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Drei Asylsuchende aus Somalia haben mit Unterstützung von PRO ASYL vor dem Verwaltungsgericht Berlin gegen ihre Zurückweisung an der deutsch-polnischen Grenze geklagt – und Recht bekommen. Das Gericht hält die Zurückweisung von Asylsuchenden an einer EU-Binnengrenze für europarechtswidrig, eine Notlage bestehe nicht. Eine ausführliche Darstellung.

Die drei gleich­zei­tig ergan­ge­nen Ent­schei­dun­gen des Ver­wal­tungs­ge­richts Ber­lins am 2. Juni 2025 waren ein Pau­ken­schlag: Die neue Zurück­wei­sungs­pra­xis wur­de ein­deu­tig als rechts­wid­rig bewertet.

Die Zurück­wei­sun­gen von Asyl­su­chen­den an deut­schen Bin­nen­gren­zen sind wohl das ers­te Groß­pro­jekt der neu­en Bun­des­re­gie­rung. Schon im Wahl­kampf hat­te Fried­rich Merz ange­kün­digt, ab Tag Eins sei­ner Kanz­ler­schaft die deut­schen EU-Bin­nen­gren­zen schlie­ßen zu wol­len und auch schutz­su­chen­de Men­schen abzu­wei­sen. Dabei ist genau das ein­deu­tig euro­pa­rechts­wid­rig. Bun­des­in­nen­mi­nis­ter Alex­an­der Dob­rindt setz­te die­ses Vor­ha­ben dann am Tag nach sei­nem Amts­an­tritt auch um: In einer Anwei­sung an die Bun­des­po­li­zei vom 7. Mai 2025 weist er die­se an, von nun auch Asyl­su­chen­de an den deut­schen Bin­nen­gren­zen zurück­zu­wei­sen. Gel­ten­des Euro­pa­recht wur­de in dem Schrei­ben noch nicht ein­mal erwähnt.

Ein Team von PRO ASYL war unmit­tel­bar nach der Anwei­sung von Bun­des­in­nen­mi­nis­ter Dob­rindt an die deutsch-pol­ni­sche Gren­ze gereist. Vor Ort tra­fen sie auf mehr­fach zurück­ge­wie­se­ne Schutz­su­chen­de – unter ihnen eine 16-Jäh­ri­ge aus Soma­lia, die sich auf­grund ihrer Ver­let­zun­gen kaum noch fort­be­we­gen konn­te. Drei­mal wur­de sie trotz ihrer Min­der­jäh­rig­keit und ihres kri­ti­schen Gesund­heits­zu­stands von deut­schen Grenzbeamt*innen abge­wie­sen. Gemein­sam mit pol­ni­schen Part­ner­or­ga­ni­sa­tio­nen sorg­te PRO ASYL für ihre medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung, Unter­brin­gung und recht­li­che Ver­tre­tung in Polen und Deutschland.

Am 9. Mai stell­ten das Mäd­chen und zwei jun­ge Män­ner aus Soma­lia erneut, am Grenz­über­gang in Frankfurt/Oder, einen Asyl­an­trag. Die Ver­let­zun­gen waren wei­ter­hin sicht­bar und die Min­der­jäh­rig­keit des Mäd­chens wur­de ange­führt. Trotz­dem wur­den sie erneut zurück­ge­wie­sen. Dage­gen stell­te eine Rechts­an­wäl­tin für sie am 14. Mai einen Eil­an­trag. PRO ASYL unter­stützt die Kla­gen über den PRO ASYL-Rechtshilfefonds.

Verwaltungsgericht Berlin: Die Zurückweisungen waren rechtswidrig!

