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UK-Ruanda-Deal: Rechtswidrig, menschenverachtend und dysfunktional
Das britische Parlament stimmt voraussichtlich heute über ein Gesetz ab, das Abschiebungen von Asylsuchenden aus Großbritannien nach Ruanda erzwingen soll. Der UK-Ruanda-Deal ist eindeutig rechtswidrig, menschenverachtend und extrem teuer. Doch auch hierzulande reißt die populistische Debatte über eine Auslagerung von Asylverfahren nicht ab.
UPDATE: Das britische Parlament hat das umstrittene Gesetz in den frühen Morgenstunden des 23.04. verabschiedet
Das britische Parlament debattiert heute erneut ein Gesetz, das Ruanda für sicher erklären soll – eine Zustimmung hätte katastrophale Folgen. Denn damit könnten Abschiebungen von Asylsuchenden nach Ruanda forciert werden, die der oberste britische Gerichtshof noch im November 2023 für rechtswidrig erklärt hatte. Wenn es nach der britischen Regierung geht, soll der erste Flieger bereits in zehn Wochen abheben. Mehrere Nichtregierungsorganisationen haben angekündigt, Betroffene rechtlich dabei zu unterstützen, ihre Abschiebung nach Ruanda anzufechten.
Der Deal zwischen Großbritannien und Ruanda ist eindeutig rechtswidrig, nicht menschenrechtskonform umsetzbar und darüber hinaus extrem teuer. Zudem beruht er auf der falschen Annahme, durch ein solches Modell ließe sich Flucht nach Großbritannien unterbinden. Dennoch heizen seit einigen Monaten auch deutsche Politiker*innen Diskussionen über eine mögliche Auslagerung von Flüchtlingsschutz in Länder außerhalb der Europäischen Union an, und präsentieren das britische Abkommen mit Ruanda als vorbildhaft.
Diese Debatte wird rechte Kräfte in Deutschland weiter stärken, denn sie schürt unrealistische Erwartungen, die zwangsläufig enttäuscht werden müssen. Das ist das Gegenteil von verantwortungsvoller Politik, die nachhaltige und menschenrechtskonforme Lösungen für die bestehenden Herausforderungen finden sollte. Der Deal mit Ruanda zeigt überdeutlich, welche Gefahr Auslagerungsmodelle für Schutzsuchende sowie für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Europa darstellen.
Das britische Ruanda-Modell
Das britische Ruanda-Modell sieht vor, dass Geflüchtete, die nach dem 20. Juli 2023 »irregulär« in das Vereinigte Königreich einreisen, als »unzulässig« abgelehnt und zur Prüfung ihres Asylantrags nach Ruanda ausgeflogen werden. Eine Rückkehr nach Großbritannien soll auch bei positiver Asylentscheidung ausgeschlossen sein. Menschen, die Verfolgung oder Krieg zum Teil nur knapp entkommen sind, sollen also 6.500 Kilometer durch die Welt geflogen werden, um in einem unbekannten, autokratisch regierten Land mit zweifelhafter Menschenrechtsbilanz abgeladen zu werden. So weit, so absurd.
Ruanda: Zweifelhafte Menschenrechtsbilanz
Durch solche Externalisierungsabkommen machen europäische Staaten sich regelmäßig abhängig von autokratischen und diktatorischen Regierungen. Auffallend ist etwa das Schweigen der britischen Regierung zu der ruandischen Unterstützung der Rebellengruppe M23 im Osten der Demokratischen Republik Kongo, während unter anderem die Europäische Union und die Vereinigten Staaten öffentlich Kritik übten. Der Krieg mit den M23-Rebellen, die im Kongo offensichtliche Kriegsverbrechen begehen, hat bereits 1,7 Millionen Menschen in die Flucht getrieben und somit zu einer der größten Vertreibungskrisen auf dem afrikanischen Kontinent geführt. Ruanda ist auch selbst mit Truppen im Nachbarland DR Kongo präsent.
Innenpolitisch unterdrückt die ruandische Regierung unter Präsident Paul Kagame die Presse- und Meinungsfreiheit sowie die Opposition. Laut Human Rights Watch sind willkürliche Verhaftungen, Misshandlungen und Folter gängig.
