30.01.2025
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Kundgebung am 29.01.2025 vor der CDU Parteizentrale. Foto: Livia Giuliani

Zum ersten Mal wurde am 29.1. ein Antrag mit Stimmen der AfD im Bundestag angenommen. Die CDU nahm dies bewusst in Kauf, um sich mit scharfen Asylforderungen zu profilieren. Jetzt droht der nächste Akt: Am Freitag steht ein Gesetzentwurf der CDU zur Abstimmung, der die Abschaffung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte vorsieht.

Deutsch­land ist in einer tie­fen poli­ti­schen Kri­se: Zum ers­ten Mal wur­de im Bun­des­tag ein Antrag mit den Stim­men der rechts­extre­men Par­tei AfD ange­nom­men. Nicht zufäl­lig ging es dabei um mas­si­ve Ver­schär­fun­gen in Asyl­fra­gen. Den Antrag zu einem Fünf-Punk­te-Plan hat­te CDU-Kanz­ler­kan­di­dat Fried­rich Merz mit sei­ner Frak­ti­on gestellt – wohl wis­send, dass die not­wen­di­ge Mehr­heit nur mit der AfD zu bekom­men war – die die Mehr­heit für den Fünf-Punk­te-Plan dann auch als ein­zi­ge beklatsch­te und den Erfolg für sich reklamierte.

Die demo­kra­ti­sche Brand­mau­er, also das kon­se­quen­te Nicht-Zusam­men­ar­bei­ten mit Rechts­extre­men, ist damit im Bun­des­tag gefal­len. Neben der CDU und AfD stimm­ten auch Abge­ord­ne­te der FDP sowie frak­ti­ons­lo­se Abge­ord­ne­te für den Antrag. Letzt­lich haben vier Stim­men den Aus­schlag gegeben.

Die demo­kra­ti­sche Brand­mau­er, also das kon­se­quen­te Nicht-Zusam­men­ar­bei­ten mit Rechts­extre­men, ist damit im Bun­des­tag gefallen.

Die Reak­tio­nen sind ent­spre­chend: Der Holo­caust-Über­le­ben­der Albrecht Wein­berg gab sei­nen Bun­des­ver­dienst­or­den zurück, selbst Ex-Bun­des­kanz­le­rin Ange­la Mer­kel übte öffent­lich Kri­tik an ihrem Nach­fol­ger Merz als CDU-Chef. PRO ASYL pro­tes­tier­te mit vie­len Men­schen spon­tan am sel­ben Abend vor der CDU-Par­tei­zen­tra­le in Ber­lin. Hier­bei mach­te PRO ASYL gemein­sam mit der Kin­der­rechts­or­ga­ni­sa­ti­on Terre des Hom­mes beson­ders auf die geplan­te Abschaf­fung des Fami­li­en­nach­zugs für Bür­ger­kriegs­flücht­lin­ge (soge­nann­te sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­te) aufmerksam.

Nächste Entscheidung: Abstimmung über den Familiennachzug

Denn es geht noch wei­ter: Am Frei­tag (31. Janu­ar 2025) ste­hen zwei Gesetz­ent­wür­fe der CDU zur Abstim­mung, und zum zwei­ten Mal könn­te mit den Stim­men den Rechts­extre­men eine Mehr­heit im Bun­des­tag ent­ste­hen. Mit einem der Geset­ze – mit dem schreck­li­chen Namen Zustrom­be­gren­zungs­ge­setz – soll der Fami­li­en­nach­zug zu sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­ten kom­plett abge­schafft werden.

Sub­si­diä­rer Schutz wird Geflüch­te­ten zuer­kannt, denen im Her­kunfts­land ein »ernst­haf­ter Scha­den« droht, weil sie Opfer eines Bür­ger­kriegs sind oder weil sie in Gefahr sind, Opfer von Todes­stra­fe oder Fol­ter zu wer­den. Dies trifft eine gro­ße Grup­pe von Geflüch­te­ten in Deutsch­land: Mit­te 2024 leb­ten 351.000 Men­schen mit sub­si­diä­rem Schutz in Deutsch­land. Dar­un­ter sind beson­ders vie­le syri­sche Staats­an­ge­hö­ri­ge, aber auch Men­schen aus Afgha­ni­stan, dem Irak, Eri­trea oder ande­ren Län­dern. Mehr als die Hälf­te von ihnen lebt bereits seit mehr als sechs Jah­ren in Deutsch­land – also alles ande­re als vor­über­ge­hend, wie zum Teil in der Debat­te sug­ge­riert wird.

