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Rumänien missbraucht Rückübernahmeabkommen: Dublin-Fällen droht Kettenabschiebung nach Serbien

An der rumänisch-serbischen Grenze sind rechtswidrige Zurückweisungen Alltag. KlikAktiv, der serbische PRO ASYL-Kooperationspartner, dokumentiert, dass Rumänien dafür auch das Rückübernahmeabkommen zwischen der EU und Serbien missbraucht. Asylsuchenden, die unter der Dublin-Verordnung nach Rumänien abgeschoben werden, droht die Kettenabschiebung.
Serbien ist ein zentrales Transitland für Schutzsuchende. Ein Großteil von ihnen kommt laut UNHCR aus Syrien und Afghanistan. Wenn sie Serbien erreichen, haben sie bereits eine Odyssee hinter sich. Sie haben die Grenzanlagen Griechenlands oder Bulgariens überwunden und mussten angesichts der dortigen menschenunwürdigen Aufnahmebedingungen weiterfliehen.
Zwischen den Schutzsuchenden in Serbien und ihren Zielländern wie Deutschland liegt die Balkanroute, die durch Gesetzesverschärfungen, Grenzzäune und gewaltvolle Pushbacks sukzessive geschlossen werden soll – und damit immer gefährlicher für Schutzsuchende wird. Egal ob Ungarn, Kroatien oder Rumänien – überall stoßen Schutzsuchende auf Gewalt und rechtswidrige Zurückweisungen.
Bericht: Missbräuchliche Anwendung von Rückübernahmeabkommen versperrt Zugang zum Asylverfahren in Rumänien
In dem Bericht »Illegal Push Backs From Romania to Serbia« vom Februar 2022 hatte KlikAktiv die Abriegelung der Grenze zwischen Serbien und Rumänien durch Pushbacks der rumänischen Polizei dokumentiert. Asylgesuche werden durch rumänische Einheiten in der Regel ignoriert – ein klarer Verstoß gegen internationales Recht. Schutzsuchende werden häufig gewaltsam über die »grüne Grenze« nach Serbien zurückgeschickt.
Zeitgleich berichteten Schutzsuchende KlikAktiv von einer weiteren Praxis: Unter Rückgriff auf ein EU-Rückübernahmeabkommen werden Asylsuchende von Kroatien, Ungarn und Rumänien nach Serbien abgeschoben. Diesen Missbrauch des Rückübernahmeabkommens dokumentiert KlikAktiv nun für die rumänisch-serbische Grenze im neuen Bericht »‘Formalizing Pushbacks‘ – The use of readmission agreements in pushback operations at the Serbian-Romanian border« (dt. »‘Formalisierte Pushbacks’ – Die Nutzung von Rückübernahmeabkommen in Pushback Operationen an der serbisch-rumänischen Grenze«). Entlang von Fallbeispielen schildert die serbische NGO, wie Betroffenen der Zugang zum effektiven Asylverfahren in der EU versperrt bleibt und sie ohne jeden Schutz nach Serbien abgeschoben werden. Dieser Gefahr sind auch Schutzsuchende ausgesetzt, die im Rahmen der Dublin-III-Verordnung zum Beispiel von Deutschland aus nach Rumänien rücküberstellt werden. Sie drohen, Opfer einer Kettenabschiebung zu werden: von Deutschland nach Rumänien, dann nach Serbien, wo ihnen die Abschiebung ins Herkunftsland angedroht wird.
Bilder aus Majdan (Serbien), in der Nähe der rumänischen Grenze. Eine alte Milchfabrik dient als Unterkunft für Schutzsuchende. Fotos:klikAktiv
Ausnahmeklausel: Rückübernahmeabkommen zwischen der EU und Serbien gilt nicht für Schutzsuchende
Rückübernahmeabkommen werden in der Regel zwischen Staaten geschlossen, um die Rückführung von Personen ohne gültigen Aufenthaltsstatus zu erleichtern. Das Abkommen zwischen der EU und Serbien wurde 2007 unterzeichnet. Zusätzlich regelt ein Protokoll aus 2011 die spezifische Abwicklung zwischen Rumänien und Serbien. Das Abkommen gilt nicht nur für die jeweils eigenen Staatsbürger*innen, vielmehr verpflichten sich die Vertragspartner, auch die Rückübernahme von Drittstaatsangehörigen zu erleichtern. Artikel 3 des Abkommens verpflichtet Serbien dazu, alle Drittstaatsangehörige oder staatenlose Personen zurückzunehmen, die Rumänien ohne gültige Einreisedokumente erreicht haben und sich unmittelbar davor in Serbien aufgehalten haben oder durch Serbien gereist sind.
Entscheidend für den Umgang mit Schutzsuchenden ist jedoch die Ausnahmeklausel, Artikel 17 des Abkommens. Hier ist festgehalten, dass die Rechte von Personen, die internationalen Schutz ersuchen, von dem Abkommen unberührt bleiben. Auf sie darf das Abkommen nicht angewendet werden.
