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Verantwortungslose Abschiebungspraxis nach Nigeria: »Selbst Kinder und psychisch Erkrankte«
Rex Osa ist Aktivist und Gründer des Vereins Refugees4Refugees in Deutschland und des Migration Information Points in Nigeria. Im Interview mit PRO ASYL spricht er über Traumata und Gewalt bei Abschiebungen nach Nigeria, Unterstützung von Abgeschobenen und Erwartungen der Familien, denen die Rückkehrer*innen ausgesetzt sind.
Die Sicherheitslage in Nigeria ist sehr problematisch: Korruption benachteiligt große Teile der Bevölkerung und Menschen, die sich gegen die Eliten wenden, drohen Haft und sogar Ermordung. Viele Menschen versuchen, Nigeria zu verlassen, sogar unter Lebensgefahr. Wohin gehen sie?
Zunächst suchen viele innerhalb von Nigeria eine neue Perspektive. Ist das nicht erfolgreich, gehen viele in die Nachbarländer wie Togo oder Ghana. Finden sie auch dort keine Sicherheit, machen sich manche, die körperlich und finanziell dazu in der Lage sind, auf den Weg nach Nordafrika und schließlich auch nach Europa.
Wenn sie in Deutschland ankommen: Was sind die größten Herausforderungen für nigerianische Menschen, die in Deutschland einen Asylantrag stellen?
Das ist ein ganz großer Teil meiner Arbeit vor Ort in Nigeria: Aufklärung über die wirkliche Situation für Asylsuchende in Deutschland. Viele Nigerianer*innen glauben nur allzu gerne dem Europa-Bild, das in die Welt transportiert wird, von einem friedlichen, sicheren, freien und wohlhabenden. Aber das ist eine Illusion. Wenn Menschen ihr Leben riskieren, in der Wüste, im Mittelmeer, in libyschen Gefängnissen und dann in Deutschland erkennen, dass ihre Vorstellung nichts mit der Realität zu tun hat, werden nicht wenige Menschen psychisch krank. Niemand, dem es gut geht, riskiert sein Leben auf einem Schlauchboot. Wir wollen, dass sie aufgeklärt sind und wissen, auf was sie sich einlassen. Wir können sie auf den Realitätsschock vorbereiten.
»Es ist ein Teufelskreis: Du riskierst dein Leben, wirst zum Beispiel gefoltert und vergewaltigt in Libyen, geschlagen und bedroht in Tunesien, hast Todesangst auf dem Mittelmeer, siehst Kinder ertrinken und endest am Ende deiner Reise im Lager in Deutschland, fernab vom gesellschaftlichem Leben.«
Normalerweise fühlen sich Nigerianer*innen in Italien dann viel wohler als in Deutschland, aber sie finden dort keine Arbeit und gehen Richtung Norden weiter. Deutschland bedeutet aber für viele Isolation, Arbeitsverbote, Leben im Lager. Das frustriert und macht krank. So gut wie alle Menschen aus Nigeria in Deutschland wollen eigentlich arbeiten. Es ist ein Teufelskreis: Du riskierst dein Leben, wirst zum Beispiel gefoltert und vergewaltigt in Libyen, geschlagen und bedroht in Tunesien, hast Todesangst auf dem Mittelmeer, siehst Kinder ertrinken und endest am Ende deiner Reise im Lager in Deutschland, fernab vom gesellschaftlichem Leben. Je schlimmer dein Fluchtweg war, desto wahrscheinlicher kehrst du nicht einfach zurück, auch wenn es furchtbar für dich in Deutschland ist. Denn dann wären alle Qualen völlig umsonst gewesen.
Die Schutzquote für Menschen aus Nigeria beträgt nur zwölf Prozent. Somit droht vielen die Abschiebung.