UPDATE 31.01.2025: Die CDU konn­te bei der Abstim­mung trotz Zustim­mung der AfD kei­ne Mehr­heit für den Geset­zes­ent­wurf hin­ter sich brin­gen. Somit wur­de der Ent­wurf abge­lehnt. Dies war mög­lich, da eini­ge Abge­ord­ne­te von CDU und FDP ent­ge­gen ihrer Par­tei­li­nie nicht für den Geset­zes­ent­wurf stimmten.

Familiennachzug als Spielball politischer Interessen

Schon mehr­mals war der Fami­li­en­nach­zug zu sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­ten The­ma poli­ti­scher Aus­ein­an­der­set­zun­gen. Bis März 2016 waren sie recht­lich mit Flücht­lin­gen gleich­ge­stellt. Aus gutem Grund, denn häu­fig sind sie aus den glei­chen Län­dern geflo­hen und kön­nen nicht sicher mit ihren Fami­li­en im Her­kunfts­land leben.

Ab März 2016 hat­te die dama­li­ge Gro­ße Koali­ti­on von CDU/CSU und SPD den Fami­li­en­nach­zug für sie für zwei Jah­re aus­ge­setzt. Zeit­gleich hat­te das Bun­des­amt für Asyl und Flücht­lin­ge (BAMF) begon­nen, immer mehr Asyl­su­chen­den, ins­be­son­de­re aus Syri­en, nicht mehr den Flücht­lings­schutz, son­dern nur noch den sub­si­diä­ren Schutz zuzu­spre­chen. Damit waren von der Aus­set­zung viel mehr Per­so­nen betrof­fen, als in der poli­ti­schen Debat­te behauptet.

Eigent­lich hät­te die Aus­set­zung im März 2018 aus­lau­fen sol­len. Doch nach hef­ti­gen Aus­ein­an­der­set­zun­gen einig­te man sich in der Gro­ßen Koali­ti­on im Juli 2018 auf das Gesetz, das bis heu­te gül­tig ist: Monat­lich kön­nen bis zu 1.000 Visa für den Fami­li­en­nach­zug der Ehe­gat­ten und min­der­jäh­ri­gen Kin­der – oder Eltern bei unbe­glei­te­ten Min­der­jäh­ri­gen – zu sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­ten erteilt wer­den. Das Ver­spre­chen der Ampel­ko­ali­ti­on, die­se Dis­kri­mi­nie­rung zu been­den und Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung zu sub­si­di­är Geschütz­ten mit den GFK-Flücht­lin­gen (Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on) gleich­zu­stel­len, wur­de nicht eingelöst.

Auch das Grund­ge­setz schützt Ehe und Fami­lie: Gemäß Arti­kel 6 Absatz 1 Grund­ge­setz (GG) ste­hen Ehe und Fami­lie unter dem beson­de­ren Schutz der staat­li­chen Ordnung.

Verbot des Familiennachzugs ist menschenrechtswidrig

Die Euro­päi­sche Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on (Arti­kel 8) garan­tiert das Recht auf Ach­tung des Fami­li­en­le­bens. Ein gene­rel­les Ver­bot wür­de die­ses Recht ver­let­zen. Die UN-Kin­der­rechts­kon­ven­ti­on (Arti­kel 10) ver­pflich­tet Staa­ten, Anträ­ge auf Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung human und beschleu­nigt zu behan­deln. Ein Ver­bot wür­de dem Kin­des­wohl widersprechen.

Auch das Grund­ge­setz schützt Ehe und Fami­lie: Gemäß Arti­kel 6 Absatz 1 Grund­ge­setz (GG) ste­hen Ehe und Fami­lie unter dem beson­de­ren Schutz der staat­li­chen Ord­nung. Dies ver­pflich­tet den Staat aber dazu, die fami­liä­ren Belan­ge in einer Abwä­gung ange­mes­sen zu berück­sich­ti­gen. Je län­ger die Tren­nung dau­ert und je unvor­her­seh­ba­rer ein Ende ist, des­to höher müs­sen die fami­liä­ren Belan­ge bewer­tet wer­den. Ein kom­plet­ter Aus­schluss des Fami­li­en­nach­zugs ist daher ver­fas­sungs­wid­rig. Da es Men­schen mit sub­si­diä­ren Schutz in der Regel nicht mög­lich ist, in einem ande­ren Land sicher mit ihrer Fami­lie zu leben, ist Deutsch­land dazu ver­pflich­tet, die Fami­li­en­ein­heit hier­zu­lan­de zu ermög­li­chen (sie­he hier­zu ein aus­führ­li­ches Rechts­gut­ach­ten von PRO ASYL und JUMEN).

