11.08.2023
Image
Nigerianische Flagge bei einer Demonstration in London. Foto: Unsplash / Ehimetalor Unuabona

Rex Osa ist Aktivist und Gründer des Vereins Refugees4Refugees in Deutschland und des Migration Information Points in Nigeria. Im Interview mit PRO ASYL spricht er über Traumata und Gewalt bei Abschiebungen nach Nigeria, Unterstützung von Abgeschobenen und Erwartungen der Familien, denen die Rückkehrer*innen ausgesetzt sind.

Die Sicher­heits­la­ge in Nige­ria ist sehr pro­ble­ma­tisch: Kor­rup­ti­on benach­tei­ligt gro­ße Tei­le der Bevöl­ke­rung und Men­schen, die sich gegen die Eli­ten wen­den, dro­hen Haft und sogar Ermor­dung. Vie­le Men­schen ver­su­chen, Nige­ria zu ver­las­sen, sogar unter Lebens­ge­fahr. Wohin gehen sie?

Zunächst suchen vie­le inner­halb von Nige­ria eine neue Per­spek­ti­ve. Ist das nicht erfolg­reich, gehen vie­le in die Nach­bar­län­der wie Togo oder Gha­na. Fin­den sie auch dort kei­ne Sicher­heit, machen sich man­che, die kör­per­lich und finan­zi­ell dazu in der Lage sind, auf den Weg nach Nord­afri­ka und schließ­lich auch nach Europa.

Wenn sie in Deutsch­land ankom­men: Was sind die größ­ten Her­aus­for­de­run­gen für nige­ria­ni­sche Men­schen, die in Deutsch­land einen Asyl­an­trag stellen?

Das ist ein ganz gro­ßer Teil mei­ner Arbeit vor Ort in Nige­ria: Auf­klä­rung über die wirk­li­che Situa­ti­on für Asyl­su­chen­de in Deutsch­land. Vie­le Nigerianer*innen glau­ben nur all­zu ger­ne dem Euro­pa-Bild, das  in die Welt trans­por­tiert wird, von einem fried­li­chen, siche­ren, frei­en und wohl­ha­ben­den. Aber das ist eine Illu­si­on. Wenn Men­schen ihr Leben ris­kie­ren, in der Wüs­te, im Mit­tel­meer, in liby­schen Gefäng­nis­sen und dann in Deutsch­land erken­nen, dass ihre Vor­stel­lung nichts mit der Rea­li­tät zu tun hat, wer­den nicht weni­ge Men­schen psy­chisch krank. Nie­mand, dem es gut geht, ris­kiert sein Leben auf einem Schlauch­boot. Wir wol­len, dass sie auf­ge­klärt sind und wis­sen, auf was sie sich ein­las­sen. Wir kön­nen sie auf den Rea­li­täts­schock vorbereiten.

»Es ist ein Teu­fels­kreis: Du ris­kierst dein Leben, wirst zum Bei­spiel gefol­tert und ver­ge­wal­tigt in Liby­en, geschla­gen und bedroht in Tune­si­en, hast Todes­angst auf dem Mit­tel­meer, siehst Kin­der ertrin­ken und endest am Ende dei­ner Rei­se im Lager in Deutsch­land, fern­ab vom gesell­schaft­li­chem Leben.«

Rex Osa

Nor­ma­ler­wei­se füh­len sich Nigerianer*innen in Ita­li­en dann viel woh­ler als in Deutsch­land, aber sie fin­den dort kei­ne Arbeit und gehen Rich­tung Nor­den wei­ter. Deutsch­land bedeu­tet aber für vie­le Iso­la­ti­on, Arbeits­ver­bo­te, Leben im Lager. Das frus­triert und macht krank. So gut wie alle Men­schen aus Nige­ria in Deutsch­land wol­len eigent­lich arbei­ten. Es ist ein Teu­fels­kreis: Du ris­kierst dein Leben, wirst zum Bei­spiel gefol­tert und ver­ge­wal­tigt in Liby­en, geschla­gen und bedroht in Tune­si­en, hast Todes­angst auf dem Mit­tel­meer, siehst Kin­der ertrin­ken und endest am Ende dei­ner Rei­se im Lager in Deutsch­land, fern­ab vom gesell­schaft­li­chem Leben. Je schlim­mer dein Flucht­weg war, des­to wahr­schein­li­cher kehrst du nicht ein­fach zurück, auch wenn es furcht­bar für dich in Deutsch­land ist. Denn dann wären alle Qua­len völ­lig umsonst gewesen.