Ja, die absolute Katastrophe ist dann die Abschiebung. Häufig werden Menschen, auch psychisch Erkrankte und Familien mit kleinen Kindern oder Jugendlichen, nach vielen Jahren Leben in Deutschland abgeschoben. Das Problem ist, dass du in Nigeria stigmatisiert bist, wenn du abgeschoben wirst. Nicht selten wollen Familie und Freund*innen dann nichts mehr mit dir zu tun haben. Viele kehren nach der Abschiebung in ihre Dörfer zurück, werden dort komplett isoliert, werden krank und sterben einfach. Allein. Je länger du in Deutschland bist, desto mehr erwarten die Verwandten, dass du es zu etwas bringst. Desto stigmatisierter bist du nach der Abschiebung. Du sitzt in der Falle.
Woher weißt du das alles?
Erstens betreue ich Geflüchtete in Abschiebehaft. Außerdem bin ich manchmal vor Ort in Nigeria, wenn Abschiebflüge ankommen. Ich und meine Mitarbeiter*innen nehmen die Menschen in Empfang und versuchen, sie zu unterstützen. Zudem spreche ich mit vielen Abgeschobenen per Telefon und Zoom.
Bevor wir über deine Arbeit in Nigeria sprechen noch eine Frage: Viele Menschen, die abgeschoben werden, haben bei Ankunft große psychische Probleme und haben Polizeigewalt erlebt. Gibt es für sie irgendeine Möglichkeit, dies nach Ankunft in Nigeria dokumentieren zu lassen?
Nein, das gibt es nicht. Die nigerianische Grenzpolizei versucht einfach, die Leute schnell durchzuchecken, aber niemand kümmert sich um sie. Dabei haben viele von ihnen Gewalt durch deutsche Polizei erlebt oder mit angesehen, auch Frauen und Kinder, und kommen verstört, ärgerlich oder total verängstigt in Nigeria an. Sie machen ihrer Verzweiflung Luft, wollen erzählen, was ihnen passiert ist, aber die nigerianische Polizei hört nicht zu. Es läuft chaotisch, und während es dann Konflikte zwischen nigerianischer Polizei und den Abgeschobenen gibt, macht sich die deutsche Bundespolizei mitsamt Flugzeug und Personal aus dem Staub und hat nichts mehr mit der ganzen Sache zu tun.
Wie ist momentan die politische und gesellschaftliche Situation?
Sehr komplex und problematisch. Es herrscht eine starke Identitätspolitik, politische Führungen versuchen immer »ihre« Gruppen zu bevorzugen und werden auch deshalb gewählt. Die Wahlen sind in der Regel nicht voll demokratisch und frei, denn das Land ist äußerst korrupt. Wenn man Geld hat, kann man vieles bekommen und machen. Es gibt keinerlei Kontrolle, die Korruption bestimmt Wirtschaft, Politik, Gerichtsbarkeit, Finanzmarkt, Polizei, Armee – einfach alles. Es ist wirklich eine Schande.
Wenige reiche Menschen werden immer reicher, immer mehr Arme immer ärmer. Eine Gesundheitsversorgung für arme Menschen existiert nur sehr rudimentär und reicht nicht aus. Kein Geld haben und krank werden ist eine Katastrophe und führt auch nicht selten zum Tod.
Weiterhin verlassen viele, vor allem junge, Menschen die ländlichen Regionen. Wegen der Konkurrenz von unter anderem europäischen Firmen, die dort Landwirtschaft betreiben, verliert die lokale Bevölkerung ihre Lebensgrundlage. Dadurch werden die Städte voller, prekäre Beschäftigung, Armut und auch Ausbeutung nehmen zu.
Unser größtes Problem ist jedoch die Sicherheitslage im Land, vor allem, aber nicht nur für Frauen und Minderheiten. Raub, Kidnapping oder ähnliches gibt es häufig. Verschiedene Gruppen, wie zum Beispiel Boko Haram, bekämpfen sich, angestachelt von der Politik.
»In Nigeria herrscht ein Klima der Angst, insbesondere bei Menschen, die politisch arbeiten.«
Wie steht es um die Pressefreiheit, Frauenrechte, Meinungsfreiheit? Ist das in den letzten Jahren besser geworden?
