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Wider alle Fakten: Nächster Abschiebeflug ins Krisenland Afghanistan geplant
Am vergangenen Wochenende kamen in Masar-i-Scharif mehr als 140 Menschen bei einem Taliban-Anschlag um, mehr als 160 wurden verletzt. Die Lage in Afghanistan verschlechtert sich rapide, doch die Schutzquote für Afghan*innen ist seit 2015 dramatisch gesunken.
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist so schlecht wie lange nicht mehr, doch die Bunderegierung wischt die Fakten einfach beiseite.
Immer weniger Schutz für Afghan*innen
Das Bundesinnenministerium (BMI) verbreitet weiter die Mär von angeblich »sicheren« Regionen in Afghanistan, was sich dann auch in den Entscheidungen des BAMF wiederfindet. Die individuellen Fluchtgründe von AfghanInnen in den Asylverfahren werden beim Bundesamt in hohem Maße missachtet.
Die bereinigte Schutzquote für afghanische Flüchtlinge sank von 77,6 % im Jahr 2015 auf 60,5 % im Jahr 2016 (siehe Antwort der Bundesregierung auf BT-Drucksache 18/11570) Mit dieser Entwicklung konfrontiert antwortet die Bundesregierung ausweichend, es gebe keine politischen Vorgaben (Antwort 8).
Zahl der Ablehnungen steigt massiv an
Doch die Zahlen sprechen für sich: Seit Abschluss des Rückübernahmeabkommens der Bundesregierung mit Afghanistan im Herbst 2016 steigt die absolute Zahl der Ablehnungen: 3.186 im Oktober, 4.783 im November, 5.924 im Dezember, 6.641 im Januar 2017, 7.704 im Februar und 10.246 im März (errechnet aus der Asylgeschäftsstatistik für März 2017). Allein von Januar bis März 2017 wurden fast 25.000 AfghanInnen vom BAMF abgelehnt, mehr als im gesamten Jahr 2016. In den ersten beiden Monaten des Jahres 2017 betrug die bereinigte Schutzquote für AfghanInnen nur noch 47,9 %.
Angeblich »sichere« Regionen
Das BAMF begründet zunehmend Ablehnungen mit angeblich »sicheren« Regionen, die den Betroffenen als sogenannte inländische Fluchtalternative angeblich zur Verfügung stünden. Dabei ist die Lageeinschätzung des UNHCR eindeutig: Der UNHCR stellt in seinem Bericht fest, dass das gesamte Staatsgebiet Afghanistans von einem »innerstaatlichen bewaffneten Konflikt« im Sinne des europäischen Flüchtlingsrechtes betroffen sei. Aufgrund der sich ständig ändernden Sicherheitslage könne man gar nicht zwischen sicheren und unsicheren Regionen in dem Bürgerkriegsland entscheiden.
Abgeschobene auch aus Unruheprovinzen
Wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage von Bündnis 90/Grüne hervorgeht, stammen Abgeschobene auch aus afghanischen Unruheprovinzen – aber das interessiert die Bundesregierung nicht. Beispielsweise wurde im Januar und Februar jeweils eine Person aus Masar-i-Scharif abgeschoben – eben jener Provinz, in der jüngst die Taliban zugeschlagen haben.
Abgeschoben nach Kabul: aus den Augen, aus dem Sinn
Die Antworten der Bundesregierung zu Abschiebungen nach Afghanistan sind teilweise schockierend. Wichtige medizinische Informationen werden nicht übermittelt (Antwort auf Frage 7). Es sind Zufälle, wenn eine Ausländerbehörde dem mitfliegenden Arzt Infos oder Medikamente zusteckt, die diesen zur »Selbstmedikation« mitgegeben werden. Über den Verbleib der Abgeschobenen hat die Bundesregierung keine Kenntnisse, ebenso nicht über die ethische oder religiöse Zugehörigkeit. Es ist noch nicht einmal sichergestellt, dass die Abgeschobenen ihr Gepäck mitnehmen können (Antwort auf Frage 21/22).
Afghanistan ist nicht sicher!
Dass Betroffene in ein Kriegs- und Krisengebiet abgeschoben werden, zeigen aktuell verschiedene Sicherheitsberichte und Meldungen über die Sicherheitslage am Hindukusch: Die Handlungsfähigkeit der afghanischen Armee ist nach 6.700 im letzten Jahr im Krieg getöteten Soldaten kaum noch gegeben. Zudem soll die afghanische Armee monatlich mehrere Tausend Soldaten durch Fahnenflucht verlieren. Wie ein Report der US-Behörde Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) offenlegt, hat die afghanische Regierung nur noch in etwas mehr als der Hälfte des Landes überhaupt die Kontrolle oder maßgeblichen Einfluss.
In 26 der 34 Provinzen Afghanistans wurden Vertreibungen aufgrund von Kampfhandlungen verzeichnet. Wie das Büro der Vereinten Nationen (OCHA) berichtete, gab es im Jahr 2017 bis dato fast 59.000 neue Binnenvertriebene.