Dennoch dokumentierte KlikAktiv im Zeitraum von Juli 2020 und Mai 2022 Fälle von Schutzsuchenden, die auf Grundlage des Rückübernahmeabkommens von Rumänien nach Serbien abgeschoben wurden. Die meisten hatten keinen Zugang zum Asylverfahren in Rumänien. Selbst wenn eine Registrierung stattgefunden hatte und ein Asylverfahren in Rumänien eingeleitet wurde, fand ein effektives und faires Asylverfahren nicht statt, wie die Einzelfälle im Bericht verdeutlichen.
Das Team von KlikAktiv traf den damals 26-jährigen Afghanen Hazratullah im Juni 2021 im serbischen Sombor, wo er in verlassenen Zügen auf einem Abstellgleis schlief. Von Sombor aus führt eine Straße nach Kroatien, eine andere Abzweigung führt nach Ungarn. In dem Gespräch, das mit Hilfe eins Dolmetschers für Pashto geführt wurde, berichtete er, dass er am 20. März 2021 von Serbien aus nach Rumänien einreiste und keine zwei Monate später, am 14. Mai 2021, wieder nach Serbien überstellt wurde.
Die unvollständigen Unterlagen über sein Verfahren belegen das. Aus diesen geht hervor, dass er, anders als in den meisten Fällen, Zugang zum Asylverfahren in Rumänien hatte und im Rahmen des Rückübernahmeabkommens nach Serbien überstellt wurde.
Hazratullah erzählte, dass er nach dem Grenzübertritt nahe der Stadt Timișoara auf einen Polizisten traf. Nachdem Hazratullah sein Asylgesuch geäußert hatte, wurde er registriert und in einem Flüchtlingslager untergebracht. In seinem Asylinterview hatte er lediglich 20 Minuten, um glaubhaft zu schildern, warum er aus Afghanistan geflohen war, berichtete Hazratullah KlikAktiv und ergänzte, dass das zu kurz war, um alles zu erzählen. Zur Erinnerung: Zu diesem Zeitpunkt hatten die Taliban bereits weite Teile Afghanistans wieder unter ihre Kontrolle gebracht. Wenige Monate später eroberten sie die Landeshauptstadt Kabul.
Unterlagen ohne Übersetzung
Nach dem Interview erhielt Hazratullah mehrere Dokumente auf Rumänisch und ein Dokument auf Englisch. Diese Unterlagen sind für Hazratullah vollkommen unverständlich, da er keine der beiden Sprachen spricht und er keine rechtliche Beratung erhielt. KlikAktiv übersetzte das englische Dokument für ihn. Darin wird Hazratullah die Ablehnung seines Asylantrags im Schnellverfahren mitgeteilt und über die Klagemöglichkeit informiert. Weil ihm das Dokument nicht auf Pashto übersetzt wurde, konnte Hazratullah diese Möglichkeit jedoch nicht wahrnehmen. Wenig später wurde er nach Serbien überstellt.
In Serbien versuchte Hazratullah erfolglos, sein Asylgesuch zu registrieren und in einem Lager für Asylsuchende eine Unterkunft zu finden. Stattdessen erhielt er die Anweisung, Serbien wegen seiner illegalen Einreise zu verlassen. Eine Chance auf einen legalen Aufenthalt und Schutz in Serbien hat er nicht. Seither versucht er, die Balkanroute erneut zu passieren, um Schutz in einem anderen EU Land zu suchen. Allein an der Grenze zu Ungarn wurde er innerhalb von sechs Wochen fünf Mal zurückgewiesen.
Für Dublin-Rumänien-Fälle eine Gefahr: Kettenabschiebung nach Serbien
Das Rückübernahmeabkommen ist bis zu einem Jahr anwendbar, gezählt ab dem Tag, an dem die Behörden eines EU-Landes erfahren haben, dass die betreffende Person nicht oder nicht mehr die Voraussetzungen zur Einreise oder zum Aufenthalt erfüllt und über Serbien eingereist ist. Als Beleg genügen die Aussage der betroffenen Person, Zeugenaussagen oder Hinweise wie serbische Kassenzettel, Bustickets oder SIM Karten.
Das Team von KlikAktiv traf Schutzsuchende, die dieser rechtswidrigen Praxis nach ihrer Dublin-Abschiebung nach Rumänien zum Opfer gefallen sind: Sie waren über Serbien und Rumänien nach Belgien, Deutschland, Österreich oder in die Slowakei gelangt und hatten dort einen Asylantrag gestellt. Im Rahmen der Dublin-III-Verordnung wurden sie nach Rumänien rücküberstellt – und fanden sich am Ende in Serbien wieder.
Sie berichteten von ihrer unmittelbaren Inhaftierung nach ihrer Rücküberstellung nach Rumänien, von vergeblichen Versuchen, Asylanträge in Rumänien wiederaufzunehmen, von verdächtig kurzen Interviews, von fehlenden Informationen und schließlich der schnellen Abschiebung nach Serbien. Die analysierten Fälle belegen, dass es sich hierbei um rechtswidrige Abschiebungen auf Grundlage des Rückübernahmeabkommens handelt.
