22.04.2024
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Ein Look-a-like des britischen Premierminister Rishi Sunak als Showmaster dreht das "Unglücksrad", um auf die schwerwiegenden Folgen des UK-Ruanda-Deals hinzuweisen. Die Aktion wurde von Amnesty International als Protest durchgeführt. Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com | Tayfun Salci

Das britische Parlament stimmt voraussichtlich heute über ein Gesetz ab, das Abschiebungen von Asylsuchenden aus Großbritannien nach Ruanda erzwingen soll. Der UK-Ruanda-Deal ist eindeutig rechtswidrig, menschenverachtend und extrem teuer. Doch auch hierzulande reißt die populistische Debatte über eine Auslagerung von Asylverfahren nicht ab.

UPDATE: Das bri­ti­sche Par­la­ment hat das umstrit­te­ne Gesetz in den frü­hen Mor­gen­stun­den des 23.04. ver­ab­schie­det

Das bri­ti­sche Par­la­ment debat­tiert heu­te erneut ein Gesetz, das Ruan­da für sicher erklä­ren soll – eine Zustim­mung hät­te kata­stro­pha­le Fol­gen. Denn damit könn­ten Abschie­bun­gen von Asyl­su­chen­den nach Ruan­da for­ciert wer­den, die der obers­te bri­ti­sche Gerichts­hof noch im Novem­ber 2023 für rechts­wid­rig erklärt hat­te. Wenn es nach der bri­ti­schen Regie­rung geht, soll der ers­te Flie­ger bereits in zehn Wochen abhe­ben. Meh­re­re Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen haben ange­kün­digt, Betrof­fe­ne recht­lich dabei zu unter­stüt­zen, ihre Abschie­bung nach Ruan­da anzu­fech­ten.

Der Deal zwi­schen Groß­bri­tan­ni­en und Ruan­da ist ein­deu­tig rechts­wid­rig, nicht men­schen­rechts­kon­form umsetz­bar und dar­über hin­aus extrem teu­er. Zudem beruht er auf der fal­schen Annah­me, durch ein sol­ches Modell lie­ße sich Flucht nach Groß­bri­tan­ni­en unter­bin­den. Den­noch hei­zen seit eini­gen Mona­ten auch deut­sche Politiker*innen Dis­kus­sio­nen über eine mög­li­che Aus­la­ge­rung von Flücht­lings­schutz in Län­der außer­halb der Euro­päi­schen Uni­on an, und prä­sen­tie­ren das bri­ti­sche Abkom­men mit Ruan­da als vor­bild­haft.

Die­se Debat­te wird rech­te Kräf­te in Deutsch­land wei­ter stär­ken, denn sie schürt unrea­lis­ti­sche Erwar­tun­gen, die zwangs­läu­fig ent­täuscht wer­den müs­sen. Das ist das Gegen­teil von ver­ant­wor­tungs­vol­ler Poli­tik, die nach­hal­ti­ge und men­schen­rechts­kon­for­me Lösun­gen für die bestehen­den Her­aus­for­de­run­gen fin­den soll­te. Der Deal mit Ruan­da zeigt über­deut­lich, wel­che Gefahr Aus­la­ge­rungs­mo­del­le für Schutz­su­chen­de sowie für Demo­kra­tie und Rechts­staat­lich­keit in Euro­pa darstellen.

Das britische Ruanda-Modell

Das bri­ti­sche Ruan­da-Modell sieht vor, dass Geflüch­te­te, die nach dem 20. Juli 2023 »irre­gu­lär« in das Ver­ei­nig­te König­reich ein­rei­sen, als »unzu­läs­sig« abge­lehnt und zur Prü­fung ihres Asyl­an­trags nach Ruan­da aus­ge­flo­gen wer­den. Eine Rück­kehr nach Groß­bri­tan­ni­en soll auch bei posi­ti­ver Asy­l­ent­schei­dung aus­ge­schlos­sen sein. Men­schen, die Ver­fol­gung oder Krieg zum Teil nur knapp ent­kom­men sind, sol­len also 6.500 Kilo­me­ter durch die Welt geflo­gen wer­den, um in einem unbe­kann­ten, auto­kra­tisch regier­ten Land mit zwei­fel­haf­ter Men­schen­rechts­bi­lanz abge­la­den zu wer­den. So weit, so absurd.