Die Schutz­quo­te für Men­schen aus Nige­ria beträgt nur zwölf Pro­zent. Somit droht vie­len die Abschiebung. 

Ja, die abso­lu­te Kata­stro­phe ist dann die Abschie­bung. Häu­fig wer­den Men­schen, auch psy­chisch Erkrank­te und Fami­li­en mit klei­nen Kin­dern oder Jugend­li­chen, nach vie­len Jah­ren Leben in Deutsch­land abge­scho­ben. Das Pro­blem ist, dass du in Nige­ria stig­ma­ti­siert bist, wenn du abge­scho­ben wirst. Nicht sel­ten wol­len Fami­lie und Freund*innen dann nichts mehr mit dir zu tun haben. Vie­le keh­ren nach der Abschie­bung in ihre Dör­fer zurück, wer­den dort kom­plett iso­liert, wer­den krank und ster­ben ein­fach. Allein. Je län­ger du in Deutsch­land bist, des­to mehr erwar­ten die Ver­wand­ten, dass du es zu etwas bringst. Des­to stig­ma­ti­sier­ter bist du nach der Abschie­bung. Du sitzt in der Falle.

Woher weißt du das alles?

Ers­tens betreue ich Geflüch­te­te in Abschie­be­haft. Außer­dem bin ich manch­mal vor Ort in Nige­ria, wenn Abschieb­flü­ge ankom­men. Ich und mei­ne Mitarbeiter*innen neh­men die Men­schen in Emp­fang und ver­su­chen, sie zu unter­stüt­zen. Zudem spre­che ich mit vie­len Abge­scho­be­nen per Tele­fon und Zoom.

Bevor wir über dei­ne Arbeit in Nige­ria spre­chen noch eine Fra­ge: Vie­le Men­schen, die abge­scho­ben wer­den, haben bei Ankunft gro­ße psy­chi­sche Pro­ble­me und haben Poli­zei­ge­walt erlebt. Gibt es für sie irgend­ei­ne Mög­lich­keit, dies nach Ankunft in Nige­ria doku­men­tie­ren zu lassen?

Nein, das gibt es nicht. Die nige­ria­ni­sche Grenz­po­li­zei ver­sucht ein­fach, die Leu­te schnell durch­zu­che­cken, aber nie­mand küm­mert sich um sie. Dabei haben vie­le von ihnen Gewalt durch deut­sche Poli­zei erlebt oder mit ange­se­hen, auch Frau­en und Kin­der, und kom­men ver­stört, ärger­lich oder total ver­ängs­tigt in Nige­ria an. Sie machen ihrer Ver­zweif­lung Luft, wol­len erzäh­len, was ihnen pas­siert ist, aber die nige­ria­ni­sche Poli­zei hört nicht zu. Es läuft chao­tisch, und wäh­rend es dann Kon­flik­te zwi­schen nige­ria­ni­scher Poli­zei und den Abge­scho­be­nen gibt, macht sich die deut­sche Bun­des­po­li­zei mit­samt Flug­zeug und Per­so­nal aus dem Staub und hat nichts mehr mit der gan­zen Sache zu tun.

Wie ist momen­tan die poli­ti­sche und gesell­schaft­li­che Situation?