Du kannst sagen oder schreiben, was du willst, solange es keine Auswirkungen auf Politiker*innen hat. Wenn sie aber das Gesagte in irgendeiner Weise stört, dann bekommst du große Probleme. Es kann sein, dass du einfach umgebracht wirst. Einfach auf der Straße erschossen, niemand wird Fragen stellen, aus Angst. Oder du wirst fest genommen und inhaftiert und dann drohen im Gefängnis Misshandlungen. Deshalb herrscht in Nigeria ein Klima der Angst, insbesondere bei Menschen, die politisch arbeiten.
Wie siehst du die Rolle und den Einfluss Europas in den aktuellen Konflikten in Nigeria?
Der europäische Einfluss Europas im Land ist in den letzten Jahren unsichtbarer und professioneller geworden. Noch vor zehn Jahren konntest du die Beeinflussung durch Europa anhand europäischer Soldat*innen und europäischem Equipment vor Ort klar identifizieren. Nun aber manipulieren sie das System von weitem, zum Beispiel mit ihrer Grenzpolitik in den Ländern Nigeria, Mali, Niger oder Tschad. Dort benutzen sie für die Grenzüberwachung und Migrationsbekämpfung Menschen von vor Ort, wohl wissend, dass diese den Job gegen die eigenen Landsleute nur machen, um überhaupt etwas zu verdienen. Die Entscheidungen über die Grenzregime innerhalb Afrikas werden jedoch nach wie vor in Europa getroffen. Eine manipulative neokoloniale Strategie, die uns gegeneinander aufbringt, während der Verursacher, nämlich Europa, weit entfernt sitzt und sich raus hält.
Welche Rolle spielt Deutschland dabei?
Ein Problem der massiven Einflussnahme durch zum Beispiel Deutschland ist die sognannte Entwicklungshilfe. Die GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) spielt hier eine große Rolle. Vordergründig sieht man andere Namen, wie Caritas oder IOM, aber hinter fast allem steht die GIZ. Problematisch sind unter anderem ihre »Reintegrationsprogramme« nach »freiwilliger Ausreise« oder Abschiebung aus Deutschland. Sie bieten ein paar wenige (Woche) Monate Trainings an, um zum Beispiel nähen zu lernen oder Landwirtschaft zu verstehen. Das ist aber alles ein großer Schwindel, denn all das ist nicht in ein bis drei Monaten zu lernen. Es ist nur eine Maßnahme, um gut dazustehen.
Wie kommen du und der Verein Migration Information Points und das Projekt Deportees Emergency Reception and Support (Nigeria) DERS jetzt ins Spiel? Wie unterstützt ihr die Menschen, die am Flughafen Lagos als Abgeschobene landen?
Die Menschen vertrauen niemandem. Sie sind in der Regel zutiefst verstört, finden sich verwirrt, planlos und ausgesetzt vor dem Tor des Flughafens und wissen nicht, wohin. Viele haben etliche Jahre in Deutschland verbracht und wurden mit der Abschiebung mitten aus dem Leben gerissen. Besonders schwer ist es für Kinder und Jugendliche. Sie vermissen ihre Freund*innen, Lehrer*innen und ihre Schule.
»Viele haben etliche Jahre in Deutschland verbracht und wurden mit der Abschiebung mitten aus dem Leben gerissen. Besonders schwer ist es für Kinder und Jugendliche. Sie vermissen ihre Freund*innen, Lehrer*innen und ihre Schule.«
Der einzige Weg, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, ist, ihnen ein Telefon anzubieten, damit sie Verwandte und Freund*innen anrufen können, in Deutschland oder Nigeria. Denn die Telefone werden ihnen bei Abschiebungen sofort abgenommen und erst im Flughafen in Nigeria wieder ausgehändigt. Dort funktionieren aber die deutschen SIM-Karten nicht. Wir zeigen ihnen Mitgefühl, lassen sie telefonieren und bieten Unterstützung an. Einige öffnen sich und fragen, wie sie in andere Regionen von Nigeria kommen, wie man Lagos verlassen kann. Manche haben nicht einen Cent in der Tasche, hier bezahlen wir Taxifahrten zu Bekannten in Lagos. Oder auch die Fahrtkosten für die Weiterreise zu ihren Familien. Wir bieten auch Möglichkeiten der Übernachtung an. Die Abschiebeflüge landen in der Regel nachmittags, dann ist es sehr schwierig und gefährlich, noch in andere Regionen zu reisen.