Ruanda: Zweifelhafte Menschenrechtsbilanz

Durch sol­che Exter­na­li­sie­rungs­ab­kom­men machen euro­päi­sche Staa­ten sich regel­mä­ßig abhän­gig von auto­kra­ti­schen und dik­ta­to­ri­schen Regie­run­gen. Auf­fal­lend ist etwa das Schwei­gen der bri­ti­schen Regie­rung zu der ruan­di­schen Unter­stüt­zung der Rebel­len­grup­pe M23 im Osten der Demo­kra­ti­schen Repu­blik Kon­go, wäh­rend unter ande­rem die Euro­päi­sche Uni­on und die Ver­ei­nig­ten Staa­ten öffent­lich Kri­tik übten. Der Krieg mit den M23-Rebel­len, die im Kon­go offen­sicht­li­che Kriegs­ver­bre­chen bege­hen, hat bereits 1,7 Mil­lio­nen Men­schen in die Flucht getrie­ben und somit zu einer der größ­ten Ver­trei­bungs­kri­sen auf dem afri­ka­ni­schen Kon­ti­nent geführt. Ruan­da ist auch selbst mit Trup­pen im Nach­bar­land DR Kon­go präsent.

Innen­po­li­tisch unter­drückt die ruan­di­sche Regie­rung unter Prä­si­dent Paul Kaga­me die Pres­se- und Mei­nungs­frei­heit sowie die Oppo­si­ti­on. Laut Human Rights Watch sind will­kür­li­che Ver­haf­tun­gen, Miss­hand­lun­gen und Fol­ter gängig.

Versuch, nationale und europäische Gerichte zu umgehen

Bis­her ist es der bri­ti­schen Regie­rung nicht gelun­gen, Geflüch­te­te nach Ruan­da abzu­schie­ben. Im Novem­ber 2023 stopp­te der bri­ti­sche Supre­me Court das Vor­ha­ben wegen der kon­kre­ten Gefahr von Ket­ten-Abschie­bun­gen (Refou­le­ment) in die Hei­mat­län­der der Abzu­schie­ben­den. Geklagt hat­ten unter ande­rem Geflüch­te­te aus Syri­en und dem Iran. Zu sol­chen Ket­ten­ab­schie­bun­gen in die Ver­fol­ger­staa­ten ist es im Zuge einer frü­he­ren ähn­li­chen Zusam­men­ar­beit zwi­schen Isra­el und Ruan­da gekom­men, wie der Supre­me Court feststellte.

Mit dem zu ver­ab­schie­den­den Gesetz sol­len Kla­ge­mög­lich­kei­ten ein­ge­schränkt und die Wir­kung der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on für Ruan­da-Abschie­bungs­fäl­le außer Kraft gesetzt wer­den. Die Ein­hal­tung von einst­wei­li­gen Anord­nun­gen des Euro­päi­schen Gerichts­hofs für Men­schen­rech­te (EGMR), der im Juni 2022 einen ers­ten Abschie­bungs­ver­such nach Ruan­da in letz­ter Minu­te gestoppt hat­te, soll für die bri­ti­sche Regie­rung nur noch optio­nal sein.

Bereits heute dramatische Auswirkungen für Schutzsuchende 

Auch wenn es bis­her noch zu kei­ner ein­zi­gen Abschie­bung nach Ruan­da gekom­men ist, hat die bri­ti­sche Ruan­da-Poli­tik der letz­ten zwei Jah­re bereits heu­te dra­ma­ti­sche Kon­se­quen­zen für Schutz­su­chen­de, wie Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen berich­ten: So besteht eine erhöh­te Sui­zi­da­li­tät unter poten­ti­ell betrof­fe­nen Men­schen, vie­le Schutz­su­chen­de hän­gen auf unbe­stimm­te Zeit in über­lan­gen Asyl­ver­fah­ren fest und mei­den aus Angst vor Inhaf­tie­rung und Abschie­bung nach Ruan­da zuneh­mend Behör­den und zum Teil lebens­wich­ti­ge Hilfs­an­ge­bo­te. Aus Furcht lan­den sie immer häu­fi­ger in der »Ille­ga­li­tät«, wodurch die Gefahr von Miss­brauch und Aus­beu­tung steigt.