Versuch, nationale und europäische Gerichte zu umgehen
Bisher ist es der britischen Regierung nicht gelungen, Geflüchtete nach Ruanda abzuschieben. Im November 2023 stoppte der britische Supreme Court das Vorhaben wegen der konkreten Gefahr von Ketten-Abschiebungen (Refoulement) in die Heimatländer der Abzuschiebenden. Geklagt hatten unter anderem Geflüchtete aus Syrien und dem Iran. Zu solchen Kettenabschiebungen in die Verfolgerstaaten ist es im Zuge einer früheren ähnlichen Zusammenarbeit zwischen Israel und Ruanda gekommen, wie der Supreme Court feststellte.
Mit dem zu verabschiedenden Gesetz sollen Klagemöglichkeiten eingeschränkt und die Wirkung der Europäischen Menschenrechtskonvention für Ruanda-Abschiebungsfälle außer Kraft gesetzt werden. Die Einhaltung von einstweiligen Anordnungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der im Juni 2022 einen ersten Abschiebungsversuch nach Ruanda in letzter Minute gestoppt hatte, soll für die britische Regierung nur noch optional sein.
Bereits heute dramatische Auswirkungen für Schutzsuchende
Auch wenn es bisher noch zu keiner einzigen Abschiebung nach Ruanda gekommen ist, hat die britische Ruanda-Politik der letzten zwei Jahre bereits heute dramatische Konsequenzen für Schutzsuchende, wie Nichtregierungsorganisationen berichten: So besteht eine erhöhte Suizidalität unter potentiell betroffenen Menschen, viele Schutzsuchende hängen auf unbestimmte Zeit in überlangen Asylverfahren fest und meiden aus Angst vor Inhaftierung und Abschiebung nach Ruanda zunehmend Behörden und zum Teil lebenswichtige Hilfsangebote. Aus Furcht landen sie immer häufiger in der »Illegalität«, wodurch die Gefahr von Missbrauch und Ausbeutung steigt.
Laut dem britischen Refugee Council führt die Angst vor Abschiebungen nach Ruanda zudem dazu, dass Schutzsuchende versuchen, Großbritannien auf noch gefährlicheren Wegen zu erreichen, um nicht von den Behörden entdeckt zu werden. Erste Erfahrungen mit Verfahren zur Auswahl von Personen für Ruanda-Abschiebungen haben zudem weitere Probleme aufgezeigt, etwa beim Zugang zu Rechtsschutz oder der Feststellung von Vulnerabilitäten.
Asylsystem nimmt großen Schaden, Aufnahmestrukturen werden nicht entlastet
Für die voraussichtlich erst einmal 300 Flüchtlinge pro Jahr, die Ruanda bereit wäre aufzunehmen, würden Kosten von über einer halben Milliarde Pfund entstehen. Selbst wenn niemand abgeschoben werden sollte, hat die britische Regierung Ruanda eine Zahlung von über 430 Millionen Euro versprochen. 300 Geflüchtete sind weniger als 0,5 Prozent der Menschen, die 2023 in Großbritannien um Asyl nachgesucht haben. Für die britischen Aufnahmestrukturen wird der Deal also keinen spürbaren Unterschied machen. Es ist eindeutig, dass der Ruanda-Deal vor allem eins ist: Symbolpolitik.
Es ist eindeutig, dass der Ruanda-Deal vor allem eins ist: Symbolpolitik.
Dennoch hat das Abkommen bereits heute negative Auswirkungen auf das britische Asylsystem. Die Zahl nicht bearbeiteter Asylanträge ist seit 2020 – dem Start der Ruanda-Politik – stark gestiegen. Amnesty International spricht davon, dass die britische Regierung mit ihrem Plan schon jetzt das englische Asylsystem ruiniert habe.
Denn seit einer Gesetzesänderung 2023 ist das britische Innenministerium verpflichtet, Asylanträge als »unzulässig« abzulehnen, da andere Länder für die in England ankommenden Schutzsuchenden sicher seien. Das führt dazu, dass Tausenden Menschen der Schutz verweigert wird und sie sich in einem Schwebezustand befinden, obwohl sie absehbar nie nach Ruanda abgeschoben werden können.
»Stop the boats« durch Auslagerungsmodelle?