Sehr kom­plex und pro­ble­ma­tisch. Es herrscht eine star­ke Iden­ti­täts­po­li­tik, poli­ti­sche Füh­run­gen ver­su­chen immer »ihre« Grup­pen zu bevor­zu­gen und wer­den auch des­halb gewählt. Die Wah­len sind in der Regel nicht voll demo­kra­tisch und frei, denn das Land ist äußerst kor­rupt. Wenn man Geld hat, kann man vie­les bekom­men und machen. Es gibt kei­ner­lei Kon­trol­le, die Kor­rup­ti­on bestimmt Wirt­schaft, Poli­tik, Gerichts­bar­keit, Finanz­markt, Poli­zei, Armee – ein­fach alles. Es ist wirk­lich eine Schande.

Weni­ge rei­che Men­schen wer­den immer rei­cher, immer mehr Arme immer ärmer. Eine Gesund­heits­ver­sor­gung für arme Men­schen exis­tiert nur sehr rudi­men­tär und reicht nicht aus. Kein Geld haben und krank wer­den ist eine Kata­stro­phe und führt auch nicht sel­ten zum Tod.

Wei­ter­hin ver­las­sen vie­le, vor allem jun­ge, Men­schen die länd­li­chen Regio­nen. Wegen der Kon­kur­renz von unter ande­rem euro­päi­schen Fir­men, die dort Land­wirt­schaft betrei­ben, ver­liert die loka­le Bevöl­ke­rung ihre Lebens­grund­la­ge. Dadurch wer­den die Städ­te vol­ler, pre­kä­re Beschäf­ti­gung, Armut und auch Aus­beu­tung neh­men zu.

Unser größ­tes Pro­blem ist jedoch die Sicher­heits­la­ge im Land, vor allem, aber nicht nur für Frau­en und Min­der­hei­ten. Raub, Kid­nap­ping oder ähn­li­ches gibt es häu­fig. Ver­schie­de­ne Grup­pen, wie zum Bei­spiel Boko Haram, bekämp­fen sich, ange­sta­chelt von der Politik.

»In Nige­ria herrscht ein Kli­ma der Angst, ins­be­son­de­re bei Men­schen, die poli­tisch arbeiten.«

Rex Osa

Wie steht es um die Pres­se­frei­heit, Frau­en­rech­te, Mei­nungs­frei­heit? Ist das in den letz­ten Jah­ren bes­ser geworden?

Du kannst sagen oder schrei­ben, was du willst, solan­ge es kei­ne Aus­wir­kun­gen auf Politiker*innen hat. Wenn sie aber das Gesag­te in irgend­ei­ner Wei­se stört, dann bekommst du gro­ße Pro­ble­me. Es kann sein, dass du ein­fach umge­bracht wirst. Ein­fach auf der Stra­ße erschos­sen, nie­mand wird Fra­gen stel­len, aus Angst. Oder du wirst fest genom­men und inhaf­tiert und dann dro­hen im Gefäng­nis Miss­hand­lun­gen. Des­halb herrscht in Nige­ria ein Kli­ma der Angst, ins­be­son­de­re bei Men­schen, die poli­tisch arbeiten.

Wie siehst du die Rol­le und den Ein­fluss Euro­pas in den aktu­el­len Kon­flik­ten in Nigeria?

Der euro­päi­sche Ein­fluss Euro­pas im Land ist in den letz­ten Jah­ren unsicht­ba­rer und pro­fes­sio­nel­ler gewor­den. Noch vor zehn Jah­ren konn­test du die Beein­flus­sung durch Euro­pa anhand euro­päi­scher Soldat*innen und euro­päi­schem Equip­ment vor Ort klar iden­ti­fi­zie­ren. Nun aber mani­pu­lie­ren sie das Sys­tem von wei­tem, zum Bei­spiel mit ihrer Grenz­po­li­tik in den Län­dern Nige­ria, Mali, Niger oder Tschad. Dort benut­zen sie für die Grenz­über­wa­chung und Migra­ti­ons­be­kämp­fung Men­schen von vor Ort, wohl wis­send, dass die­se den Job gegen die eige­nen Lands­leu­te nur machen, um über­haupt etwas zu ver­die­nen. Die Ent­schei­dun­gen über die Grenz­re­gime inner­halb Afri­kas wer­den jedoch nach wie vor in Euro­pa getrof­fen. Eine mani­pu­la­ti­ve neo­ko­lo­nia­le Stra­te­gie, die uns gegen­ein­an­der auf­bringt, wäh­rend der Ver­ur­sa­cher, näm­lich Euro­pa, weit ent­fernt sitzt und sich raus hält.

