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Proteste gegen illegale Push-Backs an der polnisch-belarussischen Grenze. Foto: picture alliance / NurPhoto | STR

Den Worten nun Taten folgen lassen. Das fordern fünf europäische Menschenrechtsorganisationen von den Frauen und Männern, die in diesen Tagen den Koalitionsvertrag zu den Themen Flucht und Migration verhandeln. Ein Neuanfang in der deutschen und europäischen Flüchtlingspolitik ist dringend nötig, besonders an den Grenzen Europas.

In ihrem Son­die­rungs­pa­pier beken­nen sich SPD, Grü­ne und FDP zur »zur huma­ni­tä­ren Ver­ant­wor­tung, die sich aus dem Grund­ge­setz, aus der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on sowie der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on ergibt« und wol­len mit den euro­päi­schen Part­nern Anstren­gun­gen unter­neh­men, »das Ster­ben auf dem Mit­tel­meer genau­so wie das Leid an den euro­päi­schen Außen­gren­zen zu beenden«.

Schutz statt Abschottung

Die­sen Wor­ten müs­sen Taten fol­gen: Schutz statt Abschot­tung! Die fünf Orga­ni­sa­tio­nen – PRO ASYL, die grie­chi­sche Orga­ni­sa­ti­on Refu­gee Sup­port Aege­an (RSA), Cent­re for Peace Stu­dies aus Zagreb, Euro­pean Cen­ter for Con­sti­tu­tio­nal and Human Rights (ECCHR) und Euro­päi­sche Demo­kra­ti­sche Rechtsanwält_innen (EDA) – for­dern unter ande­rem: Bru­ta­le Push-backs an Euro­pas Gren­zen durch Län­der wie Polen, Kroa­ti­en und Grie­chen­land müs­sen nicht nur ver­bo­ten, son­dern auch geahn­det wer­den; Fron­tex-Ope­ra­tio­nen, bei denen Men­schen und Men­schen­rech­te ver­letzt wer­den, dür­fen nicht wei­ter finan­ziert werden. 

Zudem dür­fen die Täte­rin­nen und Täter nicht län­ger straf­los davon­kom­men. Die EU muss unab­hän­gi­ge Beob­ach­te­rin­nen und Beob­ach­ter finan­zie­ren, die direkt an den Gren­zen die Ein­hal­tung der Men­schen­rech­te über­wa­chen und Beweis­mit­tel sicher­stel­len dür­fen. Die­ser unab­hän­gi­ge und trans­pa­ren­te Men­schen­rechts­kon­troll­me­cha­nis­mus muss finan­zi­ell und per­so­nell gut aus­ge­stat­tet werden.

Völ­ker­rechts­wid­ri­ge Zurück­wei­sun­gen – soge­nann­te Push-Backs – Gewalt, unmensch­li­che Behand­lun­gen gehö­ren mitt­ler­wei­le zur Rea­li­tät an den Gren­zen Europas.

Demokratie ist in Gefahr 

Sol­che und ande­re Taten soll­ten die Koali­tio­nä­re auf ihre Wor­te im Son­die­rungs­pa­pier fol­gen las­sen. Denn die Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen an den Gren­zen in Kroa­ti­en, Polen, Grie­chen­land und anders­wo sind kei­ne Ein­zel­fäl­le, täg­lich wer­den euro­päi­sches Recht und Völ­ker­recht an den Außen­gren­zen miss­ach­tet. Die­ser Angriff auf den Flücht­lings­schutz gefähr­det die Rechts­staat­lich­keit in der EU auch in ande­ren Berei­chen. Wenn an einer Stel­le rechts­freie Räu­me hin­ge­nom­men wer­den, so kann sich das auch auf ande­re Berei­che aus­wir­ken und die Demo­kra­tie in Euro­pa gefährden. 

Appell an die künftige Bundesregierung:
Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit an Europas Grenzen verteidigen!

Völ­ker­rechts­wid­ri­ge Zurück­wei­sun­gen – soge­nann­te Push-Backs – Gewalt, unmensch­li­che Behand­lun­gen gehö­ren mitt­ler­wei­le zur Rea­li­tät an den Gren­zen Euro­pas. Schutz­su­chen­de gera­ten durch sie in Lebens­ge­fahr, wie auch die Todes­fäl­le an der pol­nisch-bela­rus­si­schen Gren­ze zei­gen. Geflüch­te­te wer­den ent­mensch­licht, indem sie von füh­ren­den Politiker*innen als »poli­ti­sche Waf­fe« oder »eine Form der hybri­den Bedro­hung« bezeich­net werden. 

Dies stellt nicht nur einen Angriff auf das Asyl­recht und die Men­schen­rech­te dar. Wenn rechts­freie Zonen hin­ge­nom­men wer­den, wenn Rechts­staat­lich­keit ero­diert, dann gefähr­det die­se Entwicklung
auch die Demo­kra­tie in Europa. 

Wir, die unter­zeich­nen­den Orga­ni­sa­tio­nen, unter­stüt­zen seit Jah­ren Men­schen, die von die­ser Grenz­ge­walt betrof­fen sind. Wir stel­len fest, dass die Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on und die Euro­päi­sche Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on an Euro­pas Gren­zen sys­te­ma­tisch ver­letzt wer­den. EU-Mit­glied­staa­ten miss­ach­ten den Grund­satz der Nicht­zu­rück­wei­sung, eine ein­zig­ar­ti­ge huma­ni­tä­re und recht­li­che Errun­gen­schaft, die Schutz­su­chen­den grund­le­gen­de indi­vi­du­el­le Rech­te zusichert.