Nach fast drei Wochen ent­schied das Ver­wal­tungs­ge­richt Ber­lin am 2. Juni 2025 im Eil­ver­fah­ren: Mit einer einst­wei­li­gen Anord­nung ver­pflich­ten die Richter*innen die Bun­des­re­pu­blik, den drei Kläger*innen den Grenz­über­tritt zu gestat­ten und ein soge­nann­tes Dub­lin-Ver­fah­ren zur Bestim­mung des für das Asyl­ver­fah­ren zustän­di­gen Mit­glied­staa­tes durch­zu­füh­ren. Auf­grund der beson­de­ren Bedeu­tung waren die Ver­fah­ren von einer Ein­zel­rich­te­rin an die Kam­mer (drei Richter*innen) zur Ent­schei­dung gege­ben worden.

Um die Zurück­wei­sung zu recht­fer­ti­gen, hat­te die Bun­des­po­li­zei – als Ver­tre­tung der Bun­des­re­pu­blik in dem Gerichts­ver­fah­ren – sich auf § 18 Abs. 2 Asyl­ge­setz und den Arti­kel 72 des Ver­trags über die Arbeits­wei­se der Euro­päi­schen Uni­on (AEUV) beru­fen. Bei­des wur­de vom Gericht zurückgewiesen.

EU-Recht geht eindeutig vor: Dublin-Verordnung muss befolgt werden

Wie in der Anwei­sung ihres Dienst­herrn, Bun­des­in­nen­mi­nis­ter Dob­rindt, hat die Bun­des­po­li­zei vor Gericht argu­men­tiert, dass sie ent­spre­chend § 18 Abs. 2 Asyl­ge­setz an deut­schen Bin­nen­gren­zen auch Asyl­su­chen­de zurück­wei­sen dür­fe. Die Kam­mer des Ver­wal­tungs­ge­richts Ber­lin über­zeugt dies jedoch nicht, da die­se Vor­schrift »[…] auf­grund ihres Anwen­dungs­vor­rangs vor­ge­hen­den uni­ons­recht­li­chen Rege­lun­gen der Dub­lin-III-Ver­ord­nung ver­drängt [wird] […]“ (Sei­te 9, sie­he ver­link­te Entscheidung).

Die­se Bewer­tung durch das Gericht ist nicht über­ra­schend, son­dern seit Jah­ren herr­schen­de Rechts­mei­nung, wes­halb die Regie­rungs­plä­ne zu den Zurück­wei­sun­gen von Anfang an von vie­len Expert*innen als rechts­wid­rig kri­ti­siert wurden.

»Die Dub­lin-III-Ver­ord­nung erlaubt kei­ne Zurück­wei­sung ohne Durch­füh­rung des dar­in gere­gel­ten voll­stän­di­gen Ver­fah­rens zur Bestim­mung des zustän­di­gen Mitgliedstaates«

Wei­ter stellt das Gericht fest: »Die Dub­lin-III-Ver­ord­nung erlaubt kei­ne Zurück­wei­sung ohne Durch­füh­rung des dar­in gere­gel­ten voll­stän­di­gen Ver­fah­rens zur Bestim­mung des zustän­di­gen Mit­glied­staa­tes« (Sei­te 13). Die­ses Ver­fah­ren sehe unter ande­rem auch Ver­fah­rens­rech­te wie das Recht auf Infor­ma­ti­on und per­sön­li­che Anhö­rung sowie zusätz­li­che Garan­tien für Min­der­jäh­ri­ge vor. »Anlie­gen des Dub­lin-Sys­tems ist, eine soge­nann­te ‚refu­gee in orbit‘-Situation zu ver­mie­den, in der sich kein Mit­glied­staat für die sach­li­che Prü­fung des Asyl­an­trags als zustän­dig ansieht […]. Dar­aus ergibt sich als wesent­li­cher Grund­zug, dass kein Mit­glied­staat eine rein nega­ti­ve Zustän­dig­keits­ent­schei­dung tref­fen darf, son­dern stets die Zustän­dig­keit des ande­ren Staa­tes posi­tiv begrün­den muss, bevor ein Asyl­su­chen­der auf die Schutz­ge­wäh­rung durch einen ande­ren Mit­glied­staat ver­wie­sen wer­den kann. Antrag­stel­ler haben in die­sem Ver­fah­ren ein Recht auf eine recht­lich rich­ti­ge Zustän­dig­keits­be­stim­mung sowie dar­auf, die­se gericht­lich voll über­prü­fen zu las­sen […]. Im Übri­gen beruht das Dub­lin-Sys­tem auf dem Kon­sens­prin­zip, sodass eine Zurück­wei­sung an der Gren­ze nur dann erfol­gen kann, wenn ein ande­rer Mit­glied­staat zustän­dig ist und der Über­nah­me der Per­son zuge­stimmt hat […]« (Sei­te 13). All dies sei nicht pas­siert. Weder sei ein Dub­lin-Ver­fah­ren ein­ge­lei­tet wor­den noch über­haupt geprüft, ob Polen der zustän­di­ge Mit­glied­staat sei.

