02.09.2023
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Die Vorsitzende des Stiftungsrates von PRO ASYL, Halima Gutale mit den Preisträger*innen Heike Kleffner (links), Sultana Sediqi und Ibrahim Arslan. Foto: PRO ASYL / Jonas Bickmann

Die Stiftung PRO ASYL verleiht ihren Menschenrechtspreis 2023 an Heike Kleffner, Sultana Sediqi und Ibrahim Arslan - stellvertretend für die herausragende Arbeit des Verbands der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG e.V.) und seiner engen Partner*innen. Ein Zeichen in gefährlichen Zeiten.

Ras­sis­ti­sche und vor allem flücht­lings­feind­li­che Debat­ten sind nichts Neu­es in Deutsch­land. Und doch ist der sich immer wei­ter zuspit­zen­de poli­ti­sche Dis­kurs um die Über­las­tung der deut­schen Ver­wal­tungs­struk­tu­ren durch geflüch­te­te Men­schen an einem neu­en Höhe­punkt ange­langt. Demo­kra­ti­sche Par­tei­en lau­fen Gefahr ein Framing von rechts zu über­neh­men. Das Asyl­recht an sich wird in Fra­ge gestellt. Hin­zu kom­men ras­sis­tisch gepräg­te Clan-Debat­ten, die Men­schen unter Gene­ral­ver­dacht stel­len und der Ruf nach mehr Abschie­bun­gen, selbst in Staa­ten wie Afgha­ni­stan. Dass es einen Zusam­men­hang zwi­schen dem poli­ti­schen Dis­kurs und stär­ker wer­den­dem Ras­sis­mus in der Gesell­schaft gibt, lässt sich auch an ver­mehr­ten Angrif­fen auf geflüch­te­te Men­schen able­sen. Im Jahr 2022 ist die Zahl der Angrif­fe auf Geflüch­te­ten-Unter­künf­te um über 70 Pro­zent gestiegen.

Fast vier Angriffe auf Geflüchtete pro Tag

Neue Zah­len von 2023 bele­gen 80 Straf­ta­ten im ers­ten Halb­jahr 2023 auf Geflüch­te­ten­un­ter­künf­te, das heißt unge­fähr jeden zwei­ten Tag gibt es einen Angriff auf eine Flücht­lings­un­ter­kunft. Zudem wur­den 704 Straf­ta­ten gegen Geflüch­te­te außer­halb der Unter­künf­te regis­triert, also fast 4 Angrif­fe pro Tag. Dies sind allein die Zah­len, die Geflüch­te­te betref­fen. Um ein Viel­fa­ches höher ist die Zahl aller regis­trier­ten rech­ten Gewalt­ta­ten, die in 2022 um mehr als 15% gestie­gen ist. Die Dun­kel­zif­fer wie­der­um ist noch grö­ßer, da vie­le Men­schen rech­te Gewalt­ta­ten nicht anzei­gen oder die­se nicht als «rechts moti­viert« ein­ge­stuft wer­den. In die­sem bedroh­li­chen Angriff auf demo­kra­ti­sche Wer­te ist es beson­ders wich­tig, dass es Struk­tu­ren gibt, die Betrof­fe­ne unter­stüt­zen und ihnen zur Sei­te ste­hen. Des­halb wür­digt der dies­jäh­ri­ge Men­schen­rechts­preis die wich­ti­ge Arbeit der unab­hän­gi­gen Gewalt­op­fer-Bera­tungs­stel­len und ihrer Partner*innen.

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Die Menschenrechtspreisträger*innen erhal­ten 5.000 € und die „PRO ASYL – Hand“. Foto: PRO ASYL / Max Klöckner