Wel­che Rol­le spielt Deutsch­land dabei? 

Ein Pro­blem der mas­si­ven Ein­fluss­nah­me durch zum Bei­spiel Deutsch­land ist die sog­nann­te Ent­wick­lungs­hil­fe. Die GIZ (Deut­sche Gesell­schaft für Inter­na­tio­na­le Zusam­men­ar­beit) spielt hier eine gro­ße Rol­le. Vor­der­grün­dig sieht man ande­re Namen, wie Cari­tas oder IOM, aber hin­ter fast allem steht die GIZ. Pro­ble­ma­tisch sind unter ande­rem ihre »Reinte­gra­ti­ons­pro­gram­me« nach »frei­wil­li­ger Aus­rei­se« oder Abschie­bung aus Deutsch­land. Sie bie­ten ein paar weni­ge (Woche) Mona­te Trai­nings an, um zum Bei­spiel nähen zu ler­nen oder Land­wirt­schaft zu ver­ste­hen. Das ist aber alles ein gro­ßer Schwin­del, denn all das ist nicht in ein bis drei Mona­ten zu ler­nen. Es ist nur eine Maß­nah­me, um gut dazustehen.

Wie kom­men du und der Ver­ein Migra­ti­on Infor­ma­ti­on Points und das Pro­jekt Depor­tees Emer­gen­cy Recep­ti­on and Sup­port (Nige­ria) DERS jetzt ins Spiel? Wie unter­stützt ihr die Men­schen, die am Flug­ha­fen Lagos als Abge­scho­be­ne landen?

Die Men­schen ver­trau­en nie­man­dem. Sie sind in der Regel zutiefst ver­stört, fin­den sich ver­wirrt, plan­los und aus­ge­setzt vor dem Tor des Flug­ha­fens und wis­sen nicht, wohin. Vie­le haben etli­che Jah­re in Deutsch­land ver­bracht und wur­den mit der Abschie­bung mit­ten aus dem Leben geris­sen. Beson­ders schwer ist es für Kin­der und Jugend­li­che. Sie ver­mis­sen ihre Freund*innen, Lehrer*innen und ihre Schule.

»Vie­le haben etli­che Jah­re in Deutsch­land ver­bracht und wur­den mit der Abschie­bung mit­ten aus dem Leben geris­sen. Beson­ders schwer ist es für Kin­der und Jugend­li­che. Sie ver­mis­sen ihre Freund*innen, Lehrer*innen und ihre Schule.«

Rex Osa

Der ein­zi­ge Weg, mit ihnen ins Gespräch zu kom­men, ist, ihnen ein Tele­fon anzu­bie­ten, damit sie Ver­wand­te und Freund*innen anru­fen kön­nen, in Deutsch­land oder Nige­ria. Denn die Tele­fo­ne wer­den ihnen bei Abschie­bun­gen sofort abge­nom­men und erst im Flug­ha­fen in Nige­ria wie­der aus­ge­hän­digt. Dort funk­tio­nie­ren aber die deut­schen SIM-Kar­ten nicht. Wir zei­gen ihnen Mit­ge­fühl, las­sen sie tele­fo­nie­ren und bie­ten Unter­stüt­zung an. Eini­ge öff­nen sich und fra­gen, wie sie in ande­re Regio­nen von Nige­ria kom­men, wie man Lagos ver­las­sen kann. Man­che haben nicht einen Cent in der Tasche, hier bezah­len wir Taxi­fahr­ten zu Bekann­ten in Lagos. Oder auch die Fahrt­kos­ten für die Wei­ter­rei­se zu ihren Fami­li­en. Wir bie­ten auch Mög­lich­kei­ten der Über­nach­tung an. Die Abschie­be­flü­ge lan­den in der Regel nach­mit­tags, dann ist es sehr schwie­rig und gefähr­lich, noch in ande­re Regio­nen zu reisen.

