28.03.2024
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Geflüchtete in einem verlassenen Gebäude im Südwesten von Serbien. Foto: klikAktiv

Serbien ist das letzte Land auf der Balkanroute, das nicht zur EU gehört – aber an gleich vier EU-Staaten grenzt. Die versuchte Abschottung der europäischen Außengrenzen wird dort also besonders deutlich. Milica Svabic von unserer Partnerorganisation klikAktiv berichtet zur Situation vor Ort.

Mili­ca, zunächst ein­mal: Wer bist du, wer ist klik­Ak­tiv und was macht ihr?

Mein Name ist Mili­ca Sva­bic. Ich bin Anwäl­tin bei der ser­bi­schen Orga­ni­sa­ti­on klik­Ak­tiv, die kos­ten­lo­se Rechts­hil­fe und psy­cho­so­zia­le Unter­stüt­zung für Men­schen auf der Flucht in Ser­bi­en anbietet.

klik­Ak­tiv wur­de 2014 als eine Orga­ni­sa­ti­on für psy­cho­lo­gi­sche und medi­zi­ni­sche Hil­fe für Obdach­lo­se gegrün­det. Ein Jahr spä­ter, mit der soge­nann­ten Flücht­lings­kri­se auf dem Bal­kan, haben wir unse­re Akti­vi­tä­ten dann aus­ge­wei­tet. Der­zeit haben wir sechs Team­mit­glie­der: Anwält*innen, Sozialarbeiter*innen, Dolmetscher*innen. Dabei haben wir kei­nen ein­zel­nen gro­ßen Geld­ge­ber, was ich gut fin­de, denn so blei­ben wir unab­hän­gig. Wir finan­zie­ren uns über die Unter­stüt­zung ver­schie­de­ner Stif­tun­gen und Orga­ni­sa­tio­nen, auch aus der EU – so wie PRO ASYL. Mit euch arbei­ten wir ja seit 2021 zusammen.

Wie ist die Lage an den ser­bi­schen Gren­zen im Moment?

Ser­bi­en ist das letz­te Nicht-EU-Land auf der soge­nann­ten Bal­kan­rou­te. Die meis­ten Men­schen kom­men nach wie vor über die süd­li­che Gren­ze, aus Bul­ga­ri­en, nach Ser­bi­en. In den letz­ten Mona­ten hat jedoch die Rou­te über Nord­ma­ze­do­ni­en zuneh­mend an Bedeu­tung gewon­nen. Im ver­gan­ge­nen Jahr muss­ten wir außer­dem einen alar­mie­ren­den Anstieg der Zahl der Push­backs von ser­bi­schem Gebiet aus fest­stel­len. Die­ser Anstieg fällt auch mit der Prä­senz von Fron­tex an der Gren­ze zusammen.

Wei­ter­hin sind die nörd­li­chen Gren­zen von Ser­bi­en Schau­platz von unrecht­mä­ßi­gen Zurück­wei­sun­gen und Poli­zei­ge­walt. Das ist bereits seit vie­len Jah­ren so. Betrof­fen sind alle vier Gren­zen: Die Gren­ze zwi­schen Bos­ni­en & Her­ze­go­wi­na und Ser­bi­en und die drei EU-Außen­gren­zen zu Kroa­ti­en, Ungarn und Rumänien.

Du hast erwähnt, dass die Prä­senz von Fron­tex mit der zuneh­men­den Gewalt an den Gren­zen zusam­men­fällt. Was meinst du damit konkret?

Obwohl Ser­bi­en kein Mit­glied der EU ist, ist Fron­tex bei uns vor Ort. 2019 gab es dazu ein Abkom­men und 2021 kamen die ers­ten Frontex-Beamt*innen nach Ser­bi­en. Zu Beginn waren sie nur an der Gren­ze zwi­schen Ser­bi­en und Bul­ga­ri­en prä­sent, im Lau­fe der Zeit aber auch in Rich­tung Nord­ma­ze­do­ni­en und an den Nord­gren­zen. Bis Ende Okto­ber letz­ten Jah­res ver­such­ten die meis­ten Men­schen, Ser­bi­en über Ungarn zu ver­las­sen. Dann kam es zu einer mas­si­ven Ver­la­ge­rung der Rou­te, und jetzt ver­su­chen es die meis­ten Men­schen über Kroa­ti­en und Bos­ni­en & Herzegowina.