Die Preisträger*innen

Hei­ke Kleff­ner ist seit 2018 Geschäfts­füh­re­rin des Ver­bands der Bera­tungs­stel­len für Betrof­fe­ne rech­ter, ras­sis­ti­scher und anti­se­mi­ti­scher Gewalt e.V. (VBRG) und freie Jour­na­lis­tin. Sie sagt: „Die Straf­lo­sig­keit in vie­len Fäl­len ras­sis­ti­scher, rech­ter und anti­se­mi­ti­scher Gewalt und die Nor­ma­li­sie­rung ras­sis­ti­scher Dis­kur­se ent­mu­tigt die Ange­grif­fe­nen und stärkt die Täter*innen, ihre Sympathisant*innen und Nachahmer*innen. Daher ist eine Erwei­te­rung des Opfer­schut­zes im Auf­ent­halts­ge­setz über­fäl­lig. Dafür muss die Bun­des­re­gie­rung ein Geset­zes­vor­ha­ben für ein huma­ni­tä­res Blei­be­recht für Betrof­fe­ne ras­sis­ti­scher Gewalt ohne fes­ten Auf­ent­halts­sta­tus auf den Weg brin­gen – durch eine Erwei­te­rung des Para­gra­fen 25 im Auf­ent­halts­ge­setz. Es kann nicht sein, dass Täter*innen pro­fi­tie­ren, weil abge­scho­be­ne Opfer nicht mehr als Zeug*innen in Straf­ver­fah­ren aus­sa­gen können.“
Neben der direk­ten Unter­stüt­zung der Betrof­fe­nen legt sie auch einen Schwer­punkt dar­auf, durch ihre jour­na­lis­ti­sche Arbeit über die Ent­ste­hungs­be­din­gun­gen und Aus­wir­kun­gen von Rechts­ter­ro­ris­mus und das Han­deln staat­li­cher Insti­tu­tio­nen aufzuklären.

Der VBRG e.V. setzt sich seit sei­ner Grün­dung im Jahr 2014, gemein­sam mit sei­nen Partner*innen, dafür ein, dass Men­schen, die rech­te Gewalt erlit­ten haben, ihre Opfer­rech­te wahr­neh­men kön­nen und Zugang zu soli­da­ri­schen Bera­tungs- und Unter­stüt­zungs­ein­rich­tun­gen erhal­ten. Hun­der­te Betrof­fe­ne, Ange­hö­ri­ge und Zeug*innen bera­ten und beglei­ten die im VBRG zusam­men­ge­schlos­se­nen Bera­tungs­stel­len pro­fes­sio­nell, unab­hän­gig und solidarisch.

»Ras­sis­tisch moti­vier­te Angrif­fe gegen Kin­der und Jugend­li­che haben sich inner­halb von einem Jahr ver­dop­pelt. All­zu oft füh­len sich die Fami­li­en von den Insti­tu­tio­nen des Rechts­staats im Stich gelassen.«

Sul­ta­na Sediqi

Sul­ta­na Sedi­qi, die als Kind mit ihrer Fami­lie aus Afgha­ni­stan floh und seit zehn Jah­ren in Thü­rin­gen lebt, sagt:  »Ras­sis­tisch moti­vier­te Angrif­fe gegen Kin­der und Jugend­li­che haben sich inner­halb von einem Jahr ver­dop­pelt und beein­flus­sen den All­tag der betrof­fe­nen Fami­li­en mas­siv. All­zu oft füh­len sich die Fami­li­en von den Insti­tu­tio­nen des Rechts­staats im Stich gelassen.«

Im Jahr 2021 grün­de­te sie die Initia­ti­ve Jugend­li­che ohne Gren­zen in Thü­rin­gen und ist stell­ver­tre­ten­de Vor­sit­zen­de des Ver­eins Migra­Fem. Vor dem Hin­ter­grund ihrer eige­nen Erfah­run­gen unter­stützt Sul­ta­na Sedi­qi Jugend­li­che und Frau­en, die in Ost­deutsch­land Ras­sis­mus und Dis­kri­mi­nie­rung erlebt haben und arbei­tet dabei eng mit der Thü­rin­ger Opfer­be­ra­tungs­stel­le ezra – Bera­tung für Betrof­fe­ne rech­ter, ras­sis­ti­scher und anti­se­mi­ti­scher Gewalt im Netz­werk des VBRGs zusammen.