Ein jour­na­lis­ti­sches Recher­che­kol­lek­tiv hat am 6. Okto­ber wei­te­re Bewei­se für gewalt­vol­le Push-Backs an den EU-Außen­gren­zen in Grie­chen­land und Kroa­ti­en ver­öf­fent­licht. Auf Vide­os und Fotos ist die Bru­ta­li­tät der poli­zei­li­chen Spe­zi­al­ein­hei­ten zu sehen. Push-Backs und die Gewalt gegen Schutz­su­chen­de sind Aus­druck einer Poli­tik, die auf Abschot­tung statt Schutz setzt – um jeden Preis. Die EU und ihre Mit­glieds­staa­ten sind finan­zi­ell, logis­tisch und zum Teil durch Ein­satz­kräf­te unter dem Man­dat der EU-Grenz­schutz­agen­tur Fron­tex an die­ser Form des rechts­wid­ri­gen Grenz­schut­zes betei­ligt. Die deut­sche Regie­rung unter­stützt den kroa­ti­schen Grenz­schutz mit tech­ni­scher und logis­ti­scher Aus­rüs­tung, Polen wur­de sol­che Unter­stüt­zung ange­bo­ten. Deut­sche Ein­satz­kräf­te sind Teil des Fron­tex-Ein­sat­zes in Griechenland. 

Berlin: Für einen Neuanfang in der europäischen Flüchtlingspolitik!

Die drei Koali­ti­ons­par­tei­en, die seit dem 27. Okto­ber in Arbeits­grup­pen ver­han­deln, haben in ihrem Son­die­rungs­pa­pier klar­ge­stellt: »Wir beken­nen uns zur huma­ni­tä­ren Ver­ant­wor­tung, die sich aus dem Grund­ge­setz, aus der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on sowie der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on ergibt. Dar­aus lei­ten wir die Auf­ga­be ab, mit den euro­päi­schen Part­nern Anstren­gun­gen zu unter­neh­men, das Ster­ben auf dem Mit­tel­meer genau­so wie das Leid an den euro­päi­schen Außen­gren­zen zu beenden.«

Wir begrü­ßen die­se Absichts­er­klä­rung. Um die­se in poli­ti­sches Han­deln umzu­set­zen, muss sie im Koali­ti­ons­ver­trag kon­kre­ti­siert wer­den. Nur die kon­se­quen­te Durch­set­zung von Völ­ker­recht an Euro­pas Gren­zen, siche­re und regu­lä­re Wege, eine euro­päi­sche See­not­ret­tung und die soli­da­ri­sche Auf­nah­me von Schutz­su­chen­den inner­halb der EU kön­nen das Leid und Ster­ben an Euro­pas Gren­zen been­den.

Wir for­dern von der künf­ti­gen Bundesregierung: 

  • das Asyl­recht in Euro­pa zu ver­tei­di­gen: den Zugang zum Asyl­ver­fah­ren, den Zugang zum Rechts­sys­tem und men­schen­wür­di­ge Unter­brin­gung. Nein zu einem Euro­pa der Haft- und Flücht­lings­la­ger und Grenzverfahren!
  • die Ver­tei­di­gung der Men­schen­wür­de, der Rechts­staat­lich­keit und der Men­schen­rech­te – genau die Wer­te, auf die sich die Euro­päi­sche Uni­on ‑EU- Ver­trag Arti­kel 2- gründet. 
  • die Ein­lei­tung von Ver­trags­ver­let­zungs­ver­fah­ren gegen Polen, Kroa­ti­en und Grie­chen­land durch die Euro­päi­sche Kom­mis­si­on. Wir for­dern zudem, dass die EU bei der Ein­lei­tung von Rechts­staats­ver­fah­ren im Fal­le von schwer­wie­gen­den Ver­let­zun­gen der in Arti­kel 2 EUV genann­ten Wer­te auch Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen der Mit­glied­staa­ten im Bereich Asyl und Migra­ti­on einbezieht.
  • die Ein­rich­tung eines unab­hän­gi­gen, trans­pa­ren­ten und effek­ti­ven Men­schen­rechts­kon­troll­me­cha­nis­mus, der unan­ge­kün­dig­te Besu­che an Gren­zen sowie die Straf­ver­fol­gung von Täter*innen ermög­licht. Die Menschenrechts-beobachter*innen müs­sen das Man­dat zur Sicher­stel­lung von Beweis­mit­teln haben. Ziel muss sein, dass die­se finan­zi­ell und per­so­nell gut aus­ge­stat­te­te Insti­tu­ti­on künf­tig Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen verhindert. 
  • die Ein­stel­lung jeg­li­cher Unter­stüt­zung des Grenz­re­gimes in Polen, Kroa­ti­en, Grie­chen­land und ande­rer Staa­ten, die an ihren Gren­zen Völ­ker­recht missachten.

  • ent­schlos­se­ne Reak­tio­nen auf Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen in Fron­tex-Ope­ra­tio­nen: Aus­set­zung der Finan­zie­rung und des Ein­sat­zes von EU-Grenz­schutz­be­am­ten in Län­dern, die inter­na­tio­na­le Men­schen­rechts­stan­dards verletzen.

  • ein zivi­les EU-See­not­ret­tungs­pro­gramm, um das Ster­ben auf dem Mit­tel­meer zu been­den. Den Boots­flücht­lin­gen muss nach Anlan­dung in einem siche­ren euro­päi­schen Hafen eine men­schen­wür­di­ge Auf­nah­me und Zugang zu einem fai­ren Asyl­ver­fah­ren gewährt wer­den. Es müs­sen siche­re und regu­lä­re Flucht­we­ge nach Euro­pa geschaf­fen werden.
  • die Zusam­men­ar­beit mit der »liby­schen Küs­ten­wa­che« und der damit ver­bun­de­ne fort­lau­fen­de Völ­ker­rechts­bruch im Mit­tel­meer muss sofort gestoppt werden.