Wie finan­ziert ihr eure Arbeit?

Anfäng­lich haben wir das Geld über pri­va­te Spen­den aus unse­ren Netz­wer­ken auf­ge­trie­ben, aber mehr schlecht als recht und nicht nach­hal­tig. Wir woll­ten außer­dem auch doku­men­tie­ren und Bewei­se sam­meln, um so poli­tisch in Deutsch­land arbei­ten zu kön­nen. Also began­nen wir, das Geld sys­te­ma­ti­scher zu sam­meln und Stra­te­gien der Doku­men­ta­ti­on zu ent­wi­ckeln. Wir sahen, dass die Men­schen zunächst einen siche­ren Ort brau­chen, an dem ihnen jemand zuhört.

2019, als wir unser Pro­jekt gestar­tet haben, haben wir Hotel­zim­mer in Flug­ha­fen­nä­he ange­mie­tet. Aber das war sehr teu­er. So kamen wir 2021 auf die Idee, eine Woh­nung zu mie­ten mit Koch­mög­lich­kei­ten, WLAN, Kli­ma­an­la­ge und Betreu­ung durch Ehren­amt­li­che, unter ihnen auch Men­schen mit eige­ner Abschie­be­er­fah­rung, die von uns unter­stützt wurden.

In Ruhe über­le­gen wir mit ihnen, wie es wei­ter gehen kann. Vie­le haben Angst, zu Fami­lie und Freund*innen zurück­zu­keh­ren, da sie eine Stig­ma­ti­sie­rung fürch­ten. Wir spre­chen dann auch mit ihnen über das Erleb­te und doku­men­tie­ren alles.

 So wer­den die Men­schen nicht mehr ver­ges­sen und sich selbst über­las­sen. Natür­lich kön­nen wir nicht alle unter­stüt­zen, auch nicht alle brau­chen oder möch­ten das. Aber wir tun unser Bestes.

Image
Rex Osa in der vom Ver­ein ange­mie­te­ten Schutz­woh­nung für Abge­scho­be­ne in Lagos. Foto: privat

Wie war es, als du zum ers­ten Mal die Situa­ti­on auf dem Flug­ha­fen erlebt hast? 

2019 flog ich das ers­te Mal nach Nige­ria, um Men­schen eines Abschie­be­flugs, von denen ich eini­ge kann­te, bei der Ankunft zu emp­fan­gen. Ein furcht­ba­res Erleb­nis. Die Men­schen stan­den vor dem Tor des Flug­ha­fens, ver­wirrt und gestran­det. Wie Blin­de sind sie umher­ge­irrt. Ein Mann kam mit gro­ßen psy­chi­schen Pro­ble­men an, er hat­te nur eine Box mit Medi­ka­men­ten dabei. Die ande­ren baten mich, ihm zuerst zu hel­fen, da er im Flug­zeug geschrien hat­te und ruhig gespritzt wur­de. Ich sprach ihn an und er stam­mel­te, dass alles gut sei und rann­te weg. Nie­mand weiß, wo er jetzt ist. Eine ande­re Frau mit psy­chi­schen Pro­ble­men wei­ger­te sich, das Flug­ha­fen­tor zu ver­las­sen. Sie blieb zwei Wochen dort, sin­gend und tan­zend. Bis die Flug­ha­fen­ver­wal­tung ver­an­lass­te, dass sie weg gebracht wur­de, wir wis­sen nicht, wohin.