Weder Absprachen mit Nachbarländern noch Rechtsverstöße anderer setzen die Dublin-VO außer Kraft

Im Zuge der Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen wur­de zwi­schen Uni­on und SPD dar­über gestrit­ten, was es bedeu­tet, dass die Zurück­wei­sun­gen »in Abstim­mung« mit den Nach­bar­staa­ten erfol­gen sol­len. Doch auch hier­zu trifft das Gericht eine ein­deu­ti­ge Aus­sa­ge: »Die Gel­tung der Dub­lin-III-Ver­ord­nung und die damit ver­bun­de­nen Pflich­ten las­sen sich nicht durch bila­te­ra­le Ver­ein­ba­run­gen abbe­din­gen. Es han­delt sich um eine vom euro­päi­schen Gesetz­ge­ber in Kraft gesetz­te Ver­ord­nung, die nicht zur Dis­po­si­ti­on ein­zel­ner Mit­glied­staa­ten steht« (Sei­te 14).

Abschlie­ßend wei­sen die Richter*innen auf das von der Bun­des­po­li­zei vor­ge­tra­ge­ne – und im poli­ti­schen Dis­kurs oft ver­wen­de­te – Argu­ment der angeb­li­chen Dys­funk­tio­na­li­tät des aktu­el­len euro­päi­schen Rechts zurück. So habe der Gerichts­hof der Euro­päi­schen Uni­on schon ein­deu­tig fest­ge­stellt, dass auch eine sehr gro­ße Anzahl von Asyl­su­chen­den zu kei­ner Sus­pen­die­rung der Zustän­dig­keits­re­geln der Dub­lin-III-Ver­ord­nung füh­re. Außer­dem sei­en »Rechts­ver­stö­ße ande­rer Mit­glied­staa­ten nach der Recht­spre­chung des Gerichts­hofs [EuGH, Anm. d. Red.] kei­ne Recht­fer­ti­gung für eige­nes uni­ons­rechts­wid­ri­ges Ver­hal­ten […]« (Sei­te 15).

Keine Notlage nach Artikel 72 AEUV

Zudem hat­te die Bun­des­po­li­zei argu­men­tiert, dass sie auf­grund von Arti­kel 72 AEUV die Dub­lin-Ver­ord­nung nicht anwen­den müs­se und die Zurück­wei­sung recht­mä­ßig sei. Unter stren­gen Vor­aus­set­zun­gen erlaubt die­ser Arti­kel, Rege­lun­gen des EU-Sekun­där­rechts (also Richt­li­ni­en und Ver­ord­nun­gen) zur Wah­rung der öffent­li­chen Ord­nung und den Schutz der inne­ren Sicher­heit in einem Mit­glied­staat aus­zu­set­zen (mehr dazu hier). Der Mit­glied­staat muss jedoch sehr gut begrün­den kön­nen, dass das gel­ten­de Recht zur Bewäl­ti­gung der Situa­ti­on nicht aus­reicht und dass die ergrif­fe­nen Maß­nah­men erfor­der­lich und ver­hält­nis­mä­ßig sind.