Seit Fron­tex da ist, doku­men­tie­ren wir defi­ni­tiv mehr Push­backs im Süden und zusätz­lich mehr Poli­zei­ge­walt an den Nord­gren­zen. Es ist aber sehr schwie­rig, die direk­te Betei­li­gung von Fron­tex an die­sen unrecht­mä­ßi­gen Ope­ra­tio­nen nach­zu­wei­sen. Vor Ort sehen wir, dass die Frontex-Beamt*innen nicht ord­nungs­ge­mäß gekenn­zeich­net sind und oft kön­nen Geflüch­te­te nicht genau spe­zi­fi­zie­ren, ob es sich um Frontex-Beamt*innen oder ande­re aus­län­di­sche Polizeibeamt*innen han­delt, die auf der Grund­la­ge von bila­te­ra­len Abkom­men auf ser­bi­schem Gebiet sta­tio­niert sind.

Vor allem im Nor­den, in Rich­tung EU, gibt es vie­le Lager. Wie ist die Situa­ti­on dort aktuell?

Der­zeit sind alle Lager im Nor­den Ser­bi­ens geschlos­sen. Nach einer Schie­ße­rei zwi­schen riva­li­sie­ren­den kri­mi­nel­len Schlep­per­grup­pen im Okto­ber 2023 mit drei Toten gab es einen groß­an­ge­leg­ten Poli­zei­ein­satz. Bis Dezem­ber wur­den die Lager dann geräumt – sowohl die drei offi­zi­el­len, staat­lich betrie­be­nen Lager, als auch die über 35 infor­mel­len Lager.

Was mit den offi­zi­el­len Lagern geplant wird, ist unklar. Sie schei­nen die Kapa­zi­tä­ten dort jetzt zu erwei­tern. Wir haben meh­re­re Gerüch­te dazu gehört: Eines davon besagt, dass dort Men­schen unter­ge­bracht wer­den sol­len, die auf der Grund­la­ge von Rück­über­nah­me­ab­kom­men aus den benach­bar­ten EU-Mit­glied­staa­ten zurück­ge­führt wer­den. Ein ande­res, dass sie in Zukunft als vor­ge­la­ger­tes EU-Tran­sit­la­ger oder als ser­bi­sche Abschie­be­haft­an­stal­ten genutzt wer­den könnten.

Was ist mit den Men­schen aus den Lagern passiert?

Die Men­schen wur­den in die Lager im Süden gebracht. Lei­der wur­den auch vie­le in Haft­an­stal­ten fest­ge­hal­ten, ihnen wur­de »ille­ga­ler Auf­ent­halt« vor­ge­wor­fen, und es ist sehr wahr­schein­lich, dass vie­le Men­schen auch nach Bul­ga­ri­en und Nord­ma­ze­do­ni­en zurück­ge­scho­ben wur­den. Ins­ge­samt bekla­gen wir, dass sich die Maß­nah­men der Poli­zei nicht in ers­ter Linie gegen die kri­mi­nel­len Ban­den rich­te­ten, son­dern viel mehr Geflüch­te­te belangt wur­den, die selbst Leid­tra­gen­de der gewalt­vol­len Aus­ein­an­der­set­zun­gen sind.

Du hast die Lager im Süden erwähnt – wie ist die Lage dort?