Wie finanziert ihr eure Arbeit?
Anfänglich haben wir das Geld über private Spenden aus unseren Netzwerken aufgetrieben, aber mehr schlecht als recht und nicht nachhaltig. Wir wollten außerdem auch dokumentieren und Beweise sammeln, um so politisch in Deutschland arbeiten zu können. Also begannen wir, das Geld systematischer zu sammeln und Strategien der Dokumentation zu entwickeln. Wir sahen, dass die Menschen zunächst einen sicheren Ort brauchen, an dem ihnen jemand zuhört.
2019, als wir unser Projekt gestartet haben, haben wir Hotelzimmer in Flughafennähe angemietet. Aber das war sehr teuer. So kamen wir 2021 auf die Idee, eine Wohnung zu mieten mit Kochmöglichkeiten, WLAN, Klimaanlage und Betreuung durch Ehrenamtliche, unter ihnen auch Menschen mit eigener Abschiebeerfahrung, die von uns unterstützt wurden.
In Ruhe überlegen wir mit ihnen, wie es weiter gehen kann. Viele haben Angst, zu Familie und Freund*innen zurückzukehren, da sie eine Stigmatisierung fürchten. Wir sprechen dann auch mit ihnen über das Erlebte und dokumentieren alles.
So werden die Menschen nicht mehr vergessen und sich selbst überlassen. Natürlich können wir nicht alle unterstützen, auch nicht alle brauchen oder möchten das. Aber wir tun unser Bestes.
Wie war es, als du zum ersten Mal die Situation auf dem Flughafen erlebt hast?
2019 flog ich das erste Mal nach Nigeria, um Menschen eines Abschiebeflugs, von denen ich einige kannte, bei der Ankunft zu empfangen. Ein furchtbares Erlebnis. Die Menschen standen vor dem Tor des Flughafens, verwirrt und gestrandet. Wie Blinde sind sie umhergeirrt. Ein Mann kam mit großen psychischen Problemen an, er hatte nur eine Box mit Medikamenten dabei. Die anderen baten mich, ihm zuerst zu helfen, da er im Flugzeug geschrien hatte und ruhig gespritzt wurde. Ich sprach ihn an und er stammelte, dass alles gut sei und rannte weg. Niemand weiß, wo er jetzt ist. Eine andere Frau mit psychischen Problemen weigerte sich, das Flughafentor zu verlassen. Sie blieb zwei Wochen dort, singend und tanzend. Bis die Flughafenverwaltung veranlasste, dass sie weg gebracht wurde, wir wissen nicht, wohin.
Gibt es das häufig, dass psychisch Kranke abgeschoben werden?
Ja, sehr oft. Manche sind schwer traumatisiert von der Polizeigewalt während der Abschiebung. Manche werden krank vor Scham über die Abschiebung. Manche haben schon von Fachärzt*innen attestierte schwere psychische Krankheiten. Aber trotz dieser Atteste haben fachfremde Amtsärzt*innen, die bei der Abschiebung dabei sind, die Reisefähigkeit bescheinigt. Es ist wirklich traurig.
Immer wieder werden Menschen, die eigentlich nicht aus Nigeria kommen, nach Nigeria abgeschoben. Auf welcher Grundlage?
In der Regel haben sie Abschiebepapiere von der nigerianischen Botschaft bekommen, die bezeugen sollen, dass sie Nigerianer*innen sind. Die Identifizierung findet durch das Botschaftspersonal oder Delegationen aus dem Herkunftsland statt. Das sind die sogenannten Botschaftsvorführungen.