Das Gericht konn­te hier­von nicht über­zeugt wer­den. So fehlt es laut Ent­schei­dung schon an einer über­zeu­gen­den Dar­le­gung einer Gefahr für die öffent­li­che Ord­nung und Sicher­heit. Hier­für müss­te »[…] eine tat­säch­li­che, gegen­wär­ti­ge und hin­rei­chend erheb­li­che Gefahr [vor­lie­gen], die ein Grund­in­ter­es­se der Gesell­schaft berührt« (Sei­te 16). Um dies fest­zu­stel­len, müss­te eine Gesamt­be­trach­tung ange­stellt wer­den, in der alle rele­van­ten Umstän­de berück­sich­tigt werden.

Die Bun­des­po­li­zei hat­te ledig­lich die Zahl der Asy­l­erst­an­trä­ge im Jahr 2024 sowie der soge­nann­ten Euro­dac-Tref­fer – also Regis­trie­run­gen von zum Bei­spiel Fin­ger­ab­drü­cken in ande­ren Mit­glied­staa­ten – in Deutsch­land und im Ver­gleich zu ande­ren EU-Län­dern vor­ge­legt. Hier­zu hält das Gericht fest: »Es bleibt offen, was aus die­sen Zah­len genau für die öffent­li­che Ord­nung oder Sicher­heit der Bun­des­re­pu­blik folgt. Soweit die Antrags­geg­ne­rin damit eine Ver­nach­läs­si­gung der bestehen­den Pflich­ten sei­tens der ande­ren Mit­glied­staa­ten bele­gen will, führt dies allein nicht zu einer Rechts­fer­ti­gungs­mög­lich­keit aus Art. 72 AEUV. Es ist auch weder vor­ge­tra­gen noch ersicht­lich, dass sich aus die­sen Zah­len einer­seits eine Situa­ti­on ergibt, die für die deut­schen Behör­den nicht zu bewäl­ti­gen wäre und auf Grund derer die Funk­ti­ons­fä­hig­keit staat­li­cher Sys­te­me und Ein­rich­tun­gen akut gefähr­det wäre, und wie sich ande­rer­seits gera­de Zurück­wei­sun­gen an der Gren­ze auf die­se Situa­ti­on aus­wir­ken wür­de« (Sei­te 17).

Angebliche Instrumentalisierung der Betroffenen überzeugt auch nicht

Die Bun­des­po­li­zei hat zudem eine aus Sicht von PRO ASYL beson­ders pro­ble­ma­ti­sche Argu­men­ta­ti­on ver­sucht: Die Betrof­fe­nen sei­en – da sie über Bela­rus in die EU ein­reis­ten – von dem Dik­ta­tor Lukaschen­ko instru­men­ta­li­siert wor­den. Des­we­gen dürf­ten Mit­glied­staa­ten in bestimm­ten Fäl­len das euro­päi­sche Recht aus­set­zen, das habe auch die Euro­päi­sche Kom­mis­si­on so fest­ge­stellt. Damit bezieht sich die Bun­des­po­li­zei auf eine Mit­tei­lung der Euro­päi­schen Kom­mis­si­on vom Dezem­ber 2024, die PRO ASYL damals schon scharf kri­ti­sier­te. Denn es war schon damals abseh­bar, dass sie Mit­glied­staa­ten wie Polen für Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen an den Außen­gren­zen den Rücken stär­ken wür­de. Prompt setz­te Polen seit Ende März 2025 auch für 60 Tage das Asyl­recht an der Gren­ze zu Bela­rus aus. Neu ist aber, dass auch die Bun­des­re­gie­rung sich auf die­se Argu­men­ta­ti­on stützt.