Laut dem bri­ti­schen Refu­gee Coun­cil führt die Angst vor Abschie­bun­gen nach Ruan­da zudem dazu, dass Schutz­su­chen­de ver­su­chen, Groß­bri­tan­ni­en auf noch gefähr­li­che­ren Wegen zu errei­chen, um nicht von den Behör­den ent­deckt zu wer­den. Ers­te Erfah­run­gen mit Ver­fah­ren zur Aus­wahl von Per­so­nen für Ruan­da-Abschie­bun­gen haben zudem wei­te­re Pro­ble­me auf­ge­zeigt, etwa beim Zugang zu Rechts­schutz oder der Fest­stel­lung von Vulnerabilitäten.

Asylsystem nimmt großen Schaden, Aufnahmestrukturen werden nicht entlastet

Für die vor­aus­sicht­lich erst ein­mal 300 Flücht­lin­ge pro Jahr, die Ruan­da bereit wäre auf­zu­neh­men, wür­den Kos­ten von über einer hal­ben Mil­li­ar­de Pfund ent­ste­hen. Selbst wenn nie­mand abge­scho­ben wer­den soll­te, hat die bri­ti­sche Regie­rung Ruan­da eine Zah­lung von über 430 Mil­lio­nen Euro ver­spro­chen. 300 Geflüch­te­te sind weni­ger als 0,5 Pro­zent der Men­schen, die 2023 in Groß­bri­tan­ni­en um Asyl nach­ge­sucht haben. Für die bri­ti­schen Auf­nah­me­struk­tu­ren wird der Deal also kei­nen spür­ba­ren Unter­schied machen. Es ist ein­deu­tig, dass der Ruan­da-Deal vor allem eins ist: Symbolpolitik.

Es ist ein­deu­tig, dass der Ruan­da-Deal vor allem eins ist: Symbolpolitik.

Den­noch hat das Abkom­men bereits heu­te nega­ti­ve Aus­wir­kun­gen auf das bri­ti­sche Asyl­sys­tem. Die Zahl nicht bear­bei­te­ter Asyl­an­trä­ge ist seit 2020 – dem Start der Ruan­da-Poli­tik – stark gestie­gen. Amnes­ty Inter­na­tio­nal spricht davon, dass die bri­ti­sche Regie­rung mit ihrem Plan schon jetzt das eng­li­sche Asyl­sys­tem rui­niert habe.

Denn seit einer Geset­zes­än­de­rung 2023 ist das bri­ti­sche Innen­mi­nis­te­ri­um ver­pflich­tet, Asyl­an­trä­ge als »unzu­läs­sig« abzu­leh­nen, da ande­re Län­der für die in Eng­land ankom­men­den Schutz­su­chen­den sicher sei­en. Das führt dazu, dass Tau­sen­den Men­schen der Schutz ver­wei­gert wird und sie sich in einem Schwe­be­zu­stand befin­den, obwohl sie abseh­bar nie nach Ruan­da abge­scho­ben wer­den können.

»Stop the boats« durch Auslagerungsmodelle?

Die Zahl der Men­schen, die 2024 auf klei­nen Boo­ten den Ärmel­ka­nal über­quert haben und in Groß­bri­tan­ni­en ange­kom­men sind, lag Ende März bei über 5.000 Per­so­nen – mehr als jemals zuvor in die­sem Zeit­raum. Seit 2014 zählt die Inter­na­tio­na­le Orga­ni­sa­ti­on min­des­tens 248 Men­schen, die bei der Über­fahrt ihr Leben ver­lo­ren haben – die Dun­kel­zif­fer dürf­te höher sein.

248 Tote

bei der Über­que­rung seit 2014

»Stop the Boats« gehört zu den wich­tigs­ten Ver­spre­chen der aktu­el­len Regie­rung unter Pre­mier­mi­nis­ter Rishi Sunak. Des­sen For­de­run­gen wer­den sicher­lich auch auf­grund der anste­hen­den bri­ti­schen Par­la­ments­wah­len und der aktu­ell mise­ra­blen Zustim­mungs­wer­te der Tories immer schril­ler: So for­der­te er mehr­fach, aus der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on (EMRK) – einer der wich­tigs­ten zivi­li­sa­to­ri­schen Errun­gen­schaf­ten Euro­pas nach dem Zwei­ten Welt­krieg – aus­zu­stei­gen, um unge­stört nach Ruan­da abschie­ben zu können.