Gibt es das häu­fig, dass psy­chisch Kran­ke abge­scho­ben werden?

Ja, sehr oft. Man­che sind schwer trau­ma­ti­siert von der Poli­zei­ge­walt wäh­rend der Abschie­bung. Man­che wer­den krank vor Scham über die Abschie­bung. Man­che haben schon von Fachärzt*innen attes­tier­te schwe­re psy­chi­sche Krank­hei­ten. Aber trotz die­ser Attes­te haben fach­frem­de Amtsärzt*innen, die bei der Abschie­bung dabei sind, die Rei­se­fä­hig­keit beschei­nigt. Es ist wirk­lich traurig.

Immer wie­der wer­den Men­schen, die eigent­lich nicht aus Nige­ria kom­men, nach Nige­ria abge­scho­ben. Auf wel­cher Grundlage?

In der Regel haben sie Abschie­be­pa­pie­re von der nige­ria­ni­schen Bot­schaft bekom­men, die bezeu­gen sol­len, dass sie Nigerianer*innen sind. Die Iden­ti­fi­zie­rung fin­det durch das Bot­schafts­per­so­nal oder Dele­ga­tio­nen aus dem Her­kunfts­land statt. Das sind die soge­nann­ten Botschaftsvorführungen.

War­um hat Nige­ria über­haupt ein Inter­es­se, in die­ser Art und Wei­se mit Deutsch­land zusam­men zu arbeiten?

Es gibt den bin­den­den recht­li­chen Rah­men nach den (soge­nann­te Wien Kon­ven­ti­on) Gen­fer Kon­ven­tio­nen, dass Län­der ihre Staatsbürger*innen zurück­neh­men müs­sen. Wie dies jedoch umge­setzt wird, hängt stark von den Inter­es­sen der jewei­li­gen Her­kunfts­län­der ab. Nige­ria und vie­le ande­re afri­ka­ni­sche Län­der ste­hen unter Druck von Deutsch­land, sei es durch Abkom­men oder soge­nann­te Ent­wick­lungs­hil­fe. Wir pro­tes­tie­ren seit Jah­ren gegen die­se Pra­xis der soge­nann­ten Bot­schafts­an­hö­run­gen. Ein abso­lu­ter recht­li­cher Grau­be­reich, der Leben zer­stört. Es sieht so aus, dass es von deut­scher Sei­te nur dar­um geht, Men­schen los zu wer­den, auch mit unlau­te­ren Methoden.

»Wir hat­ten immer wie­der Fäl­le von fal­schen Iden­ti­fi­zie­run­gen, so dass Men­schen aus Gam­bia oder Sier­ra Leo­ne nach Nige­ria abge­scho­ben wur­den. Ähn­li­ches pas­sier­te auch bei Abschie­bun­gen nach Gui­nea, bei denen unter ande­rem Men­schen aus Kame­run oder Sene­gal abge­scho­ben wurden.«

Rex Osa

Wel­che Kri­te­ri­en sol­len bestim­men, ob jemand aus Nige­ria kommt oder nicht? 

Unse­re Fra­ge muss lau­ten: Wie wer­den Men­schen als zum Bei­spiel Nigerianer*innen iden­ti­fi­ziert? Eine deut­sche Per­son kann nir­gend­wo auf der Welt Papie­re von der deut­schen Bot­schaft bekom­men, ohne irgend­ei­ne Art von Iden­ti­täts­nach­weis zu haben. Wie kannst du also Men­schen zwin­gen, in die nige­ria­ni­sche Bot­schaft zu gehen, wo du nur anhand dei­nes Akzents oder dei­ner Kopf­form einer bestimm­ten Nati­on zuge­ord­net wirst. Das ist absurd. Vor allem, weil die Natio­nal­gren­zen in Afri­ka ja kei­ne natür­li­chen Gren­zen sind, son­dern will­kür­lich von den Kolo­ni­al­mäch­ten gezo­gen wur­de. Somit haben die Gren­zen zusam­men­ge­hö­ri­ge Grup­pen getrennt und natür­lich sehen dann die Men­schen auf der einen Sei­te der Gren­ze nicht anders aus als auf der ande­ren. Auch Sprach­grup­pen wur­den in der Mit­te getrennt, so dass auch bestimm­te Spra­chen nicht auf die Nati­on, son­dern maxi­mal auf Regio­nen hinweisen.