Das Gericht lässt dies im Ver­fah­ren nicht gel­ten: »Zum einen ist die Euro­päi­sche Kom­mis­si­on nicht dafür zustän­dig, den Mit­glied­staa­ten nach Art. 72 AEUV die Erlaub­nis zur Sus­pen­die­rung des Sekun­där­rechts zu ertei­len. Mit­tei­lun­gen der EU-Kom­mis­si­on sind gene­rell nicht rechts­ver­bind­lich, son­dern die­nen zuvor­derst der poli­ti­schen Kom­mu­ni­ka­ti­on […]. Zum ande­ren bezieht sich die genann­te Mit­tei­lung in ers­ter Linie auf den Schutz der Außen­gren­zen der Euro­päi­schen Uni­on. Nur unter beson­de­ren Umstän­den ist eine Anwen­dung auch für Bin­nen­gren­zen recht­fer­tig­bar […]. Sol­che Umstän­de sind hier weder sei­tens der Antrags­geg­ne­rin vor­ge­tra­gen noch sonst erkenn­bar.« (Sei­te 18 und 19).

Gesamtbewertung: Zurückweisungen sind rechtswidrig

Inter­es­san­ter­wei­se zieht das Gericht auch in Zwei­fel, ob eine Beru­fung auf die Not­klau­sel nicht auch an der man­geln­den Abspra­che mit Polen und der EU schei­tern wür­de. Denn in der EU gilt der Grund­satz der loya­len Zusam­men­ar­beit. Wenn Pro­ble­me zum Bei­spiel im Asyl­sys­tem und den Zustän­dig­keits­re­geln der Dub­lin-Ver­ord­nung fest­ge­stellt wer­den wür­den, dann soll­ten die EU-Insti­tu­tio­nen und die betrof­fe­nen Mit­glied­staa­ten gemein­sam nach einer Lösung suchen.

Ins­ge­samt sind ange­sichts der recht­li­chen Wür­di­gung des Gerichts die Zurück­wei­sun­gen von Schutz­su­chen­den an den deut­schen Bin­nen­gren­zen also rechtswidrig.

Grenzübertritt muss gestattet werden – aber nicht die Einreise?

Damit stellt sich die Fra­ge, was das kon­kret für die Betrof­fe­nen bedeu­tet. Die har­ren schließ­lich seit unge­fähr drei Wochen auf pol­ni­scher Sei­te aus. Im Rah­men des Eil­ver­fah­rens geht es dar­um, den recht­mä­ßi­gen Zustand vor dem Zeit­punkt des rechts­wid­ri­gen Han­delns wie­der her­zu­stel­len. Das heißt laut dem Gericht kon­kret, dass ihnen der Grenz­über­tritt gestat­tet wer­den muss – die­ser war vor drei Wochen noch ver­wei­gert wor­den. Zudem steht ihnen zu, dass im Rah­men der Dub­lin-Ver­ord­nung geklärt wird, wel­cher Mit­glied­staat für ihr Asyl­ver­fah­ren zustän­dig ist.

Die Kläger*innen hat­ten aber auch dar­auf geklagt, dass ihnen die Ein­rei­se gestat­tet wird. Recht­lich gese­hen gibt es hier einen Unter­schied: Man kann sich fak­tisch auf dem Ter­ri­to­ri­um eines Staa­tes befin­den, aber recht­lich als nicht-ein­ge­reist gel­ten. Dies nennt sich Fik­ti­on der Nicht-Ein­rei­se. Es ist jedoch umstrit­ten, ob dies euro­pa­recht­lich auch für Bin­nen­gren­zen inner­halb der EU funk­tio­niert, da die Per­so­nen sich schon inner­halb des Schen­gen-Raums bewegt haben. Denn erneut wird an die­ser Stel­le das deut­sche Recht euro­pä­isch über­la­gert (hier vom Schen­ge­ner Grenz­ko­dex, vgl. Huber/Mantel, § 13 AufenthG).