Warum hat Nigeria überhaupt ein Interesse, in dieser Art und Weise mit Deutschland zusammen zu arbeiten?
Es gibt den bindenden rechtlichen Rahmen nach den (sogenannte Wien Konvention) Genfer Konventionen, dass Länder ihre Staatsbürger*innen zurücknehmen müssen. Wie dies jedoch umgesetzt wird, hängt stark von den Interessen der jeweiligen Herkunftsländer ab. Nigeria und viele andere afrikanische Länder stehen unter Druck von Deutschland, sei es durch Abkommen oder sogenannte Entwicklungshilfe. Wir protestieren seit Jahren gegen diese Praxis der sogenannten Botschaftsanhörungen. Ein absoluter rechtlicher Graubereich, der Leben zerstört. Es sieht so aus, dass es von deutscher Seite nur darum geht, Menschen los zu werden, auch mit unlauteren Methoden.
»Wir hatten immer wieder Fälle von falschen Identifizierungen, so dass Menschen aus Gambia oder Sierra Leone nach Nigeria abgeschoben wurden. Ähnliches passierte auch bei Abschiebungen nach Guinea, bei denen unter anderem Menschen aus Kamerun oder Senegal abgeschoben wurden.«
Welche Kriterien sollen bestimmen, ob jemand aus Nigeria kommt oder nicht?
Unsere Frage muss lauten: Wie werden Menschen als zum Beispiel Nigerianer*innen identifiziert? Eine deutsche Person kann nirgendwo auf der Welt Papiere von der deutschen Botschaft bekommen, ohne irgendeine Art von Identitätsnachweis zu haben. Wie kannst du also Menschen zwingen, in die nigerianische Botschaft zu gehen, wo du nur anhand deines Akzents oder deiner Kopfform einer bestimmten Nation zugeordnet wirst. Das ist absurd. Vor allem, weil die Nationalgrenzen in Afrika ja keine natürlichen Grenzen sind, sondern willkürlich von den Kolonialmächten gezogen wurde. Somit haben die Grenzen zusammengehörige Gruppen getrennt und natürlich sehen dann die Menschen auf der einen Seite der Grenze nicht anders aus als auf der anderen. Auch Sprachgruppen wurden in der Mitte getrennt, so dass auch bestimmte Sprachen nicht auf die Nation, sondern maximal auf Regionen hinweisen.
Wir hatten immer wieder Fälle von falschen Identifizierungen, so dass Menschen aus Gambia oder Sierra Leone nach Nigeria abgeschoben wurden. Ähnliches passierte auch bei Abschiebungen nach Guinea, bei denen unter anderem Menschen aus Kamerun oder Senegal abgeschoben wurden. Völlig unklar ist, wer wie viel an diesen Anhörungen, Identifizierungen und Abschiebepapieren verdient. Immer wieder gibt es Hinweise, dass die Delegationen, die zum Teil aus Afrika eingeflogen werden, um hier zu identifizieren, Geld für jede Identifizierung bekommen. Das Absurde ist, dass für jeden Aufenthalt in Deutschland ein Pass in der Ausländerbehörde verlangt wird. Aber für die Abschiebung reicht ein DIN A4-Papier.
Besonders krass ist, dass die Menschen in Nigeria der Immigrationspolizei übergeben werden, und während die Polizei die Ankommenden kontrolliert, tankt der Flieger und fliegt wieder zurück nach Deutschland. Wenn also die nigerianische Immigrationspolizei am Flughafen Personen identifiziert, die gar keine Nigerianer*innen sind, aber also solche nach Nigeria abgeschoben wurden, ist das deutsche Flugzeug schon wieder weg. Es gibt so keine Möglichkeit, die Personen in Nigeria abzuweisen. So stranden Menschen aus Gambia, Ghana oder Burkina Faso in Nigeria und müssen sich irgendwie in ihre eigentlichen Herkunftsländer durchschlagen. Bei vielen verliert sich die Spur und sie werden bis heute vermisst.
