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Rechtsstaatlichkeit an Europas Grenzen verteidigen! Erwartungen an die künftige Bundesregierung
Den Worten nun Taten folgen lassen. Das fordern fünf europäische Menschenrechtsorganisationen von den Frauen und Männern, die in diesen Tagen den Koalitionsvertrag zu den Themen Flucht und Migration verhandeln. Ein Neuanfang in der deutschen und europäischen Flüchtlingspolitik ist dringend nötig, besonders an den Grenzen Europas.
In ihrem Sondierungspapier bekennen sich SPD, Grüne und FDP zur »zur humanitären Verantwortung, die sich aus dem Grundgesetz, aus der Genfer Flüchtlingskonvention sowie der Europäischen Menschenrechtskonvention ergibt« und wollen mit den europäischen Partnern Anstrengungen unternehmen, »das Sterben auf dem Mittelmeer genauso wie das Leid an den europäischen Außengrenzen zu beenden«.
Schutz statt Abschottung
Diesen Worten müssen Taten folgen: Schutz statt Abschottung! Die fünf Organisationen – PRO ASYL, die griechische Organisation Refugee Support Aegean (RSA), Centre for Peace Studies aus Zagreb, European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und Europäische Demokratische Rechtsanwält_innen (EDA) – fordern unter anderem: Brutale Push-backs an Europas Grenzen durch Länder wie Polen, Kroatien und Griechenland müssen nicht nur verboten, sondern auch geahndet werden; Frontex-Operationen, bei denen Menschen und Menschenrechte verletzt werden, dürfen nicht weiter finanziert werden.
Zudem dürfen die Täterinnen und Täter nicht länger straflos davonkommen. Die EU muss unabhängige Beobachterinnen und Beobachter finanzieren, die direkt an den Grenzen die Einhaltung der Menschenrechte überwachen und Beweismittel sicherstellen dürfen. Dieser unabhängige und transparente Menschenrechtskontrollmechanismus muss finanziell und personell gut ausgestattet werden.
Völkerrechtswidrige Zurückweisungen – sogenannte Push-Backs – Gewalt, unmenschliche Behandlungen gehören mittlerweile zur Realität an den Grenzen Europas.
Demokratie ist in Gefahr
Solche und andere Taten sollten die Koalitionäre auf ihre Worte im Sondierungspapier folgen lassen. Denn die Menschenrechtsverletzungen an den Grenzen in Kroatien, Polen, Griechenland und anderswo sind keine Einzelfälle, täglich werden europäisches Recht und Völkerrecht an den Außengrenzen missachtet. Dieser Angriff auf den Flüchtlingsschutz gefährdet die Rechtsstaatlichkeit in der EU auch in anderen Bereichen. Wenn an einer Stelle rechtsfreie Räume hingenommen werden, so kann sich das auch auf andere Bereiche auswirken und die Demokratie in Europa gefährden.
Appell an die künftige Bundesregierung:
Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit an Europas Grenzen verteidigen!
Völkerrechtswidrige Zurückweisungen – sogenannte Push-Backs – Gewalt, unmenschliche Behandlungen gehören mittlerweile zur Realität an den Grenzen Europas. Schutzsuchende geraten durch sie in Lebensgefahr, wie auch die Todesfälle an der polnisch-belarussischen Grenze zeigen. Geflüchtete werden entmenschlicht, indem sie von führenden Politiker*innen als »politische Waffe« oder »eine Form der hybriden Bedrohung« bezeichnet werden.
Dies stellt nicht nur einen Angriff auf das Asylrecht und die Menschenrechte dar. Wenn rechtsfreie Zonen hingenommen werden, wenn Rechtsstaatlichkeit erodiert, dann gefährdet diese Entwicklung
auch die Demokratie in Europa.
Wir, die unterzeichnenden Organisationen, unterstützen seit Jahren Menschen, die von dieser Grenzgewalt betroffen sind. Wir stellen fest, dass die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention an Europas Grenzen systematisch verletzt werden. EU-Mitgliedstaaten missachten den Grundsatz der Nichtzurückweisung, eine einzigartige humanitäre und rechtliche Errungenschaft, die Schutzsuchenden grundlegende individuelle Rechte zusichert.