Nach der Poli­zei­ak­ti­on im Nor­den waren alle Lager über­füllt – und eini­ge Tage lang durf­ten die Men­schen die Lager nicht ver­las­sen. Wir wis­sen, dass die ser­bi­sche Poli­zei zusam­men mit Euro­pol in allen Lagern prä­sent war und die per­sön­li­chen Daten der Men­schen auf­ge­nom­men hat. Es ist aber unklar, zu wel­chem Zweck. Nach ein paar Tagen wur­den die Lager geöff­net und die Men­schen konn­ten sich frei bewe­gen. Die meis­ten gin­gen in Rich­tung Bos­ni­en & Her­ze­go­wi­na – wie wir von den Men­schen hör­ten, ermu­tig­te die ser­bi­sche Poli­zei sich auch genau dazu. Infol­ge­des­sen hat sich die Situa­ti­on in den Lagern ent­spannt und sie sind nicht mehr überfüllt.

Zurück­ge­las­se­nes Geschirr im Wald in Batrov­ci, nahe der kroa­ti­schen Gren­ze. Foto: klikAktiv
Gegen die Käl­te wer­den in den inof­fi­zi­el­len Camps Lager­feu­er ent­facht, wie hier in Sje­ni­ca. Foto: klikAktiv
Einer der zurück­ge­las­se­nen Lager­aus­wei­se. Foto: klikAktiv
Die Gren­ze zu Nord­ma­ze­do­ni­en wird auf­ge­rüs­tet. Foto: klikAktiv

Auf der einen Sei­te spielt die ser­bi­sche Poli­zei also einen guten Part­ner für die EU, indem sie vor­gibt, dass sie die Men­schen auf ser­bi­schem Gebiet hal­ten wird. Auf der ande­ren Sei­te ver­folgt die ser­bi­sche Regie­rung aber eine rech­te Poli­tik, wie sie auch in vie­len ande­ren EU-Staa­ten vor­herrscht und will nicht, dass die Men­schen bleiben.

»Die ser­bi­sche Regie­rung ver­folgt eine rech­te Poli­tik, wie sie auch in vie­len ande­ren EU-Staa­ten vor­herrscht und will nicht, dass die Men­schen bleiben.«

Mili­ca Sva­bic, klikAktiv

Wel­che Pro­ble­me gibt es mit den offi­zi­el­len Lagern?

In Ser­bi­en gibt es 19 staat­lich betrie­be­ne Lager. Laut Gesetz kön­nen Men­schen nur in den Lagern unter­ge­bracht wer­den, wenn sie Asylbewerber*innen sind und die Poli­zei weist die Antrag­stel­len­den den Lagern zu. In der Pra­xis hat Ser­bi­en jedoch das Nar­ra­tiv ent­wi­ckelt, ein Tran­sit­land zu sein, die Lager wer­den nur als vor­über­ge­hen­de Unter­kunft betrach­tet. Das lässt schutz­su­chen­de Men­schen letzt­lich ohne offi­zi­el­len Sta­tus und Unter­stüt­zung in Ser­bi­en zurück.

Denn in der Pra­xis bege­ben sich die Men­schen auf der Flucht direkt in ein Lager. Hier wer­den sie von der Lager­lei­tung auch regis­triert. Sie neh­men die Fin­ger­ab­drü­cke, Fotos und per­sön­li­chen Daten der Men­schen auf und anschlie­ßend wird eine soge­nann­te »Lager­kar­te« aus­ge­stellt. Die­ses Doku­ment lässt die Men­schen glau­ben, dass sie einen Asyl­an­trag gestellt haben und dass ihr Auf­ent­halt in Ser­bi­en gere­gelt ist – aber es ist über­haupt kein offi­zi­el­les Doku­ment und die Daten wer­den auch nicht an das Amt, das eigent­lich für Asyl­an­trä­ge zustän­dig ist, weitergegeben.

Sehr oft wer­den die Men­schen dann nach eini­gen Tagen aus den Lagern gewor­fen und ohne Zugang zu Hil­fe zurück­ge­las­sen. Gleich­zei­tig sind sowohl in den infor­mel­len als auch in den offi­zi­el­len Lagern kri­mi­nel­le Ban­den prä­sent, die Schleu­ser­rou­ten in die EU anbie­ten und oft gewalt­tä­tig sind.