Das Ver­wal­tungs­ge­richt prüft aus­führ­lich, ob es im euro­päi­schen oder natio­na­len Recht eine Anspruchs­grund­la­ge für die Ein­rei­se zu die­sem Zeit­punkt gibt – und ver­neint dies. Das wäre zum Bei­spiel erst der Fall, wenn Deutsch­land als für das Asyl­ver­fah­ren zustän­di­ger Mit­glied­staat fest­ge­stellt wor­den wäre. Es wäre – so das Gericht – recht­lich mög­lich, das Dub­lin-Ver­fah­ren noch vor der Ein­rei­se und der Wei­ter­lei­tung der Betrof­fe­nen an die Erst­auf­nah­me­ein­rich­tung an der Gren­ze durch­zu­füh­ren. Ob dies aller­dings prak­tisch umsetz­bar sei – schließ­lich müs­sen Ver­fah­rens­ga­ran­tien wie Dol­met­schung ein­ge­hal­ten und ange­mes­se­ne Unter­brin­gung zur Ver­fü­gung gestellt wer­den – las­sen die Richter*innen offen.

Bis­her gibt es aber sol­che Ein­rich­tun­gen nicht an deut­schen Gren­zen. Das heißt, dass die Betrof­fe­nen letzt­lich ein­rei­sen dür­fen und zu einer Erst­auf­nah­me­ein­rich­tung gebracht wer­den, nach­dem sie ihren Asyl­an­trag an der Gren­ze gestellt haben.

Entscheidungen im Eilverfahren mit Signalwirkung

Die drei gleich­zei­tig ergan­ge­nen Ent­schei­dun­gen des Ver­wal­tungs­ge­richts Ber­lins am 2. Juni 2025 waren ein Pau­ken­schlag: Die neue Zurück­wei­sungs­pra­xis wur­de ein­deu­tig als rechts­wid­rig bewer­tet. Auch Bun­des­in­nen­mi­nis­ter Dob­rindt sah sich zur Kom­men­tie­rung gezwun­gen und stell­te sich noch am Mon­tag­abend vor die Kame­ras. Doch von sei­nem Kurs will er nicht abrü­cken. Statt­des­sen argu­men­tier­te er, dass dies nur Ein­zel­fall­ent­schei­dun­gen sei­en und nun die Ent­schei­dung in der Haupt­sa­che abge­war­tet wer­den würden.

Es ist für den Rechts­staat in Deutsch­land höchst alar­mie­rend, dass die Bun­des­re­gie­rung trotz der Ent­schei­dun­gen des Ver­wal­tungs­ge­richts Ber­lin wei­ter sehen­den Auges Recht bre­chen will. Für PRO ASYL ist klar: Die Zurück­wei­sun­gen müs­sen aufhören!

Dies ist jedoch dop­pelt pro­ble­ma­tisch: Zum einen hat sich für die Betrof­fe­nen mit der Ein­rei­se und dem Dub­lin-Ver­fah­ren die Kla­ge inhalt­lich erle­digt. Das Gericht hat­te ja auch nur die Ent­schei­dung im Eil­ver­fah­ren schon so deut­lich getrof­fen, da sie auch in der Haupt­sa­che die Rechts­wid­rig­keit mit hoher Wahr­schein­lich­keit fest­stel­len wür­den. Zum ande­ren sind sol­che Kla­gen immer Ein­zel­fall­ent­schei­dun­gen, da nur Ein­zel­per­so­nen kla­gen dür­fen. Eine grund­sätz­li­che Kla­ge gegen rechts­wid­ri­ge Geset­ze oder Anwei­sun­gen gibt es in Deutsch­land nicht.

Ent­spre­chend haben die­se Ent­schei­dun­gen klar Signal­wir­kung und spie­geln auch die herr­schen­de Rechts­mei­nung wider. Es ist Auf­ga­be der Bun­des­re­gie­rung, sich rechts­kon­form zu ver­hal­ten – nicht die Auf­ga­be der Betrof­fe­nen, die Bun­des­re­gie­rung durch Kla­gen zur Ein­hal­tung von Euro­pa­recht zu zwin­gen. Es ist für den Rechts­staat in Deutsch­land höchst alar­mie­rend, dass die Bun­des­re­gie­rung trotz der Ent­schei­dun­gen des Ver­wal­tungs­ge­richts Ber­lin wei­ter sehen­den Auges Recht bre­chen will. Für PRO ASYL ist klar: Die Zurück­wei­sun­gen müs­sen aufhören!

(wj)