Die Regie­rung sagt, sie möch­te mit dem Deal ver­hin­dern, dass Men­schen in klei­nen Boo­ten den Ärmel­ka­nal über­que­ren. Dabei gibt es für die The­se eines Abschre­ckungs­ef­fekts durch Aus­la­ge­rungs­mo­del­le kei­ner­lei Bele­ge (vgl. EU-Tür­kei-Deal). Die­se Form der Exter­na­li­sie­rungs­po­li­tik muss immer wie­der schei­tern, da sie ihre Rech­nung ohne die Men­schen macht, die in ihrem Zen­trum ste­hen: Geflüch­te­te wer­den für ein Leben in Sicher­heit und Wür­de auch wei­ter­hin Wege suchen und finden.

Verantwortungsverschiebung: Großbritannien untergräbt den internationalen Flüchtlingsschutz

 Mit dem Ruan­da-Deal lagert die bri­ti­sche Regie­rung die eige­ne Ver­ant­wor­tung für schutz­su­chen­de Men­schen in das ost­afri­ka­ni­sche Land aus und unter­gräbt damit den welt­wei­ten Flücht­lings­schutz. Die­se Aus­la­ge­rung ist ein Para­de­bei­spiel für eine Exter­na­li­sie­rungs­po­li­tik, die nicht zur inter­na­tio­na­len Ver­ant­wor­tungs­tei­lung bei­trägt, der sich Staa­ten mit der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on (GFK) eigent­lich ver­pflich­tet haben.

Denn bei tat­säch­li­cher Umset­zung wür­den Schutz­su­chen­de aus Groß­bri­tan­ni­en (Bevöl­ke­rungs­zahl 67,33 Mil­lio­nen, Brut­to­in­lands­pro­dukt von 3,131 Bil­lio­nen USD, Platz 18 im Demo­kra­tieran­king) nach Ruan­da (Bevöl­ke­rungs­an­zahl 13,46 Mil­lio­nen, Brut­to­in­lands­pro­dukt von 11,07 Mil­li­ar­den USD, Platz 128 im Demo­kra­tieran­king), also in ein deut­lich struk­tur­schwä­che­res Land gebracht wer­den. Auch das UN-Flücht­lings­hilfs­werk UNHCR ist der Mei­nung, dass ein sol­cher Deal nicht mit der GFK in Ein­klang zu brin­gen ist, da es sich hier um eine Ver­ant­wor­tungs­ver­schie­bung handelt.

Deutsche Bundesregierung sollte von diesem Irrweg klar Abstand nehmen

Auch in Deutsch­land näh­ren eini­ge Politiker*innen mit popu­lis­ti­schen Debat­ten die Illu­si­on, durch Aus­la­ge­rungs­mo­del­le lie­ßen sich Flucht und Migra­ti­on ver­hin­dern. Spä­tes­tens seit dem letz­ten Tref­fen von Bun­des­kanz­ler Olaf Scholz und den Ministerpräsident*innen der Bun­des­län­der im Novem­ber 2023 und dem dort beschlos­se­nen Prüf­auf­trag wird erneut über eine mög­li­che Aus­la­ge­rung des Flücht­lings­schut­zes in Nicht-EU-Staa­ten diskutiert.

Obwohl sol­che Ideen weder umsetz­bar noch men­schen­rechts­kon­form sind, plant die CDU aktu­ell, die Aus­la­ge­rung von Asyl­ver­fah­ren in »siche­re Dritt­staa­ten« in ihr Grund­satz­pro­gramm auf­zu­neh­men: »Jeder, der in Euro­pa Asyl bean­tragt, soll in einen siche­ren Dritt­staat über­führt wer­den und dort ein Ver­fah­ren durch­lau­fen. Im Fal­le eines posi­ti­ven Aus­gangs wird der siche­re Dritt­staat dem Antrag­stel­ler vor Ort Schutz gewäh­ren«, heißt es in dem Ent­wurf.

Mit die­sem Vor­schlag wür­de das Asyl­recht in Euro­pa fak­tisch abge­schafft. Denn Men­schen, die vor Krie­gen und Ver­fol­gung flie­hen, könn­ten auf die­ser Basis in Deutsch­land und der Euro­päi­schen Uni­on kei­nen Schutz mehr bekom­men. Die Bun­des­re­gie­rung soll­te von die­sem Irr­weg klar Abstand neh­men und sich statt­des­sen für die Ach­tung inter­na­tio­na­ler und euro­päi­scher Schutz­stan­dards, für eine effek­ti­ve Unter­stüt­zung der Kom­mu­nen und für siche­re Flucht­we­ge einsetzen.

(hk, wj)