Für mich ist die­ser feh­len­de Zugang zur offi­zi­el­len Regis­trie­rung eines der größ­ten struk­tu­rel­len Pro­ble­me im Zusam­men­hang mit dem ser­bi­schen Unter­brin­gungs­sys­tem. Aber es gibt auch vie­le Berich­te über gewalt­vol­le Aus­ein­an­der­set­zun­gen und Über­grif­fe in den Lagern, sowohl sei­tens der offi­zi­el­len Mitarbeiter*innen als auch durch kri­mi­nel­le Banden.

Die­se Ban­den sind auch in den offi­zi­el­len Lagern unterwegs?

Ja. Es ist ganz klar, dass eini­ge der Men­schen, die schon län­ger in Ser­bi­en sind, eine pri­vi­le­gier­te Stel­lung in den Lagern haben. Und es ist ziem­lich offen­sicht­lich, dass der Staat und das Kom­mis­sa­ri­at für Flücht­lin­ge und Migra­ti­on, das die offi­zi­el­len Lager betreibt, die­se kri­mi­nel­len Grup­pen unter­stüt­zen. Denn die­se Grup­pen »hel­fen« den Men­schen ja, Ser­bi­en zu ver­las­sen. Unter der Hand wird oft gesagt, dass die ein­zi­ge Mög­lich­keit dazu die Hil­fe von Schmugg­lern und kri­mi­nel­len Grup­pen ist. Dar­über hin­aus haben wir in den letz­ten Jah­ren natür­lich auch vie­le Fäl­le von Kor­rup­ti­on und Bestechung in den offi­zi­el­len Lagern erlebt.

»Die Poli­zei tut also alles, um Men­schen den Zugang zum Asyl­ver­fah­ren zu verwehren.«

Mili­ca Sva­bic, klikAktiv

Ser­bi­en ver­sucht also, den Zugang zu Asyl zu erschwe­ren. Aber ist es denn theo­re­tisch mög­lich, Asyl in Ser­bi­en zu erhalten?

Theo­re­tisch ist es mög­lich, in Ser­bi­en Asyl zu bekom­men, aber in der Pra­xis ist es ziem­lich schwie­rig. Seit 2008 hat Ser­bi­en ein natio­na­les Asyl­sys­tem, und von 2008 bis heu­te erhiel­ten weni­ger als 250 Men­schen Asyl. Das Asyl­ver­fah­ren ist sehr büro­kra­tisch und es ist ziem­lich schwie­rig, Zugang dazu zu erhal­ten: Ein Asyl­an­trag muss bei einer Poli­zei­sta­ti­on gestellt wer­den. In den meis­ten Städ­ten wei­gert sich die Poli­zei jedoch, Men­schen als Asyl­be­wer­ber zu regis­trie­ren. Statt­des­sen stellt die Poli­zei regel­mä­ßig Aus­wei­sungs­ver­fü­gun­gen aus, die einen spä­te­ren Asyl­an­trag ver­hin­dern. Die Poli­zei tut also alles, um Men­schen den Zugang zum Asyl­ver­fah­ren zu verwehren.