Wir hat­ten immer wie­der Fäl­le von fal­schen Iden­ti­fi­zie­run­gen, so dass Men­schen aus Gam­bia oder Sier­ra Leo­ne nach Nige­ria abge­scho­ben wur­den. Ähn­li­ches pas­sier­te auch bei Abschie­bun­gen nach Gui­nea, bei denen unter ande­rem Men­schen aus Kame­run oder Sene­gal abge­scho­ben wur­den. Völ­lig unklar ist, wer wie viel an die­sen Anhö­run­gen, Iden­ti­fi­zie­run­gen und  Abschie­be­pa­pie­ren ver­dient. Immer wie­der gibt es Hin­wei­se, dass die Dele­ga­tio­nen, die zum Teil aus Afri­ka ein­ge­flo­gen wer­den, um hier zu iden­ti­fi­zie­ren, Geld für jede Iden­ti­fi­zie­rung bekom­men.  Das Absur­de ist, dass für jeden Auf­ent­halt in Deutsch­land ein Pass in der Aus­län­der­be­hör­de ver­langt wird. Aber für die Abschie­bung reicht ein DIN A4-Papier.

Beson­ders krass ist, dass die Men­schen in Nige­ria der Immi­gra­ti­ons­po­li­zei über­ge­ben wer­den, und wäh­rend die Poli­zei die Ankom­men­den kon­trol­liert, tankt der Flie­ger und fliegt wie­der zurück nach Deutsch­land. Wenn also die nige­ria­ni­sche Immi­gra­ti­ons­po­li­zei am Flug­ha­fen  Per­so­nen iden­ti­fi­ziert, die gar kei­ne Nigerianer*innen sind, aber also sol­che nach Nige­ria abge­scho­ben wur­den, ist das deut­sche Flug­zeug schon wie­der weg. Es gibt so kei­ne Mög­lich­keit, die Per­so­nen in Nige­ria abzu­wei­sen. So  stran­den  Men­schen aus Gam­bia, Gha­na oder Bur­ki­na Faso in Nige­ria  und müs­sen sich irgend­wie in ihre eigent­li­chen Her­kunfts­län­der durch­schla­gen. Bei vie­len ver­liert sich die Spur und sie wer­den bis heu­te vermisst.

Wie häu­fig gibt es nach dei­ner Beob­ach­tung Poli­zei­ge­walt bei den Abschiebungen?

Sehr regel­mä­ßig. Und zum Teil sehr bru­tal. Doch die Ver­ant­wor­tung für die Gewalt wird hin und her gescho­ben. Wenn wir uns zum Bei­spiel bei den Aus­län­der­be­hör­den beschwe­ren, sagen sie, sie sind nur zustän­dig für die Abho­lung. Am Flug­ha­fen über­nimmt die Bun­des­po­li­zei, die Abschie­bung an sich dann spe­zi­ell geschul­te Beamt*innen. Es gibt kei­ne Infor­ma­ti­on, wer die Beam­ten sind, die die Abschie­bung beglei­ten und für wen sie arbei­ten. Sicher ist, dass sie extrem bru­tal vor­ge­hen. Das berich­ten alle Abge­scho­be­nen, mit denen wir sprechen.