Ein journalistisches Recherchekollektiv hat am 6. Oktober weitere Beweise für gewaltvolle Push-Backs an den EU-Außengrenzen in Griechenland und Kroatien veröffentlicht. Auf Videos und Fotos ist die Brutalität der polizeilichen Spezialeinheiten zu sehen. Push-Backs und die Gewalt gegen Schutzsuchende sind Ausdruck einer Politik, die auf Abschottung statt Schutz setzt – um jeden Preis. Die EU und ihre Mitgliedsstaaten sind finanziell, logistisch und zum Teil durch Einsatzkräfte unter dem Mandat der EU-Grenzschutzagentur Frontex an dieser Form des rechtswidrigen Grenzschutzes beteiligt. Die deutsche Regierung unterstützt den kroatischen Grenzschutz mit technischer und logistischer Ausrüstung, Polen wurde solche Unterstützung angeboten. Deutsche Einsatzkräfte sind Teil des Frontex-Einsatzes in Griechenland.
Berlin: Für einen Neuanfang in der europäischen Flüchtlingspolitik!
Die drei Koalitionsparteien, die seit dem 27. Oktober in Arbeitsgruppen verhandeln, haben in ihrem Sondierungspapier klargestellt: »Wir bekennen uns zur humanitären Verantwortung, die sich aus dem Grundgesetz, aus der Genfer Flüchtlingskonvention sowie der Europäischen Menschenrechtskonvention ergibt. Daraus leiten wir die Aufgabe ab, mit den europäischen Partnern Anstrengungen zu unternehmen, das Sterben auf dem Mittelmeer genauso wie das Leid an den europäischen Außengrenzen zu beenden.«
Wir begrüßen diese Absichtserklärung. Um diese in politisches Handeln umzusetzen, muss sie im Koalitionsvertrag konkretisiert werden. Nur die konsequente Durchsetzung von Völkerrecht an Europas Grenzen, sichere und reguläre Wege, eine europäische Seenotrettung und die solidarische Aufnahme von Schutzsuchenden innerhalb der EU können das Leid und Sterben an Europas Grenzen beenden.
Wir fordern von der künftigen Bundesregierung:
- das Asylrecht in Europa zu verteidigen: den Zugang zum Asylverfahren, den Zugang zum Rechtssystem und menschenwürdige Unterbringung. Nein zu einem Europa der Haft- und Flüchtlingslager und Grenzverfahren!
- die Verteidigung der Menschenwürde, der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte – genau die Werte, auf die sich die Europäische Union ‑EU- Vertrag Artikel 2- gründet.
- die Einleitung von Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen, Kroatien und Griechenland durch die Europäische Kommission. Wir fordern zudem, dass die EU bei der Einleitung von Rechtsstaatsverfahren im Falle von schwerwiegenden Verletzungen der in Artikel 2 EUV genannten Werte auch Menschenrechtsverletzungen der Mitgliedstaaten im Bereich Asyl und Migration einbezieht.
- die Einrichtung eines unabhängigen, transparenten und effektiven Menschenrechtskontrollmechanismus, der unangekündigte Besuche an Grenzen sowie die Strafverfolgung von Täter*innen ermöglicht. Die Menschenrechts-beobachter*innen müssen das Mandat zur Sicherstellung von Beweismitteln haben. Ziel muss sein, dass diese finanziell und personell gut ausgestattete Institution künftig Menschenrechtsverletzungen verhindert.
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die Einstellung jeglicher Unterstützung des Grenzregimes in Polen, Kroatien, Griechenland und anderer Staaten, die an ihren Grenzen Völkerrecht missachten.
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entschlossene Reaktionen auf Menschenrechtsverletzungen in Frontex-Operationen: Aussetzung der Finanzierung und des Einsatzes von EU-Grenzschutzbeamten in Ländern, die internationale Menschenrechtsstandards verletzen.
- ein ziviles EU-Seenotrettungsprogramm, um das Sterben auf dem Mittelmeer zu beenden. Den Bootsflüchtlingen muss nach Anlandung in einem sicheren europäischen Hafen eine menschenwürdige Aufnahme und Zugang zu einem fairen Asylverfahren gewährt werden. Es müssen sichere und reguläre Fluchtwege nach Europa geschaffen werden.
- die Zusammenarbeit mit der »libyschen Küstenwache« und der damit verbundene fortlaufende Völkerrechtsbruch im Mittelmeer muss sofort gestoppt werden.