Da war zum Bei­spiel die­se Frau aus der Mon­go­lei. Eine allein­er­zie­hen­de Mut­ter von fünf Kin­dern. Sie saß in einem der inof­fi­zi­el­len Camps fest, wo sie von kri­mi­nel­len Grup­pen mas­siv unter Druck gesetzt wur­de. Sie soll­te Geld für die Wei­ter­rei­se bezah­len – aber sie beschloss, in Ser­bi­en Asyl zu bean­tra­gen. Wir unter­stütz­ten sie und beglei­te­ten sie zu zwei Poli­zei­sta­tio­nen im ser­bi­schen Nor­den. Wir infor­mier­ten die Poli­zei per E‑Mail über ihre Ankunft, ihre beson­de­re Gefähr­dungs­la­ge und ihren Asyl­wunsch. Sie wur­de jedoch von bei­den Poli­zei­sta­tio­nen hin­aus­ge­wor­fen und man wei­ger­te sich, sie zu regis­trie­ren. Schließ­lich ging sie in ein offi­zi­el­les Lager, wur­de aber auch dort nicht ord­nungs­ge­mäß regis­triert. Sie blieb dort zwei Wochen lang und ver­schwand dann. Wir kön­nen davon aus­ge­hen, dass sie zu den kri­mi­nel­len Grup­pen zurück­ge­kehrt ist.

Nur sehr, sehr weni­ge Men­schen schaf­fen es tat­säch­lich, einen Asyl­an­trag zu stel­len, meist mit­hil­fe loka­ler Hilfs­or­ga­ni­sa­tio­nen. Und dann ist das Ver­fah­ren sehr lang­wie­rig. Im Durch­schnitt dau­ert es etwa ein Jahr, bis man eine Ent­schei­dung erhält. Sehr oft fällt die ers­te Ent­schei­dung nega­tiv aus, so dass man dann in Beru­fung gehen muss. Man­che Men­schen war­ten seit mehr als zehn Jah­ren auf einen posi­ti­ven Bescheid. All das ist ziem­lich ent­mu­ti­gend – und das ist auch einer der Grün­de, war­um vie­le Men­schen Ser­bi­en nicht als Ziel­land sehen und in ande­re Staa­ten weiterreisen.

Du hast die »Aus­wei­sungs­ver­fü­gung« erwähnt. Was ist das?

Eine »Aus­wei­sungs­ver­fü­gung« ist eine behörd­li­che Anord­nung des Innen­mi­nis­te­ri­ums, die besagt, dass die Per­son sich nicht legal in Ser­bi­en auf­hält. Es wird eine Frist ein­ge­räumt, Ser­bi­en auf frei­wil­li­ger Basis zu ver­las­sen – ansons­ten kann es zu einer zwangs­wei­sen Rück­füh­rung ins Her­kunfts­land kommen.

Und mit einer sol­chen »Aus­wei­sungs­ver­fü­gung« kann man kein Asyl mehr beantragen?

Ja, genau. Wer eine »Aus­wei­sungs­ver­fü­gung« erhal­ten hat, ist von der Asyl­an­trag­stel­lung aus­ge­schlos­sen. Das Innen­mi­nis­te­ri­um behaup­tet, dass Asyl dann ja nur bean­tragt wür­de, um die Abschie­bung zu verhindern.

Du hat­test außer­dem soge­nann­te Rück­über­nah­me abkom­men erwähnt. Was ver­birgt sich dahin­ter? Nimmt Ser­bi­en auf die­ser Basis Geflüch­te­te aus EU-Staa­ten zurück?

Prak­tisch gese­hen, ja. Offi­zi­ell sieht es aber ein wenig anders aus. Ser­bi­en hat ein Rück­über­nah­me­ab­kom­men mit der EU aus dem Jahr 2007 und Arti­kel 3 die­ses Abkom­mens besagt, dass Ser­bi­en Dritt­staats­an­ge­hö­ri­ge aus dem Gebiet benach­bar­ter Mit­glied­staa­ten auf­neh­men kann, wenn die Per­son in den letz­ten Jah­ren direkt aus dem Gebiet Ser­bi­ens dort ein­ge­reist ist. Obwohl Flücht­lin­ge und Asyl­be­wer­ber auf dem Papier davon nicht betrof­fen sein soll­ten, fal­len auch sie die­ser Pra­xis zum Opfer. Dies wird von den benach­bar­ten Mit­glied­staa­ten recht häu­fig genutzt.