Nach einem der letz­ten Flü­ge erzähl­te uns eine Mut­ter von vier Kin­dern, die sich gewehrt hat­te, nach vie­len Jah­ren in Deutsch­land abge­scho­ben zu wer­den, wie sie von meh­re­ren Poli­zei­be­am­ten auf den Boden gedrückt wur­de, um ihr Hand­schel­len anzu­le­gen und ihre Hän­de an einen Gür­tel zu fes­seln. Sie war danach nicht mehr fähig, auf­zu­ste­hen, so dass sie im Roll­stuhl zum Flug­zeug gebracht wer­den muss­te. Vor den Augen ihrer Kin­der. Bei einem Flug im ver­gan­ge­nen Mai wur­de zwei 17-Jäh­ri­gen, die weni­ge Wochen vor ihrem Schul­ab­schluss stan­den, Hand­schel­len ange­legt. Vie­le Kin­der ent­wi­ckeln nach den Abschie­bun­gen Angst­zu­stän­de und Panik­ge­füh­le, wenn sie wei­ße Men­schen sehen oder wer­de ander­wei­tig psy­chisch krank.

»Mit vie­len Kin­dern und Jugend­li­chen, mit denen ich nach der Abschie­bung spre­che, spre­che ich in Deutsch. Sie haben vie­le Jah­re in Deutsch­land ver­bracht, wur­den in Euro­pa gebo­ren, sind hier zur Schu­le gegan­gen, hat­ten Freund*innen, ein Leben, eine Zukunft.«

Rex Osa

Für Kin­der und Jugend­li­che ist es beson­ders hart?

Mit vie­len Kin­dern und Jugend­li­chen, mit denen ich nach der Abschie­bung spre­che, spre­che ich in Deutsch. Sie haben vie­le Jah­re in Deutsch­land ver­bracht, wur­den in Euro­pa gebo­ren, sind hier zur Schu­le gegan­gen, hat­ten Freund*innen, ein Leben, eine Zukunft. Es ist furcht­bar zu sehen, wie es ihnen nach der Abschie­bung geht. Ich fin­de es sar­kas­tisch, dass in Deutsch­land über Kin­des­wohl gespro­chen wird. Bei Abschie­bun­gen gibt es kein Kindeswohl.

Wir haben jetzt viel über das Pro­jekt DERS gespro­chen. Aber was genau macht  ihr in eurem ande­ren Pro­jekt Migra­ti­on Info Point?

Die Vol­un­teers des Pro­jekts in Nige­ria und ich tun unser Bes­tes, die Men­schen auf­zu­fan­gen, zu unter­stüt­zen, zu ver­net­zen, zu bera­ten und ihnen ein­fach zuzu­hö­ren. Das loka­le Netz­werk gibt es seit 2016, DERS seit 2019. Es geht um Erfah­rungs­aus­tausch, Reflek­tio­nen und Dis­kus­sio­nen über Migra­ti­on aus unse­rer Per­spek­ti­ve, nicht um die europäische.

Ich arbei­te mit Netz­wer­ken vor Ort, wir infor­mie­ren in unse­ren Bera­tungs­stel­len, machen Ver­an­stal­tun­gen und ver­su­chen, Kennt­nis­se über Migra­ti­on und Abschie­bun­gen zu ver­mit­teln und das Bewusst­sein für euro­päi­sche Pro­pa­gan­da zu schär­fen. Wir ver­su­chen, Men­schen nicht als Abge­scho­be­ne oder Zurück­keh­ren­de zu benen­nen, son­dern als Men­schen mit Migra­ti­ons­er­fah­rung. Wir bin­den ihre Exper­ti­sen und ihr Wis­sen in unse­re Netz­wer­ke ein, um einen Per­spek­tiv­wech­sel zu ermög­li­chen. Nur so kann auch poli­ti­sche Arbeit zu Migra­ti­on in Nige­ria statt­fin­den, unab­hän­gig vom Framing Europas.

Rex Osa hat die Ver­ei­ne Refugees4Refugees und den Migra­ti­on Infor­ma­ti­on Point in Nige­ria gegründet.

(nb/wr)