»Die Über­le­ben­den sind die Hauptzeug*innen des Gesche­hens und kei­ne Statist*innen. Ihre Per­spek­ti­ve muss selbst­ver­ständ­li­cher Mit­tel­punkt der staat­li­chen Maß­nah­men und zivil­ge­sell­schaft­li­chen Initia­ti­ven sein.«

Ibra­him Arslan

İbrah­im Ars­lan ist Über­le­ben­der und Hin­ter­blie­be­ner des ras­sis­ti­schen Brand­an­schlags am 23. Novem­ber 1992 in Mölln und sagt:  »Die Über­le­ben­den sind die Hauptzeug*innen des Gesche­hens und kei­ne Statist*innen. Ihre Per­spek­ti­ve muss selbst­ver­ständ­li­cher Mit­tel­punkt der staat­li­chen Maß­nah­men und zivil­ge­sell­schaft­li­chen Initia­ti­ven sein.«

Seit vie­len Jah­ren enga­giert er sich für die Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on und das Empower­ment von Betrof­fe­nen ras­sis­ti­scher Gewalt – u.a. im  »Betrof­fe­nen- und Soli­da­ri­täts­netz­werk« (BeSo­Net) und bringt als Bil­dungs­re­fe­rent ins­be­son­de­re an Schu­len die Per­spek­ti­ve der Betrof­fe­nen ein. Durch die  »Möll­ner Rede im Exil«, die er seit 2013 gemein­sam mit sei­ner Fami­lie und dem Freun­des­kreis im Geden­ken an die ras­sis­ti­schen Brand­an­schlä­ge von Mölln 1992 zum Jah­res­tag des Brand­an­schlags ver­an­stal­tet, eta­blier­te er eine neue Gedenk­kul­tur gegen das Ver­ges­sen, die die Ange­hö­ri­gen und Über­le­ben­den ras­sis­ti­scher und anti­se­mi­ti­scher Anschlä­ge und Mor­de in den Mit­tel­punkt stellt.

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Mit dem Men­schen­rechts­preis wür­digt PRO ASYL ihre wich­ti­ge Arbeit. Die Ehrung ist ein Zei­chen der Soli­da­ri­tät mit den Ange­grif­fe­nen und eine Unter­stüt­zung der demo­kra­ti­schen Zivil­ge­sell­schaft – in einer Zeit, in der in Deutsch­land täg­lich Men­schen aus ras­sis­ti­schen, rech­ten, anti­se­mi­ti­schen und ver­mehrt auch aus trans- und que­er­feind­li­chen Moti­ven ange­grif­fen werden.

Bleiberecht für Opfer rassistischer Gewalt 

Vie­le Men­schen, die ras­sis­ti­sche Gewalt erfah­ren, wen­den sich nicht an die Poli­zei. Zum Teil wegen schlech­ter Erfah­run­gen mit Behör­den, zum Teil auch wegen ihres pre­kä­ren Auf­ent­halts­sta­tus. Hier muss drin­gend eine Blei­be­rechts­re­ge­lung geschaf­fen wer­den, um zu ver­hin­dern, dass die Taten aus auf­ent­halts­recht­li­chen Grün­den der Opfer unge­straft blei­ben und ihnen kei­ne Gerech­tig­keit wider­fährt. PRO ASYL und der VBRG e.V. set­zen sich des­halb gemein­sam für ein huma­ni­tä­res Blei­be­recht für Betrof­fe­ne ras­sis­ti­scher Gewalt ohne fes­ten Auf­ent­halts­sta­tus ein – zum Bei­spiel durch eine Erwei­te­rung von Para­graf 25AufenthG. Es kann nicht sein, dass Täter*innen pro­fi­tie­ren, weil abge­scho­be­ne Opfer nicht mehr als Zeug*innen in Straf­ver­fah­ren aus­sa­gen können.

Es kann nicht sein, dass Täter*innen pro­fi­tie­ren, weil abge­scho­be­ne Opfer nicht mehr als Zeug*innen in Straf­ver­fah­ren aus­sa­gen können.

Hintergrund

Den Men­schen­rechts­preis ver­leiht die Stif­tung PRO ASYL seit 2006 jähr­lich an Per­so­nen, die sich in her­aus­ra­gen­der Wei­se für die Ach­tung der Men­schen­rech­te und den Schutz von Flücht­lin­gen ein­set­zen. Der Preis ist mit 5.000 Euro dotiert. Bis­he­ri­ge Preisträger*innen waren bei­spiels­wei­se der Anwalt Peter Fahl­busch für sein Enga­ge­ment für Abschie­be­häft­lin­ge, das Netz­werk Watch the Med – Alarm Pho­ne, das Not­ru­fe von Flücht­lin­gen im Mit­tel­meer ent­ge­gen­nimmt, und der ita­lie­ni­sche Jour­na­list Fabri­zio Gat­ti, der seit den 1990er-Jah­ren Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen an Flücht­lin­gen aufdeckt.