Wir haben Bewei­se und Zeu­gen­aus­sa­gen von Men­schen gesam­melt, die aus Rumä­ni­en, Kroa­ti­en oder auch Ungarn zurück­ge­schickt wur­den. In der Pra­xis reicht es aus, wenn eine Per­son sagt, dass sie aus Ser­bi­en in einen Mit­glied­staat ein­ge­reist ist. Und in Ser­bi­en haben sie dann kei­nen Zugang mehr zum Asylrecht.

Dies ist auch eines der wich­tigs­ten The­men bei den Ver­hand­lun­gen über den EU-Bei­tritt Ser­bi­ens. Die EU möch­te, dass Ser­bi­en mehr Men­schen zurück­nimmt. Wir sehen, dass dies in der Pra­xis auch geschieht. Für die Men­schen ist das dann eine Sack­gas­se: Auf der einen Sei­te wer­den sie nach Ser­bi­en zurück­ge­schickt, aber auf der ande­ren Sei­te dür­fen sie auch dort kein Asyl bean­tra­gen, bekom­men kei­ne Unter­stüt­zung und kei­nen Schutz – und wer­den des­halb ver­su­chen, erneut in die Euro­päi­sche Uni­on zu gelangen.

In der ser­bi­schen Gesell­schaft gibt es vie­le Men­schen, die eine eige­ne Flücht­lings­ge­schich­te haben. Wie ist ihre Mei­nung zu Flücht­lin­gen und ihrer Situa­ti­on in Ser­bi­en? Gibt es eine akti­ve Zivil­ge­sell­schaft, die Geflüch­te­te unterstützt?

Die Men­schen ohne eige­ne Flücht­lings­ge­schich­te haben gegen­über den Flücht­lin­gen heu­te das glei­che Nar­ra­tiv wie in den 1990er Jah­ren gegen­über den Flücht­lin­gen aus Bos­ni­en und Kroa­ti­en: »Die Flücht­lin­ge kom­men, um uns unser Land, unse­re Häu­ser und unse­re Arbeits­plät­ze weg­zu­neh­men«. Selbst damals gab es die­se nega­ti­ve Ein­stel­lung – und da ging es um Men­schen, die die­sel­be Spra­che spra­chen, die glei­che Reli­gi­on hat­ten, im glei­chen Bil­dungs­sys­tem auf­ge­wach­sen sind.

Auch in Gesprä­chen mit Men­schen, die damals selbst flie­hen muss­ten und jetzt in Ser­bi­en leben, wird deut­lich, dass vie­le heu­te lei­der ihrer­seits die­ses nega­ti­ve Bild auf Flücht­lin­ge aus Syri­en, Afgha­ni­stan und ande­ren Län­dern reproduzieren.

Es gibt aber auch ein Netz von zivil­ge­sell­schaft­li­chen Orga­ni­sa­tio­nen, die Men­schen auf der Flucht und Asylbewerber*innen unter­stüt­zen. Lei­der haben die meis­ten die­ser Orga­ni­sa­tio­nen nur einen grö­ße­ren Geld­ge­ber, in der Regel das UNHCR oder die IOM, was bedeu­tet, dass sie der Poli­tik die­ser gro­ßen inter­na­tio­na­len Geld­ge­ber fol­gen müs­sen. Des­halb sind wir sehr froh, dass wir unab­hän­gig sind.

Herz­li­chen Dank, Milica!

klik­Ak­tiv ist eine ser­bi­sche NGO mit Sitz in Bel­grad. Das Team bie­tet kos­ten­lo­se und unab­hän­gi­ge Rechts­be­ra­tung und psy­cho­so­zia­le Unter­stüt­zung für Schutz­su­chen­de in Ser­bi­en an. Das Team fährt regel­mä­ßig an die ser­bi­schen EU-Gren­zen und doku­men­tiert dort die men­schen­recht­li­che Situa­ti­on von Schutz­su­chen­den. Seit 2021 wird die Orga­ni­sa­ti­on durch die Stif­tung PRO ASYL unterstützt.

(Inter­view: mk)