Ein Beispiel ist der 27-jährige Syrer Bader*: Das Team von KlikAktiv traf ihn im Mai 2021 in Sombor. Er ist zum zweiten Mal in Serbien, berichtete Bader. Bereits im Februar 2020 ist er dort gewesen, danach schaffte er es über Rumänien und Ungarn weiter nach Österreich. Er zeigte seine österreichische Asylverfahrenskarte und berichtete, dass er im März 2020 einen Asylantrag in Österreich gestellt hat.
Wenige Monate nach der Antragsstellung, im Juli 2020, wurde sein Asylantrag in Österreich als unzulässig abgelehnt und seine Rückkehr nach Rumänien auf Grundlage der Dublin-III-Verordnung angeordnet. In der KlikAktiv vorliegenden Entscheidung heißt es, dass Baders Asylantrag in Rumänien am 24. Februar 2020 registriert wurde und bereits am 31.März 2020 eingestellt wurde. Mehr als neun Monate nach dieser Entscheidung, Ende Januar 2021, wurde Bader nach Rumänien überstellt.
Dort gab es lediglich ein zehnminütiges Interview am Flughafen von Bukarest zu seinen Asylgründen, erzählte Bader. Rumänische Beamte fragten: »Warum hast du Syrien verlassen? Von wo aus hast du Rumänien im Februar 2020 erreicht?« Er bekam keine Gelegenheit, ausführlich zu seinen Fluchtgründen Stellung zu nehmen oder eine Rechtsberatung zu konsultieren. Nach dem Interview musste er zunächst für 14 Tage in Quarantäne, bevor er für sieben weitere Tage in Abschiebehaft kam. Am 18. Februar 2021, weniger als einen Monat nach seiner Dublin-Überstellung aus Österreich, wurde er serbischen Polizisten übergeben. Zurück in Serbien wird Bader der Zugang zum Asylverfahren verwehrt und die Abschiebung nach Syrien angedroht.
Kein Zugang zum Asylsystem und zur Unterbringung in Serbien
Ebenso wie Schutzsuchenden, die unmittelbar an der »grünen Grenze« zurückgewiesen und im Anschluss in Serbien aufgegriffen werden, sind auch Schutzsuchende, die unter Anwendung des Rückübernahmeabkommens nach Serbien abgeschoben werden, vom Asylsystem und den Unterbringungsstrukturen ausgeschlossen. Ihnen wird eine Rückkehrentscheidung ausgehändigt.
Bilder aus Srpski Krstur, einem Dorf in der Nähe der Grenzen zu Ungarn und Rumänien. Auch hier hilft klikAktiv vor Ort. Fotos:klikAktiv
KlikAktiv ordnet ein, das dieser Entscheidung zufolge Serbien unrechtmäßig betreten und innerhalb der nächsten 30 Tage verlassen werden muss. Andernfalls würde eine Abschiebung ins Herkunftsland eingeleitet. Diese Entscheidung verhindert, so KlikAktiv, dass Schutzsuchende wie Bader einen Asylantrag stellen können. Die Betroffenen sind damit auch von den offiziellen Asylunterkünften des serbischen Staates ausgeschlossen. Notdürftig kommen die meisten etwa in leerstehenden Häusern unter.
PRO ASYL fordert: Dublin Überstellungen nach Rumänien stoppen!
Indem das Rückübernahmeabkommen rechtswidrig auf Schutzsuchende angewendet wird, verwehren die betreffenden Länder diesen den Zugang zu einem effektiven Asylverfahren in der EU. Die missbräuchliche Anwendung des Rückübernahmeabkommens stellt den Versuch dar, die illegalen Zurückweisungen und Abschiebungen zu formalisieren.
Die von KlikAktiv gesammelten Fallbeispiele belegen, dass durch die Anwendung des Abkommens in Rumänien zentrale Verfahrensrechte missachtet werden und selbst Schutzsuchende aus Kriegs- und Konfliktländern wie Syrien und Afghanistan keinen effektiven Zugang zum Verfahren erhalten. Das betrifft sowohl Schutzsuchende, die unmittelbar aus Serbien einreisen als auch Asylsuchende, für deren Schutz sich Rumänien auf Grundlage der Dublin-III-Verordnung als zuständig erklärt hat. Letzteren droht die Kettenabschiebung ins nicht EU-Land Serbien, wo sie, ausgeschlossen von staatlicher Unterstützung, ums nackte Überleben kämpfen müssen.
KlikAktiv ist eine serbische NGO mit Sitz in Belgrad. Das Team bietet kostenlose und unabhängige Rechtsberatung und psychosoziale Unterstützung für Schutzsuchende in Serbien an. Das Team fährt regelmäßig an die serbischen EU-Grenzen und dokumentiert dort die menschenrechtliche Situation von Schutzsuchenden. Seit 2021 wird die Organisation durch die Stiftung PRO ASYL unterstützt.
*Name geändert
(mz/dm)