Verhinderung des Familiennachzugs ist dramatisch

Krie­ge und Dik­ta­tu­ren hal­ten sich meist über vie­le Jah­re, die meis­ten der sub­si­di­är Geschütz­ten blei­ben dau­er­haft in Deutsch­land. Sie bau­en sich in die­ser Zeit ein Leben auf, wer­den berufs­tä­tig, Kin­der gehen in die Schu­le. Mehr als die Hälf­te der sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­ten lebt seit mehr als sechs Jah­ren in Deutsch­land. Ihr Auf­ent­halt ist nicht vor­über­ge­hend, son­dern oft für immer.

Eine Abschaf­fung der Mög­lich­keit eines Fami­li­en­nach­zugs, der ohne­hin nur sehr ein­ge­schränkt und nach einem lang­wie­ri­gen Ver­fah­ren mög­lich ist, hat gra­vie­ren­de sozia­le Fol­gen für die per­sön­li­che Situa­ti­on von Geflüch­te­ten und damit auch für ihre Inte­gra­ti­on in die Gesellschaft.

Für die psy­chi­sche Gesund­heit von Geflüch­te­ten und damit auch für ihre Mög­lich­kei­ten, sich zu inte­grie­ren, ist der Nach­zug der Fami­lie unverzichtbar.

Familiennachzug: Einer der wenigen sicheren Fluchtwege

Für die psy­chi­sche Gesund­heit von Geflüch­te­ten und damit auch für ihre Mög­lich­kei­ten, sich zu inte­grie­ren, ist der Nach­zug der Fami­lie unver­zicht­bar. Dies bele­gen Stu­di­en, aber es ist auch leicht nach­zu­füh­len, dass es schwer ist, sich auf deut­sche Voka­beln oder eine Aus­bil­dung zu kon­zen­trie­ren, wenn Ehe­part­ner und Kin­der im Her­kunfts­land zurück­blei­ben müs­sen. Schon jetzt belas­tet es vie­le in Deutsch­land Schutz­be­rech­tig­te, dass der Fami­li­en­nach­zug aktu­ell oft Jah­re dauert.

Der Fami­li­en­nach­zug ist auch einer der weni­gen siche­ren Zugangs­we­ge nach Deutsch­land über­haupt. Wenn die­ser ver­schlos­sen wird, dann müs­sen auch die Kin­der oder Ehepartner*innen von Men­schen, die hier bereits Schutz bekom­men haben, in Boo­te oder Last­wa­gen stei­gen, um zu ihren Ange­hö­ri­gen nach Deutsch­land zu kommen.

Wohl vorerst kein Gesetz – aber was passiert nach der Wahl?

Der Gesetz­ent­wurf der CDU/CSU sieht kei­ne Über­gangs­frist vor und wür­de damit auch all jene tref­fen, die seit lan­gem auf den Fami­li­en­nach­zug ihrer engs­ten Ange­hö­ri­gen hof­fen und der­zeit auf einen Ter­min zur Antrag­stel­lung oder die Ent­schei­dung des Visums­an­trags war­ten. Da der Gesetz­ent­wurf neben der Abschaf­fung des Fami­li­en­nach­zugs auch erwei­ter­te Befug­nis­se für die Bun­des­po­li­zei zur Durch­füh­rung von Abschie­bun­gen ent­hält, ist das Gesetz zustim­mungs­pflich­tig. Das heißt, auch wenn im Bun­des­tag eine Mehr­heit ent­steht, muss der Gesetz­ent­wurf noch in den Bun­des­rat, wo eine Mehr­heit unwahr­schein­lich ist. Außer­dem müss­te zunächst eine Eil­be­dürf­tig­keit fest­ge­stellt wer­den, damit der Bun­des­rat über­haupt in die­ser Legis­la­tur noch über das Gesetz berät.

Die Abstim­mung ist damit pri­mär ein gefähr­li­ches wahl­tak­ti­sches Manö­ver von Fried­rich Merz, das aber der Demo­kra­tie auf­grund der Zusam­men­ar­beit mit Rechts­extre­men mas­siv scha­det. Es wirft aber auch einen Schat­ten dar­auf vor­aus, wel­che Geset­ze unter einer von Merz geführ­ten Regie­rung zu erwar­ten sein kön­nen. Die Bun­des­tags­wahl am 23. Febru­ar 2025 wird damit nicht nur zur Schick­sals­wahl für die Demo­kra­tie, son­dern auch ganz kon­kret für das Fami­li­en­le­ben von Tau­sen­den Menschen.

(jb/wj)