Wie häufig gibt es nach deiner Beobachtung Polizeigewalt bei den Abschiebungen?
Sehr regelmäßig. Und zum Teil sehr brutal. Doch die Verantwortung für die Gewalt wird hin und her geschoben. Wenn wir uns zum Beispiel bei den Ausländerbehörden beschweren, sagen sie, sie sind nur zuständig für die Abholung. Am Flughafen übernimmt die Bundespolizei, die Abschiebung an sich dann speziell geschulte Beamt*innen. Es gibt keine Information, wer die Beamten sind, die die Abschiebung begleiten und für wen sie arbeiten. Sicher ist, dass sie extrem brutal vorgehen. Das berichten alle Abgeschobenen, mit denen wir sprechen.
Nach einem der letzten Flüge erzählte uns eine Mutter von vier Kindern, die sich gewehrt hatte, nach vielen Jahren in Deutschland abgeschoben zu werden, wie sie von mehreren Polizeibeamten auf den Boden gedrückt wurde, um ihr Handschellen anzulegen und ihre Hände an einen Gürtel zu fesseln. Sie war danach nicht mehr fähig, aufzustehen, so dass sie im Rollstuhl zum Flugzeug gebracht werden musste. Vor den Augen ihrer Kinder. Bei einem Flug im vergangenen Mai wurde zwei 17-Jährigen, die wenige Wochen vor ihrem Schulabschluss standen, Handschellen angelegt. Viele Kinder entwickeln nach den Abschiebungen Angstzustände und Panikgefühle, wenn sie weiße Menschen sehen oder werde anderweitig psychisch krank.
»Mit vielen Kindern und Jugendlichen, mit denen ich nach der Abschiebung spreche, spreche ich in Deutsch. Sie haben viele Jahre in Deutschland verbracht, wurden in Europa geboren, sind hier zur Schule gegangen, hatten Freund*innen, ein Leben, eine Zukunft.«
Für Kinder und Jugendliche ist es besonders hart?
Mit vielen Kindern und Jugendlichen, mit denen ich nach der Abschiebung spreche, spreche ich in Deutsch. Sie haben viele Jahre in Deutschland verbracht, wurden in Europa geboren, sind hier zur Schule gegangen, hatten Freund*innen, ein Leben, eine Zukunft. Es ist furchtbar zu sehen, wie es ihnen nach der Abschiebung geht. Ich finde es sarkastisch, dass in Deutschland über Kindeswohl gesprochen wird. Bei Abschiebungen gibt es kein Kindeswohl.
Wir haben jetzt viel über das Projekt DERS gesprochen. Aber was genau macht ihr in eurem anderen Projekt Migration Info Point?
Die Volunteers des Projekts in Nigeria und ich tun unser Bestes, die Menschen aufzufangen, zu unterstützen, zu vernetzen, zu beraten und ihnen einfach zuzuhören. Das lokale Netzwerk gibt es seit 2016, DERS seit 2019. Es geht um Erfahrungsaustausch, Reflektionen und Diskussionen über Migration aus unserer Perspektive, nicht um die europäische.
Ich arbeite mit Netzwerken vor Ort, wir informieren in unseren Beratungsstellen, machen Veranstaltungen und versuchen, Kenntnisse über Migration und Abschiebungen zu vermitteln und das Bewusstsein für europäische Propaganda zu schärfen. Wir versuchen, Menschen nicht als Abgeschobene oder Zurückkehrende zu benennen, sondern als Menschen mit Migrationserfahrung. Wir binden ihre Expertisen und ihr Wissen in unsere Netzwerke ein, um einen Perspektivwechsel zu ermöglichen. Nur so kann auch politische Arbeit zu Migration in Nigeria stattfinden, unabhängig vom Framing Europas.
Rex Osa hat die Vereine Refugees4Refugees und den Migration Information Point in Nigeria gegründet.
(nb/wr)