Die Zahl der Menschen, die 2024 auf kleinen Booten den Ärmelkanal überquert haben und in Großbritannien angekommen sind, lag Ende März bei über 5.000 Personen – mehr als jemals zuvor in diesem Zeitraum. Seit 2014 zählt die Internationale Organisation mindestens 248 Menschen, die bei der Überfahrt ihr Leben verloren haben – die Dunkelziffer dürfte höher sein.
»Stop the Boats« gehört zu den wichtigsten Versprechen der aktuellen Regierung unter Premierminister Rishi Sunak. Dessen Forderungen werden sicherlich auch aufgrund der anstehenden britischen Parlamentswahlen und der aktuell miserablen Zustimmungswerte der Tories immer schriller: So forderte er mehrfach, aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) – einer der wichtigsten zivilisatorischen Errungenschaften Europas nach dem Zweiten Weltkrieg – auszusteigen, um ungestört nach Ruanda abschieben zu können.
Die Regierung sagt, sie möchte mit dem Deal verhindern, dass Menschen in kleinen Booten den Ärmelkanal überqueren. Dabei gibt es für die These eines Abschreckungseffekts durch Auslagerungsmodelle keinerlei Belege (vgl. EU-Türkei-Deal). Diese Form der Externalisierungspolitik muss immer wieder scheitern, da sie ihre Rechnung ohne die Menschen macht, die in ihrem Zentrum stehen: Geflüchtete werden für ein Leben in Sicherheit und Würde auch weiterhin Wege suchen und finden.
Verantwortungsverschiebung: Großbritannien untergräbt den internationalen Flüchtlingsschutz
Mit dem Ruanda-Deal lagert die britische Regierung die eigene Verantwortung für schutzsuchende Menschen in das ostafrikanische Land aus und untergräbt damit den weltweiten Flüchtlingsschutz. Diese Auslagerung ist ein Paradebeispiel für eine Externalisierungspolitik, die nicht zur internationalen Verantwortungsteilung beiträgt, der sich Staaten mit der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) eigentlich verpflichtet haben.
Denn bei tatsächlicher Umsetzung würden Schutzsuchende aus Großbritannien (Bevölkerungszahl 67,33 Millionen, Bruttoinlandsprodukt von 3,131 Billionen USD, Platz 18 im Demokratieranking) nach Ruanda (Bevölkerungsanzahl 13,46 Millionen, Bruttoinlandsprodukt von 11,07 Milliarden USD, Platz 128 im Demokratieranking), also in ein deutlich strukturschwächeres Land gebracht werden. Auch das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR ist der Meinung, dass ein solcher Deal nicht mit der GFK in Einklang zu bringen ist, da es sich hier um eine Verantwortungsverschiebung handelt.
Deutsche Bundesregierung sollte von diesem Irrweg klar Abstand nehmen
Auch in Deutschland nähren einige Politiker*innen mit populistischen Debatten die Illusion, durch Auslagerungsmodelle ließen sich Flucht und Migration verhindern. Spätestens seit dem letzten Treffen von Bundeskanzler Olaf Scholz und den Ministerpräsident*innen der Bundesländer im November 2023 und dem dort beschlossenen Prüfauftrag wird erneut über eine mögliche Auslagerung des Flüchtlingsschutzes in Nicht-EU-Staaten diskutiert.
Obwohl solche Ideen weder umsetzbar noch menschenrechtskonform sind, plant die CDU aktuell, die Auslagerung von Asylverfahren in »sichere Drittstaaten« in ihr Grundsatzprogramm aufzunehmen: »Jeder, der in Europa Asyl beantragt, soll in einen sicheren Drittstaat überführt werden und dort ein Verfahren durchlaufen. Im Falle eines positiven Ausgangs wird der sichere Drittstaat dem Antragsteller vor Ort Schutz gewähren«, heißt es in dem Entwurf.
Mit diesem Vorschlag würde das Asylrecht in Europa faktisch abgeschafft. Denn Menschen, die vor Kriegen und Verfolgung fliehen, könnten auf dieser Basis in Deutschland und der Europäischen Union keinen Schutz mehr bekommen. Die Bundesregierung sollte von diesem Irrweg klar Abstand nehmen und sich stattdessen für die Achtung internationaler und europäischer Schutzstandards, für eine effektive Unterstützung der Kommunen und für sichere Fluchtwege einsetzen.
(hk, wj)