück­keh­ren und wie wer­den sie unter­stützt? Wie wer­den sie medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung oder Bil­dung erhal­ten? Dar­auf gibt es der­zeit kei­ne Ant­wor­ten, wir müs­sen abwar­ten. Die Behör­den müs­sen allen betrof­fe­nen Men­schen glei­cher­ma­ßen, ohne Dis­kri­mi­nie­rung, unter­stüt­zen. Men­schen, die bereits zuvor kei­ne Papie­re hat­ten, ste­hen wei­ter­hin mit lee­ren Hän­den da. Wir wis­sen nicht, was mit ihnen pas­siert. Sie könn­ten von Abschie­bun­gen betrof­fen sein.

Gro­ße Städ­te, etwa Istan­bul oder Anka­ra, die bereits vor­her für Regis­trie­rung gesperrt waren, sol­len wei­ter­hin und auch für den tem­po­rä­ren Zuzug tabu sein. Eini­ge gehen den­noch in die­se Städ­te, da sie dort Ver­wand­te und Freun­de haben, bei denen sie tem­po­rär unter­kom­men kön­nen. Da es kei­ne kla­ren Richt­li­ni­en gibt, die­se jeden Tag ver­än­dert wer­den, liegt die gesam­te Ver­ant­wor­tung auf den Schul­tern der Flücht­lin­ge, die bereits mehr­fach durch Krieg und Armut ver­trie­ben wurden.

Du befasst dich auch mit den Pro­ble­men bei der Iden­ti­fi­zie­rung und Regis­trie­rung von Men­schen, die bei den Erd­be­ben ihr Leben ver­lo­ren haben. Kannst du dazu etwas sagen?

Es gibt Berich­te über die Mas­sen­be­stat­tun­gen von nicht iden­ti­fi­zier­ten Lei­chen. Das besorgt mich sehr, denn jeder hat das Recht auf eine Bestat­tung in Wür­de. Natür­lich gibt es aktu­ell sehr erns­te Risi­ken für die öffent­li­che Gesund­heit, wenn die Lei­chen nicht zeit­nah beer­digt wer­den, aber es muss Vor­schrif­ten geben, damit Ange­hö­ri­ge auch in Zukunft noch die Men­schen iden­ti­fi­zie­ren kön­nen. Ich befürch­te, dass dies Geflüch­te­te unver­hält­nis­mä­ßig stark tref­fen könnte.

Ich bin mir auch nicht sicher, ob Geflüch­te­te in den offi­zi­el­len Zah­len berück­sich­tigt wer­den. Die Fra­ge, wel­che Lei­chen als wür­dig erach­tet wer­den, um sie zu trau­ern, ist von ent­schei­den­der Bedeu­tung. Einer mei­ner Kol­le­gen in der Tür­kei ver­wies auf NGOs, die in Gazi­antep tätig sind. Die­se haben von min­des­tens 600 Geflüch­te­ten berich­tet, die bei dem Erd­be­ben ums Leben kamen. Dies ist nur eine Stadt und muss natür­lich über­prüft wer­den, lässt aber erah­nen, dass vie­le Geflüch­te­te ihr Leben ver­lo­ren haben.

»Das Erd­be­ben hat das gan­ze Land getrof­fen, aber ein­zel­ne Grup­pen blei­ben auf der Strecke.«

Was ist dei­ner Mei­nung nach jetzt wesentlich?

Die Erd­be­ben haben Hun­dert­tau­sen­de von Men­schen obdach­los gemacht. Die Tür­kei ist jetzt mit einer gro­ßen Zahl Bin­nen­ver­trie­be­ner kon­fron­tiert, die kei­ne ein­deu­ti­ge Unter­stüt­zung durch die Behör­den erhal­ten. Dazu gehö­ren auch Men­schen, die bereits aus ihren Her­kunfts­län­dern ver­trie­ben wur­den und in der Tür­kei Schutz suchen. Ihre Per­spek­ti­ven und ihr Schutz waren bereits vor den Erd­be­ben gefähr­det. Statt Ad-hoc-Lösun­gen, die die Men­schen noch wei­ter benach­tei­li­gen, brau­chen wir jetzt dau­er­haf­te Lösun­gen. Auch die EU ist gefragt. Sie muss han­deln und Ver­ant­wor­tung übernehmen.

Die inter­na­tio­na­le Gemein­schaft, auch vie­le EU-Mit­glieds­staa­ten, haben in Reak­ti­on auf das Erd­be­ben drin­gend benö­tig­te Unter­stüt­zung für die Such- und Ret­tungs­maß­nah­men geleis­tet, und es besteht ein spür­ba­rer Drang, Hil­fe zu schi­cken. Wir sind jedoch mit einer Situa­ti­on kon­fron­tiert, die die Wah­rung der Men­schen­rech­te Vie­ler auf Jah­re hin­aus gefähr­den wird. Des­halb brau­chen wir lang­fris­ti­ge und dau­er­haf­te Lösungen.

Visa für kur­ze Auf­ent­hal­te mit weni­ger büro­kra­ti­schen Maß­nah­men, wie sie von Deutsch­land dis­ku­tiert wer­den, sind davon weit ent­fernt. Sie sind lebens­wich­tig für Men­schen in drin­gen­den Not­la­gen, ins­be­son­de­re zur medi­zi­ni­schen Ver­sor­gung, aber sie sind nicht für alle glei­cher­ma­ßen zugäng­lich und bestehen­de prak­ti­sche Zugangs­hin­der­nis­se wer­den wei­ter­hin nicht behoben.

Selbst in den Tagen nach dem Erd­be­ben und wäh­rend Zehn­tau­sen­de in einem Nach­bar­land ums Leben gekom­men sind, dreh­te sich die Dis­kus­si­on auf EU-Ebe­ne und in den Medi­en um die Kon­trol­le von Migra­ti­ons­be­we­gung und die Ver­rin­ge­rung der Ankünf­te in der EU. Mein hoff­nungs­lo­ser Wunsch ist, dass die EU ihre Bemü­hun­gen ver­stärkt, effek­ti­ven Schutz zu bie­ten und bereits bestehen­de Mecha­nis­men, wie das Resett­le­ment-Ver­fah­ren und den Fami­li­en­nach­zug, nutzt, wenigs­tens für die von dem Erd­be­ben betrof­fe­nen Men­schen. Wir müs­sen jetzt den gesam­ten Werk­zeug­kas­ten für eine nach­hal­ti­ge Zukunft nut­zen. Die Tür­kei ist kein siche­res Dritt­land für Flüchtlinge.

Begüm Baş­daş ist Post­doc­to­ral Rese­ar­cher am Cent­re for Fun­da­men­tal Rights der Her­tie School mit einem Fokus auf Migra­ti­on, Men­schen­rech­te, poli­ti­sche Theo­rie, Geschlecht und Sexua­li­tät in der EU und der Tür­kei. In dem TV Pro­gramm »On the Move with Begüm Baş­daş« dis­ku­tiert sie regel­mä­ßig mit gela­de­nen Gäs­ten über aktu­el­le Fra­gen der Migra­ti­on. Der­zeit lebt sie in Berlin.